Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.09.1958 - I C 6/57 = Buchholz BVerwG 424.00 § 48 RUO Nr. 11, Buchholz BVerwG 424.01 § 144 FlurbG Nr. 3= RdL 1959 S. 51
Aktenzeichen | I C 6/57 | Entscheidung | Urteil | Datum | 30.09.1958 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = Buchholz BVerwG 424.00 § 48 RUO Nr. 11, Buchholz BVerwG 424.01 § 144 FlurbG Nr. 3 = RdL 1959 S. 51 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zum Grundsatz der Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung. |
2. | Die Entfernung als wertbestimmender Umstand. |
3. | Planänderungsbefugnis des Flurbereinigungsgerichts. |
Aus den Gründen
Nach § 144 FlurbG kann das Flurbereinigungsgericht den Flurbereinigungsplan ändern. Die in der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs vorgesehene Befugnis, den Plan ganz oder teilweise aufzuheben, ist dem Flurbereinigungsgericht nach der geltenden Fassung des § 144 FlurbG nicht eingeräumt. Änderung des Flurbereinigungsplanes in diesem Sinne bedeutet: Aufhebung eines Teils der im Flurbereinigungsplan enthaltenen Entscheidung und Ersetzung durch eine andere Entscheidung, also eine abschließende Regelung des Streitpunktes.
Das Flurbereinigungsgericht kann aber auch von einer selbständigen Änderung absehen und nur den Beschwerdebescheid ganz oder teilweise aufheben. In diesem Fall muß es die Streitsache an die Obere Flurbereinigungsbehörde zurückverweisen, die den Plan nach Maßgabe der gerichtlichen Beurteilung zu ändern hat.
Das Flurbereinigungsgesetz hat mit dieser Regelung den Flurbereinigungsgerichten eine gegenüber den sonstigen Verwaltungsgerichten erweiterte Entscheidungsbefugnis eingeräumt, durch die den Besonderheiten der Flurbereinigungsverfahren Rechnung getragen werden soll (vgl. BVerwGE 2, 195; 4, 191, (194). Die beiden Alternativen, die das Gesetz der richterlichen Entscheidungsbefugnis einräumt, schließen sich aber gegenseitig aus. Das Gericht kann nicht eine einzelne Maßnahme aufheben und gleichzeitig zur Änderung des Flurbereinigungsplanes zurückverweisen; das würde dem Sinn dieser Regelung widersprechen. Wann und unter welchen Voraussetzungen das Flurbereinigungsgericht von der ersten oder der zweiten Möglichkeit Gebrauch machen kann, bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob durch die Zurückverweisung an die obere Flurbereinigungsbehörde über den Rechtsstreit abschließend entschieden wird mit der Folge, daß der mit der Entscheidung der oberen Flurbereinigungsbehörde nicht einverstandene Kläger erneut Klage erheben muß (so offenbar Steuer, Flurbereinigungsgesetz Anm. 6 zu § 144) oder ob in diesem Fall das alte Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht fortgesetzt wird. In der angefochtenen Entscheidung hat der VGH, den Nachtrag I zum Umlegungsplan und den Beschwerdebescheid hinsichtlich der Zuteilung des Flurstücks 3126 aufgehoben. Anstatt diesen aufgehobenen Teil des Flurbereinigungsplanes durch eine andere konstitutive Entscheidung zu ersetzen, hat das Gericht die Streitsache an die obere Flurbereinigungsbehörde zurückverwiesen mit der Maßgabe, den Anfechtungsklägern im Austausch gegen das Flurstück 3126 ein anderes Flurstück zuzuteilen. Das Flurbereinigungsgericht hat somit seine Entscheidungsbefugnis überschritten und die obere Flurbereinigungsbehörde bei der von ihr vorzunehmenden Änderung des Umlegungsplanes in unzulässiger Weise eingeengt. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, und der Rechtsstreit war an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen.
Ob die Abfindung der Einlage gleichwertig ist, ist Tat- und Rechtsfrage, die in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die Auffassung des Beklagten, daß die Umlegungsbehörde bei der Prüfung der Gleichwertigkeit einen Ermessensspielraum besitze, entspricht nicht dem Gesetz. Das gleiche gilt, soweit er die Ansicht vertritt, die Bewertung der bei der Abfindung zu berücksichtigenden wertbestimmenden Umstände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RUO liege im Ermessen der Behörde.
Bei der Prüfung der Frage, ob die Abfindung der Einlage entspricht, muß der gesamte Altbesitz dem gesamten Neubesitz gegenübergestellt werden (BVerwGE 3, 246, (248), m. a. W.: Der Tauschwert der Gesamteinlage muß zum Wert der Gesamtzuteilung in Beziehung gesetzt werden. Die Grundlage für die Ermittlung dieses Gesamttauschwertes bildet die nach §§ 32 ff. RUO durchzuführende Schätzung der einzelnen Grundstücke, die für alle Beteiligten nach dem gleichen Maßstab zu erfolgen hat. Darüber hinaus sind nach § 48 Abs. 1 RUO alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Ertrag, die Benutzung und Verwertung der Grundstücke wesentlichen Einfluß haben. Wenn der Beklagte daraus, daß das Gesetz die "Berücksichtigung" solcher Umstände fordert, glaubt schließen zu können, sie seien "nicht genau einzuhalten", also nicht in jedem Fall mit den ihnen eigenen wertgemäßen Größen in Anrechnung zu bringen, so kann dem schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht gefolgt werden. "Berücksichtigen" bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die genannten Faktoren als wertbestimmende Momente bei der Ermittlung des Gesamttauschwertes wertgerecht in Ansatz gebracht werden müssen. Bleiben wertbestimmende Umstände bei der Feststellung des Gesamttauschwertes außer Betracht oder werden sie nicht mit dem den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Wert bei der Abfindung eingesetzt, so kann darin eine im Rahmen der Umlegung unzulässige Enteignung liegen.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat, kann der an einer Umlegung Beteiligte grundsätzlich nicht Grundstücke in einer bestimmten Lage verlangen. Das würde die mit der Umlegung verfolgte Zusammenlegung von Grundstücken unter Umständen erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen. Es müssen aber die einem Beteiligten durch die Plangestaltung entstehenden Nachteile, soweit sie sich auf die Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung auswirken, durch entsprechende Vorteile ausgeglichen werden. Der Auffassung des Beklagten, ungünstige Verschiebungen der in § 48 Abs. 1 RUO genannten wertbestimmenden Umstände brauchten nicht durch Vorteile anderer Art - außer dem Vorteil der Zusammenlegung und dem in § 48 Abs. 3 RUO vorgeschriebenen Ausgleich - ausgeglichen zu werden, kann nicht gefolgt werden. Der allgemeine Vorteil der Zusammenlegung, der auch anderen Teilnehmern als selbstverständlicher Vorteil der Umlegung zugute gekommen ist, kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen, aber niemals schlechthin und in jedem Fall als ein ausreichender Ausgleich für konkrete Nachteile bei der Zuteilung angesehen werden. Wann und unter welchen Voraussetzungen der Vorteil der Zusammenlegung selbst einen die Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung herstellenden Wertfaktor bilden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung; denn der Grad der Zusammenlegung (76:9) ist für sich allein betrachtet jedenfalls nicht ausreichend, um etwaige den Gesamttauschwert mindernde Umstände auszugleichen. Auch aus § 48 Abs. 3 RUO kann die Auffassung des Beklagten nicht gerechtfertigt werden. § 48 Abs. 3 Satz 1 RUO ist eine Richtlinie für das behördliche Ermessen bei der Gestaltung der Abfindungsflächen (vgl. Beschl. vom 19.8.1958 - BVerwG I B 3.58 - abgedr. RdL 1959 S. 26). § 48 Abs. 3 Satz 2 RUO bestimmt lediglich, daß der Beteiligte gewisse Abweichungen im Rahmen der Zuteilung annehmen muß. Darin eine Einschränkung des in § 48 Abs. 1 RUO aufgestellten Grundsatzes der wertgleichen Abfindung sehen zu wollen, ist nicht gerechtfertigt.
Das Flurb.Gericht wird insoweit ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
Das Flurb.Gericht wird weiter prüfen müssen, ob die durchschnittliche Entfernungsvergrößerung um 105 m die Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung beeinträchtigt.
Die Auffassung, daß eine Erhöhung der durchschnittlichen Entfernung um 105 m bei einer Gesamtfläche von über 20 ha und bei Zusammenlegung von 76 Flurstücken vor der Umlegung auf 9 Flurstücke nach der Umlegung schlechthin im Rahmen des zulässigen Entfernungsspielraumes liege, vermag der Senat nicht zu teilen. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Einlage und Abfindung umfaßt auch die durchschnittliche Entfernung vom Wirtschaftshof oder von der Ortslage. Ob ein Entfernungsverlust die Gleichwertigkeit der Abfindung beeinträchtigt, läßt sich jedoch nicht schlechthin in Metern ausdrücken; denn die Entfernung bringt die durch die Zurücklegung der Wege entstehende Arbeit nicht erschöpfend zum Ausdruck. Maßgeblich ist der Einfluß der Entfernung auf die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse des Beteiligten. Dabei sind alle in Betracht kommenden sachlichen Umstände zu berücksichtigen. Daß die Bewirtschaftung der Grundstücke mit steigender Entfernung schwieriger und kostspieliger werden kann, ist eine feststehende Tatsache. Es können deshalb bei weiterer Entfernung von der Hoflage auch kleine Verschlechterungen der durchschnittlichen Entfernung ins Gewicht fallen. Ob durch die vergrößerte Entfernung eine Mehrbelastung eintritt, kann je nach der Größe des Betriebes verschieden sein. Es kann auch beachtlich sein, ob den erhöhten Betriebskosten Einsparungen durch eine günstige Gestaltung der inneren Verkehrslage gegenüberstehen. Insoweit darf im vorliegenden Verfahren nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Zuteilungen in allen vier Himmelsrichtungen - vom Hof aus gesehen - liegen und den Klägern kein Grundstück in ortsnaher Lage zugeteilt worden ist. Bei der Frage, ob die Verschlechterung der Entfernung die Gleichwertigkeit der Abfindung beeinträchtigt, muß auch die Betriebsstruktur beachtet werden. Die Erhöhung der Entfernung kann sich bei einem nur Ackerbau betreibenden Anwesen anders auswirken als bei einem Viehzuchtbetrieb, der nur auf Weidewirtschaft angewiesen ist, und wiederum anders als bei einem Gemüse bauenden Hof. Es kommt also nicht allein auf den Unterschied in Metern an; es muß vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles und die Gestaltung der Gesamtabfindung abgestellt werden. Besondere Verhältnisse und Interessen, die in der Person des Beteiligten gegeben sind, haben dabei regelmäßig außer Betracht zu bleiben. Es bedarf also der Prüfung, ob und wie sich die größere Entfernung auf die Verhältnisse des Betriebes unter Berücksichtigung der Betriebsstruktur bei gemeinüblicher ordnungsmäßiger Bewirtschaftung auswirkt.