Landgericht Braunschweig, Urteil vom 14.05.2008 - 23 O 3039/07 = RdL 2009, S. 183-185 (Leitsatz und Gründe) (Lieferung 2010)

Aktenzeichen 23 O 3039/07 Entscheidung Urteil Datum 14.05.2008
Gericht Landgericht Braunschweig Veröffentlichungen RdL 2009, S. 183-185 (Leitsatz und Gründe)  Lieferung 2010

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Unterbrechung einer Fahrmöglichkeit über eine Wiese, die im Eigentum des Teilnehmers steht, ist entschädigungspflichtig.

Aus den Gründen

Der Bescheid der Flurbereinigungsbehörde vom 12.10.2007 ist rechtswidrig. Die Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG setzt einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraus. Der mit dem Bescheid vom 12.10.2007 zurückgenommene Bescheid vom 19.09.2007 ist hingegen rechtmäßig. Er durfte nicht nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden.


Mit dem Bescheid vom 19.09.2007 hat die Flurbereinigungsbehörde zu Recht eine Umwegeentschädigung nach § 88 Nr. 5 Flurbereinigungsgesetz (i.d.F. d. Bek. v. 16.03.1976, BGBl. I S. 546, zul. geänd. d. G. .v.23.08.1994, BGBl. I S. 2187 – FlurbG-) zugunsten des Antragstellers zu 2) in Höhe von 12.506,00 EUR festgesetzt.


Nach § 88 Nr. 5 FlurbG hat der Träger des Unternehmens Nachteile, die Beteiligten durch das Unternehmen entstehen, zu beheben und, soweit dies nicht möglich ist oder nach dem Ermessen der Flurbereinigungsbehörde nicht zweckmäßig erscheint, für sie Geldentschädigung zu leisten. Diese Entschädigungsvorschrift erfasst alle Nachteile, die nicht schon nach § 88 Nr. 3 Satz 3 oder Nr. 4 Satz 4 FlurbG entschädigt werden (Seehusen/Schwede, FlurbG, Komm., 7. Aufl., § 88 Rn. 31). Dazu gehören dauernde und vorübergehende Nachteile. Als dauerhafter Nachteil sind die Wirtschaftserschwernisse anerkannt, die entstehen, weil infolge des Unternehmens ein Umweg bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen zu bewältigen ist. Denn Umwege sind regelmäßig mit zusätzlichen Wegekosten verbunden, so dass es sich um einen typischen landwirtschaftlichen Nebenschaden handelt (Aust/Jacobs, Die Enteignungsentschädigung, 2. Aufl., S. 188 f.).


Der Antragsteller zu 2) muss wegen der Errichtung der ICE-Trasse im Bereich der sogenannten Weddeler Schleife einen Umweg von 700 m fahren, um vom Ortsrand Hordorf oder von seinen nördlich der Eisenbahntrasse gelegenen Feldern zu den südlich davon liegenden Flurstücken 138 und 142 zu gelangen. Darin liegt ein Wirtschaftserschwernis, für das eine Umwegeentschädigung zu zahlen ist.


Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller zu 2) vor dem Baubeginn zum Erreichen des Flurstücks 142 über eine auf seinem Flurstück 138 gelegene Wiese gefahren ist. Die vier von dem Gericht vernommenen Zeugen – allesamt ortskundige Landwirte – haben übereinstimmend ausgeführt, ein Durchqueren der Wiese mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen sei immer dann möglich gewesen, wenn auch Äcker bewirtschaftet werden konnten. Das Gericht ist von der Richtigkeit der Zeugenaussagen überzeugt, zumal die Antragstellerin zu 1) und die Flurbereinigungsbehörde die Befahrbarkeit des "Wiesenwegs" nach der Beweisaufnahme ebenfalls nicht angezweifelt haben und der Antragsteller zu 2) von Anfang an eingeschränkt hat, dass er die schweren Feldfrüchte über die Landstraße abtransportiert habe.


Richtig ist allerdings, dass er im gerichtlichen Verfahren zunächst vorgetragen hat, normalerweise über den südlich verlaufenden Waldweg gefahren zu sein. Ersatzweise habe er bei äußerst schwierigen Wirtschaftsverhältnissen auch mal die Strecke über die Wiese genutzt. Auch ist die Flurbereinigungsbehörde bei der Entschädigungsfestsetzung nach Ortsbesichtigungen und Gesprächen mit dem Antragsteller zu 2) von der Nutzung des Waldweges ausgegangen (s. das Sitzungsprotokoll, S. 2, 4). Erst in der mündlichen Verhandlung hat der Antragsteller zu 2) erklärt, den Waldweg in Vergangenheit, d.h. vor der Befestigung etwa im Jahre 2004, "nicht so häufig" benutzt zu haben (s. das Sitzungsprotokoll, S. 3). Das Gericht hält diese Klageänderung wegen Austausches des Lebenssachverhaltes für sachdienlich (§ 221 Abs. 1 Satz 1 BauGB i. V. m. § 263 ZPO).


Dass das Flurstück 138 mit der Wiese im Eigentum des Antragstellers zu 2) steht, ist unerheblich. Für die Zahlung der Umwegeentschädigung nach § 88 Nr. 5 FlurbG kommt es nur auf die Verlängerung der Wegstrecke bei der Bewirtschaftung an. Entschädigungspflichtig ist der Entzug einer Rechtsposition, die in der Möglichkeit besteht, auf eigenem Grund und Boden oder einem privaten Weg zu einer bewirtschafteten Fläche zu gelangen. Dagegen hat niemand einen Anspruch darauf, dass ein öffentlicher Weg nicht verändert wird (Aust/Jacobs, a.a.O., S. 188 f.). Daher war die Passage über die Wiese zu berücksichtigen. Privatwege in diesem Sinne hat er im übrigen genutzt, indem er außerhalb des Flurstücks 138 über Interessentschaftswege (Wirtschaftswege) gefahren ist. Das von der Flurbereinigungsbehörde angeführte Urteil des OVG Lüneburg vom 5./6.11.1968 (F OVG A 19/66) betrifft keine Umwegeentschädigung, sondern einen Flurbereinigungsplan und außerdem eine innerbetriebliche Erschließung zweier Hofstellen, die hier mit den auch durch Interessentschaftswege verbundenen landwirtschaftlichen Flächen des Antragstellers zu 2) nicht vorliegt.


Nicht ausschlaggebend ist auch, ob und inwiefern auf der Wiese ein "Weg" in Form von Fahrspuren erkennbar war, oder, ob und wie oft der Antragsteller die Wiese im Interesse einer Befahrbarkeit gewalzt hat (s. das Sitzungsprotokoll). Das Erschwernis besteht hier, weil die Durchfahrt von und zu dem Flurstück 142 unabhängig von solchen Maßnahmen jedenfalls immer dann möglich war, wenn eine Bewirtschaftung der dortigen Ackerfläche diese erforderte.


Da es insoweit auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, ist nicht erheblich, dass nur am nördlichen Rand des Flurstücks 138, nicht aber auf der Wiese in den Karten und Katasterplänen ein Weg verzeichnet ist und der Wiesenweg auch nicht als Interessentschaftsweg geführt wird.


Die Umwegeentschädigung ist in dem Bescheid vom 19.09.2007 der Höhe nach zutreffend festgesetzt worden. Der dauerhaft verbleibende Nachteil ist für das Flurstück 138 mit 1.002,00 EUR und 946,00 EUR und für das Flurstück 142 mit 10.558,00 EUR, zusammen mit 12.506,00 EUR zur entschädigen. Die Flurbereinigungsbehörde hat rechtmäßig die Entschädigungsrichtlinien Landwirtschaft 1978 (LandR 78) einschließlich späterer Aktualisierungen der Berechnung zugrunde gelegt. Der Antragsteller zu 2) hat keinen Anspruch auf eine um 2.414,13 EUR höhere Entschädigung. Denn nach § 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG richtet sich die Geldentschädigung nach § 88 Nr. 5 FlurbG nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz, hier dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (v. 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 2396, zul. geänd. d. G. v. 08.11.2007, BGBl. I S. 2566 - AEG -), das in § 22 Abs. 4 auf die ergänzend geltenden Enteignungsgesetze der Länder verweist. Nach § 11 Abs. 4 des Niedersächsischen Enteignungsgesetzes (v. 06.04.1981, Nds. GVBl. S. 83, zul. geänd. d. G. v. 05.11.2004, Nds. GVBl. S. 394 – NEG-) ist für die Bemessung der Entschädigung der Zustand des Grundstücks in dem Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet. In den Fällen der vorzeitigen Besitzeinweisung ist der Zustand in dem Zeitpunkt maßgeblich, in dem diese wirksam wird. Zeitpunkt der vorzeitigen Besitzeinweisung war hier der 01.08.1996.


Mit Wirkung vom 01.01.1995 war der Anpassungsfaktor für Maschinenkosten auf Basis der Richtwerttabellen der Entschädigungsrichtlinien 1978 auf den Faktor 1,5 festgesetzt worden. Das ergibt sich aus der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreichten Mitteilung des Bundesministeriums für Verkehr vom 02.05.1995. Bei vorzeitiger Besitzeinweisung am 1. August des Folgejahres war dieser Faktor mithin noch sachgerecht.


Da entgegen der Auffassung des Antragstellers zu 2) nicht auf das Jahr 2004, sondern auf die Verhältnisse am 01.08.1996 abzustellen ist, kann dieser auch keine Berücksichtigung eines höheren Ertragsniveaus verlangen. Zu den tatsächlichen Verhältnissen im Jahre 1996 hat er zudem nicht vorgetragen.


Der hilfsweise gestellte Antrag der Antragstellerin zu 1), den Bescheid vom 19.09.2007 aufzuheben, soweit darin eine den Betrag von 1.948,00 EUR übersteigende Umwegeentschädigung festgesetzt worden ist, war danach zurückzuweisen. Denn der auf das Flurstück 142 entfallende Teil der Entschädigung war zu Recht festgesetzt worden.


Der Antragsteller zu 2) hat nach § 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG i. V. m. § 22 Abs. 4 AEG i. V. m. § 17 Abs. 3 Satz 1 NEG Anspruch auf Verzinsung der Entschädigung mit jährlich 2 vom Hundert über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, wobei nach § 17 Abs. 3 Satz 2 NEG wiederum die Wirksamkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung maßgebend ist. Die Verzinsung hat daher antragsgemäß am 01.07.1999 einzusetzen.


Der Antragsteller zu 2) hat auf eine Verzinsung nicht verzichtet. Eine entsprechende Erklärung ist dem Protokoll der Verhandlung im Flurbereinigungsverfahren vom 04.09.2007 nicht zu entnehmen. Darin wird nur festgehalten, der aufgeführte wirtschaftliche Schaden durch den dauerhaften Umweg sei nachweislich. Der Antragsteller zu 2) werde eine Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse nach den Entschädigungsrichtlinien 1978 in Höhe von rd. 12.500,- EUR erhalten. Daraufhin habe er seinen Widerspruch vom 25.07.2006 gegen die Flurbereinigungsplanvorlage zurückgenommen. Die nunmehr bestehende Meinungsverschiedenheiten darüber, ob damit eine Art Vergleich über die Zahlung einer großzügig bemessenen Pauschalentschädigung (so die Flurbereinigungsbehörde) oder es nach der langen Zeit selbstverständlich gewesen sei, den Betrag auch zu verzinsen (so der Antragsteller zu 2) wirkt sich auf den gesetzlich festgeschriebenen Zinsanspruch nicht aus. Dem Verwaltungsvorgang ist auch an anderer Stelle kein Verzicht zu entnehmen. Der Antragsteller zu 2) hat in seinem Schreiben vom 21.09.2007 der Flurbereinigungsbehörde geltend gemacht, er habe schon 1998/99 darauf hingewiesen, dass eine Entschädigung fällig sei. Diese sei aber nicht ausgezahlt worden, da die Behörde habe abwarten wollen, wer die Flächen (wohl die Flurstücke 138 und 142) letztendlich zugeteilt bekäme. Das ist angesichts der damals schon erfolgten Entschädigungen für die Bauphase nachvollziehbar. Wenn dann ca. 8 Jahre später, am 04.09.2007, über die Höhe der Entschädigung gesprochen wird, kann nicht ohne weiteren Hinweis im Protokoll oder den übrigen Verwaltungsvorgängen davon ausgegangen werden, die Entschädigung werde für diese lange Zeitspanne nicht verzinst oder ein Zinsbetrag sei in der Summe von ca. 12.500,- EUR enthalten. Vielmehr ist die Verzinsung der Regelfall. Der am 04.09.2007 ungefähr bezifferte Betrag ist auch nicht so hoch, dass damit Zinsen bei lebensnaher Betrachtung abgegolten sein mussten. Zu der "großzügigen" Bemessung haben die Vertreter der Flurbereinigungsbehörde auf eine Berechnung für ein "ganzes" Jahr und viele andere, nicht substantiierte Punkte hingewiesen. Die Kammer vermag indessen angesichts der drei Berechnungen zum Bescheid vom 19.09.2007 (zwei für das Flurstück 138, eine für das Flurstück 142) nicht zu erkennen, dass dem Antragsteller zu 2) mehr zugesprochen worden ist, als ihm nach den Richtlinien LandR 78 zusteht (wobei zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens der Wald auf dem Flurstück 138 als Weide berechnet wurde).