Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 04.04.1984 - 7 S 124/82 = AgrarR 1985 S. 121
Aktenzeichen | 7 S 124/82 | Entscheidung | Urteil | Datum | 04.04.1984 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Mannheim | Veröffentlichungen | = AgrarR 1985 S. 121 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Jeder Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens hat ein Recht darauf, daß die behördliche Abwägung, auf die die Gestaltung seiner Landabfindung zurückgeht, rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Nur wenn bei dieser Gestaltung von den rechtsstaatlichen Anforderungen des Abwägungsgebots nicht zum Nachteil des Teilnehmers abgewichen wurde, ist seine Abfindung als der Einlage wertgleich zu betrachten. |
2. | Die Flurbereinigungsbehörde ist auch nach Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans gemäß § 60 Abs. 1 FlurbG gehalten, die Vorteile der Flurbereinigung möglichst sachgerecht und für jeden Teilnehmer optimal zu verteilen. |
3. | Sprechen bei objektiver Betrachtungsweise betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte nicht eindeutig für eine bestimmte Gestaltung der jeweiligen Abfindung einzelner Teilnehmer, so ist es im Rahmen der Abwägung der planenden Flurbereinigungsbehörde zulässig, in sinnvoller Weise und unparteiisch auf subjektiv bedingte Nachbarschaftsverhältnisse Rücksicht zu nehmen. |
Aus den Gründen
Für die Beurteilung der Klage ist die Feststellung ausreichend, daß die Gesamtabfindung des Klägers auch nach der Änderung im Plannachtrag I sowohl hinsichtlich ihrer Bemessung als auch ihrer Gestaltung der Einlage wertgleich ist. Es erübrigt sich somit auf die in dem vom Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten behaupteten betriebs- und arbeitswirtschaftlichen Nachteile einzugehen, soweit sie durch einen Vergleich zwischen vorläufiger und endgültiger Abfindung des Klägers festgestellt wurden. Die hier beanstandete Änderung des Flurbereinigungsplans gibt jedoch besonderen Anlaß, den ihr zugrundeliegenden behördlichen Erwägungen nachzugehen. Soweit der Kläger behauptet, für die Beigeladenen sei die Umteilung durch den Nachtrag I betriebswirtschaftlich ohne Wert, während sie für ihn unzumutbare betriebswirtschaftliche und arbeitswirtschaftliche Nachteile bringe, macht er einen Verstoß gegen das Abwägungsgebot zum Nachteil seiner rechtlich geschützten Interessen geltend.
Jeder Teilnehmer hat ein Recht darauf, daß die Abwägung, auf die die Gestaltung seiner Landabfindung zurückgeht (§ 44 Abs. 2 FlurbG), rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Der planenden Flurbereinigungsbehörde ist hier allerdings Gestaltungsfreiheit eingeräumt, die jedoch nicht ungebunden ist. Sie wird zum einen durch den Handlungsrahmen des § 37 FlurbG und die insbesondere in § 44 Abs. 3 und 4 FlurbG enthaltenen Abfindungsgrundsätze bestimmt. Schranken der Gestaltungsfreiheit ergeben sich schließlich aus den Anforderungen, die sich aus dem Abwägungsgebot ergeben. Dieses Gebot geht über seine positiv-rechtliche Ausgestaltung in § 44 Abs. 2 FlurbG hinaus. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur verkehrsrechtlichen Planung (vgl. insbesondere BVerwGE 56, 110 ff.) ist davon auszugehen, daß das Abwägungsgebot, das den Abwägungsvorgang und das Abwägungsergebnis umfaßt, aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung folgt und in seinem Anwendungsbereich in einer für planerische Entscheidungen spezifischen Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt und damit dem Eigentumsschutz gegen hoheitliche Eingriffe dient (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1979, NJW 80, 2368).
Auch bei der Aufstellung des Flurbereinigungsplans handelt es sich um hoheitliche Planung, bei der private und öffentliche Interessen (vgl. § 1, § 37 FlurbG) gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen werden müssen. Auch das Flurbereinigungsgericht hat daher zu prüfen, ob eine Abwägung der betroffenen Interessen stattgefunden und in sie alles an Belangen eingestellt wurde, was nach Lage des Falles eingestellt werden mußte. Darüber hinaus darf weder die Bedeutung der betroffenen privaten und öffentlichen Belange verkannt, noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden sein, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (vgl. BVerwGE 34, 301 ff.).
Nur wenn bei der Gestaltung der jeweiligen Abfindung von diesen Anforderungen des Abwägungsgebots nicht zum Nachteil des Teilnehmers abgewichen wurde, ist die Abfindung als der Einlage wertgleich zu betrachten. Dabei ist zu beachten, daß der Begriff der Wertgleichheit der Abfindung normativ ist. Seine Auslegung muß den Umstand berücksichtigen, daß das Flurbereinigungsverfahren ein im Kern privatnütziges Verfahren ist, das vor allem den Interessen der Teilnehmer dient. Diese haben daher einen Anspruch auf eine wertgleiche Abfindung, die den Zweck der Flurbereinigung möglichst optimal erfüllt, also auf eine betriebswirtschaftlich möglichst vorteilhafte Abfindung. Nicht zuletzt das Abwägungsgebot soll sicherstellen, daß dieser Anspruch erfüllt wird.
Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob das Flurbereinigungsamt bei der beanstandeten Änderung des Flurbereinigungsplans im Rahmen der Abwägung die vom Kläger geltend gemachten Belange eingestellt und im Ergebnis auch fehlerfrei gewichtet hat. In diesem Zusammenhang ist es dann nicht völlig ohne Belang, daß dem Kläger durch den Flurbereinigungsplan in der ursprünglichen Fassung eine bestimmte Abfindung in Aussicht gestellt wurde. Die dadurch unter den o. g. Vorbehalten erlangte Rechtsposition kann ihm nicht willkürlich, also nicht ohne gewichtige Gründe entzogen werden. Insoweit schränkt § 60 Abs. 1 FlurbG zusätzlich die planerische Gestaltungsfreiheit der Behörde ein. Für Eingriffe, die dazu dienen, nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung die Vorteile der Flurbereinigung möglichst sachgerecht und für jeden einzelnen Teilnehmer optimal zu verteilen, ist es allerdings auch nach der Aufstellung des Flurbereinigungsplans noch nicht zu spät. Dieses Ziel ist mangels ausreichender Information der planenden Behörde im ersten Anlauf vielfach nicht zu erreichen. Insoweit besteht ein Regelungszusammenhang zwischen § 59 Abs. 2 FlurbG und der weiten Änderungsmöglichkeit des § 60 Abs. 1 FlurbG. Der Anhörungstermin dient nicht nur der Beschleunigung und der Konzentration des Rechtsmittelverfahrens, er gibt auch der Behörde Gelegenheit, das vorerst gefundene Planergebnis im Lichte neuer Informationen zu überdenken und zu überprüfen. Erfordert das optimale Erreichen der in diesem Verfahren verfolgten Zwecke daraufhin eine Korrektur des Abwägungsergebnisses, so ist dies ein gesetzlich anerkannter Grund für eine entsprechende Änderung des Flurbereinigungsplans.
Die Abfindung des Klägers in der ursprünglichen Fassung des Flurbereinigungsplans entsprach seinen Wünschen und war unstreitig seiner Einlage wertgleich. Seine Abfindung in der Fassung des Nachtrags I ist der Einlage nicht weniger wertgleich. Ihm wurde seine Hoffläche und sein daran anschließendes Grünland in vollem Umfang wieder zugeteilt. Bereits diese Flächen lassen für eine Betriebserweiterung Raum. Das hinter dem Hof des Beigeladenen Nr. 1 gelegene neue Flst. 1087, um das die Beteiligten streiten, ist dazu nicht erforderlich.
Diesem Befund sind die Belange des Beigeladenen Nr. 1 gegenüberzustellen. Der Senat muß angesichts der Daten der Tabellarischen Übersicht über die Einlage- und Abfindungsgrundstücke des Beigeladenen Nr. 1 nach dem Stande des Plans in der ursprünglichen Fassung vom 09.07.1979 und der o. g. Übersichtskarten davon ausgehen, daß auch der Beigeladene Nr. 1 damals im Rahmen der Gestaltungsfreiheit der Flurbereinigungsbehörde wertgleich abgefunden war. Im Nachtrag I wurde die insgesamt unerhebliche Verschlechterung bei der Hängigkeit und die Grünlandmehrung, die der Beklagte im vorliegenden Verfahren als angeblich berechtigte Gründe für einen Planwiderspruch nannte, noch etwas gesteigert, aber nicht vermindert. Die durch diese Änderung bewirkte Verminderung der mittleren Kartenentfernung zum Hof um ebenfalls 30 m ist angesichts des auch hier bestehenden Zusammenlegungsgrades von 6,5: 1 kein besonders überzeugendes Argument für die Notwendigkeit einer Abhilfeentscheidung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FlurbG.
In der Sache geht es darum, daß zwei im Streit lebende Hofnachbarn ein gesteigertes subjektives Interesse bekunden, ihren Besitz unmittelbar um den jeweiligen Hof zu vergrößern, und zwar möglichst auf Kosten des anderen. Sprechen - wie hier - bei objektiver Betrachtungsweise betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte nicht eindeutig für eine bestimmte Gestaltung der jeweiligen Einzelabfindung, so ist es im Rahmen der Abwägung zulässig, in sinnvoller Weise und unparteiisch auf das konkrete Nachbarschaftsverhältnis Rücksicht zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist unverkennbar, daß nach der ursprünglichen Fassung des Flurbereinigungsplans der Hof des Beigeladenen Nr. 1 von zwei Seiten und auf einer Länge von ca. 150 m von Eigentumsflächen des Klägers eingegrenzt wurde. Auch im Hinblick auf die Lage der Betriebsgebäude des Beigeladenen Nr. 1 eröffnete diese Abfindungsgestaltung neue Möglichkeiten nachbarlicher Auseinandersetzung. Da der Kläger im Hinblick auf seine hofnah eingelegten Flächen geringfügig vorteilhafter abgefunden war als der Beigeladene Nr. 1 durfte die Flurbereinigungsbehörde dies zum Anlaß nehmen, das zuerst gefundene Abwägungsergebnis zu korrigieren, um die Vorteile der Flurbereinigung noch sachgerechter und wunschgemäßer zu verteilen und um eine möglichst sinnvolle Abgrenzung nebeneinander liegender Betriebsflächen verschiedener Teilnehmer in Hofnähe zu erreichen. Es ist für den Senat nicht erkennbar, daß die Behörde in diesem Zusammenhang erhebliche Belange der Betroffenen nicht gesehen oder in ihrer Bedeutung verkannt hat.