Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 22.03.1978 - III F 151/75 = RdL 79 S. 214
Aktenzeichen | III F 151/75 | Entscheidung | Urteil | Datum | 22.03.1978 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = RdL 79 S. 214 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Keine unzulässige reformatio in peius bei Aufhebung eines Widerspruchsbescheides, der zwar für den Kläger günstige Regelungen enthält, die aber unlösbar mit rechtswidrigen, von dem Kläger angegriffenen und belastenden anderen Regelungen des Widerspruchsbescheides verknüpft sind. |
2. | Zur Frage, ob Miteigentum nach Bruchteilen, sofern es vor 1900 entstand, als gemeinschaftliches Eigentum anzusehen ist, das auf altem Herkommen beruht (§ 48 Abs. 1 FlurbG). |
3. | Auch die nach § 48 Abs. 1 FlurbG erlaubte Teilung steht unter der Voraussetzung, daß sie den Interessen der allgemeinen Landeskultur dient. |
4. | Teilung von Miteigentum kann nur so erfolgen, daß die dann den einzelnen früheren Miteigentümern zu gewährenden Abfindungen alle Umstände berücksichtigen, welche auf Ertrag, Benutzung und Verwertung des bisherigen, im Miteigentum stehenden Grundstücks von wesentlichem Einfluß waren. Dabei können auch aus der Miteigentumsstellung sich ergebende Abwehrbefugnisse bezüglich der Veränderung des im Miteigentum stehenden Grundstücks von Bedeutung sein. |
Aus den Gründen
Der infolge teilweisen Unterliegens des Kläger bezüglich des Hauptantrages zur Entscheidung stehende Hilfsantrag ist ebenfalls teilweise begründet, so daß der gesamte Bescheid aufgehoben und die Sache gleichzeitig zur erneuten Verhandlung und Bescheidung durch die Spruchstelle zurückverwiesen werden muß. Dies beruht darauf, daß der Kläger über seinen mit dem Hauptantrag zu b) geltend gemachten Anspruch auf ordnungsgemäße Abfindung für seine Alleineigentum darstellende Altbesitzflächen im Bereich der Hofreitengrundstücke hinaus nicht ordnungsgemäß abgefunden wurde, und zwar, weil der Kläger für seine Einlage in Form des Miteigentums an dem Grundstück Flur 3 Nummer 272/63 keine ordnungsgemäße Abfindung erlangte.
Dabei ist der Senat an einer Aufhebung auch nicht durch den Umstand gehindert, daß der Bescheid vom 24.6.1975 in seiner Ziffer 1 auch eine dem Kläger günstige Entscheidung getroffen hat. Diese Entscheidung - Zuweisung der Hoffläche zwischen der Parzelle Flur 1 Nummer 32 und dem Schweinestall der Beigeladenen F. an den Kläger zu Alleineigentum - ist nämlich nicht eine isoliert günstige Entscheidung, welche infolge des Verbots einer reformatio in peius einer Abänderung oder gar Aufhebung durch den Senat nicht zugänglich wäre. Denn diese Entscheidung ist im Bescheid untrennbar mit der dem Kläger ungünstigen Überweisung einer Teilfläche aus dem Grundstück Flur 1 Nummer 34 an die Beigeladene zu 1) verbunden. Die Spruchstelle hat nämlich durch diese letztgenannte Regelung den der Beigeladenen zu 1) infolge Zuweisung der Teilfläche aus Flur 1 Nummer 35 an den Kläger entstehenden Verlust an ihrer Abfindung bezüglich des gemeinschaftlichen Grundstücks alte Flur 3 Nummer 272/63 ausgleichen wollen. Mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides insgesamt wird die dem Kläger durch ihn zugleich entstandene Belastung, nämlich die erwähnte Abtrennung einer Fläche aus Parzelle Flur 1 Nummer 34, zunächst beseitigt. Überdies tritt schon deswegen keine unzulässige reformatio in peius ein, weil der Kläger seinen Anspruch aus dem ihm gemeinschaftlich mit der Beigeladenen zu 1) gehörenden Einlagegrundstück verfolgt, mit dem Hilfsantrag überdies "den ausgewogenen Zustand" vor der Flurbereinigung wieder hergestellt wissen will. Da aber gerade, wie noch gezeigt werden wird, der Abfindungsanspruch des Klägers aus Miteigentum an der Altparzelle Flur 3 Nummer 272/63 losgelöst von dem Anspruch erfüllt werden muß, welcher aus den in seinem Alleineigentum stehenden Grundstücken herrührt, und dem ersteren Anspruch nicht ordnungsgemäß Rechnung getragen wurde, wie sich ebenfalls aus den weiteren Darlegungen ergeben wird, kann zur Beseitigung dieses Nachteiles auch in den vom Kläger bezüglich seines Alleineigentums erreichten Status eingegriffen werden. Die dem Kläger auf seine Beschwerde hin bezüglich des Alleineigentums bescheidsweise gewährte Vergünstigung - in Form der Zuweisung der Teilfläche aus Flur 1 Nummer 35 - kann nur Bestand haben, wenn andere vom Kläger ausdrücklich geltend gemachte eigene Abfindungsansprüche gesetzesgerecht erfüllt werden. Auch hier gilt im Verhältnis von Kläger als Miteigentümer mit Dritten zu Kläger als Alleineigentümer, daß jeder Eingriffsbescheid nur unter der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Abfindung desjenigen Bestand haben kann, in dessen Abfindung eingegriffen wird. Der Eingriff zugunsten der Alleineigentümerstellung des Klägers durch den angefochtenen Bescheid dürfte nicht zulasten berechtigter Positionen des Klägers als Miteigentümer erfolgen.
Der Kläger greift mit seinem Hilfsantrag, denn auch u. a. ersichtlich, die für die gemeinschaftliche Parzelle Flur 3 Nummer 272/63 gewährte Abfindung an. Insoweit muß die Klage Erfolg haben. Die Abfindung verstößt schon gegen § 48 FlurbG. Die von dem Kläger gerügte Zuteilung großer Flächenteile an die Beigeladene F. zu Alleineigentum steht - wie auch die Zuteilung von erheblichen Flächen aus dieser Parzelle an ihn selbst - dem § 48 FlurbG entgegen. Nach dieser Vorschrift können ohne jegliche Einschränkung solche Grundstücke in gemeinschaftlichem Eigentum geteilt werden, in welchem das gemeinschaftliche Eigentum auf altem Herkommen beruht (§ 48 Absatz 1 FlurbG). In anderen Fällen gemeinschaftlichen Eigentums ist eine Teilung zulässig, sofern die Eigentümer zustimmen und die Teilung dem Zweck der Flurbereinigung dient (§ 48 Absatz 2 FlurbG).
Eine Zustimmung des Klägers zur Teilung des gemeinschaftlichen Eigentums an der Parzelle Flur 3 Nummer 272/63 liegt nicht vor, so daß schon deswegen § 48 Absatz 2 FlurbG nicht anwendbar ist. Der Kläger hat sich insbesondere geweigert, die Planvereinbarung bezüglich dieses Grundstücks zu unterzeichnen. Daß der Kläger mit der Zuweisung bestimmter Flächen in sein Alleineigentum zufrieden war, beinhaltet noch keine Zustimmung zu einer Aufteilung im übrigen.
Aber auch auf § 48 Absatz 1 FlurbG kann die teilweise Überführung der Altparzelle Flur 3 Nummer 272/63 in Alleineigentum der Beigeladenen F. oder aber in das Alleineigentum des Klägers nicht gestützt werden. Wenngleich im vorliegenden Fall das gemeinschaftliche Eigentum an der Parzelle Flur 3 Nummer 272/63 auf altem Herkommen beruht - wozu auch Miteigentum gehört, wenn es nur wie hier vor Inkrafttreten des BGB entstanden ist (vgl. Seehusen - Schwede - Nebe, FlurbG, 2. Auflage, § 48 Anmerkung 2 = Seite 136 Absatz 1 und der dortige Hinweis auf Hillebrandt - Engels - Geith, Vorbemerkung zu § 54 RUO), war die teilweise Aufteilung des gemeinschaftlichen Eigentums fehlerhaft. Das der Flurbereinigungsbehörde durch die Kannbestimmung des § 48 Absatz 1 FlurbG insoweit eingeräumte Ermessen ist zunächst an die Voraussetzung gebunden, daß die Teilung dem Interesse der allgemeinen Landeskultur dient, weil die Teilung als Maßnahme der Flurbereinigung ausgeführt wird (so auch Seehusen - Schwede - Nebe, a.a.O., § 48 Anmerkung 3).
Schon diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Wie die Ortsbesichtigung zur Überzeugung des Senats ergeben hat, bringt die teilweise Aufteilung der alten Parzelle Flur 3 Nummer 272/63 keine Vorteile für die allgemeine Landeskultur. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Aufteilung in diesem Bereich zu einer Auflockerung der Ortslage, und zwar auch zu einer Vereinfachung in Bezug auf die die fraglichen Flächen bisher treffenden Berechtigungen hätte führen können. Das ist nicht der Fall. Es sind nicht einmal Bewirtschaftungsvorteile erreicht worden, die in irgendeiner Weise nennenswert durch Zeitgewinn, Kostenersparnis oder auf sonstige Weise Einfluß auf die Betriebsführung des klägerischen Anwesens oder des Anwesens der Beigeladenen zu 1) hätten. Insbesondere muß auch nach der von der Flurbereinigungsbehörde getroffenen Regelung die Gemeinschaftsparzelle in ihrem Kern bestehen bleiben, da dies für die Nutzung der anliegenden Hofreiten des Klägers und der Beigeladenen zu 1) von entscheidender Bedeutung ist. Nur so kann überhaupt der Zugang zu beiden erhalten bleiben, so daß nicht einmal eine Verminderung der Zahl der Katasterparzellen durch die teilweise Aufteilung der Altparzelle Flur 3 Nummer 272/63 selbst erreicht wird.
Bereits diese Überlegung führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids und zur Zurückverweisung der Sache an die Spruchstelle für Flurbereinigung, da die Abfindungen des Klägers und der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf die eingebrachten Miteigentumsflächen neu zu gestalten sind, was bei der Verzahnung mit den Abfindungen des Klägers und der Beigeladenen, ferner mit den Abfindungen weiterer Beteiligter nicht den Eingriff in diese ausschließt. Die durch die Spruchstelle nach erneuter Verhandlung im Wege der Bescheidung neu zu gestaltende Abfindung des Klägers als Miteigentümer - mithin auch der Beigeladenen zu 1) als Miteigentümerin - wird sich an dem Abfindungsanspruch orientieren müssen, der sich aus dem von ihm und der Beigeladenen zu 1) als Miteigentümern eingebrachten Altparzelle nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelt. Nach den unbestrittenen Unterlagen des Beklagten resultiert aus der Altparzelle Flur 3 Nummer 272/63 ein Abfindungsanspruch in Höhe von 20,64 WE, der dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) zusteht, und nicht nur ein solcher auf Zuweisung eines Grundstücks im Wert von 12,30 WE.
Darüber hinaus wird die Entscheidung über den Hilfsantrag auch von folgenden Überlegungen getragen. Eine Teilung gemeinschaftlichen Eigentums nach § 48 FlurbG kann nur in der Weise stattfinden, daß sie den bisherigen Eigentümern des Teilungsobjekts eine Abfindung für die Beteiligung am Teilungsobjekt und für die darüber hinaus eingebrachten Grundstücke und Berechtigungen zuweist, welche voll den Grundsätzen über eine Gestaltung der Abfindung nach § 44 ff. FlurbG entspricht. Im vorliegenden Fall ist aber ein Verstoß gegen § 44 Absatz 2 FlurbG festzustellen. Nach dieser Vorschrift sind bei der Landabfindung alle Umstände zu berücksichtigen, die auf Ertrag, Benutzung und Verwertung von wesentlichem Einfluß sind. Die Flurbereinigungsbehörde wie auch die Spruchstelle haben bei der Ausübung ihres Gestaltungsermessens entgegen dieser Vorschrift nicht genügend in die Abwägung eingestellt, daß es nach den Besonderheiten ihrer jeweiligen Einlage im Bereich der E.-Straße sowohl dem Kläger wie auch der Beigeladenen F. möglich war, kraft ihrer Stellung als Miteigentümer in der Weise auf die Benutzung und Gestaltung der gesamten Altparzelle durch den anderen Miteigentümer oder Dritte Einfluß zu nehmen, daß ohne Zustimmung eines der Miteigentümer der andere oder Dritte von der Gemeinschaftsparzelle keinen anderen als den hergebrachten vertraglich zugestandenen oder gesetzlich zustehenden Gebrauch machen durften. Diese Möglichkeit erstreckte sich auch auf die Flächen, die nun dem Alleineigentum sowohl des Klägers wie der Beigeladenen zu 1) zugewiesen sind. Durch diese Zuweisung ist indes gerade diese Möglichkeit der Einflußnahme auf die abgetrennten Teile der Gemeinschaftsparzelle weggefallen, die in das jeweilige Alleineigentum des Klägers bzw. der Beigeladenen zu 1) fallen sollen. Besonders in diesem Bereich hat diese sich aus der Miteigentümerstellung und nicht nur aus einer beschränkten dinglichen Berechtigung im Sinne des § 49 FlurbG ergebende Zustimmungsbefugnis eine entscheidende Bedeutung. Es könnte - wie die Ortsbesichtigung zeigte - ohne weiteres denkbar sein, daß sowohl die Beigeladene zu 1), aber auch der Kläger, jene Flächen nun in eine bauliche Umgestaltung seiner jeweiligen Wohn- oder Wirtschaftsgebäude einbeziehen. In einem solchen Falle hätten der Kläger oder aber die Beigeladene zu 1) nicht mehr die Möglichkeit einer Verhinderung oder zumindest einer Einflußnahme auf Umfang und Gestaltung der Baulichkeiten auf den dem bisherigen anderen Miteigentümer zu Alleineigentum überwiesenen Flächen der Altparzelle, wie dies vorher der Fall war. Dies ist aber u. a. von Belang für die Frage, in welchem Umfang etwa die Benutzbarkeit der bestehenden Gebäude oder der Zugang zu diesen durch neue Baulichkeiten auf der Abfindungsparzelle des früheren Miteigentümers eingeschränkt würde oder an diese angepaßt werden müßte. Bei der vom Senat festgestellten Orientierung der Gebäude beider Anwesen - sowohl desjenigen des Klägers wie desjenigen der Beigeladenen zu 1) - zur Gemeinschaftsparzelle hin und bei der Enge des von der Gemeinschaftsparzelle gebildeten Innenhofes wird sich z. B. jeder Benutzer der bisherigen Gebäude notwendig bei einer etwaigen baulichen Ausdehnung auf in Alleineigentum stehenden neuen Parzellen bezüglich seiner Benutzung der Gemeinschaftsparzelle zwangsläufig einem etwa gesteigerten Verkehr auf derselben anpassen müssen. Diese Eigenart der klägerischen Einlage in Gestalt des Miteigentumsanteils an der Altparzelle Flur 3 Nummer 272/63 hat trotz etwaiger baupolizeilicher oder bauplanerischer Vorschriften über Bauwerks- oder Grenzabstände oder aber Vorschriften über Umfang, Art und Weise der baulichen Nutzung der fraglichen Flächen ihre Bedeutung. Selbst wenn nämlich vor der Flurbereinigung ein solches Vorhaben auf den Flächen der alten Parzelle Flur 3 Nummer 272/63, die heute der Beigeladenen zu 1) allein zugewiesen sind, die baurechtlichen Vorschriften eingehalten haben würde, hätte der Kläger zufolge seiner Miteigentümerstellung damals auch insoweit seine Zustimmung dennoch verweigern können. Er wäre an der Verweigerung der Zustimmung nur gehindert gewesen, soweit diese gegen den Grundsatz von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte oder gegen ausdrückliche oder stillschweigend geschlossene Vereinbarungen verstoßen hätte, die zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) galten. Diese Möglichkeit ist dem Kläger - und umgekehrt der Beigeladenen zu 1) - trotz gegenseitig großen Interesses an den Veränderungen des jeweilig anderen Anwesens derzeit genommen.
Den festgestellten Verstößen gegen § 45 und § 48 FlurbG können nicht auf der Grundlage des lediglich zu § 44 FlurbG entwickelten Gedankens der Ausgleichung spezieller Abfindungsnachteile durch bestimmte Abfindungsvorteile anderer Art (vgl. z. B. BVerwG Urteil vom 15.12.1977 - BVerwG 46.76 n. v.) vom Beklagten die in der Feldlage für den Besitzstand des Klägers erreichte angebliche Entfernungsverbesserung und starke Zusammenlegung entgegengehalten werden. Daher brauchte dem Beweisantrag des Beklagten, Einlage und Abfindungsgrundstück des Klägers in der Feldlage in Augenschein zu nehmen, nicht stattgegeben zu werden. Andere Gründe, aus denen die beantragte Augenscheinseinnahme hätte erforderlich sein können, hat der Beklagte nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.