Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 09.12.1960 - 1 U 115/60
Aktenzeichen | 1 U 115/60 | Entscheidung | Urteil | Datum | 09.12.1960 |
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Gericht | Oberlandesgericht Hamburg | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Das Flurbereinigungsverfahren ist gegenüber der Enteignung das mildere Mittel (Grundsatz der Erforderlichkeit). Den Antrag auf Einleitung eines Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 FlurbG kann nur die Enteignungsbehörde stellen. Ein eigenes Antragsrecht steht weder dem Träger des Unternehmens noch dem Enteignungsbetroffenen zu. |
Aus den Gründen
Mit der Beanstandung der Revision, das Landgericht habe zu prüfen unterlassen, ob nicht an Stelle der Enteignung das für den Beteiligten weniger beeinträchtigende Flurbereinigungsverfahren hätte durchgeführt werden können, macht sie einen Verstoß gegen den "ungeschriebenen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der von der Verwaltung anzusetzenden Mittel" (Forsthoff, Lehrb. des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., S. 298) geltend.
Mit dieser Rüge kann der Beteiligte in der Revisionsinstanz jedoch nicht mehr gehört werden.
Tatsächlich wäre ein Flurbereinigungsverfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz vom 14. Juli 1953 (BGBl. I, 591) in Betracht zu ziehen gewesen. Zwar ist der allgemeine Begriff der Flurbereinigung nach § 1 des Gesetzes (Zusammenlegung und wirtschaftliche Gestaltung zersplitterten oder unwirtschaftlich geformten ländlichen Grundbesitzes nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zur Förderung der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Erzeugung und der allgemeinen Landeskultur) nicht erfüllt. Es könnte aber hier die Sonderbestimmung des § 87 FlurbG, bei dem die Voraussetzungen des § 1 nicht erfüllt zu sein brauchen (vgl. Steuer, FlurbG 1956 § 87 Anm. 1), in Frage kommen. Hierzu wäre aber erforderlich a) die Durchführung einer Enteignung, durch die ländliche Grundstücke in großem Umfange in Anspruch genommen werden, b) die Möglichkeit, den Landverlust der Betroffenen auf einen größeren Kreis von Eigentümern zu verteilen oder Nachteile für die allgemeine Landeskultur zu vermeiden, c) die vorläufige Planfeststellung im Enteignungsverfahren (vgl. Steuer a.a.O.).
Den Antrag auf Einleitung eines Flurbereinigungsverfahrens kann nach § 87 FlurbG in diesem Falle nur die Enteignungsbehörde stellen, worüber dann die Obere Flurbereinigungsbehörde gemäß § 4 FlurbG zu entscheiden hätte. Der Träger des Unternehmens kann die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens lediglich anregen, hat aber kein eigenes Antragsrecht, ebensowenig der Enteignungsbetroffene (Steuer a.a.O., Anm. 3, 4).
Voraussetzung ist also, daß das in Anspruch genommene Land großen Umfangs sein muß. Als Maßstab für die Beurteilung des "großen Umfangs" ist davon auszugehen (Steuer a.a.O., Anm. 6), ob die in Anspruch genommene Fläche groß im Verhältnis zum Flurbereinigungsgebiet ist. Ob das im vorliegenden Fall für die etwas mehr als 2 ha betragende Fläche des Beteiligten gelten kann, ist eine Tatfrage. Das gleiche gilt von der Möglichkeit einer Verteilung des dem Betroffenen entstehenden Landverlustes auf einen größeren Kreis von Eigentümern. Hierüber ist weder vor der Enteignungsbehörde noch vor der Baulandkammer, im übrigen auch nicht im Revisionsrechtzug etwas vorgetragen worden.
Zwar läßt die Sachakte der Enteignungsbehörde nicht erkennen, ob sie über die Möglichkeit eines Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 FlurbG im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens Erwägungen angestellt hat; es wäre aber Sache des Beteiligten gewesen, spätestens im gerichtlichen Verfahren vor der Baulandkammer sich gegen die ausgesprochene Enteignung nicht nur mit den von ihm geltend gemachten Einwendungen, sondern auch mit dem Hinweis auf die etwaige Möglichkeit eines Flurbereinigungsverfahrens als milderes Mittel zu wenden, insbesondere auch unter Darlegung der oben erörterten tatsächlichen Voraussetzungen.