Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 21.05.1974 - F OVG A 4/72
Aktenzeichen | F OVG A 4/72 | Entscheidung | Urteil | Datum | 21.05.1974 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Lüneburg | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ändern sich die Abfindungsverhältnisse noch vor der Ausführung des Flurbereinigungsplanes grundlegend, so entfällt die Bindung der Flurbereinigungsbehörde an eine Zusage. |
Aus den Gründen
Das Begehren des Klägers auf Ausweisung des Abfindungsflurstücks 9/1 in der Lage des Flurbereinigungsplanes ist unbegründet. Der Kläger beruft sich insoweit auf die anläßlich der Verhandlung über seine Beschwerde gegen den Plannachtrag I am 14.1.1969 aufgenommene Niederschrift, in der es wie folgt heißt:
"Unabhängig von meiner Beschwerde beantrage ich, mir das Abfindungsflurstück 8/2 Flur 85 in Größe von 0.1270 ha durch Nachtrag II wieder zuzuteilen, und zwar im Wertausgleich entlang der Ostgrenze meines Abfindungsflurstücks 9 Flur 85.
Ferner beantrage ich, mir im Herbst 1969 den Besitz, die Verwaltung und die Nutzung des Abfindungsflurstücks 15 Flur 83 im Austausch gegen Flurstück 2 Flur 83 und des Flurstücks 8/2 Flur 85 zu geben.
Der Verhandlungsleiter sagte dem Erschienenen die Erledigung dieser Anträge zu".
In dieser Formulierung ist nach der Auffassung des Senats eine Zusage zu erblicken, durch die sich die Flurbereinigungsbehörde hinsichtlich ihrer Ermessensfreiheit in der Abfindungsgestaltung grundsätzlich gebunden hatte. Das kann jedoch nicht mehr gelten, nachdem sich noch vor der Ausführung des Flurbereinigungsplanes die Abfindungsverhältnisse grundlegend geändert haben. Entscheidende Bedeutung kommt nämlich in diesem Zusammenhang den Planungen der Gemeinde zu, die in den Jahren 1969 und 1970 für Teilflächen der Flur 85 südlich des St.-Weges Bebauungspläne ausgewiesen hat. Im Verlauf der darauf einsetzenden Bebauung ist das Wegeflurstück 37 als Erschließungsstraße mit allen Ver- und Entsorgungsleitungen ausgebaut worden. Diese Planung führt auch für die nördlich an das Wegeflurstück 37 angrenzenden Flächen zu einer anderen wertmäßigen Beurteilung, nämlich dazu, daß sie als Bauerwartungsland anzusehen sind. Denn die Frage, ob ein Grundstück als Bauerwartungsland einen über den landwirtschaftlichen Nutzungswert hinausgehenden Verkehrswert hat, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Einen erhöhten Verkehrswert haben regelmäßig solche Grundstücke, die nach ihrer Lage aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit bebaut werden. Die Tatsache, daß Grundstücke - wie hier - außerhalb der Bebauungsgrenze oder außerhalb eines durch einen Bauleitplan ausgewiesenen Gebietes liegen, besagt noch nicht, daß sie in absehbarer Zeit nicht Bauland werden können und daher nicht schon jetzt einen entsprechenden Verkehrswert haben, wenn andere Umstände die Annahme eines erhöhten Verkehrswertes notwendig erscheinen lassen. Die im Flächennutzungsplan zum Ausdruck kommenden Planungsabsichten der Gemeinde sind zwar ein wesentliches Indiz, für sich allein aber noch nicht entscheidend. Auch Grundstücke außerhalb einer Baugebietsgrenze können in absehbarer Zeit Bauland werden und schon zu einem früheren Zeitpunkt einen entsprechenden Verkehrswert haben (vgl. BVerwG, Urt. vom 9.6.1959, RdL 1959, 308). Dafür ist insbesondere die Lage der Grundstücke von Bedeutung. Es müssen in diesen Fällen aber konkrete Umstände für eine Bebauung in absehbarer Zeit sprechen. Diese künftige Zweckbestimmung muß, wenn nicht durch die Planung, dann aus äußeren Umständen erkennbar sein. Solche Umstände sind in Bezug auf die nördlich an das Wegeflurstück 37 angrenzenden Flurstücke gegeben. Bei ihnen handelt es sich nach den vom Senat bei der Ortsbesichtigung getroffenen Feststellungen in der üblichen Baugrundstückstiefe um Bauerwartungsland. Die südliche Straßenfront des St.-Weges ist bereits - wenn teilweise auch noch lückenhaft - mit Einfamilienhäusern bebaut. Der Straßenkörper selbst ist mit allen Ver- und Entsorgungsleitungen ausgebaut worden. Es erscheint dem Senat bei dem bekannt hohen Erschließungsaufwand schon aus diesem Grunde unwahrscheinlich, daß die nördliche Seite der Straße auf unabsehbare Zeit unbebaut bleibt. Wenn der zur Zeit noch gültige Flächennutzungsplan für die Gemeinde D. die nördlich der Straße liegenden Flurstücke des Klägers und der Beigeladenen zur Zeit noch für die landwirtschaftliche Nutzung ausweist, so wird sich die künftige bauliche Entwicklung der Gemeinde doch mit hoher Wahrscheinlichkeit in nördlicher Richtung vollziehen. Diese in der Örtlichkeit gewonnene Überzeugung des Senats wird unterstützt durch die Erklärungen des in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehörten Stadtdirektors R., der die bauliche Entwicklung in D. in der Ausweisung von Wohnbaugebieten in nördlicher Richtung im Anschluß an die bereits durch Bebauungspläne ausgewiesenen Bebauungsgebiet sieht. Ist damit davon auszugehen, daß es sich bei den nördlich an das Wegeflurstück 37 angrenzenden Flurstücken bereits vor Planausführung um Bauerwartungsland handelte, so hatte der Beklagte den Anspruch der insoweit betroffenen Teilnehmer auf Zuteilung mit Bauerwartungsland zu befriedigen. Denn wenn im Flurbereinigungsgesetz für Bauland oder Bauerwartungsland auch kein Bewertungsmaßstab festgelegt ist, so kann doch daraus nicht gefolgert werden, daß eine besondere Bewertung von Land mit derartiger Qualität ausgeschlossen sei. Vielmehr sind nach § 44 Abs. 2 FlurbG alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Ertrag, die Benutzung und Verwertung der Grundstücke wesentlichen Einfluß haben. Hierzu zählt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch die "Baulandqualität" eines Grundstücks (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 30.4.1969 in RdL 1970, 20). Der Beklagte hatte darauf zu achten, daß die Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung - und zwar auch im Hinblick auf etwaige "Baulandansprüche" - in dem Zeitpunkt gegeben war, in dem die rechtlichen Wirkungen der Flurbereinigung eintraten. Das ist der in der Ausführungsanordnung (§ 62, § 63 FlurbG) festgesetzte Tag. Dies war für das hier interessierende Verfahren von D.-West der in der vorzeitigen Ausführungsanordnung genannte 1.9.1971 (vgl. zur Frage des Zeitpunktes für die Wertgleichheit von Einlage und Abfindung das Urteil des BVerwG v. 30.4.1969 in RdL 1970, 20).
Es begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Beklagte durch den Plannachtrag II von D.-West den Plannachtrag I von D.-West änderte und den Beigeladenen und dem Kläger entsprechend ihren Ansprüchen Bauerwartungsland zuteilte. Die gesetzliche Befugnis zur Änderung des Flurbereinigungsplanes ergibt sich hierbei für die Flurbereinigungsbehörde aus § 60 FlurbG, wonach sie Änderungen vornehmen kann, die sie für erforderlich hält. Nach dieser (Ermessens-) Vorschrift war der Beklagte nach Auffassung des Gerichts sogar verpflichtet, die von der Wertsteigerung der Grundstücke betroffenen Teilnehmer wieder in alter Lage auszuweisen, da anders ihre Bauerwartungslandansprüche nicht hätten erfüllt werden können. Bei dieser Sachlage stand die in der Beschwerdeverhandlung vom 14.1.1969 gegebene Zusage des Beklagten nicht mehr mit dem Flurbereinigungszweck in Einklang; sie beeinträchtigte die Rechte und Belange der Beigeladenen. Sie ist daher rechtswidrig und unverbindlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1970 in RdL 1971, 46).