Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.1971 - III ZR 79/69 = BBauBl. 1972 S. 391
Aktenzeichen | III ZR 79/69 | Entscheidung | Urteil | Datum | 20.12.1971 |
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Gericht | Bundesgerichtshof | Veröffentlichungen | = BBauBl. 1972 S. 391 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebs eines Straßenanliegers infolge eines Untergrundbahnbaus können enteignenden Charakter haben. |
Aus den Gründen
I.
1. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat für Fälle der Schädigung des Gewerbes eines Straßenanliegers durch Straßenarbeiten - unabhängig vom Bau einer U-Bahn - folgende Grundsätze entwickelt: Der Straßenanlieger nimmt am Gemeingebrauch der Straße teil. Er benutzt dabei den Verkehr zur Kundenwerbung: er ist auf diesen "Kontakt nach außen" sogar angewiesen. Deshalb rechnet die Rechtsprechung bei Gewerbebetrieben von Straßenanliegern zum geschützten Bestand des Betriebes auch die besondere Lage an der Straße, diesen "Kontakt nach außen", der dem Betrieb den Zugang zur Straße sowie die Zugänglichkeit von der Straße her gewährt und dem Inhaber eine Einwirkung durch Werbung auf den vorüberfließenden Verkehr und damit das Gewinnen von Laufkundschaft ermöglicht. Der Betriebsinhaber kann diesen Vorteil von der Straße aber nur im jeweiligen Rahmen des Gemeingebrauchs erwarten, der ständigem Wandel unterworfen ist. Insoweit ist er mit dem Schicksal der Straße verbunden und muß auch die Folgen von Verkehrsregelungen und gewissen Verlagerungen des Verkehrs hinnehmen, solange die Straßen als solche und als Verbindungsmittel zum öffentlichen Wegenetz erhalten bleibt. Der Anlieger muß den Gemeingebrauch anderer sowie die Behinderungen durch Ausbesserungs- und Verbesserungsarbeiten an der Straße entschädigungslos dulden. Denn der Gemeingebrauch ist notwendig bereits durch die Zweckbestimmung der Straße in der Weise begrenzt, daß auch die Anlieger gewisse, den Gemeingebrauch tatsächlich einschränkende Maßnahmen, die aus dem Zweck der Straße folgen, hinnehmen müssen, sofern nur die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt. Mit solchen Beeinträchtigungen, die das Zusammenleben der Menschen mit sich bringt, muß der Anlieger von vornherein rechnen, er muß sie entschädigungslos in Kauf nehmen; weiter geht sein Rechtstitel nicht. Die Behörde muß jedoch bei solchen Arbeiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und jede überflüssige Verzögerung vermeiden. Die Verkehrsbehinderungen durch derartige Straßenarbeiten bleiben nur dann in den entschädigungslos hinzunehmenden Grenzen, wenn sie nach Art und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsmäßiger Planung und Durchführung der Arbeiten mit möglichen und zumutbaren Mitteln sächlicher und persönlicher Art notwendig ist. Bei einer nicht unerheblichen Überschreitung dieser Grenze besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen rechtswidrigen, enteignungsgleichen Eingriffs.
Zu den Arbeiten an der Straße, deren vorübergehende Folgen der Anlieger bei sachgemäßer Durchführung entschädigungslos hinzunehmen hat, gehören auch die Arbeiten an Versorgungsleitungen und ähnlichen Anlagen, die üblicherweise im Interesse der Allgemeinheit mit der Straße verbunden oder im Straßenkörper untergebracht werden. Das gleiche gilt für Behinderungen durch Arbeiten, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die Straße den veränderten Verkehrsbedürfnissen anzupassen.
Das alles ist inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die insbesondere in folgenden Entscheidungen niedergelegt ist:
BGHZ 8, 273 - Flensburger Hafermarkt 13; 23, 157; 23, 235; 30, 241; 45, 150 - Elbe-Leitdamm; 48, 58 - Rheinuferstraße; 48, 65; 55, 261 - Soldatengaststätte; ferner BGH Urteil vom 24. April 1958 - III ZR 230/56 - Rathausneubau in Stuttgart = LM Art. 14 GG Anhang Nr. 76; Urteil vom 7. Juli 1960 - III ZR 116/59 = Warn 1959/60 Nr. 456 = NJW 1960, 1995; Urteil vom 11. Juli 1963 - III ZR 26/62 = WM 1963, 1100; Urteil vom 31. Januar 1963 - III ZR 88/62 = Warn 1963 Nr. 28 = MDR 1963, 478; Urteil vom 30. April 1964 - III ZR 125/63 - Bärenbaude = Warn 1964 Nr. 122 = MDR 1964, 656; Urteil vom 2. Oktober 1967 - III ZR 89/65 = Warn 1967 Nr. 258; Urteil vom 8. Januar 1968 - III ZR 110/67 = Warn 1968 Nr. 6.
2. Mit den Folgen der Auswirkungen eines U-Bahn-Baus für Straßenanlieger hat sich der Senat bisher einmal befaßt und dazu in seinem Urteil vom 5. Juli 1965 (III ZR 173/65 - Buschkrugbrücke in Berlin = Warn 1965 Nr. 168 = NJW 1965, 1907) folgendes ausgeführt: Zu den Arbeiten an Leitungen, Röhren und ähnlichen Anlagen, die üblicherweise im Interesse der Allgemeinheit im Straßenkörper liegen oder mit ihm verbunden sind, gehörten nicht ohne weiteres Arbeiten für Tunnel oder Gräben einer Schienenbahn unter dem Pflaster. Derartige Verkehrsmittel finde man nur in wenigen Städten und nur unter wenigen Straßen, so daß es sich nicht um die mit einer Straße üblicherweise verbundene Einrichtung handele, zumal eine Unterpflasterbahn nicht immer dem Straßenkörper folge. Ein Straßenanlieger brauche deshalb derartige Verkehrsbeschränkungen, insbesondere für die Anlage neuer Untergrundbahnen nicht entschädigungslos zu dulden.
Diese Entscheidung hat vielfältige Kritik erfahren, insbesondere aus Kreisen der Kommunalverwaltungen. Die Revisionsbegründung hat dieses und weiteres Material zusammengestellt und ausgewertet. Der Senat hat die Problematik nochmals durchdacht. Er kann seine früheren Ausführungen nicht voll aufrechterhalten, die teilweise aber durch den damaligen vom jetzigen Fall abweichenden Sachverhalt begründet waren. Der Senat faßt seine Auffassung zu der Frage, ob Beeinträchtigungen von Straßenanliegern durch U-Bahn-Bauten enteignenden Charakter haben, nunmehr - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall einer unsachgemäßen und damit rechtswidrigen Bauausführung - dahin zusammen:
Auszugehen ist von dem Begriff der Enteignung, weil immerhin die Arbeiten für die Anlage einer Untergrundbahn dem Interesse der Allgemeinheit dienen, so daß es naheliegt, auch die Kosten der Allgemeinheit und nicht einzelnen Bürgern aufzuerlegen. Eine Enteignung ist der hoheitliche Eingriff, der im öffentlichen Interesse einem einzelnen unmittelbar an seinem Eigentum oder seinen sonstigen vermögenswerten Gütern ein Opfer auferlegt, das über die Grenze der Sozialbindung des Eigentums hinausgeht. Diese Grenzziehung zwischen der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung des Eigentums und der entschädigungspflichtigen Enteignung kann gerade in Fällen dieser Art nicht nach starren oder festen, allgemein gültigen Grenzen erfolgen. Denn der Straßenanlieger, der den Gemeingebrauch an der Straße für seinen Gewerbebetrieb ausnutzt und diesen Kontakt zum Straßenverkehr geradezu benötigt, muß auch den ständigen Wechsel hinnehmen, dem der Gemeingebrauch einer öffentlichen Straße unterliegt. Wer an einer bestehenden Straße baut, darf zwar darauf vertrauen, daß diese Straße als Verbindung zum öffentlichen Wegenetz bestehen bleibt, kann aber nicht davon ausgehen, daß das Bild der Straße und ihre Beziehung zum Gesamtverkehr ständig unverändert bleiben. Der Anlieger muß deshalb - da seine Rechtsposition als Inhaber eines an einer öffentlichen Straße liegenden Gewerbebetriebes nicht weiter reicht - beispielsweise die Folgen von verkehrsregelnden Maßnahmen hinnehmen, die mit den Änderungen der Verkehrssituation auf der Straße immer häufiger notwendig werden. Der Anlieger muß weiter die Behinderungen entschädigungslos dulden, die durch Vornahme von Erhaltungs- und Ausbesserungsarbeiten nötig werden. Darüber hinaus muß er, wie der Senat wiederholt entschieden hat, grundsätzlich Beeinträchtigungen ertragen, die durch solche sachgerecht ausgeführten Arbeiten entstehen, die der Verbesserung und Modernisierung der Straße, also der Anpassung der Straße an den steigenden und sich ändernden Verkehr dienen.
Schon Art und Zeitdauer solcher Straßenarbeiten können ganz erheblich sein und zu einschneidenden Beeinträchtigungen der Anlieger führen. Denn städtebauliche und verkehrspolitische Erwägungen gebieten es heute mehr als früher, beispielsweise an verkehrswichtigen Kreuzungen einen Straßenzug höher oder tiefer zu legen, um den Verkehr gefahrloser und flüssiger zu gestalten, oder überhaupt den Verkehr auf längeren Strecken in verschiedene Ebenen zu verlegen. Der Bau von Tunneln oder Brücken für Fußgänger wird immer häufiger notwendig und dann oft dazu benutzt, gleichzeitig unterirdische Ladenpassagen einzurichten. Man hört schon davon, überhaupt den innerstädtischen Verkehr auf weite Teile in zwei Ebenen aufzuteilen. Alle diese Maßnahmen, die nach richtiger Auffassung nur die Straße an die veränderte Verkehrssituation anpassen, also ihrer Verbesserung und Modernisierung dienen, können viele Monate, sogar Jahre in Anspruch nehmen. Der Senat hat außerdem ausgeführt und bleibt dabei, daß Arbeiten an Leitungen, Röhren und sonstigen Anlagen, die üblicherweise im Interesse der Allgemeinheit im Straßenkörper liegen oder mit ihm verbunden sind, zu den Arbeiten an der Straße gehören, die der Anlieger bei Teilnahme am Gemeingebrauch grundsätzlich hinnehmen muß, ohne Entschädigung verlangen zu können. Die Revision hat zutreffend darauf verwiesen, daß auch diese Arbeiten - wie beispielsweise bei Fernheizungsanlagen - erheblichen Umfang annehmen können. Unvorhergesehene Bodeneinbrüche oder sonstige Schwierigkeiten können dabei lang dauernde Verkehrsbehinderungen verursachen.
Alle diese Überlegungen zeigen, daß die Grenzziehung zwischen der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung und der entschädigungspflichtigen Enteignung in Fällen dieser Art nicht allein danach erfolgen darf, welchem Zweck die Straßenbauarbeiten dienen, ob es sich also um eine Ausbesserung oder Verbesserung der Straße oder den Bau eines neuen Verkehrsweges oder einer Untergrundbahn handelt. Denn die Entwicklung der Verkehrsverhältnisse und die Art, wie man den veränderten und gesteigerten Verkehrsbedürfnissen gerecht zu werden sucht, hat dazu geführt, daß Art und Umfang der an den Straßen vorgenommenen Arbeiten ein früher nicht gekanntes Ausmaß angenommen haben. Das hat zur Folge, daß die Inhaber von Gewerbebetrieben als Straßenanlieger infolge dieser Arbeiten sich auch Behinderungen und Beschränkungen ihres Gewerbebetriebes in einem weiteren Ausmaß gefallen lassen müssen. Der Senat ist aber der Meinung, daß diese Behinderungen - selbst wenn sie auf Arbeiten beruhen, die allein der Anpassung der Straße an die modernen Verkehrsbedürfnisse dienen - bei ungewöhnlicher Schwere den dadurch betroffenen Straßenanliegern nicht völlig entschädigungslos zugemutet werden können, insbesondere dann nicht, wenn sie an sich gesunde Gewerbebetriebe in ihrer Existenz gefährden. Andererseits ist zu bedenken: Arbeiten zur Schaffung einer Schienenbahn unter dem Straßenpflaster können zwar insoweit nicht mit den zuvor behandelten Ausbesserungs- und Modernisierungsarbeiten verglichen werden, als sie nicht ausschließlich dazu dienen, die Verkehrsverhältnisse auf der Straße zu verbessern und ihren Bedürfnissen anzupassen, unter deren Pflaster die Bahn verlegt wird und an der die mit Behinderungen für die Anlieger verbundenen Arbeiten durchgeführt werden. Diese Arbeiten haben vielmehr eine Verkehrsbedeutung weit über die einzelne Straße hinaus, so daß nicht gesagt werden kann, daß der Gemeindegebrauch an der Straße, an der die mit den Behinderungen des Verkehrs verbundenen Arbeiten durchgeführt werden, von vornherein entsprechend eingeschränkt sei und die Anlieger diese Arbeiten grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen hätten. Doch haben diese Arbeiten zumindest in aller Regel auch Bezug zu der Straße, unter deren Pflaster die neuen Gleisbahnen verlegt werden. Aus diesem Grunde und auch aus dem Gesichtspunkt der Sozialpflichtigkeit allen Eigentums müssen die Anlieger und besonders auch die gewerbetreibenden Anlieger an der betroffenen Straße die mit den Arbeiten zur Schaffung einer Unterpflasterbahn (U-Bahn) verbundenen Behinderungen bis zu einem gewissen Grad ebenfalls ohne Entschädigung hinnehmen, es muß ihnen jedoch, wenn die Beeinträchtigungen und Behinderungen ein bestimmtes Maß überschreiten, Entschädigung wegen Eingriffs in ihren als Eigentum geschützten Gewerbebetrieb gewährt werden.
Bei einer ähnlichen Konfliktsituation zwischen Privatpersonen gewährt § 906 BGB einen Ausgleich dann, wenn die Einwirkung die Benutzer des Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Entsprechend dem in der Rechtsprechung entwickelten Begriff der Enteignung ist deshalb hier zu prüfen, ob die Folgen des Eingriffs für den Anlieger nach Dauer, Art, Intensität und Auswirkung so erheblich sind, daß eine entschädigungslose Hinnahme ihm nicht mehr zuzumuten ist. Denn ein enteignender Eingriff setzt stets eine gewisse Stärke oder eine fühlbare Beeinträchtigung voraus, also das Überschreiten einer bestimmten "Opfergrenze" gegenüber der bloßen Sozialbindung. Diese Grenze kann nicht nur zeitlich derart gezogen werden, daß jedermann Einschränkungen für bestimmte Wochen oder Monate hinzunehmen hat, weil das nicht sachgerecht wäre und dem Gleichheitssatz widersprechen könnte. Denn dieselbe Straßensperre oder Verkehrsbeeinträchtigung, die beispielsweise bei einem großen Warenhaus mit mehreren Eingängen sich auch nach Wochen kaum auswirkt, kann das benachbarte kleine Ladengeschäft, dessen Inhaber gerade noch das Existenzminimum erarbeitet, schon nach wenigen Wochen an den Rand des Ruins bringen. Deshalb muß immer auf die Art des Eingriffs und die Verhältnisse des einzelnen betroffenen Anliegers Bedacht genommen werden: Die Sperrung nur der Fahrbahn beeinträchtigt beispielsweise eine Tankstelle an dieser Straße schwerstens, während sie sich für ein Einzelhandelsgeschäft möglicherweise sogar umsatzsteigernd auswirkt. Auch die Beschränkung des Fahrdammes mit gleichzeitiger Behinderung des Fußgängerverkehrs wirkt sich nicht für alle Anlieger gleichmäßig aus, denn die Mieter von Wohnraum in den angrenzenden Häusern werden diese Maßnahme kaum nachteilig empfinden, während es bei den Gewerbetreibenden darauf ankommt, wieweit sie auf den Kontakt mit den verschiedenen Formen des Straßenverkehrs angewiesen sind. Die reinen Bürobetriebe werden meistens weniger geschädigt als Ladengeschäfte. Bei den Ladengeschäften werden große Warenhäuser mit mehreren Eingängen - wie gesagt - anders benachteiligt als kleinere Geschäfte. Bei Spezialgeschäften mit einer großen Zahl von Filialen können die Folgen möglicherweise teilweise durch eine Verlagerung der Kundschaft auf benachbarte Filialen ausgeglichen werden, während sich bei einem Ladengeschäft wie dem des Klägers sofort ein Rückgang des Umsatzes fühlbar machen wird.
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hat der Senat keine Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß hier die Arbeiten für den Bau der U-Bahn im Bereich des Klägers bereits als Eingriff mit enteignendem Charakter zu werten sind. Denn die Fahrbahn vor dem Hause des Klägers wurde vom August 1963 bis März 1966, also für rund 2 1/2 Jahre für den Fahrverkehr gesperrt oder stark behindert und in eine Baugrube verwandelt. Daneben wurde der Fußgängerverkehr für weitere 2 1/2 Monate zusätzlich stark beschränkt. Der Reingewinn des Klägers aus seinem Betrieb, der im Jahre 1962 noch über 15 000 DM betragen hatte, ging nach den vom Berufungsgericht gebilligten Gutachten des Sachverständigen B im Jahre 1963 auf 12 279 DM, für 1964 auf rund 5800 DM, 1965 auf etwa 1900 DM und 1966 auf rund 3600 DM zurück. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß dieser starke Rückgang des Gewerbeertrages nur zu einem kleinen Teil von etwa 5 % auf die Herausnahme der Straßenbahn, sonst aber auf die Beeinträchtigung durch den U-Bahn-Bau zurückzuführen ist. Damit hatte sich der Ertrag aus dem Geschäft, in dem der Inhaber und seine Ehefrau mitarbeiteten, in kurzer Zeit auf einen Betrag gemindert, der nicht einmal zur Bestreitung des Existenzminimums ausreichte. Zwar hatte der Kläger noch einen weiteren Betrieb, doch konnte dieser nach dem vom Oberlandesgericht insoweit ebenfalls nicht beanstandeten Gutachten des Sachverständigen Dr. B. die Schäden nicht auffangen, weil die beiden Betriebe zu weit voneinander entfernt liegen; beide Geschäfte müssen nach Lage, Umgebung und Betriebsführung je für sich betrachtet werden.
Der Senat bleibt weiter dabei, daß ein Anliegerbetrieb in solchen Fällen einer vorübergehenden Verkehrsbeschränkung durch Straßenarbeiten Umsatzrückgänge für einige Wochen oder gar Monate entschädigungslos hinnehmen muß, selbst wenn ihm zeitweise kein Gewinn bleibt, weil derartige Arbeiten an der Straße und die damit verbundenen Verkehrsstörungen unvermeidlich sind, so daß ein gesunder Betrieb sie vorher einkalkulieren muß (BGH Warn 1964 Nr. 122). Das Berufungsgericht hat dem hier dadurch Rechnung getragen, daß es die Entschädigung nicht für die ganze Zeit, sondern erst ab 1. Oktober 1963 zugebilligt hat, obwohl die ersten Arbeiten und Behinderungen bereits im März 1963 begannen, wenn auch bis August noch mit Unterbrechungen. Das Berufungsgericht hat allerdings die ersten Monate deshalb unberücksichtigt gelassen, weil die Stadt in dieser Zeit nur Arbeiten an Versorgungsleitungen durchgeführt hat, die ein Anlieger immer entschädigungslos dulden müsse. Dieser Erwägung ist nicht zu folgen, weil hier diese Arbeiten nur wegen des U-Bahn-Baus notwendig wurden und daher nach den früheren Ausführungen nicht anders als die eigentlichen Bauarbeiten für die Untergrundbahn zu behandeln waren. Im Ergebnis ist die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit jedoch nicht zu beanstanden, weil sie die von der Rechtsprechung geforderte Toleranzgrenze beachtet und dafür einen genügend langen Zeitabschnitt entschädigungsfrei gelassen hat.
II.
Die Entscheidung über die Höhe des Anspruchs läßt sich dagegen nicht ganz halten, soweit das Berufungsgericht auch eine für die Zukunft erwartete Zuwachsrate bei den Umsätzen für Drogerien in F. berücksichtigt hat.
Die Entschädigung bei einer Enteignung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen (Art. 14 GG). Sie muß angemessen sein und soll grundsätzlich den eingetretenen Vermögensverlust ausgleichen. Trotz dieser Ausgleichsfunktion ist die Enteignungsentschädigung kein Schadensersatz, so daß der Betroffene nicht etwa verlangen kann, für alle Zukunft so gestellt zu werden, wie wenn der Eingriff nicht vorgenommen worden wäre. Die Enteignungsentschädigung ist vielmehr - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - nach Umfang und Höhe durch den Wert des entzogenen Objekts beschränkt. Anders als der Schadensersatz ist die Enteignungsentschädigung ihrem Wesen nach nicht darauf gerichtet, den Eingriff ungeschehen zu machen. Sie muß sich vielmehr grundsätzlich nach der durch den Eingriff herbeigeführten Wertänderung des betroffenen Vermögens bestimmen. Der Geldwert, den der Betroffene an Stelle des entzogenen Sachwertes erhalten soll, ist deshalb an dem Verkehrswert der entzogenen "Substanz" und nicht an einer hypothetischen Vermögensentwicklung auszurichten.
Obwohl also grundsätzlich nur Entschädigung für die entzogene Vermögenssubstanz zu gewähren ist, hat die Rechtsprechung gleichwohl bei vorübergehenden Eingriffen insbesondere in einen Gewerbebetrieb die Zubilligung eines Ertragsverlustes gestattet. Das ist aber in Wahrheit nur eine vereinfachte Berechnung für die Folgen einer vorübergehenden Substanzentziehung (BGHZ 23, 157/172; 30, 338/351; BGH Urteil vom 10. Juni 1954 - III ZR 89/53, insoweit BGHZ 13, 395 nicht abgedruckt; Urteil vom 25. Juni 1964 - III ZR 142/63 = WM 1964, 1149; Urteil vom 14. Juli 1965 - III ZR 2/64 = Warn 1965 Nr. 177 = NJW 1965, 2101). Bewirkt beispielsweise der Eingriff in einen Gewerbebetrieb dessen endgültige Schließung, dann muß der Wert des Betriebes ermittelt und dieser Betrag als Entschädigung geleistet werden, damit der Inhaber diesen Ersatzbetrag entsprechend nutzbringend verwerten kann. Bei einer vorübergehenden Schließung des Betriebes müßte deshalb zunächst der Gesamtwert des Betriebes ermittelt, danach die entgangene Nutzung oder Verzinsung dieses Kapitals errechnet und hiervon für die streitige Zeit ein entsprechender Teil zugesprochen werden. Der Einfachheit halber hat die Rechtsprechung bei vorübergehenden Eingriffen zugelassen, daß ohne die Ermittlung des Betriebswertes, die nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist, sofort der für diese Zeit ausgebliebene Ertrag aus der entzogenen Vermögenssubstanz zugesprochen wird, weil das als die angemessene Nutzung des im Betrieb steckenden Substanzwertes betrachtet werden kann.
Dabei bleibt aber grundsätzlich zu beachten, daß mit der Enteignungsentschädigung nur dasjenige entschädigt wird, was im Augenblick des Zugriffs vorhanden ist und genommen wird. Deshalb ist für die Berechnung einer Enteignungsentschädigung immer nur der Substanzwert im Augenblick der Entziehung maßgebend und darf die hypothetische Weiterentwicklung nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise darf für ein Grundstück bei der Enteignungsentschädigung nicht eine höhere Qualität berücksichtigt werden, die dieses Grundstück noch nicht besessen hatte und infolge der Enteignung nicht mehr erreichen kann. Bei der Enteignungsentschädigung haben also anders als im Schadensersatzrecht die in der Zukunft möglichen Wertverbesserungen, die ohne die Enteignung und ihre zugrunde liegenden Planungen eingetreten wären, unberücksichtigt zu bleiben (BGHZ 30, 281/287; BGH, Urteil vom 29. November 1965 - III ZR 39/64 = Warn 1965 Nr. 246).
Danach durfte das Berufungsgericht bei Errechnung des entgangenen Ertrages nicht eine sogenannte Zuwachsrate für die Zukunft einsetzen.
III.
Die weiter von der Revision gegen die Höhe der Entschädigung vorgetragenen Bedenken sind unbegründet.
Unerheblich ist insbesondere der Vortrag der Revision, daß die beklagte Stadt mit dem U-Bahn-Bau Aufgaben verfolge, die im öffentlichen Interesse lägen. Denn das ist die notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit der Enteignung und darf nicht nochmals bei der Höhe der Entschädigung zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt werden. Auch der Hinweis auf die Belastung der Beklagten durch die hohen Kosten liegt neben der Sache, weil zunächst diese Kosten nur im Verhältnis zu den Kosten des Gesamtobjekts gesehen werden dürfen und die Entschädigung nicht nach der Leistungsfähigkeit des Begünstigten, sondern nach dem Wert des entzogenen Vermögensobjekts zu bemessen ist; die Herabsetzung einer Enteignungsentschädigung wegen einer Bedürftigkeit des Begünstigten würde gegen den Gleichheitssatz verstoßen (BGHZ 19, 139/151; BGH Warn 1964 Nr. 21).Anmerkung
Vgl. Becker, Arten und Umfang der Enteignungsentschädigungen, AgrarR 1973 S. 1 ff.