Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 15.08.1962 - F III 98/60 = RdL 1963 S. 331
Aktenzeichen | F III 98/60 | Entscheidung | Urteil | Datum | 15.08.1962 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = RdL 1963 S. 331 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Für nicht mehr benötigte Wegflächen ist grundsätzlich eine Landabfindung zu gewähren. |
Aus den Gründen
Wegegrundstücke sind kraft ihrer Widmung der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Für die Dauer ihrer Widmung dienen sie dem Gemeingebrauch. Mit dem Erlöschen der Widmung steht aber der landwirtschaftlichen Nutzung der Wegeflächen - möglicherweise nach der erforderlichen Kultivierung - nichts mehr entgegen. Das gilt besonders für Feldwege, die bei großzügiger Zusammenlegung überflüssig werden und sehr oft innerhalb der Abfindungsgrundstücke zu liegen kommen. In diesen Fällen werden die nicht mehr als Wege benutzten Flächen den betreffenden Beteiligten als landwirtschaftlich zu nutzende Fläche zugeteilt, und zwar im allgemeinen zu einem Wert, der geringer ist als der Wert des an die früheren Wegeflächen anschließenden Landes.
In dieser Bewertung, die vielfach erst bei Aufstellung des Flurbereinigungsplanes vorgenommen wird, liegt ein Schätzungsvorgang, der dem Verfahren nach §§ 27 ff. entspricht. Es wird also damit die für den Landaustausch nach § 44 Abs. 1 FlurbG erforderliche Schätzung nachgeholt. Wenn im vorliegenden Fall die Wegeflächen als Klasse V bonitiert wurden, so ist dagegen nichts einzuwenden, denn das benachbarte und angrenzende Kulturland ist in die Klassen II - IV eingestuft. Bis die Wegeflächen diesen Kulturzustand erreichen, bedarf es noch einer mehrjährigen Bewirtschaftung.
Der für die streitigen Wegeflächen festgestellte Schätzungswert, der 3,18 WE beträgt, ist dem Abgeber, also der Klägerin, gutzubringen. Die Ansicht des Beklagten, daß das deshalb nicht der Fall sein könne, weil die Klägerin als politische Gemeinde nur als Nebenbeteiligte an dem Zusammenlegungsverfahren teilnehmen, ist nicht zutreffend. Einen Anspruch auf wertgleiche Abfindung nach § 44 Abs. 1 FlurbG haben freilich nach dieser Vorschrift, im Gegensatz zu den Nebenbeteiligten, nur "Teilnehmer" am Verfahren, das sind nach § 10 Abs. 1 FlurbG Eigentümer von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet. Dazu gehören aber auch - da es hier nicht "landwirtschaftlich genutzte Grundstücke" heißt - die Eigentümer von Wegegrundstücken sowie von anderen gemeinschaftlichen oder öffentlichen Anlagen mit Grundstückscharakter. Damit wird die Vorschrift des § 10 Nr. 2 a FlurbG entgegen der Meinung des Beklagten nicht illusorisch, denn eine Gemeinde kann auch lediglich Nebenbeteiligte sein, und zwar dann, wenn sie keine Grundstücke im Flurbereinigungsgebiet zu Eigentum hat, auch keine Wege, weil sie diese nicht in ihr Eigentum übernommen hat (vgl. § 42 FlurbG). Dann ist die Gemeinde nach dem Gesetz trotzdem Nebenbeteiligte, und zwar auf Grund ihrer Gebietshoheit und mit Rücksicht auf ihr unmittelbares Interesse an dem Flurbereinigungs- bzw. Zusammenlegungsverfahren (vgl. Steuer, FlurbG, Anm. 11 a zu § 10; Seehusen-Schwede-Nebe, FlurbG, Anm. 3 a zu § 10).
Es läßt sich auch aus § 39 FlurbG nicht ableiten, daß Wege keine Grundstücke im Sinne des Flurbereinigungsgesetzes sind. Aus dieser Vorschrift ergibt sich lediglich, daß Wege- und Gewässer gemeinschaftliche Anlagen sind, d.h., daß sie allen Beteiligten am Verfahren für ihre Zwecke zur Verfügung stehen. Diese Widmung besagt aber doch nur, daß die Gemeinde als Eigentümerin, solange die Widmung besteht, von den Wegen keinen der Widmung entgegenstehenden Gebrauch machen darf. Auf die Bewertung und die sonstige Behandlung von Wegeflächen, insbesondere wenn die Widmung entfällt, hat die Bestimmung des § 39 FlurbG keinen Einfluß.
Auch § 47 FlurbG und die Erwähnung dieser Bestimmung in § 44 FlurbG sind entgegen der Ansicht des Beklagten nicht geeignet, das Begehren der Klägerin zu entkräften. In § 44 Abs. 1 FlurbG heißt es, daß jeder Teilnehmer für seine alten Grundstücke unter Berücksichtigung der nach § 47 FlurbG erforderlichen Abzüge mit Land von gleichem Wert abzufinden ist. Hier will der Gesetzgeber nur zum Ausdruck bringen, daß jeder Teilnehmer zu der Aufbringung der Wegeflächen nach Maßgabe des Wertes seines Gesamtbesitzes beizutragen hat, wie es in § 47 Abs. 1 FlurbG bestimmt ist, vorausgesetzt, daß die Flächen der alten gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen nicht für die Errichtung der neuen gleichartigen Anlagen ausreichen. Im übrigen regelt § 47 FlurbG nur, von wem und wie das Land für die genannten Anlagen bereitzustellen ist. Die Bestimmung, daß der Wegebedarf in erster Linie aus der Fläche der vorhandenen Wege zu decken ist, besagt nicht, daß für eingebrachte Wegeflächen grundsätzlich keine Abfindung zu gewähren sei; zum mindesten kann das dann nicht gelten, wenn die von einem Teilnehmer eingebrachten Wegeflächen als Kulturland einem anderen Teilnehmer zugewiesen werden und wenn der Einbringer dieser Wegeflächen auch keinen entsprechenden Teil des neuen Wegenetzes zu Eigentum erhält bzw. erhalten kann.
Aus alledem folgt, daß die Klägerin nach § 44 FlurbG einen Anspruch auf Abfindung für die von ihr eingebrachten Wegeflächen hat. Diese Abfindung hat sie nur teilweise erhalten, denn sie ist für eine Wegefläche von 41,17 ar, deren Wert bei der Zuteilung an den Landwirt R. auf 3,18 WE geschätzt worden ist, nicht entschädigt worden. Der Ansicht des Beklagten, daß die Geltendmachung dieses Anspruchs durch die Klägerin dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben widerspreche, kann nicht gefolgt werden. Der Beklagte beruft sich zur Begründung seines Standpunktes in erster Linie darauf, daß die Klägerin durch die von der Teilnehmergemeinschaft L. durchgeführte Befestigung des Grenzweges an der Gemarkungsgrenze zwischen H. und L. einen Vorteil erlangt habe und von der sie treffenden Wegeunterhaltungspflicht weitgehend entlastet sei. Die Frage, wer die Kosten für den Ausbau dieses Weges zu tragen hat und ob etwa die Klägerin zu diesen Kosten herangezogen werden kann, hat jedoch mit der Erfüllung des Anspruchs der Klägerin auf Abfindung für die von ihr eingebrachten Grundstücke nichts zu tun. Der Beklagte würde wohl auch kaum auf den Gedanken kommen, den Abfindungsanspruch der Klägerin unter Berufung auf Treu und Glauben abzulehnen, wenn sich dieser Anspruch auf das Eigentum an seit jeher landwirtschaftlich genutzten Grundstücken stützen würde. Die bisherige Nutzung der fraglichen Grundstücke als Wegeflächen vermag jedoch, wie bereits ausgeführt, das Bestehen dieses Anspruchs nicht zu berühren. Der auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Einwand des Beklagten läßt sich auch nicht damit begründen, daß die Einziehung der Wege für die Klägerin nur vorteilhaft sei. Der Beklagte will zwar in der mit der Einziehung der Wege entfallenden Unterhaltungspflicht einen derartigen Vorteil sehen. Dem ist aber im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zuzustimmen, weil es sich hier offensichtlich um Wendewege handelt, die keiner Unterhaltung bedürfen, da sie nicht befestigt sind. Im allgemeinen entsteht hier der Gemeinde aus der Verpachtung als Graswege sogar eine - wenn auch geringe - Einnahmequelle. Schließlich kann der Beklagte auch nicht mit Erfolg behaupten, daß die Klägerin die Entschädigung deshalb zu Unrecht fordere, weil die Gemarkung H. ebenfalls flurbereinigt werde und dafür erhebliche staatliche Beihilfen gegeben würden. Die staatlichen Beihilfen richten sich nach der Höhe der entstehenden Ausführungskosten. Soweit diese nicht durch Beihilfen gedeckt werden, sind sie gemäß § 19 FlurbG von den Teilnehmern durch Beiträge aufzubringen. Die Finanzierung des Flurbereinigungsverfahrens von H. erfolgt aber unabhängig von dem Verfahren in L. Der Beklagte kann auch nicht ernsthaft vortragen, die Klägerin dürfe einen ihr im Verfahren von L. zustehenden Anspruch deshalb nicht geltend machen, weil ihr das in ihrer eigenen Gemarkung durchgeführte Verfahren Vorteile bringe.