Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.04.1967 - 10 U 99/66

Aktenzeichen 10 U 99/66 Entscheidung Urteil Datum 11.04.1967
Gericht Oberlandesgericht Hamm Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Aktivlegitimation des zu entschädigenden Teilnehmers.
2. Für die Entschädigung müssen die Grundsätze angewandt werden, die im Falle eines über einen längeren Zeitraum hinziehenden Enteignungsverfahren allgemein anerkannt sind.
3. Bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung ist in der Regel von der Grundstücksqualität auszugehen, die das Grundstück in dem Zeitpunkt aufwies, als es endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde.
4. Entschädigungen sind nur für tatsächliche, unausweichliche Einbußen zuzuerkennen.

Aus den Gründen

Gegen die Zulässigkeit der auf § 88 Ziff. 5 FlurbG gestützten Klage bestehen keine Bedenken. Die Klägerin verlangt Geldentschädigung für Nachteile, die ihr durch den Bau der Autobahn entstanden sind und deren Behebung nicht möglich ist, § 88 Ziff. 5 S. 1 FlurbG. Wegen der Höhe dieser Entschädigung steht nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz offen. Das ist das Bundesfernstraßengesetz von 1953 i.d.F. vom 6.8.1961, BGBl. S. 1741, und zwar § 18 Abs. 5 in Verbindung mit dem Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 11.6.1874, GS S. 221. Da es sich nicht um die Geldentschädigung für die aufgebrachte Fläche handelt, brauchen die Voraussetzungen des § 88 Ziff. 5 S. 2 FlurbG nicht vorzuliegen. Nach § 30 des Enteignungsgesetzes von 1874 steht den Beteiligten gegen die Entscheidung der Regierung über die Entschädigung innerhalb von 6 Monaten nach Zustellung des Beschlusses die Beschreitung des Rechtsweges zu. Danach mußte die Klägerin innerhalb von 6 Monaten seit der Zustellung des Nachtrages Nr. I vom 11.6.1959 Klage erheben. Da der Nachtrag jedoch nicht zugestellt, sondern der Klägerin gemäß § 59 FlurbG bei der Anhörung am 30.6.1959 bekanntgemacht worden ist (Bl. 23 d.A. G 241), hätte die Frist von 6 Monaten frühestens zu diesem Zeitpunkt beginnen können. Sie begann jedoch nicht zu laufen, weil die Klägerin, wie nach dem Protokoll vom 30.6.1959 und der glaubhaften Erklärung der Klägerin am 3.2.1967 feststeht, bei der Verhandlung am 30.6.1959 nicht über das Rechtsmittel gegen den Nachtrag I ordnungsgemäß belehrt worden ist (Meyer-Thiel-Frohberg, § 30 Anm. 9). Nach § 35 der MRVO 165 begann keine Frist zu laufen. Die am 1.4.1960 mit Inkrafttreten der VerwGO beginnende Frist von 1 Jahr war bei der Klagezustellung am 28.12.1960 noch nicht verstrichen.

Unschädlich ist es auch, daß die Klägerin innerhalb der Ausschlußfrist nur einen Teilbetrag geltend gemacht hat, nach deren Ablauf aber den Klagebetrag erhöht hat, BGHZ 25, 227. Die Erhöhung der Klageforderung ist keine Klageänderung; diese wäre nach Ablauf der Klagefrist nicht mehr zulässig. Die Klägerin ist auch befugt, den Prozeß als Partei zu führen. Das Flurbereinigungsgesetz besagt nicht, wer für die Klage auf Zahlung der Geldentschädigung aktiv legitimiert ist. Da die Geltendmachung der Ansprüche nach § 88 Ziff. 5 FlurbG aber in erster Linie im Interesse des betroffenen Teilnehmers liegt, muß dessen Klagebefugnis bejaht werden. Dagegen spricht nicht entscheidend die Tatsache, daß die Entschädigung zu Händen der Teilnehmergemeinschaft zu zahlen ist, § 88 Ziff. 5 S. 2 FlurbG. Diese Vorschrift will ermöglichen, daß die Teilnehmergemeinschaft die Schäden selbst beheben und die Entschädigung gegen Beiträge verrechnen kann.

Nachdem im Berufungsverfahren ein Teilvergleich erzielt worden ist, ist Gegenstand des Streites nur noch die Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin eine Entschädigung dafür zusteht, daß ihr Grundbesitz infolge des Baues der Autobahn in einem Streifen von 40 m beiderseits der Autobahn von dem Bauverbot betroffen ist und daß die Klägerin in einem weiteren Streifen von 60 m nur mit Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde bauen darf (§ 9 Abs. 1 u. 2 BFStrG). Der Senat verneint diese Frage.

Die Klägerin hat nicht bewiesen, daß sie infolge des Bauverbotes und der Baubeschränkung Nachteile im Sinne von § 88 Ziff. 5 FlurbG oder einen Minderwert i.S. v. § 8 Abs. 2 preußEntG von 1874 oder eine Vermögenseinbuße i.S. von Art. 14 GG erlitten hat. Solche Vermögensnachteile konnten nur dann eingetreten sein, wenn die Streifen 100 m beiderseits der Autobahn bei Aufstellung des Plans über den Bau der Autobahn Bauland oder Bauerwartungsland waren. Hatten sie zu diesem Zeitpunkt keine solche Qualität, so ist ihnen durch das Bauverbot und die Baubeschränkung des § 9 BFStrG, denen schon entsprechende Beschränkungen durch das Reichsautobahngesetz vom 27.6.1933, RGBl. II S. 509, Reichsautobahnänderungsgesetz vom 18.12.1933, RGBl. I 1081, und das Gesetz vom 25.7.1938, RGBl. I 951, vorausgingen, diese Qualität auch nicht genommen worden. Hier müssen die Grundsätze angewandt werden, die in der Rechtsprechung im Falle eines sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden Enteignungsverfahrens allgemein anerkannt sind. Nach ihnen ist bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung in der Regel von der Grundstücksqualität auszugehen, die die Grundstücke in dem Zeitpunkt aufwiesen, als sie endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurden, BGH LM Nr. 7 zum preußEntG; Pagendarm, Wertpapiermitteilungen 1965, Sonderbeilage Nr. 5 S. 8. Das ist das Jahr 1938, als der Rechtsvorgänger der Klägerin im Vertrag vom 14.3.1938 das Gelände für die in der Planung befindliche Autobahn den Reichsautobahnen zur Verfügung stellte, spätestens aber mit der Feststellung des Planes am 9.3.1939, der in diesem Abschnitt unverändert zur Ausführung gelangt ist. In den Jahren 1938/39 waren die in die 100-Meter-Zone fallenden Grundstücke der Klägerin kein Bauland, und es war nach den damals bestehenden Planungen und Absichten nicht zu erwarten, daß sie in absehbarer Zeit als Bau- oder Industriegelände genutzt werden würden, s. hierzu Pagendarm, Wertpapiermitteilungen 1965 aaO; BGHZ 39, 198, 209, BGH NJW 66, 497 = BGH LM Nr. 44 zu Art. 14 (Ea) GG. Das hat die Augenscheinseinnahme und die Vernehmung der Bediensteten des Amts V. klar ergeben. Zwar war wegen des natürlichen Gefälles zum Besitz der Klägerin hin geplant gewesen, nach dort die Abwässer abzuleiten und etwa 200 m vom Hof der Klägerin entfernt eine Kläranlage zu bauen. Eine Besiedlung dieses Raumes aber war nicht vorgesehen. Die Kläranlage ist auch nicht gebaut worden. Nach dem Wirtschaftsplan, den der Verbandsdirektor des Ruhrsiedlungsverbandes im Jahre 1928 für die Gemeinde V. aufgestellt hat, lag der Hof der Klägerin weder im Baugebiet noch im Industriegebiet noch in dem Außengebiet, das für die Bebauung vorgesehen war. Vielmehr lag er in dem Gebiet, das als landwirtschaftlich zu nutzend ausgewiesen war. An diesen Gegebenheiten hat sich auch bis zum Jahre 1939 nichts geändert. Nicht einmal in dem Gebiet, das als Baugebiet ausgewiesen war, hat sich nach der Aussage des Zeugens M. damals "etwas getan". Erst jetzt schreitet dort die Bebauung vorwärts. Lediglich ostwärts des Hofes hat sich vor etwa 10 Jahren die Bebauung an den Grundbesitz der Klägerin herangeschoben. Die hier gebauten Wohnhäuser liegen aber noch fast 300 m von der Autobahn entfernt. Hier greift der zur Zeit aufgestellte Bebauungsplan nur mit einem Zipfel in den Grundbesitz der Klägerin. Auch das Industriegebiet - das Gelände der K.-B. - hat sich nicht wesentlich ausgedehnt. Die dem Besitz der Klägerin zugewandte Schlackenhalde reicht erst bis auf 250 m an das von der Baubeschränkung betroffene Gelände der Klägerin heran.

Die bloße Möglichkeit, Gelände zu verkaufen, das nach Einholung einer Ausnahmegenehmigung hätte bebaut werden können, verlieh dem Gelände nicht den Charakter von Bauerwartungsland und damit keinen höheren Wert. Eine solche Verwertung hat sich für den betroffenen Teil des Besitzes der Klägerin in den Jahren 1938/39 nach seiner Lage und Struktur nicht angeboten. Es handelte sich um eine rein landwirtschaftlich genutzte Fläche inmitten des Betriebes, die an keine Bebauung grenzte.

So haben denn auch die Klägerin und ihr Rechtsvorgänger aus dem übrigen Hofbesitz bisher keine Bauplätze verkauft, obwohl diese Flächen zum großen Teil durch den Betrieb der Autobahn nicht berührt wurden.

Anders verhält es sich bei der Hofstelle. Sie ist wie Bauland zu behandeln. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. N. vom 13.5.1963, S. 8 (Bl. 108 d.A.) und den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts fallen von der Hoffläche je 3000 qm in die Bauverbotszone (40 m) und in die Baubeschränkungszone (40 bis 100 m). Da die Klägerin die Gebäude jedoch weiterhin stehen lassen, benutzen und auch instandhalten darf, wirkt sich die Beeinträchtigung erst aus, wenn die Klägerin die Wohn- und Wirtschaftsgebäude an alter Stelle neu errichten oder andere Gebäude in der 100-m-Zone bauen will. Im ersteren der beiden Fälle kann die Klägerin jetzt noch keine Entschädigung fordern, da die Beschränkung erst fühlbar wird, wenn die Klägerin nach Beseitigung der bisherigen Gebäude am alten Platz neue Gebäude wieder aufbauen möchte (BGH Wertpapiermitteilungen 1958, 1371; Kröner, Die Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, S. 35). Will die Klägerin aber an anderer Stelle oder zusätzlich Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichten, so kann sie auf den nördlichen, der Autobahn abgewandten Teil der Hoffläche, der nach der Karte in den Beiakten nicht mehr in die 100-m-Zone fällt aber noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den bisherigen Gebäuden steht und Anschluß an das Wegenetz hat - was für die Fläche zwischen Hofgebäuden und Autobahn nicht zutrifft - ausweichen. Die Klägerin erleidet daher im Ergebnis keine Einbuße.

Da das Landgericht der Klägerin zu Unrecht wegen der Baubeschränkungen eine zusätzliche Entschädigung von 42 980 DM zuerkannt hat, ist die festgesetzte Gesamtentschädigung von 75 243,25 DM um diesen Betrag herabzusetzen. Außerdem ist die Gesamtentschädigung um weitere 2 500 DM zu mindern, weil die Parteien sich wegen dieses Betrages (Entschädigung für höhere Versicherungsprämien) geeinigt haben. Der Klägerin steht danach eine Entschädigung von 75 243,25 DM - (42 980 DM + 2 500 DM) = 29 763,25 DM zu, die nach dem insoweit nicht angefochtenen Urteil des Landgerichts seit dem 1.7.1959 mit 4 v.H. zu verzinsen sind. Hierauf sind die durch Aufrechnung mit Wirkung vom 1.7.1963 getilgten 1 619,- DM und die am 9.3.1964 gezahlten 25 892, 50 DM anzurechnen.