Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28.10.1975 - II N 9/72 = AgrarR 1977 S. 122
Aktenzeichen | II N 9/72 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 28.10.1975 |
---|---|---|---|---|---|
Gericht | Hessischer Verwaltungsgerichtshof | Veröffentlichungen | = AgrarR 1977 S. 122 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zu den Voraussetzungen für die Änderung der Festsetzungen im Flurbereinigungsplan durch Gemeindesatzung. |
Aus den Gründen
Gemäß § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG können nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens die Festsetzungen mit Zustimmung der Gemeindeaufsichtsbehörde durch Gemeindesatzung geändert oder aufgehoben werden. Davon hat die Gemeindevertretung der ehemaligen Gemeinde L. mit der Begründung Gebrauch gemacht: Straßenengpaß; die Einziehung erfolgt im Interesse der Öffentlichkeit.
Rechtsstaatliche Bedenken, weil die Ermächtigungsvorschrift des § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG keine Begrenzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß gebe, bestehen nicht; denn Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gilt nicht für die Ermächtigung zum Erlaß von Gemeindesatzungen, sondern nur zum Erlaß von Rechtsverordnungen (Maunz / Düring, GG, Art. 80 RNr. 31 ff.; BVerwG, DÖV 1958, 581, 582).
Die Gemeinden haben in § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG eine auf Bundesrecht beruhende sondergesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Satzungen. In diesem Rahmen haben sie gegebenenfalls ihr Ermessen auszuüben (vgl. Czychowski, Die Satzungsgewalt der Gemeinden nach § 58 Abs. 4 Satz 2 des Flurbereinigungsgesetzes - FBG -, DÖV 1964, 369, insbesondere 373 unter Bezug auf VG Kassel, Urteil vom 11.3.1953, DVBl 1954, 91 = DÖV 1953, 702, 703 und David, Die Satzungsgewalt der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. (1961) S. 87).
Das Flurbereinigungsgesetz sagt nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen die Gemeinde Satzungen nach § 58 Abs. 4 FlurbG erlassen kann. Ebensowenig ist den Ausführungsgesetzen der Länder zum Flurbereinigungsgesetz (in Hessen: Ausführungsgesetz zum Flurbereinigungsgesetz vom 30.3.1954 (GVBl. S. 44) i. d. F. vom 24.6.1970 (GVBl. I S. 392)) und den einzelnen kommunalen Verfassungsgesetzen etwas für eine Beantwortung dieser Frage zu entnehmen.
Die Fassung des § 58 Abs. 4 FlurbG, nach der die im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getroffenen Festsetzungen des Flurbereinigungsplanes die Wirkung von Gemeindesatzungen haben und durch Gemeindesatzung geändert oder aufgehoben werden können, läßt den Schluß zu, daß in formeller und sachlicher Hinsicht für sie nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens allein die Vorschriften des jeweiligen kommunalen Verfassungsrechts über sonstige Gemeindesatzungen maßgeblich sind. Eine andere Auslegung läßt sich auch nicht mit Sinn und Zweck der Flurbereinigung vereinbaren. Nur aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen erhält hier eine besondere Verwaltungsbehörde (die Flurbereinigungsbehörde) örtlich und zeitlich begrenzt u. a. Aufgaben übertragen, die in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde fallen. Sobald sie ihre Aufgaben erfüllt hat, tritt an ihre Stelle wieder die Gemeinde als der Sache nach zuständiger Verwaltungsträger (vgl. Czychowski, a.a.O., S. 371).
Die Gemeinde entscheidet deshalb selbst und eigenverantwortlich darüber, mit welchem Inhalt, zu welchem Zweck und in welchem Umfang sie von ihrem Änderungsrecht nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG Gebrauch macht. Sie ist dabei an die für gesetzgebende Akte allgemein anerkannten Grundsätze und bestehenden Rechtsvorschriften gebunden. Die durch die Satzung zu treffende Regelung muß daher notwendig und angemessen sein und darf nicht gegen eine Rechtsnorm höheren Ranges verstoßen (Czychowski, a.a.O.).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Änderung oder Aufhebung der Festsetzung zweckmäßig ist, kann nicht daran vorbeigegangen werden, daß für ihre Begründung landeskulturelle Gesichtspunkte entscheidend waren. In die Festsetzung darf daher nur eingegriffen werden, wenn die landeskulturellen Belange inzwischen hinfällig geworden sind oder hinter anderen öffentlichen Interessen zurücktreten müssen.
Die Gemeindevertretung der ehemaligen Gemeinde L. hat bei Beschluß der angegriffenen Satzung diese Grundsätze - insbesondere die Erfordernisse des landwirtschaftlichen Verkehrs - nicht beachtet.
Grundsätzlich kann die Zweckwidmung eines Wirtschaftsweges unter Beachtung der oben dargelegten Grundsätze nur aufgehoben werden, wenn die Grundstücke, für die der Weg bestimmt ist, nicht mehr auf ihn angewiesen sind, etwa weil sie durch einen Ersatzweg, bei dem es sich auch um einen öffentlichen Weg handeln kann, zugänglich geworden sind oder nicht mehr land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden. Denn das den einzelnen Beteiligten durch den Flurbereinigungsplan eingeräumte Benutzungsrecht an dem ausgewiesenen Wirtschaftsweg leitet sich nur aus § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG her. Es geht daher nicht darauf, daß der einmal bestehende Wirtschaftsweg erhalten bleibt, sondern nur, daß der einzelne Beteiligte in seiner Zuwegung nicht beeinträchtigt wird (vgl. Czychowski, a.a.O.). Unter Berücksichtigung aller Umstände ist hier aber die Aufrechterhaltung des Fronpfades geboten.
Der Interessentenweg Fronpfad ist gemäß § 9 Anl. e des Rezesses der politischen Gemeinde L. mit der Maßgabe zu Eigentum überwiesen worden, daß davon kein dem Hauptzweck desselben entgegenstehender Gebrauch gemacht werden darf. Der Weg ist von der Gemeinde zu unterhalten.
Die Antragsteller benutzen den Interessentenweg regelmäßig noch zum Viehtrieb, um Holz aus ihren Waldungen zu holen und um ihre Grün- und Ackerflächen zu erreichen. Die Antragsgegnerin behauptet zwar das Gegenteil. Aber diese Behauptung ist nicht erwiesen. Vielmehr ist das Vorbringen der Antragsteller glaubhaft, sonst hätten sie sich nicht schon seit dem Jahre 1969 intensiv gegen die Einziehung des Weges gewehrt. Insbesondere hat aber die Beweisaufnahme ergeben, daß der Fronpfad noch benutzt wird. Bei der Einnahme des Augenscheins ist festgestellt worden, daß der Fronpfad zwei deutliche Fahrspuren aufweist und nur in der Mitte - also zwischen den Fahrspuren - eine leichte Grasnarbe ist. Dieser Zustand des Weges deutet mit Sicherheit darauf hin, daß er noch benutzt wird. Es besteht für die Benutzung des Weges nach dem Vortrag der Antragsteller und nach der Überzeugung des Senats auch ein echtes Verkehrsbedürfnis.
Die Antragsteller können nicht auf den Umweg der öffentlichen Straße (Wallweg und Dorfstraße) verwiesen werden. Diese öffentlichen Verkehrsflächen waren bei Errichtung des Fronpfades als Interessentenweg schon vorhanden; insofern ist gegenüber früher eine Änderung nicht eingetreten, die die Einziehung des Fronpfades rechtfertigen könnte. Zudem ist die Trennung des allgemeinen Kraftfahrzeugverkehrs von dem speziellen landwirtschaftlichen Verkehr auch in kleineren und abgelegenen Landgemeinden und auch auf kürzeren Strecken sinnvoll, damit gegenseitige Behinderungen möglichst vermieden werden. Insofern ist von Bedeutung, daß z. B. auch im Falle des Viehtriebes bei Benutzung der öffentlichen Straßenverbindung zusätzlich eine Straßenkreuzung berührt werden müßte. Das ist weder im Sinne der Grundsätze des Flurbereinigungsgesetzes noch im Sinne der Grundsätze des Verkehrsrechts, wie sie sich aus der Straßenverkehrsordnung ergeben.
Die Einziehung des Fronpfades würde mithin den Verkehrsablauf nicht erleichtern, sondern im Gegenteil eher erschweren. Der Senat ist davon nach der erfolgten Einnahme des Augenscheins überzeugt. Wie der Senat bei der Beweisaufnahme festgestellt hat, ist die Fahrbahndecke des Wallweges nur 4,50 m breit. Diese Fahrbahndecke soll auch nicht verbreitert werden. Werden die Antragsteller gezwungen, mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und ihren Viehbestand ausschließlich diesen Straßenengpaß zu benutzen, dann wird das nach Auffassung des Senats den Verkehrsablauf erschwerend beeinflussen.
Auch das Argument der Antragsgegnerin, der Fronpfad sei nicht mit einem festen Unterbau versehen und von daher für einen landwirtschaftlichen Verkehr ungeeignet, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn § 9 Anl. i des Rezesses bestimmt, daß die auf die Landwege stoßenden Wirtschaftswege nur auf eine Länge von 10 m mit Steinschlag befestigt und, insoweit sie die Landwege berühren, mit Pflasterung versehen sein müssen. Die Interessentenwege sind somit generell nicht mit einem festen Unterbau versehen, so daß daraus hier nichts hergeleitet werden kann.
Entsprechend hat das OVG Münster in seinem Urteil vom 17.11.1972 - IX A 389/71 - in Rechtsprechung zur Flurbereinigung, 9. Ergänzungslieferung, zu § 58 Absatz 4 ausgeführt, nur öffentliche Interessen oder wichtige (überwiegende) wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten könnten es erfordern, in die durch die Verfahrensfestsetzungen erlangten Rechte der Beteiligten einzugreifen. Die erzielten landeskulturellen Interessen müßten gewahrt bleiben. Solche Belange würden vor allem verletzt, wenn das in einem behördlich geleiteten Auseinandersetzungs-, Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahren neu geschaffene zusammenhängende Wegenetz durch Einziehung eines Wegestückes derart zerstört würde, daß Wegestümpfe verblieben. Nur wenn ein ganzer Grundstücksblock durch eine Wirtschaftseinheit zusammenhängend bewirtschaftet werden könne, könnten solche Veränderungen die Aufhebung des dazwischen liegenden Wirtschaftsweges erfordern. Dieser Fall ist hier nicht gegeben, weil die Antragsteller sogenannten Streubesitz zu bewirtschaften haben.Anmerkung
Teilweise aufgegeben durch Beschluß vom 26.06.1979 - II N 10/76 = RzF - 9 - zu § 58 Abs. 4 FlurbG.