Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 03.03.1977 - 54 XIII 76 = RdL 1978 S. 15
Aktenzeichen | 54 XIII 76 | Entscheidung | Urteil | Datum | 03.03.1977 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = RdL 1978 S. 15 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Als Einleitungsvoraussetzung für eine Enteignung, die im Flurbereinigungsverfahren nach § 87 Abs. 1 FlurbG vollzogen werden soll, ist der Nachweis erfolgloser Erwerbsverhandlungen durch den Enteignungsbegünstigten nicht erforderlich. |
2. | Durch die Bestimmung des § 88 Nr. 3 Satz 3 FlurbG in Verbindung mit § 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG ist klargestellt, daß für die Entschädigung nicht die Härteklausel des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG in Frage kommt. |
3. | Bei Streit über Grund und Höhe auch dieser Entschädigung ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. |
4. | Die Flurbereinigungsbehörde nimmt hinsichtlich der Eigentumszuweisung und Festsetzung der Enteignungsentschädigung die Funktionen der Enteignungsbehörde wahr. |
Aus den Gründen
Die Zulässigkeit der Enteignung auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses der Regierung von Sch. vom 21.3.1975 ergeben die Bestimmungen des § 19 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 FStrG, Artikel 40 BayStrWG und Artikel 1 Absatz 2 Nr. 1 des Bayerischen Gesetzes über die entschädigungspflichtige Enteignung (BayEG). Als Einleitungsvoraussetzung für eine Enteignung, die im Flurbereinigungsverfahren nach § 87 FlurbG vollzogen wird, ist der Nachweis einer Bemühung des Straßenbaulastträgers um den freihändigen Erwerb der benötigten Grundstücksflächen nicht erforderlich. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 18.3.1976 - RdL 77, 11 - bereits darauf hingewiesen, daß dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs gerade das Flurbereinigungsverfahren mit der verhältnismäßig geringsten Eingriffsintensität gerecht wird. Zu Recht weist auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz - das zum gleichen Ergebnis kommt - in seiner Entscheidung vom 22.1.1976 - 3 C 20/75 - (Innere Kolonisation 1976 Seite 226 - Leitsatz -) darauf hin, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch in der Frage, wie der Eigentumsentzug zu realisieren ist, dort seine Grenzen finde, wo die eindeutig günstigere wirtschaftliche Lösung in der Sache erreicht werden könne, denn wie die Vollenteignung habe auch die freihändige Grundbesitzveräußerung den vollen Rechts- und Sachverlust zur Folge, ein Ergebnis, das die Neuordnung nach § 87 FlurbG durch die Beschränkung des Sachverlustes auf ein vertretbares Mindestmaß abwende; deshalb sei für die Anwendung des Rechtsgrundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs in dem Sinne, daß Verhandlungen über den freihändigen Grunderwerb erforderlich seien, kein Raum.
Artikel 3 Abs. 2 BayEG steht der vom Senat vertretenen Auffassung nicht entgegen, denn diese Vorschrift stellt auf das einzelne, im konkreten Fall zu enteignende Grundstück ab, betrifft aber nicht den Fall, daß der Landbedarf für das Unternehmen allgemein auf einen Kreis von Eigentümern verteilt wird, deren Grundbesitz im Einzelfall von der Maßnahme unmittelbar gar nicht berührt zu werden braucht.
Mit der Vorschrift des § 88 Nr. 6 FlurbG, wonach die vom Träger des Unternehmens zu erbringenden Leistungen (§ 88 Nr. 5 FlurbG) und Geldentschädigungen (§ 88 Nrn. 3, 4, 5 FlurbG) sich nach den für das Unternehmen geltenden Gesetz richten, enthält dieses Gesetz die durch Artikel 14 Abs. 3 Grundgesetz erforderliche Bestimmung. Als Folge dieser Verweisung auf das für das Unternehmen geltende Gesetz finden damit in Bayern grundsätzlich die Bestimmungen des BayEG Anwendung, soweit sie Art und Ausmaß der Entschädigung regeln (vgl. § 19 Abs. 5 FStrG in Verbindung mit Artikel 40 BayStrWG). Die klägerische Auffassung, daß bestimmte Enteignungsansprüche durch das Flurbereinigungsverfahren ausgeschlossen werden, trifft nicht zu. Dies gilt weder für eine etwa gebotene Restbetriebsentschädigung noch für Ausgleiche bei einer Anordnung nach § 88 Nr. 3 in Verbindung mit § 36 FlurbG.
Die Meinung der Kläger, daß gerade die Regelung des § 88 Nr. 3 in Verbindung mit § 36 FlurbG verfassungsrechtlich bedenklich sei, findet im Wortlaut des Gesetzes keinen Anhalt. Nach der seit 1.4.1976 geltenden Gesetzesfassung hat der Träger des Unternehmens für die den Beteiligten infolge der vorläufigen Anordnung entstandenen Nachteile Entschädigung in Geld zu leisten, die nach § 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG sich nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz richtet. Durch die Neufassung des Gesetzes ist klargestellt, daß für die Entschädigung nicht die Härteklausel des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, sondern das BayEG hinsichtlich Art und Ausmaß dieser Entschädigung zur Anwendung kommt. (Die teilweise hiervon abweichende Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 29.4.1976 - DÖV 1976 Seite 708 - stützt sich auf die alte Rechtslage; in dieser Entscheidung ist ausdrücklich offengelassen, ob die neue Rechtslage dieser Auffassung widerspricht). Bei Streit über Grund und Höhe auch dieser Entschädigung ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben (§ 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG). Der Senat sieht auch keinen verfassungsrechtlichen Bezug hinsichtlich der zeitlichen Geltendmachung dieses Anspruchs, denn die Auffassung der Kläger, daß dieser Anspruch erst nach Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplanes erhoben werden kann, findet schon im Wortlaut des § 88 Nr. 7 FlurbG keine Stütze. Denn nur der Anspruch auf die Geldentschädigung für die von einem Teilnehmer aufgebrachte Fläche kann gerichtlich erst nach Unanfechtbarkeit des Planes geltend gemacht werden. Daß diese zeitliche Fixierung auch für die Entschädigungsansprüche nach § 88 Nr. 3 FlurbG gilt, läßt sich dem Gesetzeswortlaut des § 88 Nr. 7 FlurbG - wie gerade ein Vergleich von Satz 1 "Geldentschädigungen" mit Satz 2 "Geldentschädigung für die aufgebrachte Fläche" zeigt - nicht entnehmen.
Die von den Klägern gerügte Gemengelage von flurbereinigungsrechtlichen und enteignungsrechtlichen Vorschriften ist eine Folge der verfassungsrechtlich zu beachtenden Eigentumsbestimmungen; ihr Bestand selbst wirft verfassungsrechtliche Bedenken nicht auf:
Die Bodenneuordnung nach § 87 FlurbG richtet sich vornehmlich auf die Erhaltung des Grundbesitzes sowie auf die Beseitigung der infolge des Unternehmens eintretenden Nebenschäden und verfolgt das Ziel, die für die landwirtschaftliche Betriebsführung notwendigen Produktionsgrundlagen zu erhalten. Während bei einer Enteignung nach dem herkömmlichen Enteignungsverfahren (z. B. nach BayEG) der Gegenstand, auf den sich die enteignenden Maßnahmen beziehen, bereits bei der Einleitung des Enteignungsverfahrens bekannt ist und das Maß des enteignenden Eingriffs an der örtlichen Lage des Grundstücks gemessen und festgestellt wird, wird im Flurbereinigungsverfahren nach § 87 FlurbG das Objekt des Eigentumsrechts umgebildet - eine Folge des Surrogationsgrundsatzes des § 68 FlurbG, der für jedes Flurbereinigungsverfahren gilt (vgl. hierzu Seehusen / Schwede / Nebe, Kommentar zum FlurbG, Anmerkung 3 zu § 68; BVerwGE 9, 288 und 12, 1 ff.); erst von diesem Bestand aus kann beurteilt werden, ob - falls nicht genügend Flächen vom Straßenbaulastträger in das Verfahren eingebracht werden und Schäden, die durch das Unternehmen eintreten, nicht behoben werden können - für den Teilnehmer ein Abfindungsdefizit und damit ein Rechtsverlust eintritt, der enteignend ist und für den eine Enteignungsentschädigung festzusetzen ist. Die Frage, ob und welcher Rechtsverlust eintritt, kann damit erst nach Abschluß der flurbereinigungsrechtlichen Gestaltungsmaßnahmen beurteilt werden. Der enteignungsrechtliche Regelungstatbestand schließt sich für den einzelnen Betroffenen - vereinfachend dargestellt - an die Neuordnungsmaßnahmen an. Darin liegt die Besonderheit des Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 FlurbG, das auch an die Stelle des Enteignungsverfahrens tritt, das sonst gemäß der Verweisung in § 19 FStrG nach BayEG durchzuführen wäre. Die Flurbereinigungsbehörde nimmt hinsichtlich der Eigentumszuweisung und Festsetzung der Enteignungsentschädigungen die Funktionen der Enteignungsbehörde wahr. Die Zusammenfassung aber von Flurbereinigungsverfahren und Enteignungsverfahren in einem Verfahren, stellt sich als Erleichterung und nicht als Erschwerung für den Teilnehmer dar und kann schon deshalb nicht verfassungsrechtlich bedenklich sein. Daß bei der Durchsetzung der Ansprüche im gerichtlichen Verfahren sich eine - erschwerende - Doppelgleisigkeit zeigt, da neben den Flurbereinigungsgerichten, die über die Beachtung der flurbereinigungsrechtlichen Abfindungsbestimmungen und Gestaltungsregeln entscheiden, hinsichtlich des Abfindungsdefizits die ordentlichen Gerichte zuständig sind, ist gerade die Folge der grundgesetzlichen Regelung, daß wegen der Höhe der Enteignungsentschädigung der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offensteht (Artikel 14 Abs. 3 Satz 4 Grundgesetz).
Nach alledem sieht der Senat keinen Anhalt, daß die Anordnung des Verfahrens gemäß § 87 FlurbG nach verfassungswidrigen Bestimmungen erfolgt. Die angeregte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz ist nicht geboten.Anmerkung
Derselben Auffassung Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 20.02.1986 - F 185/85; a. A. Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 30.08.1977 - IX G 60/75 und Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 25.03.1980 - VII 356/78 und Urteil vom 04.03.1985 - 7 S 2330/84.