Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.06.1961 - I C 127.59 = RdL 1961 S. 239
Aktenzeichen | I C 127.59 | Entscheidung | Urteil | Datum | 27.06.1961 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1961 S. 239 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Entfernung der Grundstücke vom Wirtschaftshof oder von der Ortslage ist nicht nur bei den Ermessensgesichtspunkten nach § 44 Abs. 4 FlurbG, sondern auch als wertbestimmender Umstand im Sinne des § 44 Abs. 2 FlurbG zu berücksichtigen. |
Aus den Gründen
In § 44 Abs. 1 FlurbG ist der Grundsatz aufgestellt, daß jeder Beteiligte einen Anspruch auf eine seiner Einlage wertgleiche Abfindung hat. Die Entscheidung hierüber ist Tat- und Rechtsfrage. Nach § 44 Abs. 4 FlurbG soll die Landabfindung des Teilnehmers in der Entfernung vom Wirtschaftshof oder von der Ortslage seinen alten Grundstücken entsprechen, soweit es mit einer großzügigen Zusammenlegung der Grundstücke nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen vereinbar ist. Diese Vorschrift enthält eine Ermessensrichtlinie für die Gestaltung der Abfindung (Urteil vom 23.6.1959 - BVerwG I C 78.58 - und Beschluß vom 19.6.1959 - BVerwG I B 26.59 -). Zu entscheiden ist hiernach, ob die Entfernung nur im Rahmen des Ermessens bei der Gestaltung der Abfindung - wie das Flurbereinigungsgericht annimmt - oder auch bei der Bemessung des Wertes der Gesamtabfindung zu berücksichtigen ist. Die Entscheidung muß in letzterer Richtung gehen.
Das Flurbereinigungsgesetz geht in § 44 Abs. 1 nicht von einem bestimmten - vorausgesetzten - Wertbegriff aus, sondern schreibt in Abs. 2, zweiter Halbsatz, ganz allgemein vor, daß bei der Landabfindung alle Umstände zu berücksichtigen sind, die auf den Ertrag, die Benutzung und die Verwertung der Grundstücke einen wesentlichen Einfluß haben. "Berücksichtigen" heißt in diesem Zusammenhang, daß diese Umstände als wertbestimmende Momente bei der Ermittlung des Gesamttauschwertes wertgerecht in Ansatz gebracht werden müssen (Urteil vom 30.9.1958, RdL 1959 S. 51). Welche Faktoren im einzelnen darunter zu verstehen sind, sagt das Gesetz nicht.
In der landwirtschaftlichen Schätzungslehre ist unbestritten, daß die Entfernung der Grundstücke vom Hof neben der Lage, der Güte des Bodens und der Neigung der Bodenoberfläche usw. das Betriebsergebnis beeinflußt und insoweit eine wertbestimmende Eigenschaft des Grundstücks bildet. Die Entfernung eines Grundstücks vom Hof oder von der Ortslage ist sowohl für den zu erzielenden Reinertrag als auch für die Benutzung und Verwertung eines Grundstücks von Bedeutung. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein weiter entferntes Grundstück für seine Bestellung mehr Zeit und Kräfteaufwand erfordert als ein nahegelegenes; es ist also - betriebswirtschaftlich gesehen - weniger wert. Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte bestand kein Anlaß, im Flurbereinigungsgesetz ausdrücklich die Berücksichtigung der Entfernung als wertbestimmenden Faktor vorzuschreiben. Die Notwendigkeit, die Zuteilungsgrundstücke in der gehörigen Entfernung auszuweisen, ergibt sich bereits aus dem Gebot der wertgleichen Abfindung.
Dem Flurbereinigungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Entfernung der Grundstücke vom Hof im Hinblick auf die Veränderung der bäuerlichen Betriebsstruktur nicht mehr überall die gleiche Bedeutung hat wie früher. Ausgangspunkt muß sein, wie der Senat in dem oben zitierten Urteil vom 30.9.1958 dargelegt hat, der Einfluß der Entfernung auf die Betriebskosten. Im Rahmen der Flurbereinigung ist die Berücksichtigung der Entfernung kein metrisches, sondern ein betriebswirtschaftliches Problem, dessen Beurteilung weitgehend von den Gespann- und Wegverhältnissen und den durchschnittlichen betrieblichen Umständen abhängt. Die Motorisierung verkürzt den Zeitaufwand für die Zurücklegung der Wege und erhöht damit die produktive Arbeitszeit; die Steigungsverhältnisse verlieren zum Teil an Bedeutung. Die Betriebskosten, die für die Bewältigung der Entfernung aufzuwenden sind, können sich vermindern; ein Teil der Zeit, die bisher zur Anfahrt benutzt werden mußte, steht für die eigentliche Landarbeit zur Verfügung. Es kann mit geringerer Arbeitskraft und geringerem Aufwand betriebswirtschaftlich das gleiche Ergebnis erzielt werden. Wenn die Entfernung unter Berücksichtigung dieser - andeutungsweise aufgezeigten - Gesichtspunkte auch an Bedeutung verloren hat, so kann das nicht dazu führen, die Entfernung schlechthin als einen wertbestimmenden Faktor unberücksichtigt zu lassen. Sie muß vielmehr bei der Abfindung wertgerecht in Ansatz gebracht werden.