Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.04.1969 - IV C 236.65 = Buchholz BVerwG 424.01 § 134 FlurbG Nr. 4= RdL 1970 S. 20= AgrarR 1972 S. 148
Aktenzeichen | IV C 236.65 | Entscheidung | Urteil | Datum | 30.04.1969 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = Buchholz BVerwG 424.01 § 134 FlurbG Nr. 4 = RdL 1970 S. 20 = AgrarR 1972 S. 148 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Frage, wonach die Wertgleichheit von Abfindung und Einlage zeitlich zu bemessen ist, auch wenn der Ausführungsanordnung eine Besitzeinweisung vorangegangen ist. |
2. | Zur Frage, wann eine während des Verfahrens eintretende Wertsteigerung dem Alteigentümer zugute kommen kann. |
3. | Zur Berücksichtigung der "Baulandqualität" eines Einlagegrundstücks. |
4. | Zur Frage der nachträglichen Zulassung verspäteter Abfindungsbeschwerden. |
5. | Die vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG ist eine Verfahrenshilfe für Notfälle und soll nur ausnahmsweise angewandt werden. |
Aus den Gründen
Es kann dahinstehen, ob der Kläger durch die Formulierung seines Antrags in der Revisionsinstanz etwa gegenüber seinem Antrage in dem Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht etwas anderes zum Ausdruck gebracht hat, und zwar, daß er jetzt nicht mehr von der Beklagten "Vergütung", sondern von dem Beigeladenen "Erstattung" des Mehrwertes verlangt. Dies wäre im erneuten Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht noch zu klären. Das Ziel seiner Klage ist im Grunde dasselbe geblieben: Der Kläger will für die Wertsteigerung der von ihm eingelegten beiden Flurstücke einen wertgleichen Einsatz haben, und es ist ihm im Grunde gleichgültig, von wem und wie er diesen erhält.
Mit Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage für zulässig gehalten, denn die Klage richtet sich gegen den Beschwerdebescheid des Spruchausschusses vom 15. März 1963, mit dem das Begehren des Klägers auf "Vergütung des Mehrwertes" und entsprechende Änderung des Neuverteilungsplanes abgelehnt worden war.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Falle in eigener Zuständigkeit gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit den § 144, § 146 Nr. 2, § 32 und § 59 Abs. 2 FlurbG dem Kläger hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist Nachsicht gewährt. Es ist nicht ersichtlich und auch von keiner Seite etwas behauptet, daß diese dem Flurbereinigungsgericht zustehende Ermessensentscheidung mit irgendwelchen Fehlern behaftet wäre, insbesondere, daß der Verwaltungsgerichtshof die Grenzen seines Ermessens nicht richtig erkannt oder daß er sein Ermessen nicht dem Zweck der Vorschrift entsprechend angewandt hätte. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Flurbereinigungsgericht eine unbillige Härte in diesem Fall angenommen hat, in dem es dem Kläger um die grundsätzliche Frage geht, ob er trotz der Besitzeinweisung für die von ihm eingelegten, als Ackerland bewerteten, nachträglich aber zum "Bauland" erklärten und als solches verkauften Flurstücke einen Ausgleichsanspruch hat.
Schließlich steht diese Ermessensentscheidung des Flurbereinigungsgerichts auch nicht im Widerspruch zu dem Urteil des erkennenden Senats vom 7. Mai 1965 - BVerwG IV C 78.65 - (BVerwGE 21, 93 ff.). Dort ist zwar ausgesprochen, daß sich ungeschriebene zeitliche Grenzen auch für die im Ermessen liegende Nachsichtgewährung gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG aus dem Gebot der beschleunigten Durchführung des Verfahrens ergäben und daß daher für eine Beschwerde, die erst zwei Jahre nach Bekanntgabe des für die Betreffenden unanfechtbaren Flurbereinigungsplanes eingelegt wird, Nachsicht nicht gewährt werden könne. Hier liegt der Fall aber in tatsächlicher Hinsicht anders, insbesondere deswegen, weil dem Kläger zu der Zeit, als die Beschwerdefrist lief, der jetzt geltend gemachte Grund noch nicht zur Seite stand, und weil seit Kenntnis dieses Grundes nur einige Monate verstrichen sind.
In der materiellen Frage, ob der Kläger seine wertgleiche Abfindung mit der vorläufigen Besitzeinweisung erhalten hat, vermag der erkennende Senat der Vorinstanz indessen nicht zu folgen. Diese Frage kann hier auch nicht dahingestellt bleiben, weil der erkennende Senat an der mit BVerwGE 2, 154 eingeleiteten und trotz der im Schrifttum hervorgetretenen Kritik wiederholt bestätigten (BVerwGE 4, 191; 8, 343 sowie u.a. Beschlüsse vom 21. Dezember 1965 - BVerwG IV B 186.65 und vom 15. April 1966 - BVerwG IV B 193.65 -) Rechtsprechung zur Bewertung von Bauland nach nochmaliger Überprüfung festhält. Es ist zwar richtig, daß im Flurbereinigungsgesetz der Bewertungsmaßstab nur für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (§ 28 FlurbG) und für bauliche Anlagen (§ 29 FlurbG) festgelegt ist, wohingegen ein Bewertungsmaßstab für Bauland fehlt. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß die Bewertung von Bauland überhaupt ausgeschlossen sei. Vielmehr sind nach § 44 Abs. 2 FlurbG alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Ertrag, die Benutzung und Verwertung der Grundstücke wesentlichen Einfluß haben. Hierzu muß man zwangsläufig auch die "Baulandqualität" eines Grundstückes rechnen, wenn anders man nicht zu einer Auslegung dieser Vorschrift kommen will, die wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG nichtig wäre. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die Baulandbewertung der Praxis immer wieder Schwierigkeiten bereitet hat. Diese dürfen indessen nicht überbewertet werden (vgl. Leikam in RdL 1958, 225); insbesondere besteht keine Veranlassung, vor diesen Schwierigkeiten zu kapitulieren, zumal die Flurbereinigungsbehörden die Möglichkeit zur Vermeidung solcher Schwierigkeiten durch die im Gesetz vorgesehene vorzeitige Ausführungsanordnung zur Verfügung haben. Diese ist bereits zulässig, wenn der Plan bekanntgemacht und verbliebene Beschwerden an die Flurbereinigungsbehörden weitergegeben worden sind, und kann daher bereits zu einem Zeitpunkt erfolgen, der der Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans verhältnismäßig nahe steht.
Da die fraglichen Flurstücke unstreitig als Ackerland bewertet, aber vor der Ausführungsanordnung im Jahre 1964 durch den Gemeinderatsbeschluß von 1962 als Baugebiet ausgewiesen sind, ist entscheidungserheblich, ob für die wertgleiche Abfindung des Klägers der Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung oder der der Ausführungsanordnung maßgebend ist.
In Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Frage ist der erkennende Senat zu der Überzeugung gelangt, daß auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in Bayern maßgebend der Zeitpunkt ist, in dem die rechtliche Wirkung der Flurbereinigung, d.h. der Rechtswechsel, eingetreten ist. Dieser tritt nicht ein durch die vorläufige Besitzeinweisung, sondern durch die Ausführungsanordnung. Denn in dieser Anordnung wird der Zeitpunkt des Eintritts des neuen Rechtszustandes festgelegt; dies gilt auch für die vorzeitige Ausführungsanordnung (§ 61 - § 64 FlurbG). In diesem Zeitpunkt muß daher die Gleichwertigkeit von Einlage und Zuteilung bestehen, wie das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 9. Juni 1959 - BVerwG I CB 27.58 - (BVerwGE 8, 343) und vom 3. Juni 1966 - BVerwG IV C 7.66 - (RdL 1966, 268) entschieden hat. In den beiden dort entschiedenen Fällen war allerdings eine vorläufige Besitzeinweisung nicht vorangegangen, und in BVerwGE 8, 343, hat der damals zuständige I. Senat des Bundesverwaltungsgerichts lediglich beiläufig ausgeführt, "in welchen Fällen dieser Grundsatz Ausnahmen zuläßt", könne hier dahinstehen. Jedenfalls aber hat der I. Senat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom 24. Juni 1959 - BVerwG I B 23.59 - (vgl. Sammlung "Flurbereinigungsrechtliche Entscheidungen" herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, § 144 FlurbG Seite 7 - 8) bereits dahin entschieden, daß die vorläufige Besitzeinweisung die in § 68 RUO bestimmten Rechtsfolgen des Rechtswechsels nicht auslöse. Daran hält der erkennende Senat aus folgenden Erwägungen fest: Bis zum Eintritt des Rechtswechsels kann der Alteigentümer über sein Einlageflurstück frei verfügen, so daß ihm gerechterweise auch Wertsteigerungen zugute kommen müssen, wie andererseits etwaige Wertminderungen ihn gleichermaßen treffen. - Wie bereits oben angedeutet, ist sich der erkennende Senat der Schwierigkeiten bewußt, die mit dem Hinausschieben des Bewertungszeitpunktes auf den Eintritt des neuen Rechtszustandes verbunden sein können. Solche praktischen Schwierigkeiten dürfen indessen nicht hindern, eine Lösung zu finden, die mit Art. 14 GG in Einklang steht. Gerade der vorliegende Fall zeigt eindringlich, zu welchen Ungereimtheiten es kommen kann, wenn der Beigeladene bei dem Verkauf der noch im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke außerordentliche Gewinne erzielte. Erst mit dem vollzogenen Eigentumsübergang liegen klare und eindeutig geänderte Rechtsverhältnisse vor, die vom einzelnen und von der Allgemeinheit anzuerkennen sind. Daher ist die vom Flurbereinigungsgericht vertretene Auffassung abzulehnen, nach der für die Beurteilung der Wertgleichheit zumindest bei der bayerischen Flurbereinigungspraxis auf den Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung abzustellen ist, wenn diese der Ausführungsanordnung vorangeht. Denn Voraussetzung für die vorläufige Besitzeinweisung ist lediglich, daß auf Grund der Arbeiten für die Aufstellung des Flurbereinigungsplans die Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke hergestellt sind und daß das Verhältnis der Abfindung zur Einlage feststeht. Nicht erforderlich ist dagegen, daß der Flurbereinigungsplan bereits bekanntgemacht oder die Neuverteilung gar unanfechtbar geworden ist. Wenn der Verwaltungsgerichtshof meint, daß damit ein bedeutender Teil der Ausführungsanordnung bereits vorweggenommen worden sei, so ist dies nur bedingt richtig, weil die gerade unter dem Aspekt des Art. 14 GG entscheidende Rechtsfolge, nämlich der Eigentumswechsel, auch nicht vorweggenommen werden kann. Damit hängt die Regelung des § 34 FlurbG zusammen, wonach der Empfänger "... bis zur Ausführungsanordnung ..." an die dort aufgezählten Nutzungsbeschränkungen gebunden ist; auch sie ist ein Beleg dafür, daß das Flurbereinigungsverfahren gerade auf die Ausführungsanordnung abstellt und nicht auf einen anderen Verfahrensabschnitt. Zum anderen geht aus dieser Vorschrift hervor, daß der Empfänger grundsätzlich Bauwerke usw. "nur mit Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde" errichten usw. darf und daß die Behörde, wenn sie einer solchen Maßnahme nicht zugestimmt hat, den früheren Zustand wiederherstellen lassen kann. Der vorläufige Charakter der Maßnahme nach § 65 FlurbG ist auch daraus ersichtlich, daß der Alteigentümer nicht gehindert ist, bis zum Eigentumswechsel über sein Grundstück frei zu verfügen. Entscheidend ist für den erkennenden Senat weiter die Überlegung, daß die vorläufige Besitzeinweisung Änderungen des Flurbereinigungsplans rechtlich jedenfalls nicht ausschließt, während dies nach der Ausführungsanordnung nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässig ist.
Wenn der Gesetzgeber die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Meinung über die Wirkung der vorläufigen Besitzeinweisung für richtig gehalten oder gar gewollt hätte, so hätte kaum etwas nähergelegen, als dies im Gesetz zum Ausdruck zu bringen, wie es etwa in dem nur wenige Wochen später verkündeten Baulandbeschaffungsgesetz vom 3. August 1953 (BGBl. I S. 720) in § 9 Abs. 3 Satz 2 geschehen ist sowie in § 17 Abs. 3 des Landbeschaffungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 134) und in § 93 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960, Vorschriften übrigens, bei denen erkennbar andere Voraussetzungen vorliegen als im Falle des § 65 FlurbG.
An diesem Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß das Institut der vorläufigen Besitzeinweisung einen Vorläufer in Artikel 58 des Bayerischen Flurbereinigungsgesetzes von 1932 hatte und daß sie sich fraglos der vorzeitigen Ausführungsanordnung in ihren Voraussetzungen und Wirkungen "nähert"; denn es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen für Bayern etwas anderes gelten sollte als für die übrigen Länder der Bundesrepublik.
Die Praxis, die sich in Bayern entwickelt hat, den Flurbereinigungsplan in zwei Teile zu teilen und nach Aufstellung des Neuverteilungsplanes zunächst eine vorläufige Besitzeinweisung zu verfügen, anstatt den Flurbereinigungsplan im ganzen bekanntzugeben, um danach sogleich eine - vorzeitige - Ausführungsanordnung zu erlassen, steht mit dem System des Flurbereinigungsgesetzes insofern im Widerspruch, als die vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG nach ihrem Typus nur gleichsam eine Verfahrenshilfe für Notfälle darstellt, also nur ausnahmsweise angewandt werden soll. Dies kann nach dem Aufbau des 4. Abschnitts des 3. Teils des Flurbereinigungsgesetzes - Ausführung des Flurbereinigungsplanes - nicht zweifelhaft sein, wonach der Flurbereinigungsplan grundsätzlich besitz- und eigentumsrechtlich zugleich ausgeführt werden soll, was aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit geboten ist. Dagegen soll die im 5. Abschnitt - Vorläufige Besitzeinweisung - geregelte Maßnahme nach § 65 FlurbG nur ausnahmsweise getroffen werden, etwa, um einen Besitzübergang im Herbst zu ermöglichen, auch wenn der Plan erst im Winter fertiggestellt werden kann. Auch wenn die bayerische Praxis nicht schlechthin unvereinbar mit dem Flurbereinigungsgesetz sein mag, so ist sie jedenfalls unzweckmäßig gerade in Gegenden mit einer starken Baulandentwicklung und reger Bautätigkeit.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, weil diese - von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen hat, ob und seit wann der Baulandcharakter der fraglichen Flurstücke in ihrem Verkehrswert zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwGE 8, 343 (344)). Es wird darauf ankommen, ob sich der Verkehrswert der Einlageflurstücke des Klägers im Zeitraum zwischen der Wertermittlung und der Ausführungsanordnung erhöht hat - unabhängig davon, worin diese Werterhöhung ihren Grund hat. Davon wird es abhängen, ob der Kläger überhaupt einen Anspruch hat, der höher ist als seine bisherige Abfindung, d.h., ob er bisher noch nicht wertgleich abgefunden ist. Dabei ist auszugehen von dem Verkehrswert der Einlageflurstücke und nicht etwa, wie der Kläger anzunehmen scheint, von den erzielten Verkaufserlösen, denn diese können aus Gründen, die in der Person des Beigeladenen oder der Käufer liegen, durchaus nach oben oder nach unten vom Verkehrswert abweichen.Anmerkung
So auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.4.1969 - BVerwG IV C 29.66 -; vgl. Kaiser, Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wertgleichheit einer Abfindung im Flurbereinigungsverfahren unter Berücksichtigung der vorläufigen Besitzeinweisung = RdL 1967 S. 1 ff. und 33 ff.