Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 09.10.1968 - F OVG A 25/67
Aktenzeichen | F OVG A 25/67 | Entscheidung | Urteil | Datum | 09.10.1968 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Lüneburg | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zu den Mindesterfordernissen der öffentlichen Bekanntmachung. |
Aus den Gründen
Der Beklagte hat durch Beschluß vom 29.12.1965 auf Grund der § 1 und § 4 FlurbG die Flurbereinigung W. angeordnet. Das Verfahrensgebiet erstreckt sich auf die Gemeindebezirke und Gemarkungen, sämtlich Kreis W. Es umfaßt rd. 3 992 ha.
Über öffentliche Bekanntmachungen in der Gemeinde B. bestimmt die Hauptsatzung der Gemeinde vom 5. Februar 1965 in ihrem § 17:
"Satzungen, Abgabenordnungen und Verordnungen sind im vollen Wortlaut und ggf. mit der vollen Genehmigungsverfügung nach näherer Vorschrift des Absatzes 3 öffentlich bekanntzumachen. Umfangreichere Anlagen, insbesondere beschreibende und zeichnerische Darstellungen von Plänen, können durch öffentliche Auslegung für die Dauer von 1 Woche bekanntgemacht werden; in diesem Falle ist am Ort der Auslegung zugleich der volle sonstige Wortlaut der betreffenden Satzung, Abgabenordnung oder Verordnung zur Einsichtnahme bereitzuhalten. Ort, Zeit und Dauer der Auslegung sind in der Bekanntmachung nach Satz 1 anzugeben.
Satzungen und Abgabenordnungen werden durch Aushang im Gitterkasten bekanntgemacht; die Dauer des Aushangs beträgt 1 Woche: Soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Beginn und Ende der Zeit des Aushangs sind festzuhalten. Verordnungen werden im Amtsblatt des Regierungs-/Verwaltungsbezirks veröffentlicht.
Sonstige Bekanntmachungen werden durch Umlauf vorgenommen."
Der Bürgermeister der Gemeinde B. hat nach dem Vortrag des Beklagten von der 15 Seiten umfassenden Beschlußausfertigung die Seiten 1 und 14 und 15 (Gründe und Rechtsmittel) in dem Gitterkasten der Gemeinde in der Zeit vom 22. Februar bis 22. April 1968 in ihrem vollen Umfang lesbar ausgehängt. Die übrigen Seiten des Beschlusses (2 bis 13) waren hinter Seite 1 im Gitterkasten befestigt. Es bestand die Möglichkeit, den Gitterkasten zu öffnen und durch Aufheben der ersten und der folgenden Blätter Einsicht in den gesamten Beschluß zu nehmen. Ein Hinweis, daß sich hinter der Seite 1 die Seiten 2 bis 13 befanden und durch Öffnen des Gitterkastens in diese Seiten Einsicht genommen werden konnte, war nicht vorhanden. Ob Beteiligte den Gitterkasten geöffnet und die verdeckten Seiten 2 bis 13 gelesen haben, ist nicht bekannt. Nach Auffassung des Bürgermeisters ist das nicht anzunehmen. Auf der ausgehängten Beschlußausfertigung war der erste Tag des Aushangs nicht vermerkt. Der auf der Rückseite von Seite 15 befindliche Hinweis auf die zweiwöchige Auslegung des Beschlusses mit der das Flurbereinigungsgebiet darstellenden Karte im Gemeindebüro war nicht sichtbar und konnte nur nach Öffnen des Gitterkastens und Aufheben der Seite 15 gelesen werden.
Der Kläger wendet sich gegen die Einbeziehung des im Erbgang auf ihn übergegangenen Besitzstandes der bisherigen Klägerin in der Gemeinde B. in das Flurbereinigungsverfahren W. und behauptet, der Flurbereinigungsbeschluß sei nicht ordnungsgemäß öffentlich bekanntgemacht worden.
Der Klage war stattzugeben, weil jedenfalls die Rüge der nicht ordnungsmäßigen öffentlichen Bekanntmachung des Flurbereinigungsbeschlusses durchgreift.
Nach § 6 Abs. 2 FlurbG ist der entscheidende Teil des Flurbereinigungsbeschlusses, in dem der Umfang des Flurbereinigungsgebietes sowie Name und Sitz der Teilnehmergemeinschaft festzusetzen ist, öffentlich bekanntzumachen ist. Die öffentliche Bekanntmachung hat nach § 110 FlurbG in den Flurbereinigungsgemeinden und in den angrenzenden Gemeinden, wenn dort Beteiligte, Vertreter, Bevollmächtigte oder Empfangsbevollmächtigte wohnen, nach den für die öffentliche Bekanntmachung von Verfügungen der jeweiligen Gemeinde bestehenden Rechtsvorschriften zu erfolgen. Danach war § 17 der Hauptsatzung der Gemeinde B. vom 5. Febr. 1965 zu beachten. Aus ihm ergibt sich, daß der Flurbereinigungsbeschluß im Gitterkasten der Gemeinde für die Dauer einer Woche in seinem vollen Wortlaut auszuhängen war. Im vorliegenden Falle ist die Aushangsfrist durch den Aushang der Beschlußausfertigung vom 22. Februar bis 22. April 1968 gewahrt. Von dem 15 Seiten umfassenden Beschluß waren jedoch nur die Seiten 1, 14 und 15 ohne Öffnen des Gitterkastens lesbar. Zu dem entscheidenden Teil des Flurbereinigungsbeschlusses vom 29. Dezember 1965 gehören jedoch auch dessen Seiten 2 bis 13, die außer dem ersten Blatt Angaben über den Umfang des Flurbereinigungsgebietes sowie über Namen und Sitz der Teilnehmergemeinschaft enthalten. Die Beteiligten des Flurbereinigungsverfahrens sollten durch den Aushang im "vollen Wortlaut" die Möglichkeit erhalten, von den sie interessierenden Bestimmungen des entscheidenden Teiles des Flurbereinigungsbeschlusses in vollem Umfang Kenntnis zu nehmen. Nur wenn die Art und Weise des Aushanges diese Möglichkeit ohne weiteres eröffnete, könnte der Flurbereinigungsbeschluß gegenüber den Beteiligten der Gemeinde B. durch den Aushang wirksam werden. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen kann es nicht als ausreichend angesehen werden, wenn die Beteiligten durch Lesen der sichtbar ausgehängten Seiten nur von Teilen des Beschlusses Kenntnis nehmen konnten. Der entscheidende Teil des Beschlusses ist als eine Einheit anzusehen. Der Beschluß kann daher durch eine öffentliche Bekanntmachung nur dann wirksam werden, wenn für die Beteiligten die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des gesamten entscheidenden Teiles besteht. Hierfür vermag jedoch nicht zu genügen, daß der entscheidende Teil des Beschlusses an der für die öffentlichen Bekanntmachungen bestimmten Stelle in vollem Wortlaut derart "ausgehängt" wurde, daß nur das erste und die beiden letzten Blätter der zur Veröffentlichung bestimmten Beschlußausfertigung sichtbar waren, während die übrigen Blätter durch das erste Blatt verdeckt waren. Vielmehr mußten von den Beteiligten, die an den Gitterkasten herantreten, auch die übrigen Blätter, auf denen auch der entscheidende Teil des Beschlusses abgedruckt war, zu lesen sein. § 17 Abs. 2 der Hauptsatzung der Gemeinde B. ist dahin auszulegen, daß der entscheidende Teil des Flurbereinigungsbeschlusses zur wirksamen öffentlichen Bekanntmachung im vollen Wortlaut "sichtbar und lesbar" auszuhängen war. Die Seiten 2 bis 13 des Flurbereinigungsbeschlusses, die sich hinter der Seite 1 im Gitterkasten der Gemeinde B. befanden, waren jedoch unstreitig für die an den Gitterkasten herantretenden Beteiligten nicht ohne weiteres Hinzutun lesbar. Auf dem "Aushang" befand sich auch kein Hinweis, daß hinter Seite 1 noch die Seiten 2 bis 13 des Flurbereinigungsbeschlusses angeheftet waren. Die Beteiligten, die durch Lesen des Aushangs im Gitterkasten von dem Flurbereinigungsbeschluß Kenntnis nehmen wollten, konnten daher nicht ohne weiteres ersehen und damit rechnen, daß hinter der 1. Seite noch weitere Seiten (2 bis 13) des Flurbereinigungsbeschlusses verdeckt angeheftet waren. Die Möglichkeit, den Gitterkasten zu öffnen und durch Umblättern von den hinter Blatt 1 angehefteten Seiten 2 bis 13 Kenntnis zu nehmen, reichte nach Auffassung des Senats für eine ordnungsmäßige öffentliche Bekanntmachung der Seiten 2 bis 13 des Flurbereinigungsbeschlusses nicht aus. Dieser Mangel der öffentlichen Bekanntmachung muß als so schwerwiegend angesehen werden, daß die Bekanntgabe des Beschlusses als noch nicht erfolgt anzusehen ist. Der Senat vermag dabei auch nicht der Auffassung des Beklagten zu folgen, daß die Beteiligten wegen ihrer Mitwirkungspflicht am Flurbereinigungsverfahren verpflichtet gewesen seien, den Gitterkasten zu öffnen, um von den durch die 1. Seite verdeckten Seiten 2 bis 13 des Flurbereinigungsbeschlusses Kenntnis zu nehmen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für die Beteiligten in diesem frühen Stadium des Flurbereinigungsverfahrens bereits eine echte Mitwirkungspflicht bestand (vgl. BVerwG, Entsch. v. 21.7.1959, BVerwGE 9, 93: Entsch. v. 28.10.1960, RdL 1961, 26 und Entsch. v. 6.3.1961, RdL 1961, 136 über die Mitwirkungspflicht der Beteiligten in späteren Verfahrensabschnitten). Es ist zu berücksichtigen, daß die Beteiligten ohne einen besonderen Hinweis sich nicht ohne weiteres für berechtigt halten konnten, den Gitterkasten der Gemeinde zu öffnen. Deshalb entspricht die Form, in der im vorliegenden Falle der Flurbereinigungsbeschluß "ausgehängt" worden ist, nicht dem amtlichen Charakter, der gewahrt bleiben muß, wenn die Bekanntgabe einer wichtigen Entscheidung der oberen Flurbereinigungsbehörde an die Beteiligten als ordnungsgemäß erfolgt angesehen werden soll. Wenn wie hier verfahren wird, besteht ferner keine Kontrolle darüber, ob der bekanntzugebende Flurbereinigungsbeschluß während der Aushangzeit jederzeit in seinem vollen Umfang angeheftet gewesen ist oder ob - wenn vielleicht auch nur vorübergehend - einzelne Blätter von Unbefugten entfernt worden sind. Nach Ansicht des Senats war jedenfalls nicht sichergestellt, daß alle Beteiligten - und insbesondere die verstorbene Rechtsvorgängerin des Klägers - die Möglichkeit hatten, auch ohne den Kasten zu öffnen, von dem vollen Text des Flurbereinigungsbeschlusses Kenntnis zu nehmen. Diese Möglichkeit hätte nur dann bestanden, wenn die einzelnen Blätter des Flurbereinigungsbeschlusses in dem Aushangkasten so angeheftet worden wären, daß der Text im Zusammenhang zu lesen gewesen wäre (vgl. das Urteil Nanningsen ./. Kulturamt Kiel vom 15.3.1968 - F OVG A 4/67 - n.v.). Der Beklagte hat zwar geltend gemacht, daß eine öffentliche Bekanntmachung durch Anheften der einzelnen Blätter wegen des Umfanges des Flurbereinigungsbeschlusses nicht möglich gewesen sei, weil der Aushangkasten der Gemeinde B. dafür zu klein sei. Dieser Umstand kann nach Ansicht des Senats nicht dazu führen, die an eine ordnungsmäßige öffentliche Bekanntmachung in Flurbereinigungssachen zu stellenden Anforderungen herabzumindern, zumal sonst nicht ersichtlich wäre, welche Voraussetzungen für die Wirksamkeit dieser Form der Bekanntgabe von Beschlüssen, Anordnungen usw. der Flurbereinigungsbehörde an die Beteiligten überhaupt noch zu fordern wären. Der Senat ist vielmehr der Auffassung, daß eine wirksame öffentliche Bekanntmachung, wie sie in § 6 Abs. 2 FlurbG für die Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses an die Beteiligten vorgeschrieben ist, im vorliegenden Falle nicht vorliegt. Er ist ferner der Auffassung, daß es mit Rücksicht auf den Fristbeginn nach § 115 Abs. 1 FlurbG ("Die gesetzlichen Fristen beginnen ..., wenn öffentliche Bekanntmachung erfolgt, mit dem ersten Tage der Bekanntmachung") erforderlich war, den Tag, an dem ausgehängt wurde, auf dem Aushang anzugeben, damit die Beteiligten die Möglichkeit hatten, aus dem Aushang gleichzeitig zu entnehmen, wann die Frist für die Einlegung von Rechtsmitteln in Lauf gesetzt wurde.