Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 02.07.1976 - 12 VIII 76

Aktenzeichen 12 VIII 76 Entscheidung Urteil Datum 02.07.1976
Gericht Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zum Verhältnis von Unternehmens- und Enteignungsverfahren.
2. Zur vorzeitigen Besitzeinweisung und Entschädigung der damit verbundenen Nachteile.

Aus den Gründen

1. Zu Unrecht geht der Kläger davon aus, die angefochtene vorzeitige Besitzeinweisung müsse deshalb aufgehoben werden, weil nunmehr ein Flurbereinigungsverfahren nach § 87 ff. FlurbG eingeleitet worden sei und daher kein Enteignungsverfahren nach § 19 FStrG mehr durchgeführt werde. Aus rechtsstaatlichen Gründen hat zwar der Besitzeinweisung regelmäßig alsbald ein Enteignungsverfahren zu folgen, weil die Besitzeinweisung nur einen vorläufigen Zustand regelt (vgl. Marschall, Bundesfernstraßengesetz, 3. Aufl., RdNr. 55 zu § 19; Sieder-Zeitler, Bayer. Straßen- und Wegegesetz, 2. Aufl., RdNr. 29 zu Art. 40; Hess. VGH, U. vom 27.10.1948, Nr. VGH O.S. 134/48, DVBl 1949, 74). Dem Abtretungspflichtigen kann nicht zugemutet werden, daß er unverhältnismäßig lange im Ungewissen über die endgültige Regelung der Grundabtretung gelassen wird, die dem Enteignungsverfahren vorbehalten ist. Im hier zu entscheidenden Falle tritt an die Stelle des Enteignungsverfahrens die durch Beschluß der Flurbereinigungsdirektion K. vom 8.8.1975 eingeleitete Unternehmensflurbereinigung. Der endgültige Eigentumsübergang des von der Besitzeinweisung betroffenen Grundstücks auf den Unternehmensträger ist im Flurbereinigungsverfahren nach § 87 ff. FlurbG in gleicher Weise geregelt, wie im Enteignungsverfahren nach § 19 FStrG. Nach § 88 Nr. 4 Satz 3 FlurbG werden die aufzubringenden Flächen dem Träger des Unternehmens zu Eigentum zugeteilt. Der Unternehmensträger hat dem Teilnehmer gem. § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG für die aufgebrachte Fläche Geldentschädigung zu leisten. Die Höhe der Geldentschädigung und die sonstigen Entschädigungsansprüche richten sich nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz (§ 88 Nr. 4 Satz 5 FlurbG); also hier nach § 19 Abs. 5 FStrG, Art. 40 BayStrWG, Art. 8 ff. BayEG (vgl. Steuer, Flurbereinigungsgesetz, Anm. 14 zu § 88). Der Kläger wird somit durch die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 ff. FlurbG nicht schlechter gestellt, als wenn ein Enteignungsverfahren nach § 19 FStrG eingeleitet worden wäre.

2. Die vorzeitige Besitzeinweisung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil es das Landratsamt N. unterlassen hat, im Beweissicherungsverfahren nach § 18 f Abs. 3 FStrG die Kiesmächtigkeit unter dem Grundstück des Klägers festzustellen. Nach § 18 f Abs. 3 FStrG ist die Beweissicherung nur insoweit durchzuführen, als es der Zustand des Grundstücks erfordert. Die amtliche Begründung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/1265, S. 24) nennt hierfür als Beispiele den Aufwuchs und den Zustand von Gebäuden. Es sollen durch die Beweissicherung Streitigkeiten vermieden werden, die entstehen können, wenn der Eingewiesene auf dem Grundstück Veränderungen vornimmt und deshalb nachträglich der ursprüngliche Zustand des Grundstücks, soweit er für die Entschädigung von Bedeutung ist, nicht mehr festgestellt werden kann (vgl. Heitzer-Oestreicher, Bundesbaugesetz, 5. Aufl., Anm. 9 a zu der ähnlichen Bestimmung in § 116 Abs. 5 BBauG).

Das Landratsamt N. ist diesen Anforderungen der Beweissicherung nach § 18 f Abs. 3 FStrG mit den in der Niederschrift vom 15.5.1975 aufgeführten Feststellungen gerecht geworden. In der Niederschrift ist festgehalten, daß das Grundstück des Klägers mit Mais angesät ist und eine ca. 1 m mächtige Humusschicht und darunter sandigen Kies aufweist. Diese Feststellungen waren notwendig, weil sie nach Beginn der Bauarbeiten auf dem Grundstück des Klägers nicht mehr getroffen werden konnten. Die Kiesmächtigkeit auf dem Grundstück kann aber, soweit es auf sie bei der Entschädigung ankommen sollte, auch noch nachträglich ermittelt werden. Wie der Vertreter des Straßenneubauamtes K. in der Berufungsverhandlung glaubhaft und vom Kläger unwidersprochen erklärt hat, ist die Mächtigkeit des Kieses unter dem Fahrbahndamm und dem Widerlager durch Schrägbohrungen jeder Zeit feststellbar. Weil der auf dem klägerischen Grundstück vorhandene Kies im Zuge des Autobahnbaues nicht abgegraben wird, hat es einer Beweissicherung insoweit nicht bedurft.

3. Der Kläger kann auch nicht geltend machen, es sei ihm im Besitzeinweisungsbeschluß keine Vorauszahlung auf die zu erwartende Entschädigung gem. § 30 Abs. 2 BayEG gewährt worden, weshalb die angefochtene Besitzeinweisung aufzuheben sei. Dahingestellt kann die Frage bleiben, ob § 18 f FStrG das Besitzeinweisungsverfahren nicht abschließend regelt und deshalb die Verweisung auf das Landesrecht in § 19 Abs. 5 FStrG nur im Enteignungsverfahren anzuwenden ist. Jedenfalls geht der Kläger zu Unrecht davon aus, daß das Besitzeinweisungsverfahren ein integrierter Bestandteil des Enteignungsverfahrens sei und daß die Vorschriften über das Enteignungsverfahren deshalb ohne weiteres auch für die Besitzeinweisung Geltung hätten. Die vorzeitige Besitzeinweisung ist im Gegensatz zu dieser Auffassung ein Rechtsinstitut besonderer Art und kein Teil des Enteignungsverfahrens (vgl. Marschall a.a.O., RdNr. 5.1. zu § 19). Dies ergibt sich schon daraus, daß die Besitzeinweisung im Gegensatz zur Enteignung nur einen vorläufigen Zustand regelt (vgl. oben unter Nr. 1). Auch die Stellung des Art. 39 BayEG in einem eigenen Abschnitt 2 des Gesetzes - das Enteignungsverfahren ist in Abschnitt 1 geregelt - spricht für die selbständige Rechtsnatur des Besitzeinweisungsverfahrens. Eine Anwendung des Art. 30 Abs. 2 BayEG auf das Besitzeinweisungsverfahren scheidet schließlich deshalb aus, weil Art. 39 Abs. 7 BayEG ausdrücklich bestimmt, welche Vorschriften aus dem 1. Abschnitt des Gesetzes für die Besitzeinweisung sinngemäß gelten. Art. 30 BayEG ist in dieser Verweisung nicht genannt.

4. Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des Klägers, der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluß sei deshalb nicht rechtmäßig, weil er gem. § 18 f Abs. 5 FStrG für die durch die vorzeitige Besitzeinweisung entstehenden Vermögensnachteile keine Entschädigung festgesetzt habe. Dem Kläger ist zwar insoweit zuzustimmen, als er vorträgt, die in § 18 f Abs. 5 FStrG erwähnte Entschädigung sei eine andere, als die, welche gem. § 18 f Abs. 1 FStrG vorbehalten werden könne. Die nach § 18 f Abs. 1 FStrG vorzubehaltende Entschädigung ist die Entschädigung für die Vollinanspruchnahme des Grundstücks. Ihre Festsetzung gehört zum Enteignungsverfahren. Im Gegensatz hierzu enthält § 18 f Abs. 5 FStrG einen Ausgleich für den durch die vorläufige Besitzeinweisung eingetretenen Nutzungsentgang, der allerdings regelmäßig bereits durch die Verzinsung der Enteignungsentschädigung gewährt wird (vgl. Amtliche Begründung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes a.a.O.). Ob die dem Kläger nach § 18 f Abs. 5 FStrG zustehende Nutzungsentschädigung durch die Verzinsung der Enteignungsentschädigung ausgeglichen wird, kann dahinstehen. Jedenfalls kann aus § 18 f Abs. 1 und 5 FStrG nicht geschlossen werden, daß die Nutzungsentschädigung bereits in dem Besitzeinweisungsbeschluß selbst festzusetzen ist. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. § 18 f Abs. 5 Satz 2 FStrG schreibt nämlich vor, daß die Entschädigung nicht etwa im Besitzeinweisungsbeschluß, sondern in "einem Beschluß" festzusetzen ist. Auch aus der Amtlichen Begründung a.a.O. ist zu entnehmen, daß ein gesonderter Beschluß für die Festsetzung der Nutzungsentschädigung zulässig ist. Besondere Umstände, etwa der Art, daß der Kläger durch den Entzug des Besitzes an seinem Grundstück in seiner Existenz gefährdet wäre und er deshalb sofort auf die Entschädigung für den Nutzungsentgang angewiesen wäre, wurden nicht geltend gemacht. Im übrigen kann der Kläger nach § 18 f Abs. 5 FStrG nur eine Entschädigung für den Entgang der landwirtschaftlichen Nutzung seines Grundstücks verlangen. Die Frage der Entschädigung dafür, daß er auf seinem Grundstück keinen Kies entnehmen kann, auf die es ihm nach dem Inhalt seines gesamten Vortrages in erster Linie ankommt, ist Sache des Enteignungsverfahrens bzw. des Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 ff. FlurbG. Der Kläger hat bisher auf seinem Grundstück keine Kiesentnahme betrieben. Er hat hierfür auch keine öffentlich-rechtliche Gestattung, auf die er im übrigen, soweit eine Kiesausbeute im Grundwasserbereich vorgenommen werden soll, auch keinen Rechtsanspruch hat (vgl. BayVGH, U. vom 12.6.1975 Nr. 246 VIII 71, BayVBl 1975, 363 = DVBl 1976, 132 und VGH n.F. 28.94). Hinsichtlich eines etwaigen vom Kläger geplanten Kiesabbaues kann er daher keine Ansprüche geltend machen, die ihre Ursache im vorzeitigen Besitzentzug haben.