Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.12.1978 - BVerwG 5 C 52.76 = DÖV 1979 S. 832= RdL 1980 S. 39
Aktenzeichen | BVerwG 5 C 52.76 | Entscheidung | Urteil | Datum | 14.12.1978 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = DÖV 1979 S. 832 = RdL 1980 S. 39 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine Veränderung von Hof- und Gebäudeflächen eines Teilnehmers zur Anlegung einer im Bebauungsplan vorgesehenen gemeindlichen öffentlichen Straße ist nicht schon von dieser Zielsetzung her durch Zwecke der Flurbereinigung gedeckt. |
Aus den Gründen
Die Revision ist begründet, weil zumindest ein Teil der geplanten neuen Ortsstraße auch nach den Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts Hoffläche der Kläger war und keine flurbereinigungsrechtlich durchgreifenden Gründe für einen Zugriff auf diese und weitere im Streit befindliche Flächen ersichtlich sind. Die in dem angefochtenen Urteil vertretene gegenteilige Auffassung weicht in nicht vertretbarer Weise von der Entscheidung in BVerwGE 15, 72 ab. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen.
Nach dem festgestellten Sachverhalt und den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgängen ist das Flurbereinigungsverfahren Pf. durch Beschluß der oberen Flurbereinigungsbehörde vom 3.2.1967 unter Einbeziehung der Ortslage angeordnet worden. Zu diesem Zeitpunkt war der gemeindliche Bebauungsplan "B." weder beschlossen noch bekanntgemacht. Beschlossen wurde er am 17.12.1968, genehmigt am 4.7.1969 und bekanntgemacht am 22.7.1969 (vgl. Protokollanlage Blatt 39 der Gerichtsakte). Auch nach der Bekanntgabe dieses gemeindlichen Bebauungsplans bestand für die Anlegung der Ortsstraße Flur 10 Nummer 212, durch die die Kläger sich beeinträchtigt sehen, jedenfalls aus flurbereinigungsrechtlichen Gründen weder Veranlassung noch Bedürfnis. Es ist nicht zu erkennen, daß diese Ortsstraße anderen Zwecken als denen der Erschließung des Baugebiets "B." dient. Die Aufnahme dieser Ortsstraße in den Flurbereinigungsplan wird vom Beklagten damit begründet, die Flurbereinigungsbehörde sei durch Beschluß des Gemeinderates Pf. vom 27.02.1969 beauftragt worden, die Bodenordnung zur Ausführung des Bebauungsplans "B.", der am 04.07.1969 rechtskräftig geworden und damit für die Flurbereinigungsbehörde verbindlich gewesen sei, durchzuführen (vgl. Seite 4 des Beschwerdebescheids der Spruchstelle vom 03.10.1974, Blatt 8 der Gerichtsakte). Aus der Verbindlichkeit des Bebauungsplanes und dem Herstellungsauftrag seitens der Gemeinde ist jedoch kein flurbereinigungsrechtlicher Zweck herzuleiten. Das Flurbereinigungsgericht vertritt zwar die gegenteilige Auffassung, obgleich es selbst ausführt:
"Die in dem rechtswirksamen Bebauungsplan der Gemeinde Pf. vorgesehene öffentliche Ortsstraße Flur 10 Nr. 212 ist nämlich für die Erschließung des Baugebiets "B." erforderlich. Sie erschließt die Baugrundstücke Flur 10 Nummern 214, 215, 216 und 217 und stellt zudem die Verbindung von dem Baugebiet zu der nördlich verlaufenden Hauptstraße her. Der Senat verkennt nicht, daß die Ortsstraße Flur 10 Nummer 212 für die landwirtschaftliche Nutzung des Grundbesitzes nicht notwendig ist. Denn die genannten Grundstücke stellen sich als Hofanschlußflächen dar, so daß sie von den jeweiligen Wirtschaftshöfen aus erreicht werden können."
Diesen verbindlichen Feststellungen ist zu entnehmen, daß die Ortsstraße Flur 10 Nummer 212 keine gemeinschaftliche Anlage der Teilnehmer im Sinne der § 39 Absatz 1, § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 FlurbG in der hier anzuwendenden Fassung vom 14.07.1953 (BGBl I Seite 591) ist. Denn öffentliche Wege gehören zu den gemeinschaftlichen Anlagen nach § 39 FlurbG nur, soweit deren Schaffung im Interesse der allgemeinen Landeskultur und nach dem wirtschaftlichen Bedürfnis der Teilnehmer erforderlich ist. Da dies hier nicht der Fall ist, kann die vorbezeichnete Ortsstraße nur als eine dem örtlichen öffentlichen Verkehr dienende Anlage im Sinne des § 40 FlurbG in Betracht kommen. Für einen dahin gehenden, allein dem öffentlichen Interesse dienenden Zweck kann im Flurbereinigungsverfahren jedoch nur Land in verhältnismäßig geringem Umfang bereitgestellt werden (§ 40 Satz 1 FlurbG). Eine Veränderung von Hof- und Gebäudeflächen wird durch solche Zwecke nicht gedeckt. Diese rechtliche Konsequenz hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in seiner Entscheidung in BVerwGE 15, 72 aufgezeigt. Danach gehört nicht jegliche Maßnahme, die wegen ihres öffentlichen Interesses dem Wohl der Allgemeinheit förderlich ist und für deren Durchführung die Flurbereinigung eine einmalige Gelegenheit bietet, zum Zweck der Flurbereinigung. Nur dann, wenn die Neugliederung des Flurbereinigungsgebietes die Herstellung eines Weges erfordert, muß der betroffene Teilnehmer unter den Voraussetzungen des § 45 FlurbG auch eine Veränderung seines Hofraumes dulden und einen Wegebeitrag leisten. Dagegen darf die Flurbereinigungsbehörde, wenn sie Land in verhältnismäßig geringem Umfang für eine Anlage nach § 40 FlurbG "bereitstellt", von dem einzelnen Teilnehmer auch nur den Wegebeitrag nach § 47 FlurbG fordern, der nicht auf eine konkrete reale Landfläche, sondern auf einen Wertanteil gerichtet ist, um den das Teilnehmerrecht gekürzt wird.
Von dieser am Gesetz orientierten Auslegung abzuweichen, besteht auch unter Berücksichtigung der nach Auffassung des Flurbereinigungsgerichts "gewandelten Bedeutung der Flurbereinigung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum" hier keine Veranlassung. Ob aus der Neufassung des Flurbereinigungsgesetzes (vgl. die Bekanntmachung vom 16.3.1976 (BGBl I S. 546)) insoweit eine erweiterte Zweckbestimmung der Flurbereinigung abgeleitet werden könnte, ist hier nicht zu erörtern.
Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts ist für die weitere Betrachtung davon auszugehen, daß die Ortsstraße Flur 10 Nummer 212 nur den Bedürfnissen der gemeindlichen Planung dient. Ist danach für deren Anlegung kein flurbereinigungsrechtlicher Zweck erkennbar, dann kann die Bodenordnung in diesem Bereich auch nur nach den Bedürfnissen der Bebauung und der damit verbundenen Erschließung ausgerichtet werden. Wenn nach § 37 Absatz 1 Satz 3 FlurbG Bebauungspläne die Zuziehung der Ortslage zur Flurbereinigung nicht hindern (vgl. dazu Beschluß vom 15.8.1968 - BVerwG IV CB 196. 65 - (Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nummer 4)), so folgt daraus nicht die Verpflichtung, daß die Flurbereinigungsbehörde derartige gemeindliche Planungen auch in dem von ihr durchzuführenden Flurbereinigungsverfahren vollziehen müßte (s. BVerwGE 15, 72 (77)). Die flurbereinigungsrechtlichen Konsequenzen, die sich daraus für die Anlegung der vorbezeichneten Ortsstraße ergeben, sind anhand der § 40, § 47 FlurbG oben bereits dargelegt worden. Der von allen Teilnehmern nach dem Verhältnis des Wertes ihrer alten Grundstücke zu dem Wert aller Grundstücke des Flurbereinigungsgebiets aufzubringende Anteil erstreckt sich zwar auch auf den für eine öffentliche Anlage nach § 40 FlurbG erforderlichen Grund und Boden (§ 47 Absatz 1 Satz 1 FlurbG) und wird vom Abfindungsanspruch in Abzug gebracht (§ 44 Absatz 1 Satz 1 FlurbG), erlaubt aber darüber hinaus nicht den Zugriff auf die der Gesamtabfindung dienenden Flurstücke.
Diese rechtlich gebotene Differenzierung bei gemeinschaftlichen Anlagen einerseits und öffentlichen Anlagen andererseits wird durch folgende Überlegungen bestätigt:
Die Planfeststellung des Bebauungsplans "B." und der darin ausgewiesenen Straßenverkehrsflächen erfolgt nach baurechtlichen Vorschriften im Rahmen der gemeindlichen Planungshoheit. Eine daraus sich ergebende formelle und materielle Konzentrationswirkung kann sich nur auf die Flächen erstrecken, die für die Bodenordnung des Bebauungsgebiets und der damit verbundenen Erschließung notwendig werden, und damit auch nur die Rechtsmaterien erfassen, die zur Regelung des Vorhabens erforderlich sind. Da die Feststellung des Wege- und Gewässerplans sich nicht auf Anlagen bezieht, für welche die Planfeststellung in anderen Gesetzen geregelt ist (§ 41 Absatz 3 Satz 3 FlurbG), konnte die vorbezeichnete Ortsstraße durch den Wege- und Gewässerplan der Flurbereinigung weder vorläufig noch durch den Flurbereinigungsplan endgültig festgestellt werden (§ 39 ff. FlurbG). Diese nach dem Charakter des jeweiligen Vorhabens auf den Umfang und die Grenzen der einzelnen Anlagen sich ergebende Beschränkung der Konzentrationswirkung schließt es nicht aus, hinsichtlich verschiedener Planungskonzeptionen eine Plankongruenz herzustellen (Beschluß vom 7.4.1975 - BVerwG V B 98.73 (Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nummer 13)). Das bedeutet, daß bei der Flurbereinigung hier auf das festgestellte Bebauungsvorhaben "B." Bedacht genommen und die rechtsverbindlich festgestellte Ortsstraße Flur 10 Nummer 212 als öffentlicher Weg in den Wege- und Gewässerplan mit aufgenommen werden darf (§ 41 Absatz 1 FlurbG); jedoch mit der Maßgabe, daß ebenso wie die Planfeststellung dieser Ortsstraße auch deren Durchführung nach den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu erfolgen hat (§ 41 Absatz 3 Satz 3 FlurbG), und zwar auch dann, wenn die Flurbereinigungsbehörde diese Aufgabe der Gemeinde gelegentlich der Flurbereinigung wahrnimmt (vgl. BVerwGE 15, 72 (77)). Die Aufnahme der Ortsstraße als öffentlicher Weg in den Wege- und Gewässerplan erfolgt danach nur nachrichtlich; eine flurbereinigungsrechtlich konstitutive Bedeutung kommt diesem Umstand jedoch nicht zu. Wenn das wirtschaftliche Bedürfnis der Teilnehmer eine Ausweisung dieser Ortsstraße mit den sich daraus ergebenden abfindungsrechtlichen Folgen nicht erfordert, ist die vorgesehene Erschließung des Baugebietes vom Zweck der Flurbereinigung auch dann nicht gedeckt, wenn sie anläßlich der Flurbereinigung in deren Regie und auf deren Kosten vorgenommen wird (Urteil vom 26.10.1978 - BVerwG 5 C 85.77 -). Da der Zweck der Flurbereinigung aber die Ausweisung der Ortsstraße Flur 10 Nummer 212 nicht erfordert, kann für deren Ausgestaltung eine Veränderung von Hof- und Gebäudeflächen aus flurbereinigungsrechtlichen Gründen jedenfalls nicht vorgenommen werden (§ 45 Absatz 1 Nummer 1 FlurbG), auch nicht unter Berücksichtigung der modifizierten Rechtsprechung des Senats zu dieser Vorschrift in BVerwGE 55, 48. Die den Klägern zugedachte Abfindung kann deshalb nicht durch eine Abtrennung von Teilen ihrer Hof- und Gebäudefläche auf den ihnen zustehenden Abfindungsanspruch reduziert werden. Dem unzulässigen Zugriff entzogen ist aber nicht nur der Teil der abgetrennten Hofeinfahrt an der Hauptstraße, der nach der Feststellung des Flurbereinigungsgerichts "unzweifelhaft als Hoffläche im Sinne des § 45 Absatz 1 Nummer 1 FlurbG gewertet werden muß", sondern auch der restliche Teil des von den Klägern in das Verfahren eingelegten Hofgrundstücks, auch soweit er vom Flurbereinigungsgericht - übrigens mit angreifbaren Erwägungen - nicht als Hof- und Gebäudefläche qualifiziert worden ist. Auch insoweit ist kein flurbereinigungsrechtlicher Zweck ersichtlich.
Kann aber die Abfindung der Kläger im Bereich ihrer Hofeinlage nicht für die Anlegung der Ortsstraße herangezogen werden, dann wird damit die Abfindungsplanung insgesamt erneut regelungsbedürftig. Die Gleichwertigkeit der Gesamtabfindung im Rahmen der aufgezeigten flurbereinigungsrechtlichen Schranken herzustellen, ist nach § 146 FlurbG Aufgabe des Flurbereinigungsgerichts, an das die Sache deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.