Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 23.04.1987 - EGMR 17/1986/115/163 = (Poiss gegen Österreich)= NJW 1989, 650
Aktenzeichen | EGMR 17/1986/115/163 | Entscheidung | Urteil | Datum | 23.04.1987 |
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Gericht | Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | Veröffentlichungen | = (Poiss gegen Österreich) = NJW 1989, 650 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine Dauer der vorläufigen Besitzeinweisung von über 24 Jahren (wobei diese nicht an zwischenzeitliche Änderungen des Planstands angepaßt werden kann und bei der die Betroffenen auch nicht für Nachteile zu entschädigen sind, die sie bis zu einer endgültigen Grundabfindung erleiden können), verletzt die Eigentumsgarantie des Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 zur MRK. |
2. | Eine Dauer des Rechtsstreits über die Landabfindung von über 19 Jahren, die maßgeblich den beteiligten Behörden, nicht dem Beschwerdeführer anzulasten ist, verletzt das Recht auf Entscheidung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 MRK. |
Aus den Gründen
Insgesamt erstreckt sich das gegenständliche Verfahren bereits über mehr als 19 Jahre. Ungeachtet der Komplexität des Falles, erweist sich eine solche Dauer nach den Umständen des Falles als unangemessen, insbesondere im Hinblick auf die besondere Eile, die die vorläufige Übernahme der Grundabfindungen verlangte. Die verschiedenen ungerechtfertigten Verzögerungen, die festgestellt wurden, sind nicht den Bf. selbst, sondern gewissen mit dem Fall befaßten Behörden zuzuschreiben. Im übrigen anerkennt die Regierung, daß es solche Verzögerungen gegeben hat. In der Gesamtheit haben sie ein Überschreiten der angemessenen Frist, deren Beachtung Art. 6 I MRK vorschreibt, zur Folge gehabt.
Nach Ansicht der Bf. hat die vorläufige Übernahme ihrer Grundstücke im Jahre 1963 ihr Recht auf Eigentum verletzt: sie hätten noch immer nicht den Ausgleich in Grundstücken, auf den ihnen die Landesgesetzgebung Anspruch gibt, erhalten und sie hätten durch diese Tatsache einen "jährlichen Ernteverlust von 25 700 öS und einen Zinsenverlust von 45 000 öS" erlitten. Sie behaupteten eine Verletzung des Art. 1 Protokoll Nr. 1, der wie folgt lautet:
"Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemanden darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, daß das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Die vorstehenden Bedingungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält."
Es ist notwendig, zuerst daran zu erinnern, daß bereits mehr als 24 Jahre seit der vorläufigen Übernahme verstrichen sind (22.04.1963 - 24.03.1987), ohne daß die Bf. auf Grund eines endgültigen Zusammenlegungsplanes die Abfindung in Grundstücken, wie es das Gesetz vorsieht, erhalten hätten.
Es muß gleichfalls hervorgehoben werden, daß es die einschlägige Landesgesetzgebung nicht gestattet hat, die vorläufige Übernahme trotz der erfolgreichen Berufung der Bf. gegen die Zusammenlegungspläne, nochmals zu überprüfen. Sie sieht auch keine Möglichkeit vor, den Bf. für den Schaden, den sie durch den erzwungenen Austausch ihrer Grundstücke gegen andere von minderer Beschaffenheit erlitten hätten, Ersatz zu leisten.
Der Gerichtshof verkennt indessen nicht das Anliegen des Gesetzgebers. Indem dieser eine solche Übernahme in einem früheren Stadium der Zusammenlegungsmaßnahmen genehmigt, will er im Interesse der Eigentümer im allgemeinen und der Gemeinschaft die kontinuierliche und ökonomische Benützung der Gründe, um die es sich handelt, sicherstellen. Überdies, wenn die Bf. ihre Grundstücke im Zuge der im Jahre 1963 beschlossenen Übernahme verloren haben, so haben sie andere, wenngleich für sie nicht zufriedenstellende, an deren statt erhalten. Das anzuwendende System zeichnet sich jedoch durch eine gewisse Starrheit aus; es bietet keinerlei Möglichkeit, die Lage der Eigentümer vor dem Inkrafttreten eines Zusammenlegungsplanes zu ändern, oder sie für den Nachteil zu entschädigen, den sie bis zu einer endgültigen Grundabfindung erlitten haben können.
Infolgedessen enthüllen die Umstände des Falles einen Bruch des Gleichgewichtes, das zwischen dem Schutz des Rechts auf Eigentum und den Erfordernissen des allgemeinen Interesses obwalten muß; den Bf., die, was das endgültige Schicksal ihres Eigentums betrifft, im Ungewissen bleiben, wurde eine unverhältnismäßige Last aufgebürdet. Es ist in diesem Stadium nicht erforderlich, zu untersuchen, ob sie tatsächlich einen Schaden erlitten haben (EGMR, NJW 1984, 2747 - Sporrang und Lönnroth).
Der Gerichtshof befindet daher, daß eine Verletzung des Art. 1 Protokoll Nr. 1 vorliegt.