Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.06.1984 - 5 C 141.83 = BVerwG 69, 283= BVerwGE 69, 283= RdL 1984 S. 264= AgrarR 1986 S. 239
Aktenzeichen | 5 C 141.83 | Entscheidung | Urteil | Datum | 05.06.1984 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = BVerwG 69, 283 = BVerwGE 69, 283 = RdL 1984 S. 264 = AgrarR 1986 S. 239 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die mittlere Entfernung vom Wirtschaftshof oder von der Ortslage ist als Wertfaktor i. S. von § 44 Abs. 4 FlurbG ausschließlich nach den im Gesetz genannten Bezugspunkten zu ermitteln. |
2. | Ist bei einem Teilnehmer ein Wirtschaftshof vorhanden, von dem aus die Landwirtschaft betrieben wird, dann ist unabhängig davon, ob diese Landwirtschaft durch den Eigentümer selbst oder durch den Pächter betrieben wird, der Wirtschaftshof als Bezugspunkt für die Ermittlung der mittleren Entfernung heranzuziehen. |
3. | Ist ein Wirtschaftshof nicht vorhanden, so darf dem Begriff der Entfernung von der Ortslage die Entfernung der Einlage und Abfindung zu den Standorten gegenwärtigen und künftigen Pächterpotentials nicht zugrunde gelegt werden. |
Aus den Gründen
Die Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts lassen darauf schließen, daß es in einer Gesamtschau die entfernungsmäßigen Verhältnisse der Abfindung mit denen der Einlage überschlägig verglichen hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Verhältnisse der Einlage in Anbetracht des betriebswirtschaftlich sinnvollen Standorts zu dem Pächterpotential in den Orten L., E. und W. nicht günstiger gewesen seien als die der Landabfindung. Das Flurbereinigungsgericht hat hierbei - offenbar an das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Juli 1963 - Nr. 48 VII 62 -, zitiert bei Steuer, Flurbereinigungsgesetz, Kommentar, 2. Auflage 1967, Anm. 52 zu § 44 anknüpfend - die betrieblichen Interessen der Klägerin an der Verpachtung des Grundbesitzes in den Vordergrund seiner Betrachtungen gerückt und danach den Begriff der Entfernung von der Ortslage an diesen betrieblichen Bedürfnissen der Klägerin ausgerichtet. In Anbetracht des Betriebszweckes hat es die Entfernung nicht allein auf den Stiftungssitz L. bezogen, sondern den günstigen Standort der Landabfindung zu den Orten L., E. und W. hervorgehoben, weil diese Orte das gegenwärtige, aber auch das künftige Pächterpotential darstellten. Diese vergleichende Betrachtungsweise ist mit dem Begriff der Entfernung von der Ortslage in § 44 Abs. 4 FlurbG nicht in Einklang zu bringen, und zwar auch dann nicht, wenn sowohl bei der Einlage als auch bei der Abfindung der aus der Betriebsstruktur der Klägerin hergeleitete Betriebszweck gleichermaßen Berücksichtigung gefunden haben sollte. Denn die Entfernung der Landabfindung, die nach § 44 Abs. 4 FlurbG der der alten Grundstücke entsprechen soll, ist eine meßbare Größe, die sich von der Lage der Grundstücke zu den gesetzlich festgelegten Bezugspunkten ergibt. Hinsichtlich dieses objektiven Kriteriums spielt die "Betriebsstruktur" des jeweiligen Teilnehmers keine Rolle. Die Bewirtschaftungsform, ob Selbstbewirtschaftung oder Fremdbewirtschaftung, kann allenfalls Bedeutung dafür gewinnen, welcher der gesetzlich vorgesehenen Bezugspunkte in Betracht kommt, ob die mittlere Entfernung vom Wirtschaftshofe oder von der Ortslage her zu bemessen ist. Der Gesetzgeber hat bei den vorgesehenen Bezugspunkten berücksichtigt, daß die landwirtschaftliche Nutzung des Grundbesitzes nicht nur durch den Grundstückseigentümer selbst, sondern auch durch Verpachtung oder sonstige Gebrauchsüberlassung erfolgen kann. Ist bei einem Teilnehmer ein Wirtschaftshof vorhanden, von dem aus Landwirtschaft betrieben wird, dann ist, unabhängig davon, ob diese Landwirtschaft durch den Eigentümer selbst oder durch einen Pächter betrieben wird, der Wirtschaftshof als Bezugspunkt für die Bestimmung der Entfernung sowohl der Einlage- als auch der Abfindungsgrundstücke heranzuziehen. Die Lage des Wirtschaftshofes bleibt auch dann maßgebend, wenn der Grundbesitz insgesamt oder teilweise in Einzelgrundstücke an andere Betriebsinhaber verpachtet ist; denn solange der Eigentümer/Verpächter noch über einen Wirtschaftshof verfügt, ist nicht auszuschließen, daß er den Grundbesitz insgesamt oder teilweise wieder selbst bewirtschaftet. Ist dagegen ein Wirtschaftshof nicht vorhanden, dann kann nur die Entfernung der Grundstücke von der Ortslage (Ortsmittelpunkt) in Ansatz gebracht werden, unabhängig davon, wo der Eigentümer/Verpächter seinen Wohnsitz oder Aufenthalt genommen hat. Der danach in Betracht kommende Bezugspunkt ist dann sowohl für die Entfernungsberechnung der Einlage- als auch der Abfindungsgrundstücke maßgebend. Daraus folgt, daß entgegen der Auffassung des Flurbereinigungsgerichts die Lage der Einlage und Abfindung zu den Standorten gegenwärtigen oder künftigen Pächterpotentials dem Begriff der Entfernung von der Ortslage nicht zugrunde gelegt werden darf. Mit dem Bezugspunkt Ortslage wird die Lage zu dem Ort bezeichnet, in dem die Grundstücke liegen, wie noch näher ausgeführt wird.
Sollten dagegen die Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts zu der von der Klägerin vorgetragenen Entfernungsverschlechterung dahingehend zu verstehen sein, daß zwar von dem von der Beklagten eingeräumten Entfernungsnachteil der Landabfindung von 110 m ausgegangen, in der Verschiebung der Durchschnittsentfernung der klägerischen Abfindung aber gleichwohl kein wertmindernder Nachteil gesehen wurde, weil den betrieblichen Bedürfnissen der Klägerin an der Verpachtung des Grundbesitzes durch den betriebswirtschaftlich sinnvollen Standort zu den möglichen Pächtern in den angeführten Orten Rechnung getragen worden sei, so kann dieser Auffassung ebenfalls nicht gefolgt werden. Auch bei Zugrundelegung eines Entfernungsnachteils von 110 m - dem ein Entfernungsvergleich zwischen der Gesamteinlage und der Gesamtabfindung von einem identischen Bezugspunkt, nämlich dem von der Beklagten angenommenen Ortsmittelpunkt (Straßenkreuzung) von L. vorausgegangen sein müßte - ist eine Prüfung erforderlich, ob und inwieweit eine solche durchschnittliche Entfernungsverschlechterung die Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung beeinträchtigt und wie sie gegebenenfalls auszugleichen ist, wobei auch kleine Verschlechterungen der durchschnittlichen Entfernung ins Gewicht fallen können (Urteil vom 30.09.1958 - BVerwG I C 6.57 - (RdL 1959, 51/53)). Ein solcher Entfernungsnachteil könnte - entgegen der Auffassung des Flurbereinigungsgerichts - nicht mit einem für die Abfindung günstigen Standort möglicher Pächter ausgeglichen werden, weil es sich hierbei um besondere Verhältnisse und Interessen handelt, die in der Person der Beteiligten liegen und deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Abfindungsgestaltung regelmäßig außer Betracht zu bleiben haben (vgl. das vorangeführte Urteil). Da derartige Verhältnisse und Interessen in der Person eines Beteiligten nicht als ausgleichsfähige Vorteile herangezogen werden können, ist es unerheblich, daß der als günstig angesehene Standort des Grundbesitzes der Klägerin zu den angeführten Orten nicht an der Gesamtabfindung orientiert, sondern im wesentlichen nur am Abfindungsflurstück 2278 dargestellt wurde. Offenbleiben kann hier auch, wie bei konkret realisierbaren Aussiedlungsvorhaben verfahren werden kann. Als Ausgleich für einen Entfernungsnachteil im vorbezeichneten Umfang könnten auch allgemeine Vorteile der Flurbereinigung nicht herangezogen werden, weil allgemeine Vorteile nicht schlechthin und in jedem Falle als ausreichender Ausgleich für einen konkreten Nachteil angesehen werden können (Urteile vom 30.09.1958 - BVerwG I C 6.57 - (a.a.O.), 13.11.1958 - BVerwG I C 132.57 (NJW 1959, 643) und 27.06.1961 - BVerwG 1 C 127.59 (RdL 1961, 239)); es müssen vielmehr regelmäßig besondere Umstände vorliegen, die für einen Ausgleich herangezogen werden können, oder sonstige Vorteile gegeben sein (Beschlüsse vom 21.12.1970 - BVerwG IV B 165.69 (RdL 1971, 133) und 26.01.1970 - BVerwG IV B 238.68 (Inn. Kolon 1971, 143)), die selbst einen den Wert der Abfindung beeinflussenden Wertfaktor darstellen (Beschluß vom 26.06.1974 - BVerwG V B 88.72 -). Auch der Grad der Zusammenlegung kann nicht für sich allein, wohl aber dann für ausgleichsbedürftige Gestaltungsnachteile in Ansatz gebracht werden, wenn er besonders vorteilhaft ist (Urteil vom 27.06.1961 - BVerwG I C 127.59 - (a.a.O.)), insbesondere gegenüber dem durchschnittlichen Zusammenlegungsverhältnis im gesamten Flurbereinigungsgebiet. -
Da auch unter der Voraussetzung, daß das Flurbereinigungsgericht von einer Entfernungsverschlechterung von 110 m bei der Abfindung der Klägerin ausgegangen sein sollte, nicht festgestellt werden kann, welcher Ausgleich hierfür in Betracht kommen könnte, ist die Sache an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen, das anhand eigener Feststellungen zur Entfernung der Einlage und Abfindung der Klägerin vom Wirtschaftshofe oder von der Ortslage prüfen muß, ob ein konkreter Entfernungsnachteil, der die Gleichwertigkeit der Abfindung berührt, vorliegt und welcher Ausgleich hierfür in Betracht kommt.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird zunächst festzustellen sein, ob bei der Klägerin noch ein Wirtschaftshof vorhanden ist, und zwar deswegen, weil die Klägerin in ihrem Vortrag auf das Vorhandensein eines solchen hingewiesen und auch das Flurbereinigungsgericht bei der Anführung des Zusammenlegungsverhältnisses ein Hofgrundstück der Klägerin erwähnt hat, das bei der Feststellung des Zusammenlegungsverhältnisses ausgenommen worden sei. Ist ein Wirtschaftshof noch vorhanden, dann ist sowohl die Entfernung der alten Grundstücke als auch die der Landabfindung von diesem Bezugspunkt aus zu berechnen, und danach zu prüfen, ob ein Entfernungsunterschied besteht und wie sich dieser auf die Gleichwertigkeit der Abfindung auswirkt.
Ist dagegen kein Wirtschaftshof vorhanden, dann hat die Berechnung der Entfernung im Sinne des § 44 Abs. 4 FlurbG, die als durchschnittliche mittlere Entfernung der Gesamteinlage wie der Gesamtabfindung zu verstehen ist, von der Ortslage aus zu erfolgen. Die Beklagte, die das Vorhandensein eines Wirtschaftshofes verneint hat, ist ersichtlich vom Ortsmittelpunkt von L., dem Stiftungssitz der Klägerin, und zwar von der Straßenkreuzung ausgegangen. Dieser Bezugspunkt scheint sich hier deswegen anzubieten, weil aus der vom Flurbereinigungsgericht beigezogenen und zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Widerspruchskarte ersichtlich ist, daß die weitaus überwiegende Fläche des streitbefangenen Grundbesitzes der Klägerin, sowohl was die Einlage als auch die Abfindung anbelangt, dem Ortsbereich von L. zugeordnet ist, wenngleich die Abfindungsgrundstücke allesamt in der Gemarkung W. liegen und die Einlage einzelne Grundstücke in den Gemarkungen von T. und S. aufwies. Ist das Flurbereinigungsgebiet mit dem Gebiet einer Gemeinde deckungsgleich, dann dürfte die Feststellung der Ortslage (Ortsmittelpunkt oder eine sonstige, die Ortslage prägende Stelle) keine Schwierigkeiten bereiten. Umfaßt das Flurbereinigungsgebiet mehrere selbständige Gemeinden, bei denen die Gemarkungen weitgehend mit den jeweiligen Gemeindegebieten übereinstimmen, dann wird eine Zuordnung des jeweiligen Grundbesitzes zur Ortslage einer Gemeinde als des für die Entfernungsberechnung maßgeblichen Bezugspunktes auch dann unproblematisch sein, wenn ein Teilnehmer in verschiedenen Gemeinden über nicht unbeträchtlichen Grundbesitz verfügt und dafür in den in Betracht kommenden Gemeindebereichen jeweils eine gesonderte Abfindung erhält. Schließen dagegen - wie im vorliegenden Fall - verschiedene Gemarkungen eines Flurbereinigungsgebietes mehrere Gemeinden oder Teile ehemals selbständiger Gemeinden ein, ohne daß die Gemarkungen mit den gemeindlichen Gebieten übereinstimmen, dann ist die Ortslage danach zu bestimmen, welcher Gemeinde (Gemeinde- oder Ortsteil) der flächenmäßig überwiegende Anteil des Grundbesitzes eines Teilnehmers ohne weiteres zugeordnet werden kann.