Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 22.04.1993 - 13 A 91.1205 = AgrarR 1995 S. 223= RdL 1993, 294

Aktenzeichen 13 A 91.1205 Entscheidung Urteil Datum 22.04.1993
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen AgrarR 1995 S. 223 = RdL 1993, 294  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Sind aus dem Flurbereinigungsplan in Beachtung der Planungsgrundsätze des § 44 FlurbG keine Wertminderungen im Sinne des § 88 Nrn. 4 und 5 FlurbG ablesbar, liegt - trotz Unternehmensflurbereinigung - keine Enteignung vor.
2. Die gleiche Behandlung aller Beteiligten im Unternehmensflurbereinigungsverfahren ist dann gewährleistet,


- wenn alle gleichwertigkeitsbestimmenden Merkmale im Sinne des § 44 FlurbG im Flurbereinigungsplan bei der Abfindung eines Teilnehmers - sei es in Land- oder Geldausgleich - erfaßt sind,
- wenn die nicht behebbaren Nachteile des Unternehmens im Sinne des § 88 Nr. 5 FlurbG bei der Abfindungsgestaltung so verteilt sind, daß - soweit überhaupt möglich - die völlige Änderung der bisherigen Betriebsstruktur bei dem einzelnen Teilnehmer vermieden werden kann (vgl. § 44 Abs. 5 FlurbG).

3. Die Nähe landwirtschaftlicher Nutzflächen zur Autobahn ist grundsätzlich kein abfindungserheblicher Umstand.

Aus den Gründen

Für ein auf § 87 FlurbG gegründetes Verfahren (Unternehmensflurbereinigung) gelten grundsätzlich alle Vorschriften der Regelflurbereinigung. Eingeschränkt oder verdrängt sind sie allerdings durch die Sondervorschriften der § 87 ff. FlurbG. Die für die Abfindung eines Teilnehmers maßgeblichen Planungsgrundsätze des § 44 FlurbG (insbesondere der Anspruch auf eine wertgleiche Landabfindung) werden insoweit eingeschränkt, als für nicht mehr behebbare, unternehmensbedingte Wertminderungen (§ 88 Nrn. 3, 4 und 5 FlurbG) Geldentschädigungen und Leistungen zu erbringen sind (§ 88 Nr. 6 FlurbG).

Nach der ständigen Rechtsprechung dieses Gerichts (vgl. Urteil vom 05.12.1985 = RdL 1986, 100; Urteil vom 01.12.1988 BayVBl. 1989, 374 = RdL 1989, 237; Urteil vom 29.10.1990 RzF - 89 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG = BayVBl. 1991, 756 - RdL 1991, 68) erstreckt sich die gerichtliche Prüfung bei Abfindungsstreitigkeiten in der Unternehmensflurbereinigung darauf, ob die Abfindung eines Teilnehmers den Planungsgrundsätzen des § 44 FlurbG entspricht oder ob - nicht behebbare - unternehmensbedingte Nachteile im Sinne des § 88 Nrn. 4, 5 FlurbG den Anspruch auf eine wertgleiche Landabfindung im Sinne des § 44 Abs. 1 FlurbG mindern. Sind solche Nachteile gegeben, erstreckt sich die Prüfung darauf, ob sie im Flurbereinigungsplan - als enteignende Eingriffe - erfaßt und durch Entschädigungsfestsetzungen der Direktion für Ländliche Entwicklung (bisher: Flurbereinigungsdirektion) ausgeglichen sind. Nicht geprüft wird hingegen die Höhe dieser Entschädigung, da hierfür nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offensteht (§ 88 Nr. 7 FlurbG).

Ergeben sich aus dem Flurbereinigungsplan in Beachtung der Planungsgrundsätze des § 44 FlurbG keine Wertminderungen im Sinne des § 88 Nrn. 4 und 5 FlurbG und scheidet deshalb die Anwendung dieser Sondervorschriften mangels gegebenen Sachverhaltes aus, ist die Abfindung vielmehr wertgleich im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 2 FlurbG, liegt - trotz Unternehmensflurbereinigung - eine Enteignung nicht vor. Denn eine Abfindung, die dem § 44 FlurbG entspricht, erfaßt alle unter enteignungsrechtlichen Gesichtspunkten bedeutsamen Qualitätsmerkmale und berücksichtigt in vollem Umfang das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die der Anordnung der Unternehmensflurbereinigung anhaftende Fremdnützigkeit hat sich in solchen Fällen beim Planungsergebnis nicht aktualisiert (Kaiser, AgrarR 1989, 61/63). Die Landabfindung ist in diesem Fall - wie in der Regelflurbereinigung - Surrogat der alten Grundstücke. Die Regelung in § 68 Abs. 1 FlurbG gewährleistet damit als gesetzliche Inhaltsbestimmung des Eigentums das in Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Eigentum.

Die Erkenntnis, daß Wertnachteile im Sinne des § 88 Nrn. 4 und 5 FlurbG verblieben sind, begründet dagegen die Wertungleichheit der Abfindung und erweist sich deshalb als enteignungsrechtlich relevant.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1987 (BVerfGE 74, 264 ff.) führt zu keiner anderen Beurteilung: Die in der genannten Entscheidung getroffene Unterscheidung zwischen der enteignungsrechtlich relevanten Vorwirkung der Anordnung der Unternehmensflurbereinigung (Grundverwaltungsakt) und der Enteignung im Vollzug der Planungsentscheidung - Enteignung im engeren Sinne - begründet die vom Senat vertretene Auffassung, daß am Ergebnis der Planentscheidung (Flurbereinigungsplan) ablesbar ist, ob die der "Fremdnützigkeit" dienenden Enteignungsvorschriften in § 88 Nrn. 4 und 5 FlurbG überhaupt zur Anwendung kommen und damit eine Enteignung vorliegt. Denn findet ein Zugriff auf das Eigentum im Fremdinteresse (§ 88 Nrn. 4 und 5 FlurbG) nicht statt, erweist sich die nach den allgemeinen Planungsgrundsätzen (§ 37 ff., § 44 ff. FlurbG) gestaltete Abfindung des einzelnen Teilnehmers wie bei einer Regelflurbereinigung als eine im privatnützigen Interesse der Solidargemeinschaft und des einzelnen Teilnehmers liegende Neuordnung des Grundbesitzes.

Bezogen auf die klägerische Abfindung zeigt diese - auf Aktenunterlagen und Augenschein - beruhende Prüfung im einzelnen:

Die auf den bestandskräftig festgestellten Ergebnissen der Wertermittlung beruhende Gegenüberstellung von Einlage und Abfindung ergibt, daß in Beachtung aller gleichwertigkeitsbestimmender Faktoren (§ 44 Abs. 2 und Abs. 4 FlurbG) enteignungsrelevante Nachteile verblieben sind, die den Anspruch auf eine wertgleiche Abfindung im Sinne des § 44 Abs. 1 FlurbG mindern. Im Flurbereinigungsplan sind diese Nachteile als enteignende Eingriffe erfaßt. Die Flurbereinigungsdirektion hat hierfür Geldabfindungen ausgewiesen. Es sind dies: der Landverlust nach § 88 Nr. 4 FlurbG von 7381 WVZ (entspricht 0,1996 ha), der Nachteil für Mehrwege und die Belastung des Abfindungsflurstücks 901 mit einer Grunddienstbarkeit für eine Rohrleitung. Weitere enteignende und deshalb ausgleichsbedürftige Nachteile liegen nach den Feststellungen des Gerichts nicht vor.

Die verbliebene Landabfindung von 39,7019 ha (=1 469 655 WVZ) ist in Beachtung der Grundsätze des § 44 FlurbG (mit Ausnahme des § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG hinsichtlich der Erschließung des Abfindungsflurstücks 3318 - insoweit ist auf das Verfahren 13 A 93.1286 zu verweisen -) ermessensgerecht gestaltet.

Der vom Kläger gerügte Nachteil seiner Abfindung durch Entfernungsverschlechterung - er liegt auch nach den Berechnungen des Gerichts vor - ist im Flurbereinigungsplan zu Recht als unternehmensbedingter Nachteil erfaßt, der durch die im Planfeststellungsverfahren getroffenen Maßnahmen der Unternehmensträger (Bundesrepublik Deutschland und Landkreis) vorgegeben ist.

Die Festsetzungsbehörde hat - der Berechnung des Klägers folgend - für den Entfernungsnachteil eine Enteignungsgeldentschädigung festgesetzt.

Dagegen sind dem Kläger - enteignungsrelevante - Nachteile aus Mißformen bei Abfindungsflurstücken im Vergleich zur Einlage nicht verblieben. Wie die von der Teilnehmergemeinschaft vorgelegten und vom Gericht überprüften Berechnungen ergeben, haben sich im Gegenteil die formbedingten Bewirtschaftungskosten der Abfindung gegenüber der Einlage vermindert. Auch die vom Kläger vorgelegte Berechnung weist eine formbedingte jährliche Kostenminderung in Höhe von 1032,32 DM auf. Die vom Kläger gerügten schrägen Aufstöße entlang der Autobahn haben zwar ihre Ursache im Unternehmen, sie führen jedoch - bedingt durch die Vorteile der Abfindungsgestaltung - im Vergleich zur Einlagesituation zu keinem ausgleichsbedürftigen Nachteil.

Die vom Kläger besonders gerügte Nähe seiner Abfindungsflurstücke 901 und 682 zur Autobahn stellt nach Auffassung des Gerichts keinen nach § 44 Abs. 2, 4 FlurbG zu berücksichtigenden und damit nicht ausgleichsfähigen Wertumstand dar. Die von der Autobahn ausgehenden Schadstoffemissionen des KFZ-Verkehrs stellen nach den dem Gericht vorliegenden Untersuchungen zur Schadstoffanreicherung und Abgasausbreitung an Straßen (Agrar- und Umweltforschung in Baden-Württemberg, Band 19, Schadstoffbelastung von Böden durch Kraftfahrzeugverkehr, "Augustenberg-Gutachten"; Österreichisches Umweltbundesamt, Wien 1989: Kasperowski, Frank, Boden- und Vegetationsuntersuchungen im Bereich der Scheitelstrecke der Tauernautobahn; Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 352, 1981, Umweltgerechte Straßenplanung, herausgegeben vom Bundesminister für Verkehr: Das Problem der Abgasausbreitung und Schadstoffanreicherung im Nahbereich von Straßen; Landwirtschaftliche Forschung, Heft 29, 1974, 150 ff.: Schmid, Rosopulo, Weigelt, Einfluß von Kraftfahrzeugabgasen auf den Blei- und Cadmiumgehalt von Grünfutter, Vieh und Exkrementen; Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, März 1984: Esser, Zum Einfluß von Gehölz - und Lärmschutzwänden am Straßenrand auf die Abgasausbreitung; vgl. auch VGH Baden-Württemberg vom 05.04.1990 RdL 90, 241/243) jedenfalls in den Bereichen ab 10 m vom Fahrbahnrand keine ertrags- und verwertbarkeitsmindernde Belastung vom Boden und Aufwuchs dar. Nach den genannten Untersuchungen liegen für den hier in Frage kommenden Bereich ab 10 m vom Fahrbahnrand an Autobahnen Cadmium und Zinkgehalt im Größenbereich der geogenen Grundbelastung (keine Anreicherung) sowohl im Boden wie im Aufwuchs. Der Bleigehalt des Bodens ist nur bis 25 m vom Fahrbahnrand um bis zu 2 mg/kg TM angereichert und liegt damit weit unter dem in der Klärschlammverordnung in der Fassung vom 04.03.1982 (BGBl. I Seite 281) genannten Grenzwert von 100 mg/kg. Auch beim Aufwuchs wurde in diesem Bereich nur eine Anreicherung im Maximum bis 2 mg/kg TM festgestellt. Er liegt damit weit unter dem Grenzwert der Futtermittelverordnung in der Fassung vom 13.01.1981 (BGBl. I Seite 56) von 40 mg/TM. Die sonstigen Schadstoffe - Zink, Polichlorierte Biphenyle, Thallium, Mineralöl-Auftausalze, Stickoxyde, Kohlenmonoxyd - waren nach diesen Untersuchungen weder in Böden noch in Pflanzen über geogen bedingte Werte hinaus nachweisbar.

Sonstige besondere betriebsbedingte schädliche Einflüsse sind weder dargetan noch ersichtlich. Der klägerische Betrieb erzeugt Marktfrüchte (Zuckerrüben, Weizen, Raps). Es sind keine Anhaltspunkte gegeben, daß ihr autobahnnaher Standort die bisherige Vermarktungsmöglichkeit mindert.

Damit ist die Autobahnnähe von Abfindungsflächen kein Umstand, der bei der Abfindung des Klägers zu berücksichtigen ist (vgl. auch BayVGH Urteil vom 01.12.1988 a.a.O.).

Die Beklagte hat im Rahmen ihres Gestaltungsermessens auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

Das Bundesverwaltungsgericht hält in ständiger Rechtsprechung im Regelflurbereinigungsverfahren die gleiche Behandlung aller Beteiligten im Flurbereinigungsverfahren für gewährleistet, wenn der jedem Teilnehmer zustehende Anspruch auf wertgleiche Abfindung erfüllt ist (Schwantag in Seehusen/Schwede FlurbG 6. Aufl. Anm. 44 zu § 44 und die dort zitierte Rechtsprechung). In Anlehnung an diese Rechtsprechung und unter Berücksichtigung des besonderen Verfahrenszweckes der Unternehmensflurbereinigung hält das erkennende Gericht die gleiche Behandlung aller Beteiligten in solchen Verfahren dann für gewährleistet,

  • wenn alle gleichwertigkeitsbestimmenden Merkmale im Sinne des § 44 FlurbG im Flurbereinigungsplan bei der Abfindung eines Teilnehmers - sei es im Land- oder Geldausgleich - erfaßt sind, und
  • wenn die nicht behebbaren Nachteile des Unternehmens im Sinne des § 88 Nrn. 4, 5 FlurbG bei der Abfindungsgestaltung so verteilt sind, daß - soweit überhaupt möglich - die völlige Änderung der bisherigen Betriebsstruktur bei dem einzelnen Teilnehmer vermieden werden kann (vgl. § 44 Abs. 5 FlurbG).
Sind diese Merkmale erfüllt, so ist die in Anbetracht der Verschiedenartigkeit der einzelnen Verhältnisse überhaupt mögliche gleiche Behandlung erreicht. Daß in Beachtung dieser Voraussetzungen einzelne Teilnehmer größere Vorteile bzw. weniger unternehmensbedingte Nachteile erhalten als andere, bedeutet deshalb allein noch keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes.