Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 13.03.1972 - IX G 1/71
Aktenzeichen | IX G 1/71 | Entscheidung | Urteil | Datum | 13.03.1972 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Münster | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ist der Flurbereinigungsplan einem Beteiligten wegen dessen Geschäftsunfähigkeit nicht wirksam bekanntgegeben worden, so kann das Flurbereinigungsgericht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Landabfindung nach eigenem Ermessen entscheiden. Einer erneuten Bekanntgabe des Planes an den Pfleger bedarf es dann nicht. |
2. | Zur Frage der Zulässigkeit und Begründetheit einer Nichtigkeitsklage. |
Aus den Gründen
Die Klägerin ist als bestellte Nacherbin hinsichtlich des unter der Ordn.Nr. 552 und 557 tlw. erfaßten Grundvermögens Nebenbeteiligte des Flurbereinigungsverfahrens gemäß § 10 Ziff. 2 d FlurbG; denn das Recht ihrer Nacherbfolge beschränkt zu ihren Gunsten die Benutzung der Grundstücke durch den Beigeladenen zu 1. als Vorerben in dem sich aus § 2113 BGB ergebenden Umfange. Sie gehört als Miterbin der an den Grundstücken der Ordn.Nr. 553 und 554 bestehenden ungeteilten Erbengemeinschaft zu den Verfahrensbeteiligten nach § 10 Ziff. 1 FlurbG und ist gemäß § 2038 Abs. 1 BGB berechtigt und verpflichtet, alle auf die Erhaltung des Grundbesitzes gerichteten Maßnahmen zu treffen. Die Klagebefugnis steht der Klägerin, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter, zu.
Die Klägerin betreibt die Wiederaufnahme des rechtskräftig beendeten gerichtlichen Verfahrens ihrer Anfechtungsklage gegen die Festsetzungen des Flurbereinigungsplanes und begehrt mit der Nichtigkeitsklage die Beseitigung des in diesem Verfahren ergangenen Sachurteils mit dem Ziel, die von ihr gerügte Gleichwertigkeit ihrer Landabfindung im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren erneut zu überprüfen und zu entscheiden. Sie wendet sich zutreffend gegen das Urteil des erkennenden Flurbereinigungsgerichts vom 30. Mai 1969. Zwar stellt dieses Urteil nicht die letzte gerichtliche Entscheidung des Vorprozesses dar. Der Verwerfungsbeschluß des Bundesverwaltungsgerichts ist aber nicht als Urteil im Sinne des nach § 138 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 153 VwGO für dieses Verfahren neben den anderen Vorschriften der ZPO über die Wiederaufnahme des Verfahrens anwendbaren § 584 ZPO anzusehen. Dem steht der klare Wortlaut des § 584 i.V.m. § 554 a Abs. 2 ZPO entgegen. Zudem war die dem Verwerfungsbeschluß vorausgegangene Prüfung darauf beschränkt, ob gewisse Formvorschriften erfüllt seien (vgl. RGZ Bd. 120 S. 173). Die letzte sachliche Prüfung ist vielmehr von dem erkennenden Flurbereinigungsgericht vorgenommen worden. Nur gegen dessen Urteil kann sich daher die Nichtigkeitsklage gemäß § 578 Abs. 1 ZPO richten.
Gemäß § 579 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO findet eine Nichtigkeitsklage zum Zwecke der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen flurbereinigungsgerichtlichen Verfahrens (§ 578 ZPO) statt, wenn ein Beteiligter nicht nach Vorschriften der Gesetze vertreten war, sofern er nicht die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat. Für die auf eine solche Klage zu erlassende richterliche Entscheidung ergibt sich aus den Absätzen 2 und 3 des § 590 ZPO eine vom Gesetzgeber gewollte dreifache Gliederung der Klage (vgl. RGZ Bd. 75 S. 56). Danach ist nach folgenden Grundsätzen vorzugehen: Es ist zunächst über die Zulässigkeit zu befinden. Gemäß § 589 ZPO ist dabei von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben worden ist. Was ihre Statthaftigkeit angeht, bedarf es der Geltendmachung eines die Wiederaufnahme an sich rechtfertigenden Grundes. Das will sagen, daß es für diese Statthaftigkeit darauf ankommt, ob die Behauptung der Klägerin, ihr sei ein solcher Grund erwachsen, den Anforderungen des § 579 ZPO entspricht. Nicht dagegen ist für die zur Statthaftigkeit der Klage zu treffende Entscheidung erforderlich, ob diese Behauptung auch sachlich zutrifft. Nur wenn es an einem der angegebenen prozeßrechtlichen Erfordernisse fehlt, ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (RGZ Bd. 75 S. 56). Die Behauptung der Klägerin, daß sie seit der, im Zeitpunkt der bereits für einen Zivilprozeß bestehenden und später auf alle Rechtsstreitigkeiten erweiterten, Prozeßpflegschaft auch während des vor dem Flurbereinigungsgericht anhängigen Verwaltungsrechtsstreites und des vorausgegangenen Verfahrens vor den Flurbereinigungsbehörden prozeßunfähig gewesen sei, ist geeignet, als Wiederaufnahmegrund im Sinne der Zulässigkeitsvoraussetzung Anerkennung zu finden. Die Erhebung der Nichtigkeitsklage ist aber nach § 586 ZPO nur rechtswirksam, wenn sie innerhalb der Notfrist eines Monats erfolgt ist, die nach Abs. 3 aaO mit der Zustellung des Urteils, dessen Beseitigung begehrt wird, an den Beteiligten selbst oder bei mangelnder Prozeßfähigkeit an dessen gesetzlichen Vertreter beginnt. Das der Klägerin persönlich am 7. August 1969 zugestellte Urteil entbehrt trotz einer etwaigen zu diesem Zeitpunkt bestehenden Prozeßunfähigkeit nicht seiner rechtlichen Wirksamkeit. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß ein den prozeßunfähigen Beteiligten zugestelltes Urteil durch Ablauf der Rechtsmittel- oder Einspruchsfrist in Rechtskraft übergeht, da sonst die Vorschriften über die, ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren voraussetzende, Nichtigkeitsklage für alle Fälle, in denen angeblich Prozeßunfähigen ein Urteil zugestellt worden ist, ihres Sinnes entleert würden. Es wäre nämlich mit den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs unvereinbar, daß Prozeßunfähige unter Berufung auf eine angeblich unwirksame Zustellung noch nach Jahr und Tag ohne jede zeitliche Beschränkung die Rechtswirksamkeit einer ergangenen Entscheidung anfechten und damit zugleich die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage umgehen könnten (vgl. RGZ Bd. 121 S. 64, Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 19. Januar 1970 - IV CB 77.69). Wenn auch der Mangel der Prozeßfähigkeit in jedem Stadium des Prozesses von Amts wegen zu berücksichtigen ist, bedeutet dieser Grundsatz des § 56 ZPO nicht, daß eine behauptete Prozeßunfähigkeit auch noch nach formeller Rechtskraft - außer im Nichtigkeitsverfahren - zu berücksichtigen wäre (Bundesverwaltungsgericht aaO). Liegt somit für das Nichtigkeitsverfahren die Voraussetzung eines entsprechend dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens vor, so gilt für die fristgerechte Klageerhebung folgendes: Die nach § 586 Abs. 1 und 3 ZPO mit der Zustellung des rechtskräftigen Urteils an den im Verfahren nicht vertretenen Beteiligten beginnende Notfrist von einem Monat wird nur mit der ordnungsgemäßen Zustellung in Lauf gesetzt. Sie hat im vorliegenden Falle nicht zu laufen begonnen, da sie im Falle einer bestehenden Prozeßunfähigkeit der Klägerin weder an diese noch während der Zeit des Nichtbestehens einer gesetzlichen Vertretung an ihren gesetzlichen Vertreter erfolgen konnte, und nach der erfolgten Pflegerbestellung auch an diesen nicht wirksam erfolgt ist. Jedoch darf die Klage schon vor Beginn der Notfrist erhoben werden; in den Fällen einer Nichtigkeitsklage, wo die Frist ab Zustellung läuft, also schon vor der Zustellung (RGZ Bd. 118 S. 122, Baumbach-Lauterbach, ZPO 30. Aufl., 1970, zu § 586 Anm. 1 S. 1068, Wietzorek, ZPO, Bd. III 1957 zu § 586 Anm. A II b S. 573). Damit ist die Nichtigkeitsklage in zulässiger Weise erhoben worden.
Als nächstes ist über das Vorhandensein eines Wiederaufnahmegrundes zu befinden.
Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen war bei der Klägerin infolge der bei ihr bestehenden Wahnerkrankung in dem Flurbereinigungsverfahren Geschäftsunfähigkeit gegeben und hat ihr während des im Dezember 1967 begonnenen Flurbereinigungsrechtsstreits IX G 29/68 die Prozeßfähigkeit im Sinne des § 62 VwGO für die Dauer dieses Verfahrens gefehlt. Der durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigengutachtens nachgewiesene Mangel der Prozeßfähigkeit erweist sich als stichhaltiger Grund zur Wiederaufnahme des vor dem erkennenden Flurbereinigungsgericht anhängig gewesenen Vorprozesses IX G 29/68 mit der zwangsläufigen Folge zur Aufhebung der hier auf Grund der letzten sachlichen Prüfung ergangenen Entscheidung - einschließlich der Kostenentscheidung - vom 30. Mai 1969, da eine nachträgliche Billigung des Verfahrensabschlusses durch die Klägerin nicht erfolgt ist. Damit wird für diese gegen die Landabfindung gerichtete Abfindungsklage die Prozeßlage hergestellt, die vor dem Ergehen des angefochtenen Urteils im Zeitpunkt der ihm zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung bestanden hat (vgl. RGZ, Bd. 75 S. 56). Zu ihrer Entscheidung war gemäß § 138 FlurbG i.V.m. § 101 VwGO eine neue mündliche Verhandlung mit dem Pfleger der Klägerin als ihrem gesetzlichen Vertreter erforderlich.
Für das wiederaufgenommene Verfahren ist es unbeachtlich, ob die Klägerin in dem vorausgegangenen Verfahren vor den Flurbereinigungsbehörden geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Ziff. 2 BGB i.V.m. § 62 Abs. 1 VwGO gewesen ist. Zwar würden im Falle ihrer Geschäftsunfähigkeit der gemäß § 58 FlurbG die Ergebnisse des Flurbereinigungsverfahrens zusammenfassende Flurbereinigungsplan und seine Nachträge der Klägerin gegenüber keine rechtliche Wirksamkeit erlangt haben. Auch würde es an dem nach § 141 FlurbG als Voraussetzung für eine im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren zu treffende Entscheidung geforderten Beschwerdeverfahren vor den Flurbereinigungsbehörden gefehlt haben. Ein fehlendes Beschwerdeverfahren steht einer Sachentscheidung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch dann nicht entgegen, wenn das Verhalten der Verwaltungsbehörde vor und während des gerichtlichen Verfahrens mit Sicherheit erwarten läßt, daß das Vorverfahren nicht zum Erfolge führen wird (vgl. BVerwG, 7. Mai 1965, NJW 1965 S. 1731). Das ist hier der Fall. Die Beklagten haben eindeutig - insbesondere mit ihrem Antrag auf Klageabweisung aus sachlichen Gründen - zu erkennen gegeben, daß ihrerseits dem Verlangen der Klägerin auf Abänderung der den übrigen Mitberechtigten gegenüber wirksamen Abfindungsregelung nicht stattgegeben werden wird. Eine Entscheidung darüber, ob auch während des Verfahrens vor den Beklagten eine Geschäftsunfähigkeit der Klägerin bestanden hat, ist entbehrlich. Selbst zutreffendenfalles bedarf es für die Ausweisung der gesetzesgemäßen Abfindung der Klägerin nicht einer neu vorzunehmenden Festsetzung des Beklagten zu 2. in dem von ihm aufgestellten Flurbereinigungsplan und einer Zurückverweisung des über die Gesetzesmäßigkeit der Abfindung anhängigen Verwaltungsrechtsstreites an die Beklagte zu 1. Die dem Flurbereinigungsgericht nach § 144 Satz 1 Halbsatz 1 FlurbG zustehende Entscheidungsbefugnis zur Änderung des Flurbereinigungsplanes versetzt es im Interesse einer Beschleunigung des Flurbereinigungsverfahrens in die Lage, die auf Grund einer Klage gebotene Änderung einer Abfindungszuteilung selbst vorzunehmen; und schließt damit die Möglichkeit ein, die in rechtsunwirksamer Weise durch den Flurbereinigungsplan einem Beteiligten zugewiesene Landabfindung selbst zu überprüfen und darüber in Anwendung des ihm durch § 146 Nr. 2 FlurbG eingeräumten eigenen Ermessens zu entscheiden, und zwar ohne daß es dazu nach Nr. 1 aaO besonderer Klageanträge bedarf. Dieser dem erkennenden Flurbereinigungsgericht von dem Gesetzgeber übertragene Auftrag zur eigenen Gestaltung der im Klagewege angefochtene Abfindung läßt aus Gründen eines alsbaldigen Abschlusses des anhängigen Rechtsstreites dessen Zurückverweisung an die Beklagte zu 1. zwecks Behebung der aufgetretenen Verfahrensmängel nicht zu (vgl. BVerwGE, Bd. 8 S. 65, Seehusen, FlurbG, 2. Aufl. zu § 144 Anm. 2 S. 289), sondern ermöglicht dem Gericht die Ergänzung des Flurbereinigungsplanes in bezug auf die Abfindungsregelung der Klägerin in eigener Zuständigkeit. Die dazu nach § 59 Abs. 1 Satz 2 FlurbG erforderliche örtliche Erläuterung der Abfindungszuteilungen ist bei dem Ortsbegang im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgt.