Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.07.1968 - IV C 9.66 = RdL 1968 S. 305
Aktenzeichen | IV C 9.66 | Entscheidung | Urteil | Datum | 01.07.1968 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1968 S. 305 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Der Eigentümer eines an die Bundesautobahn angrenzenden Weidegrundstücks kann nicht verlangen, daß der Träger des Unternehmens im Planfeststellungsbeschluß verpflichtet wird, Weidezäune auf dem Straßengelände zu errichten und zu unterhalten. Im übrigen liegt die Linienführung der Bundesautobahn im Ermessen der Planfeststellungsbehörde, deren Entscheidung nur angreifbar ist, wenn dieser ein Ermessensfehler zugrundeliegt. |
Aus den Gründen
Der Kläger hält den Planfeststellungsbeschluß in erster Linie deshalb für rechtswidrig, weil die Behörde die Linienführung der neuen Autobahn ermessensfehlerhaft festgesetzt habe. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Linienführung als Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses nicht jeglicher richterlicher Kontrolle entzogen ist. Es mag zutreffen, daß die Bestimmung der Linienführung durch den Bundesminister für Verkehr nach § 16 FStrG selbst keine Außenwirkung entfaltet, weil sie lediglich an andere Verwaltungsbehörden, insbesondere die Planfeststellungsbehörde, gerichtet ist. Auf dieser Ebene mag es gerechtfertigt sein, von einem "justizfreien Hoheitsakt" zu sprechen (vgl. zu dieser Frage Marschall, Bundesfernstraßengesetz, 2. Aufl., § 16 Anm. 4 S. 474). - Die Linienführung ist aber in den Planfeststellungsbeschluß aufgenommen worden, ihre Wirkung auf die vom Plan Betroffenen macht sie der richterlichen Kontrolle zugänglich. Über den Umfang der richterlichen Nachprüfung besteht seit langem in der Rechtsprechung und Rechtslehre Einigkeit. Die Wahl der Streckenführung ist in das Ermessen der Behörde gestellt (vgl. u.a. Beschl. vom 15.11.1962 - BVerwG I C 89.62 -, Beschl. vom 24.9.1965 - BVerwG IV B 50.65 -, Urt. vom 10.10.1965 - BVerwG IV C 180.65 -, Marschall aaO S. 490). - Daß die Gestaltung der Fernstraße im Ermessen der Planfeststellungsbehörde liegt, bestreitet auch der Kläger nicht. Er stützt seine Revision vielmehr darauf, daß die Behörde die Linienführung ermessensfehlerhaft festgesetzt habe. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 10.10.1965 (aaO) die Grundsätze herausgestellt, unter denen eine Ermessensentscheidung dieser Art angreifbar ist. Danach handelt die Behörde nur dann ermessensfehlerhaft, wenn sie das Recht und die Pflicht zur Ermessensentscheidung überhaupt verkannt hat, entweder sachfremde Gesichtspunkte hat walten lassen oder umgekehrt sachlich wesentliche Grundsätze außer acht gelassen hat. Allen diesen Gesichtspunkten wird das angefochtene Urteil bei der Beurteilung der Behördenentscheidung gerecht. Es hat die ihm tatsächlich gegebene Möglichkeit zur Überprüfung des Ermessens ausgeschöpft und einen Ermessensmißbrauch der Behörde bei der Gestaltung der Streckenführung mit zutreffenden Erwägungen verneint. - Es gibt für neue Straßenführungen in der Regel eine Mehrzahl möglicher, mehr oder weniger gleichwertiger Lösungen. Die Behörden haben sich unter mehreren möglichen Linienführungen für eine zu entscheiden. Ob die festgesetzte Trasse die zweckmäßigste und wirtschaftlichste ist, das zu entscheiden, ist nicht Sache des Gerichts (OVG Koblenz, VkBl.1958 S. 364; OVG Lüneburg, VkBl. 1962 S. 440; OVG Rheinland-Pfalz, VkBl. 1957, 337 und 1958, 364; vgl. auch Marschall aaO S. 475 (490), Anm. 4 zu § 16), es sei denn, die Behörde habe die Auswahl unter sachwidrigen Gesichtspunkten getroffen. Das Berufungsgericht ist derartigen Behauptungen des Klägers in ausreichendem Maße nachgegangen und hat die lückenlosen Planungsunterlagen der beklagten Behörde als Beweismittel herangezogen. Es hat im einzelnen die Umstände dargestellt, die zur endgültigen Festsetzung der Linienführung geführt haben, und daraus keine Anhaltspunkte für sachwidrige Erwägungen bei der Planung entnehmen können. Auch die vom Kläger gewünschte Trasse über B. hätte über landw. genutzten Grund und Boden geführt und die dort angrenzenden Grundstückseigentümer beeinträchtigt. Selbst wenn also Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Nds. Landtag sowie einige anliegende Landwirte sich für eine Änderung der Streckenführung eingesetzt haben sollten, wären damit noch keine Umstände vorgetragen, daß die gewählte Linienführung sachwidrig sei.
Die Revision wendet weiter ein, dem Kläger sei im Erörterungstermin das rechtliche Gehör vorenthalten worden. Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 FStrG sind die Einwendungen gegen den Plan von der höheren Verwaltungsbehörde mit allen Beteiligten zu erörtern. Unter "Erörtern" dürfte ein mündliches Sich-Aussprechen zu verstehen sein (vgl. Marschall aaO S. 527). Diesem Erfordernis ist genügt worden, auch wenn der Kläger, wie er behauptet, sein Gesamtanliegen im Erörterungstermin nicht hat ausreichend vortragen können. Er hatte seine Einwendungen bereits vor dem Termin mehrfach schriftlich vorgebracht, sie waren Gegenstand des Erörterungstermins, auch wenn er sie nicht ausdrücklich wiederholt haben sollte. - Aber selbst wenn das Anhörungsverfahren als solches einen Mangel hätte, läßt dies den Planfeststellungsbeschluß nicht rechtswidrig werden. § 18 Abs. 4 Satz 1 FStrG ist, wie das Berufungsgericht beiläufig ausgeführt hat, eine Ordnungsvorschrift, die den Gang des Planfeststellungsverfahrens regelt und eine beschleunigte Förderung der im öffentlichen Interesse geplanten Maßnahmen bezweckt. Geringfügige Formfehler lassen, wie der Hess. VGH (VkBl. 1959, 395), wenn auch in anderem Zusammenhang (Dauer der Auslegung: Zwei Wochen anstatt wie vorgesehen vier Wochen) ausgeführt hat, die Wirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses unberührt (vgl. Urt. vom 10.4.1968 - BVerwG IV C 227.65 - in NJW 1968, 1736 (1737)).
Der Gedankengang des Klägers, der Planfeststellungsbeschluß habe, ohne daß er bisher rechtskräftig geworden sei, bereits dazu geführt, daß die Grundstücke des Klägers für den Bau in Anspruch genommen worden seien und daß die Autobahn bereits in diesem Abschnitt fertiggestellt sei, worin eine unzulässige Enteignung liege, vermengt Planfeststellungs- und Enteignungsverfahren, die zu trennen sind. Die Planfeststellung läßt noch keinen unmittelbaren Eingriff in die privaten Rechte zu. Hierzu bedarf es erst eines formellen Enteignungsverfahrens (§ 19 FStrG). Im Rahmen des Enteignungsverfahrens ist - unter Zugrundelegung des nach § 18 Abs. 5 FStrG festgestellten Planes - eine vorläufige Besitzeinweisung möglich, sofern der sofortige Beginn der Bauarbeiten geboten und dazu die Besitzeinweisung notwendig ist (§ 19 Abs. 3 FStrG). Gegen diese besondere behördliche Entscheidung sind selbständige Rechtsbehelfe und -mittel gegeben, von denen der Kläger vollen Gebrauch gemacht hat. - Ob die vorläufige Besitzeinweisung gerechtfertigt gewesen ist, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Besitzeinweisung und Planfeststellung sind nicht derartig miteinander verknüpft, daß die Ungültigkeit der einen Maßnahme auch diejenige der Planfeststellung zur Folge haben müßte (Beschl. vom 15.11.1962 - BVerwG I C 89.62 - (VkBl. 1963, 220)). - Auch die Frage, ob die bereits mehrere Jahre andauernde Besitzentziehung noch durch § 19 Abs. 3 FStrG gedeckt sei, ist nicht Inhalt dieses Rechtsstreits, der allein die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses betrifft.
Die Revision des Klägers erweist sich damit als unbegründet; dagegen muß die Anschlußrevision Erfolg haben.
Die Anschlußrevision des Beklagten richtet sich gegen denjenigen Teil des Berufungsurteils, durch den er verpflichtet wird, entlang dem Weidegrundstück des Klägers auf Straßengrund einen viehkehrenden Zaun zu setzen und auch die künftige Unterhaltung zu übernehmen. - Diese Streitfrage hat die Verwaltungsgerichte in vergleichbaren Fällen schon mehrfach beschäftigt; sie wird überwiegend von der Rechtsprechung, aber auch in der Literatur verneint. So hat das VG Hannover im Urt. vom 7.2.1964 (VkBl. 1964, 14) entschieden, dem Träger der Straßenbaulast könne die Unterhaltung eines Weidezauns nicht auferlegt werden. Auch der Bayer. VGH hat im Urt. vom 21.12.1964 (VkBl. 1965, 314) den gleichen Standpunkt vertreten, in einem Falle, in dem der Träger der Straßenbaulast im Planfeststellungsbeschluß verpflichtet werden sollte, eine an einer neuen Autobahn gelegene Hühnerfarm zu seinen Lasten einzuzäunen und zu unterhalten. Soweit in der Literatur die Frage behandelt wird, wird auf Kodal, Straßenrecht, 2. Aufl. 1964 S. 830, der eine derartige Auflage an den Straßenbaulastträger für ungerechtfertigt hält, verwiesen.
Zu Recht setzen sich Rechtsprechung und Literatur mit dieser Frage im Bereich des § 17 Abs. 4 FStrG auseinander, wobei sie prüfen, ob die Errichtung derartiger Zäune sich als notwendige Maßnahme erweisen kann, um die Benutzung an die Autobahn angrenzenden Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile zu sichern.
Hierbei sei vorweg bemerkt, daß derartige Weidezäune nicht als "Zubehör" zur Bundesfernstraße im Sinne des § 1 Abs. 4 Nr. 3 FStrG aufzufassen sind. Was hier dem Schutz der Anlieger dienen soll, sind Anlagen, die die Abwehr der Gefahren, die von dem Betrieb der Autobahn ausgehen, zum Ziele haben. Dazu gehören "Verkehrseinrichtungen und -anlagen aller Art", wobei für die Auslegung des Begriffs "Zubehör" bedeutsam erscheint, daß die Vorschrift dem § 12 Abs. 1 des Reichspolizeikostengesetzes vom 29.4.1940 (RGBl. I S. 688) angepaßt ist, der in Art. 14 Abs. 4 der VO zur Durchführung des Reichspolizeikostengesetzes vom 23.9.1940 (RGBl. I S. 1260) noch näher erläutert wird (vgl. Marschall, aaO, Anm. 7 zu § 1 Abs. 4 Ziff. 3 S. 40). Als "Zubehör" kann hiernach auch ein vom Straßenbaulastträger für die Sicherung des Straßenverkehrs als notwendig erachteter und von ihm errichteter Zaun gelten, der auf dem Grenzweg zwischen den Weiden eines Anliegers und dem Bankettstreifen steht. Das hat das BVerwG im Beschl. vom 6.4.1961 - BVerwG I C 146.58 - zur Bedeutung der Straßenbaulast für das Polizeirecht - angenommen, in einem Falle, in dem Verkehrssicherheitsgründe es dem Straßenbaulastträger angezeigt erscheinen ließen, trotz Vorhandenseins einer Umzäunung der Weiden durch den Anlieger, noch für eine straßeneigene zusätzliche Sicherung zu sorgen. - § 1 Abs. 4 Nr. 3 FStrG dient mithin dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung des Straßenverkehrs, begünstigt aber keinen bestimmten Personenkreis, auch nicht die Straßenanlieger (Bayer. VGH aaO). Auch die Wortprägung, soweit Maßnahmen "dem Schutze der Anlieger dienen", läßt erkennen, daß nur solche Maßnahmen gemeint sein können, die den Anlieger vor Gefahren und Nachteilen, die vom Straßenverkehr ausgehen, schützen sollen. Das wird regelmäßig auf Zäune zutreffen, die etwa Splitt oder Schnee, den die Fahrzeuge aus der Fahrbahn herausschleudern, abfangen sollen (Kodal aaO S. 557).
Gegenstand einer Planfeststellung können auch Maßnahmen sein, die dazu dienen, die mit dem Bau der Straße für die Sicherung benachbarter Grundstücke verbundenen Gefahren und Nachteile abzuwenden, um deren Benutzbarkeit in der bisherigen Weise zu gewährleisten (§ 17 Abs. 4 FStrG). Aus dieser Vorschrift ist nichts für den Kläger herzuleiten. Zum Begriff der Anlage im Sinne des § 17 Abs. 4 FStrG hat das Berufungsgericht den Standpunkt vertreten, die Vorschrift fordere nicht nur Einrichtungen, die schädliche Einwirkungen von der Fahrbahn her unmöglich machen sollen, vielmehr erstrecke sich der Abwehrbereich auch auf andere Auswirkungen. Zwar geht der Schutzbereich des § 17 Abs. 4 FStrG über den des § 1 Abs. 4 FStrG hinaus; die Vorschrift erfaßt daher auch solche Maßnahmen, die mit der Straßenanlage räumlich in keinem Zusammenhang stehen. Sie setzt aber voraus, daß der Betrieb der Autobahn die Gefahrenquelle ist und dieser die Benutzung der benachbarten Grundstücke nachteilig beeinflußt. Es kann aber keine Rede davon sein, daß der Bau und der Betrieb einer Autobahn der bisherigen Zweckbestimmung von Weidegrundstücken schlechthin entgegensteht. Erfahrungsgemäß sind Weidegrundstücke zum Schutze der Nachbarn ohnehin einzuzäunen. Unterläßt der Eigentümer eine solche Schutzmaßnahme, so ist für die Gefahr des Ausbrechens von Vieh nicht der Betrieb der Autobahn ursächlich, sondern die Unterlassung der Schutzmaßnahme auf den Anliegergrundstücken. Es handelt sich also um Einwirkungen, die von den Nachbargrundstücken auf die Straße ausgehen, und nicht um Einwirkungen der Straße auf die benachbarten Grundstücke (mit ähnlichen Erwägungen VG Hannover, Urt. vom 7.2.1964 aaO; Bayer. VGH Urt. vom 21.12.1964 aaO; Kodal aaO S. 829). Wenn demgegenüber das Berufungsgericht meint, der Betrieb der Autobahn erschwere die gefahrlose Benutzung der Grundstücke, weil der Schnellverkehr eine sorgfältige Herstellung und Überwachung der Einfriedung erfordere, so mag daraus im Einzelfalle eine wirtschaftliche Erschwerung abzuleiten sein, die dann aber nur im Entschädigungsverfahren geltend gemacht werden könnte. Für eine Planmaßnahme im Sinne des § 17 Abs. 4 FStrG ist jedoch daraus nichts herzuleiten. In diesem Zusammenhang sei ergänzend bemerkt:
Im Urt. vom 20.6.1963 (VkBl. 1963, 422 = RdL 1963, 301) hat der BGH ausgeführt, daß es nicht Sache der Bundesbahn sein könne, die Bahngleise einzufrieden, um Weidetiere fernzuhalten, und hat sich hierbei auf die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des RG berufen. Nach Ansicht des BGH ergibt sich eine solche Verpflichtung der Bundesbahn auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Preuß. Eisenbahngesetzes vom 3.11.1838. Darüber hinaus stellt diese Entscheidung - wenn auch beiläufig - fest, daß diese Rechtslage auch bei Weideflächen gelten dürfte, die an Bundesfernstraßen angrenzen. Auch hier sei es nicht Sache des Wegeunterhaltungspflichtigen, Weidezäune zu errichten. Für diese Auffassung sprechen auch praktische Überlegungen. Es wäre sowohl für den Träger der Straßenbaulast bei Bundesautobahnen als auch etwa für die Bundesbahn technisch unmöglich, auf weite Strecken für die Errichtung und die Unterhaltung von Weidezäunen zu sorgen. Daraus ergäben sich für die Unternehmen schlechthin unzumutbare verwaltungsmäßige Belastungen. Wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, müßte der Straßenbaulastträger die in die Disposition des Straßenanliegers gestellte Nutzungsart des benachbarten Grundstücks ständig beobachten, um Maß und Umfang der Einfriedung richtig zu erkennen. Würde etwa Ackerland in Weideland umgewandelt werden, so müßte der Träger der Straßenbaulast nunmehr unverzüglich einen Schutzzaun schaffen.