Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.08.1988 - 5 C 78.84

Aktenzeichen 5 C 78.84 Entscheidung Urteil Datum 17.08.1988
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Abfindungsmängel im Sinne des § 44 Abs. 1 können zur Rechtswidrigkeit einer vorläufigen Besitzeinweisung führen, wenn ein grobes Mißverhältnis zwischen Einlage und Abfindung besteht oder die vorläufige Einweisung entgegen § 44 Abs. 4 FlurbG zu einem unzumutbaren Eingriff in die Struktur des betroffenen Betriebs führt.
2. Block- und Blockteilsverzeichnisse, die Angaben über Größe, Nutzungsart und Wertzahlen der vorgesehenen Abfindungsgrundstücke enthalten, reichen als endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke im Sinne von § 65 Abs. 1 FlurbG aus.
3. Das Merkmal "endgültig" im Sinne von § 65 Abs. 1 FlurbG verlangt keine Unanfechtbarkeit der Flächen- und Wertnachweise.
4. Das Tatbestandsmerkmal "endgültig" ist auch dann erfüllt, wenn Fläche und Wert aufgrund graphischer Ermittlungen berechnet wurden.
5. Die neue Feldeinteilung kann den Beteiligten durch Karten, die öffentlich bekanntzumachen oder zuzustellen sind, bekanntgemacht werden. Es ist nicht erforderlich, daß die gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG in der Örtlichkeit abgesteckten neuen Grundstücke mit den Ordnungsnummern der Teilnehmer versehen werden.

Aus den Gründen

Nach § 65 Abs. 1 FlurbG können die Beteiligten des Flurbereinigungsverfahrens in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig eingewiesen werden, wenn deren Grenzen in die Örtlichkeit übertragen worden sind und endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen sowie das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht (Satz 1). Die neue Feldeinteilung ist den Beteiligten bekanntzugeben und - für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung - auf Antrag an Ort und Stelle zu erläutern (Satz 2). Mit dieser Bekanntgabe, die von der öffentlichen Bekanntmachung der vorläufigen Besitzeinweisung als Wirksamkeitserfordernis dieses Verwaltungsaktes zu unterscheiden ist (vgl. § 65 Abs. 2 Satz 3 FlurbG), wird die nach Maßgabe des § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG geschaffene neue Feldeinteilung mit Außenwirkung den beteiligten Teilnehmern zugeordnet (siehe auch § 66 Abs. 1 Satz 1 FlurbG: "den in der neuen Feldeinteilung benannten Empfänger"). Die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung erhält so erst ihren teilnehmerbezogenen, für den jeweils Betroffenen erkennbaren Inhalt. Es müssen deshalb bei Erlaß einer solchen Besitzregelung nicht nur die Erfordernisse des § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG gewahrt sein. Notwendig ist vielmehr weiter, daß die neue Feldeinteilung den betroffenen Teilnehmern spätestens mit dem Ergehen der vorläufigen Besitzeinweisung eröffnet wird.

Mit Recht hat das Flurbereinigungsgericht angenommen, daß auch Abfindungsmängel ausnahmsweise zur Rechtswidrigkeit einer derartigen Besitzregelung führen können. Zwar wird bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung grundsätzlich nicht näher untersucht, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf (vgl. BVerwGE 59, 79 <85>). Doch schließt dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht aus, auch die vorläufige Besitzeinweisung selbst mit der Begründung anzufechten, daß zwischen Einlage und Abfindung entgegen § 44 Abs. 1 FlurbG offensichtlich ein grobes Mißverhältnis bestehe oder die vorläufige Einweisung entgegen § 44 Abs. 4 FlurbG offensichtlich zu einem unzumutbaren Eingriff in die bisherige Struktur des betroffenen Betriebes führe (BVerwGE 71, 369 <372> m. w. N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts, die von den Klägern mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden sind und deshalb das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO binden, genügt die angefochtene vorläufige Besitzeinweisung in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 02.03.1984 und die Ergänzungsanordnung vom 22.03.1984 gefunden hat, den vorangeführten rechtlichen Anforderungen. Ausgeräumt sind danach die Gründe, die das Flurbereinigungsgericht veranlaßt haben, in Erwägung zu ziehen, daß die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung ursprünglich unter dem Gesichtspunkt des § 44 Abs. 4 FlurbG durch schwerwiegende Abfindungsmängel berührt gewesen sein könnte (vgl. zu letzterem Urteilsabdruck S. 17 f.). Es wurde nämlich die Flächenmehrung im Bereich der Bodenklasse VII, deren Ausmaß die Vorinstanz an Abfindungsmängel von entsprechendem Gewicht hat denken lassen (Urteilsabdruck S. 18 und 19), im Widerspruchsbescheid durch Neugestaltung der für die Kläger in Aussicht genommenen Abfindung von rund 16 ha auf weniger als 5 ha zurückgenommen. Damit war ein Abfindungsdefizit, das die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung hätte beeinträchtigen können, nach der Einschätzung des Flurbereinigungsgerichts nicht mehr zu besorgen (Urteilsabdruck S. 19). Daran hat sich, wie die Vorinstanz weiter festgestellt hat, durch die Ergänzungsanordnung vom 22.03.1984 nichts geändert (vgl. Urteilsabdruck S. 20, 21 f.). Soweit sich die Kläger in diesem Zusammenhang mit der Revision dagegen wenden, daß ihnen durch die Ergänzungsanordnung die hofnahe Fläche entzogen worden sei, richtet sich ihr Vorbringen gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Sachverhaltswürdigung, ohne daß dabei revisionsrechtlich beachtliche Rügen erhoben worden wären. Es ist deshalb auch im Revisionsverfahren davon auszugehen, daß die von den Klägern angegriffenen Besitzregelungen nicht mehr wegen der von ihnen geltend gemachten Abfindungsfehler beanstandet werden können.

Nichts anderes gilt, was die Anordnungsvoraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG angeht. Nach den tatsächlichen Erkenntnissen des Flurbereinigungsgerichts waren zwar am 05.08.1983, als die vorläufige Besitzeinweisung vom 27.07.1983 bekanntgemacht wurde, zumindest für einen Teil der neuen Grundstücke der Kläger die Grenzen noch nicht in die Örtlichkeit übertragen (Urteilsabdruck S. 8). Doch sind die örtlichen Absteckungen insoweit später, jedenfalls bis zum 14.02.1984, nachgeholt worden (vgl. Urteilsabdruck S. 11). Auch die Besitzänderungen, die im Anschluß daran im Widerspruchsbescheid vorgenommen wurden, waren in der Örtlichkeit wohl nicht überall ausgewiesen; denn nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil wurden die Besitzregelungen, die in diesem Bescheid getroffen wurden, nur teilweise vom Beklagten nachfolgend in der Örtlichkeit konkretisiert (Urteilsabdruck S. 19). Es ist jedoch nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht geltend gemacht worden, daß etwa nicht hinreichend konkretisierte Grundstücke in den neuen Besitzstand eingegangen sein könnten, wie er nach dem Ergehen der Ergänzungsanordnung vom 22.03.1984 für die Kläger insgesamt feststeht. Daß für die in dieser Anordnung bestimmten Flächenänderungen selbst die örtlichen Absteckungen vorgelegen haben, ist (auf S. 22 des Urteilsabdrucks) vom Flurbereinigungsgericht wiederum ausdrücklich festgestellt und von den Klägern nicht in Zweifel gezogen worden.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lagen, als die angegriffene vorläufige Besitzeinweisung ihren maßgeblichen Inhalt bekam, auch endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vor. Bezogen auf den Stand der ursprünglichen Besitzregelung vom 27.07.1983, war dieses Erfordernis des § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG zumindest bei Erlaß des Widerspruchsbescheids vom 02.03.1984 gegeben (s. Urteilsabdruck S. 13). Die tatsächlichen Feststellungen, die das Flurbereinigungsgericht insoweit getroffen hat, sind auf die Angaben über Größe, Nutzungsart und Wertzahlen der vorgesehenen Abfindungsgrundstücke gestützt, die das Gericht den von ihm zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Block- und Blockteilsverzeichnissen für die neuen Fluren 1, 3 und 50 entnommen hat (vgl. Urteilsabdruck S. 6, 11 und 13). Rechtlich ist dies nicht zu beanstanden (ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 12.05.1971 - F OVG A 38/70 <RzF - 13 - zu § 65 FlurbG>, und Schwantag in Seehusen/Schwede, Flurbereinigungsgesetz, 4. Aufl. 1985, § 65 RdNr. 7). Nichts anderes gilt für die Auffassung der Vorinstanz, das Merkmal "endgültig" verlange nicht, daß die Flächen- und Wertnachweise bereits unanfechtbar feststehen. Erforderlich ist allein, daß die insoweit vorhandenen Unterlagen als Bestandteil des den Beteiligten vorzulegenden Flurbereinigungsplanes verwertet werden können (zutreffend OVG Lüneburg, Beschluß vom 25.03.1960 - F 3/60 <OVGE 15, 430/431 = RdL 1960, 248>; OVG Koblenz, Beschluß vom 10.12.1969 - 3 D 9/69 <RzF - 10 - zu § 65 FlurbG>; Steuer, Flurbereinigungsgesetz, 2. Aufl. 1967, § 65 Anm. 1). Bei den vorerwähnten Verzeichnissen ist dies der Fall.

Auch für die Grundstücke, in deren Besitz die Kläger durch den Widerspruchsbescheid vom 02.03.1984 und die Ergänzungsanordnung vom 22.03.1984 eingewiesen wurden, sind Flächen und Wert endgültig nachgewiesen. Die Angaben dazu sind in dem Abfindungsheft enthalten, das der Beklagte der Ergänzungsanordnung als deren Bestandteil beigefügt hat. Sie können ohne weiteres in den Flurbereinigungsplan übernommen werden. Der Umstand, daß Fläche und Wert der in den Bescheiden vom 02. und 22.03.1984 neu zugewiesenen Grundstücke zum Teil - hinsichtlich des Widerspruchsbescheides vom 02.03.1984 gilt dies für das dort in Abschnitt II Nr. 1 des Verfügungsausspruchs aufgeführte Grundstück - auf der Grundlage graphischer Ermittlungen berechnet wurden, die, wie das Flurbereinigungsgericht unwidersprochen festgestellt hat, mit einer Fehlergröße von bis zu 2 % verbunden sind, berührt, anders als dies im angefochtenen Urteil dargelegt ist, nicht die "Endgültigkeit" der Flächen- und Wertnachweise, sondern die Genauigkeit der Flächenabmessung und damit letztlich den Wert der für die Flurbereinigungsteilnehmer vorgesehenen - nach Maßgabe der § 65 und § 66 FlurbG vorläufig vorweggenommenen - Abfindung. Unter diesem Blickwinkel wären Berechnungsfehler der hier in Rede stehenden Art nur zu berücksichtigen, wenn sie, wie schon ausgeführt, auf seiten des betroffenen Teilnehmers offensichtlich zu derart schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen würden, daß deren Beseitigung nicht bis zur Aufstellung des Flurbereinigungsplans zurückgestellt werden kann. Von solchen Beeinträchtigungen kann jedoch bei der genannten Fehlerquote von bis zu 2 % nicht ausgegangen werden. Meßungenauigkeiten dieser Größenordnung sind gegebenenfalls den Teilnehmern im Rahmen einer bloß vorläufigen Besitzeinweisung als vorübergehender Nachteil zuzumuten, darauf beruhende Nutzungsbeeinträchtigungen allerdings, wie - insoweit wieder zutreffend - auch das Flurbereinigungsgericht angenommen hat, nach § 51 Abs. 1 FlurbG auszugleichen (zu letzterem siehe auch BVerwGE 59, 79 <85>; 66, 47 <49 f.>). Ob den Klägern ein solcher Ausgleichsanspruch zusteht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Das Flurbereinigungsgericht hat deshalb mit Recht nicht geprüft, ob die Kläger infolge der vom Beklagten angewandten Methode der graphischen Ermittlung tatsächlich eine Nutzungseinbuße erlitten haben.

Zuzustimmen ist dem angefochtenen Urteil weiterhin darin, daß i. S. d. § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststand, als die streitgegenständliche vorläufige Besitzeinweisung erging. Dieses Verhältnis ergibt sich hier aus dem Landabzug nach § 47 FlurbG (vgl. Schwantag, a.a.O., § 65 RdNr. 8), der sich ausweislich der vom Flurbereinigungsgericht in Bezug genommenen Unterlagen, darunter z. B. die vergleichende Zusammenstellung Alt-/Neubesitz vom 02.11.1983, spätestens zu diesem Zeitpunkt auf 3,5 % der Einlage belief. Daß diese Angabe im Zuge der Änderungen, die die ursprüngliche vorläufige Besitzregelung vom 27.07.1983 im Widerspruchsbescheid und in der Ergänzungsanordnung vom 24.03.1984 erfahren hat, gegenstandslos geworden sein könnte, ist nicht erkennbar und von den Klägern auch nicht behauptet worden.

Mit dem Flurbereinigungsgericht ist schließlich davon auszugehen, daß den Klägern die neue Feldeinteilung entsprechend § 65 Abs. 1 Satz 2 FlurbG bekanntgegeben wurde. Hinsichtlich der Grundstücke, auf die sich die vorläufige Besitzeinweisung vom 27.07.1983 beziehen sollte, ist dies nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil (siehe dort S. 8 und 11) zwar nicht bei der Bekanntmachung dieses Verwaltungsaktes am 05.08.1983, indessen schon kurze Zeit später, am 24.08.1983, geschehen. Ob den Klägern im Zusammenhang mit dem Widerspruchsbescheid vom 02.03.1984 auch die genaue Lage aller von diesem Bescheid erfaßten neuen Grundstücke eröffnet wurde, läßt sich dem vorinstanzlichen Urteil nicht zweifelsfrei entnehmen. Die Bekanntgabe ist aber jedenfalls bei Erlaß der Ergänzungsanordnung vom 22.03.1984 und damit zu dem Zeitpunkt, als die die Kläger betreffende Besitzregelung auf den aktuellen, hier angegriffenen Stand gebracht wurde, nachgeholt worden. Denn dieser Ergänzungsanordnung war, worauf mit Recht schon das Flurbereinigungsgericht hingewiesen hat (Urteilsabdruck S. 23), als Bestandteil eine Karte beigegeben, in die neben dem gesamten Altbesitz der Kläger auch alle Abfindungsgrundstücke (einschließlich der den Klägern schon vor dem Ergehen der Ergänzungsanordnung zugewiesenen Flächen) eingetragen waren. Diese Form der Bekanntgabe reichte aus. Es ist nicht zwingend geboten, die neue Feldeinteilung in der Weise bekanntzugeben, daß die gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG in der Örtlichkeit abgesteckten neuen Grundstücke "vor Ort" mit den Ordnungsnummern der Teilnehmer versehen werden. Die Bekanntgabe kann vielmehr auch so vorgenommen werden, daß die neue Feldeinteilung in Karten festgehalten wird und diese Karten entweder öffentlich, d. h. für jedermann zugänglich, ausgelegt (vgl. Schwantag, a.a.O., § 65 RdNr. 9) oder den Beteiligten unmittelbar zugestellt werden. Soweit die neuen Grundstücke mit Einlagegrundstücken identisch sind, genügt ferner die bloße Mitteilung der alten katastermäßigen Grundstücksbezeichnungen. Daß auch auf den zuletzt genannten Wegen die Zuordnung der neuen Grundstücke zu ihren Empfängern erreicht werden kann und die Teilnehmer ausreichende Kenntnis von der sie betreffenden neuen Feldeinteilung erhalten können, zeigt der Fall der Kläger. Diese haben in jedem Stadium des Verfahrens die jeweilige Lage der für sie vorgesehenen (künftigen) Abfindung erkennen können.