Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 06.09.2004 - 7 S 2316/03 = ESVGH 2005, 66 (Lieferung 2006)

Aktenzeichen 7 S 2316/03 Entscheidung Urteil Datum 06.09.2004
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen ESVGH 2005, 66  Lieferung 2006

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Für die Deutsche Bahn ist das Eisenbahn-Bundesamt die zuständige Behörde im Sinne von § 88 Nr. 3 FlurbG zur Stellung eines Antrags auf Erlass einer vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG.

Aus den Gründen

b) Die Klägerin (Anm. d. Redaktion: DB Netz AG) hat das erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO), nachdem das Eisenbahn-Bundesamt unter Bezugnahme auf die nach seiner Auffassung fehlende Zuständigkeit sich weigert, bei der Flurbereinigungsbehörde einen Antrag nach § 88 Nr. 3 FlurbG auf Erlass einer vorläufigen Anordnung gemäß § 36 FlurbG zu stellen. . . .

2. Nach § 88 Nr. 3 Satz 1 FlurbG kann bei einem Unternehmensverfahren - wie hier - die Flurbereinigungsbehörde eine vorläufige Anordnung gemäß § 36 FlurbG erlassen "auf Antrag der für das Unternehmen zuständigen Behörde". Dies aber ist . . . in Fällen der vorliegenden Art das Eisenbahn-Bundesamt:

a) Aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 88 Nr. 3 Satz 1 FlurbG folgt, dass die Antragstellung durch eine Behörde zu erfolgen hat. Es kann deshalb nicht der im Bescheid des Eisenbahn-Bundesamts . . . mitgeteilten Auffassung . . . gefolgt werden, es sei "nicht zwingend", dass gemäß § 88 Nr. 3 FlurbG eine Behörde den Antrag stellen müsse. Gleiches gilt für die seitens der Klägerin aufgeworfene Frage, ob diese selbst nicht als "zuständige Behörde im materiell rechtlichen Sinne" angesehen werden könne, obwohl sie ohne Zweifel keine Behörde i.S.d. § 1 Abs. 4 VwVfG sei . . . . Gegen diese Erwägung der Klägerin "unter dem Gesichtspunkt einer vereinfachten Verwaltungspraxis" . . . spricht bereits, dass dann in § 88 Nr. 3 FlurbG nicht von der für das Unternehmen zuständigen Behörde die Rede wäre, sondern von dem Träger des Unternehmens, wie dies etwa in § 88 Nrn. 2, 5, 6, 8 und 9 FlurbG der Fall ist. S. wird denn auch in der Literatur betont, dass die für das Unternehmen zuständige Behörde nicht ohne weiteres identisch ist mit dem Träger des Unternehmens (vgl. Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, Kommentar, Erl. 23 zu § 88 FlurbG). Hintergrund dieser Regelung ist, dass bei einer vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG Belange der betroffenen Eigentümer mit Belangen des Unternehmensträgers kollidieren. Auf diesen Interessenkonflikt wird bereits bei Steuer, FlurbG, erste Aufl.ge 1956, Erl. 3 zu § 88, hingewiesen. Eine sachgemäße Antragstellung aber setzt eine Abwägung dieser Belange voraus. Sie soll durch eine Stelle erfolgen, von der . . . eine sachkundige, aber neutrale Beurteilung zu erwarten ist. Dies aber kann schwerlich der Unternehmensträger selbst sein, dessen Interesse letztlich dahin geht, rechtzeitig Besitz und Nutzung der zur Durchführung der Arbeiten nötigen Grundstücke zu erlangen (vgl. Steuer, a.a.O., Erl. 3 zu § 88).

b) Die Beklagte meint, bei der Suche nach der zuständigen Behörde stoße man "unwillkürlich" auf die Enteignungsbehörde, Sie sei die Behörde, welche gemäß § 87 FlurbG beantrage, ein Unternehmensverfahren anzuordnen. Deswegen liege es nahe, dass die Enteignungsbehörde kraft Sachzusammenhangs auch vorläufige Anordnungen beantragen könne. Doch spricht gegen diese Auffassung, dass im Flurbereinigungsgesetz regelmäßig die Enteignungsbehörde als solche angesprochen wird, wenn deren Zuständigkeiten in Rede stehen (vgl. etwa § 87 Abs. 1, § 87 Abs. 4 und § 89 Abs. 1 FlurbG). . . .

Es ist zwar zutreffend, worauf seitens der Beklagten hingewiesen wird, dass die Enteignungsbehörde die Behörde ist, die gemäß § 87 Abs. 1 FlurbG die Einleitung eines Unternehmensverfahrens beantragt. Doch muss dies nicht zwangsläufig zur Folge haben, dass die Enteignungsbehörde auch diejenige Behörde ist, welche einen Antrag nach § 88 Nr. 3 Satz 1 i.V.m. § 36 FlurbG stellt. Denn bei § 87 Abs. 1 FlurbG geht es um die grundsätzliche Vorentscheidung für oder gegen ein Unternehmensverfahren, bei der sich die Enteignungsbehörde die Verantwortung mit der Flurbereinigungsbehörde teilen soll. Beim Antrag auf Erlass einer vorläufigen Anordnung nach § 88 Nr. 3 i.V.m. § 36 FlurbG geht es dagegen um konkrete praktische Fragen (Zeitpunkt des Baus, Teilung in Bauabschnitte, Zwischenregelungen usw.). Dafür ist eine größere Sachnähe erforderlich. Diese aber ist beim Unternehmensträger und der mit ihm in Kontakt stehenden, für das Unternehmen zuständigen Behörde vorhanden . . . .

c) Scheiden nach alledem der Unternehmensträger und die Enteignungsbehörde als zuständige Behörde i.S.d. § 88 Nr. 3 FlurbG aus, kommt als solche nur das Eisenbahn-Bundesamt in Betracht. Diesem obliegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetzes - BEVVG - vom 27.12.1993 (BGBl. I 2378, 2394 - Art. 3 -) in der Fassung des Gesetzes vom 21.6.2002 (BGBl. I 2191, 2195) u.a. die Ausübung von Aufsichts- und Mitwirkungsrechten nach Maßgabe anderer Gesetze und Verordnungen. Diese Vorschrift ist - wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu der gleichlautenden Bestimmung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 27.12.1993 (BGBI. I 2378, 2394) - als "Auffangregelung für Aufgaben geschaffen (worden), die das Eisenbahn-Bundesamt nach Maßgabe anderer Gesetze und Verordnungen erfüllen soll", "um bei neu hinzukommenden Aufgaben nicht regelmäßig den Aufgabenkatalog durch Gesetzesänderungen anpassen zu müssen . . . . Die Stellung eines Antrags nach § 88 Nr. 3 Satz 1 FlurbG kann als Ausübung eines Mitwirkungsrechts i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BEVVG angesehen werden. . . .

Es ist nach alledem davon auszugehen, dass in Fällen der vorliegenden Art das Eisenbahn-Bundesamt zuständige Behörde i.S.d. § 88 Nr. 3 FlurbG ist. Dieser Auffassung ist anscheinend auch das OVG Magdeburg in dem Beschluss vom 8.11.2000 (RdL 2001, 99, 100). Sie wird auch vom Arbeitskreis Recht der ARGE Landentwicklung der Flurneuordnungsbehörden der Länder geteilt (vgl. S. 6 der Ergebnisniederschrift vom 22.10.2003, Anlage zur o.a. Stellungnahme des Landesamts für Flurneuordnung und Landentwicklung Baden-Württemberg vom 10.12.2003).

Anmerkung

vgl. auch Flurbereinigungsgericht Magdeburg, 08.11.2000, RdL 2001, 99