Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.12.2008 - 9 C 1/08 = RdL 2009, 94-96 (Leitsatz und Gründe)= Buchholz 424.01 § 44= FlurbG Nr. 89 (Leitsatz, redaktioneller Leitsatz und Gründe)= DVBl 2009, 395 (Leitsatz)= NVwZ-RR 2009, 317 (Leitsatz)= DÖV 2009, 543 (Leitsatz) (Lieferung 2010)
Aktenzeichen | 9 C 1/08 | Entscheidung | Urteil | Datum | 10.12.2008 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 2009, 94-96 (Leitsatz und Gründe) = Buchholz 424.01 § 44 = FlurbG Nr. 89 (Leitsatz, redaktioneller Leitsatz und Gründe) = DVBl 2009, 395 (Leitsatz) = NVwZ-RR 2009, 317 (Leitsatz) = DÖV 2009, 543 (Leitsatz) | Lieferung | 2010 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Für die Beurteilung der Frage, ob ein Umstand (hier: die Eigenschaft eines Grundstücks als ackerbare ausgleichszahlungsberechtigte Fläche gemäß der Kulturpflanzenregelung, sog. AB-Status) ein fortwährender wertbestimmender Faktor i.S.v. § 44 Abs. 2 Halbs. 2 FlurbG ist oder ob ein diesbezügliches Defizit lediglich einen vorübergehenden Nachteil i.S.v. § 51 Abs. 1 FlurbG darstellt, ist auf den für die Beurteilung der Wertgleichheit der Landabfindung maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen, im Falle einer vorläufigen Besitzeinweisung mithin auf den darin bestimmten Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens (§ 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG). |
Aus den Gründen
10 Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es im Rahmen seiner tragenden Begründung, dass das vom Flurbereinigungsgericht unterstellte Defizit an sog. AB-Flächen lediglich ein vorübergehender Faktor i.S.v. § 51 Abs. 1 FlurbG sei, auf Umstände abstellt, nämlich auf neue Agrarförderbestimmungen, die erst nach dem für die Beurteilung der Wertgleichheit der Landabfindung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vorläufigen Besitzeinweisung eingetreten sind (1.). Mangels erforderlicher Tatsachenfeststellungen kann der Senat nicht feststellen, dass das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO); dies führt zu seiner Aufhebung und Zurückverweisung (2.). Die Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts zur neuen Agrarförderrechtslage geben Anlass für einen ergänzenden Hinweis (3.).
11 1. Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, dass die vom Flurbereinigungsgericht in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgeklärten Fragen, ob es sich bei der zwischen den Beteiligten umstrittenen Teilfläche des Abfindungsflurstücks 19.. (Einlageflurstück 35.) um Ackerland handelt, das als ausgleichszahlungsberechtigte Fläche (sog. AB-Fläche, Fläche mit AB-Status) i.S.d. Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 - Kulturpflanzenregelung - (ABl Nr. L 181 S. 12) Anknüpfungspunkt für Fördergelder nach dieser (inzwischen ausgelaufenen) Agrarbeihilferegelung war und ob die Bilanz der AB-Flächen vor und nach der Landabfindung ausgeglichen sei, dahinstehen könne, weil der sog. AB-Status seit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik in der Europäischen Union (sog. GAP-Reform) durch die Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 vom 29. September 2003 (ABl Nr. L 270 S. 1, nachfolgend: GAP-VO-EG) kein fortwährender Wertfaktor mehr sein könne. Das Flurbereinigungsgericht hat damit der Sache nach das vom Kläger geltend gemachte Defizit an AB-Flächen als gegeben unterstellt, die Klage auf weitergehende Abfindung durch Zuteilung von zusätzlichen 0,34 ha Ackerflächen aber dennoch abgewiesen, weil ein Defizit an AB-Flächen seit der GAP-Reform 2003 lediglich einen vorübergehenden Nachteil i.S.v. § 51 Abs. 1 FlurbG darstelle, der allenfalls einen Ausgleichsanspruch nach dieser Vorschrift begründen könne.
12 Diese Erwägung ist mit § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG nicht vereinbar.
13 a) Nach dieser Vorschrift ist im (hier gegebenen) Fall einer vorläufigen Besitzeinweisung für die Beurteilung der Wertgleichheit der Landabfindung der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die vorläufige Besitzeinweisung wirksam wird. Der so bestimmte Zeitpunkt ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur für die Bemessung der Landabfindung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 27 ff. FlurbG) maßgeblich, sondern auch für alle den Grundstückswert bestimmenden Merkmale einschließlich der konkreten Nutzungsmöglichkeiten durch den betroffenen Teilnehmer und damit auch für die Gestaltungsmerkmale des § 44 Abs. 2 bis 4 FlurbG. Gestaltungsgesichtspunkte, die erst nach diesem Zeitpunkt aufgetreten sind, können für die Feststellung der Wertgleichheit und Abfindung grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden (Urteil vom 16. August 1995 - BVerwG 11 C 21.94 - Buchholz 424.01 § 15 FlurbG Nr. 4 S. 5 f.; Beschluss vom 12. Juli 2007 - BVerwG 9 B 18.07 - Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 87 S. 34 ff.).
14 b) Für die Beantwortung der Frage, ob ein Umstand ein fortwährender wertbestimmender Faktor i.S.v. § 44 Abs. 2 Halbs. 2 FlurbG ist, weil er auf den Ertrag, die Benutzung und die Verwertung eines Grundstücks wesentlichen Einfluss hat, oder ob er lediglich einen vorübergehenden Nachteil i.S.v. § 51 Abs. 1 FlurbG darstellt, ist ebenfalls auf den für die Beurteilung der Wertgleichheit der Landabfindung maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen, im Falle einer vorläufigen Besitzeinweisung mithin auf den darin bestimmten Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens (§ 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG). Mit dem Ausgleichsanspruch gemäß § 51 Abs. 1 FlurbG hat der Gesetzgeber eine Ausgleichsmöglichkeit für vorübergehende Wertunterschiede eröffnet, die weder bei der Schätzung noch bei der Landabfindung berücksichtigt werden können. Denn eine dauernde Minderung des Nutzungswerts eines Grundstücks wird in der Regel schon bei der Schätzung nach § 28 Abs. 1 FlurbG berücksichtigt. Soweit dabei Umstände, die auf den Ertrag, die Benutzung und die Verwertung wesentlichen Einfluss haben, nicht entsprechend berücksichtigt werden können, sind feststellbare dauernde oder langjährige Beeinträchtigungen im Rahmen der Landabfindung nach § 44 Abs. 2 FlurbG zu beachten, um die geforderte Wertgleichheit der Landabfindung herbeizuführen (Urteil vom 24. Juni 1982 - BVerwG 5 C 20.80 - BVerwGE 66, 47 <49>). Wertbestimmende Umstände, die im vorstehenden Sinne nicht fortwährender Natur sind, sondern nur einen vorübergehenden Unterschied zwischen dem Wert der alten Grundstücke und dem Wert der Landabfindung begründen (§ 51 Abs. 1 Alt. 1 FlurbG) sowie andere vorübergehende Nachteile einzelner Teilnehmer, die das Maß der den übrigen Teilnehmern entstehenden gleichartigen Nachteile erheblich übersteigen (§ 51 Abs. 1 Alt. 2 FlurbG), sind dagegen nach § 51 Abs. 1 FlurbG durch Geld oder in anderer Art auszugleichen. Ob ein Umstand fortwährender oder nur vorübergehender Natur ist, kann folglich nur aufgrund einer einheitlichen Beurteilungsgrundlage, mithin nur bei Zugrundelegung desselben maßgeblichen Zeitpunkts bestimmt werden. Demgemäß kommt es auch für einen sich aus einem vorübergehenden Wertunterschied zwischen Einlage und Abfindung ergebenden Ausgleichsanspruch nach § 51 Abs. 1 FlurbG im Fall einer vorläufigen Besitzeinweisung auf den Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens an (vgl. Urteil vom 24. Juni 1982 a.a.O. S. 50 f.).
15 c) Das Flurbereinigungsgericht ist davon ausgegangen, dass der sog. AB-Status einer Fläche, also der Umstand, ob der Teilnehmer für eine Fläche Agrarbeihilfen nach der oben näher bezeichneten Kulturpflanzenregelung erhalten konnte, unter der Geltung dieser früheren Rechtslage ein wertbestimmender Faktor i.S.v. § 44 Abs. 2 Halbs. 2 FlurbG gewesen ist. Dass Ansprüche auf finanzielle Zuwendungen im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Agrarrechtsordnung, die beträchtliche Summen ausmachen konnten und für eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Betrieben von wesentlicher, sogar existenznotwendiger Bedeutung waren, jedenfalls für die in § 44 Abs. 2 FlurbG angesprochene "Verwertung" eines Grundstücks, etwa im Falle eines Verkaufs, "wesentlichen Einfluss" hatten, liegt auf der Hand. Dem entsprechend hat das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit dem im Urteil des Flurbereinigungsgerichts zitierten Rundschreiben vom 30. Juni 1997 (Nr. B4/E1 - 7298.2-1119) im Erlasswege mit für die Flurbereinigungsverwaltung des Freistaats Bayern einschließlich der Teilnehmergemeinschaften ermessensbindender und mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für die Teilnehmer anspruchsbegründender Wirkung bestimmt, dass unter der Geltung der erwähnten Kulturpflanzenregelung grundsätzlich jedem Grundeigentümer der vor dem Besitzübergang gegebene Umfang an AB-Fläche auch nach dem Besitzübergang wieder zur Verfügung zu stellen war. Hiergegen ist von Bundesrechts wegen nichts zu erinnern.
16 War danach der sog. AB-Status einer Fläche gemäß der Kulturpflanzenregelung zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vorläufigen Besitzeinweisung am 15. November 1997 grundsätzlich ein wertbestimmender Faktor, der für die Wertgleichheit der Abfindung von Bedeutung war, so war es rechtlich ausgeschlossen, diesen Faktor aufgrund einer von der damaligen Sach- und Rechtslage abweichenden "ex-post"-Betrachtung gleichwohl als für die Wertgleichheit der Abfindung unerheblich zu behandeln, weil er aufgrund Jahre später erlassener neuer Förderbestimmungen "jetzt nicht mehr" bei der Landabfindung zu berücksichtigen wäre. So aber ist das Flurbereinigungsgericht hier verfahren.
17 2. Der Senat vermag mangels dafür erforderlicher Tatsachenfeststellungen nicht zu entscheiden, ob sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO).
18 Zu der nach dem Vorstehenden sich zunächst stellenden Frage, ob es sich bei der streitigen Teilfläche des Einlageflurstücks 35. zum Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung um eine Fläche mit AB-Status handelte, hat das Flurbereinigungsgericht keine Tatsachenfeststellungen getroffen, sondern diese Frage ausdrücklich offen gelassen (UA S. 8). In diesem Zusammenhang wird das Flurbereinigungsgericht im Rahmen seiner erneuten Entscheidung ggf. zu beachten haben, dass ihm insoweit möglicherweise eine Verwechslung unterlaufen ist, da nach den Angaben des Klägers im Revisionsverfahren nicht das Flurstück 35. gemäß den Bedingungen des Kulturlandschaftsprogramms (KulaP Teil C Nr. 2.4) bis Ende 2004 einer zehnjährigen Bindung als Grünland unterlegen war (so aber UA S. 8), sondern das benachbarte Einlageflurstück 35.. Sollte sich herausstellen, dass die umstrittene Teilfläche des Einlageflurstücks 35. seinerzeit AB-Status hatte und keine anderen Gründe dem entgegenstehen, wäre als Zwischenergebnis festzuhalten, dass nach damaliger Rechtslage (insbesondere Erlasslage) ein Defizit an Flächen mit AB-Status vorläge. Das Klagebegehren könnte gleichwohl abzuweisen sein, wenn dieses Defizit etwa durch andere betriebswirtschaftliche Vorteile ausgeglichen wäre, wie das Flurbereinigungsgericht dies für die geringfügige Verschiebung im Acker-Wiesen-Verhältnis angenommen hat (UA S. 7). Um dies beurteilen zu können, bedürfte es Feststellungen zu den aus damaliger Sicht bereits feststehenden oder hinreichend bestimmbaren, ggf. prognostisch überschlägig abzuschätzenden Nachteilen des Klägers aus dem (hier unterstellten) Defizit an Ackerflächen mit AB-Status, etwa durch entgangene Fördergelder, Ertragseinbußen und ähnliche Verluste. Denn nur wenn der Umfang dieser Nachteile bekannt war, ließe sich sagen, ob das Defizit durch andere im Rahmen der Gestaltung der Abfindung zu berücksichtigende Gesichtspunkte ausgeglichen worden ist.
19 3. Lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass die weitere Annahme des Flurbereinigungsgerichts, der sog. AB-Status könne seit der GAP-Reform 2003 kein wertbestimmender Faktor i.S.v. § 44 Abs. 2 FlurbG mehr sein, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend, weil zu weitgehend sein dürfte.
20 Zwar ist richtig, dass es seit der GAP-Reform und ihrer innerstaatlichen Umsetzung u.a. durch das Betriebsprämiendurchführungsgesetz vom 21. Juli 2004 (BGBl I S. 1763), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes vom 28. März 2008 (BGBl I S. 495), keinen AB-Status mehr gibt. Ebenfalls zutreffend ist, dass die neue Rechtslage insoweit zu einer "Entkoppelung" der Direktzahlungen von der landwirtschaftlichen Produktion und von konkreten landwirtschaftlichen Nutzflächen geführt hat, als die (nunmehr) Zahlungsansprüche genannten Förderleistungen nicht mehr flächenbezogen sind, sondern auf dem Gesamtumfang der bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen basieren. Sie sind von der Nutzung konkreter Flächen entkoppelte Beihilfen zur Verbesserung der Einkommensverhältnisse des Betriebsinhabers (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2006 - LwZR 1/06 - NJW-RR 2007, 1279 <1291>; Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz <BMELV>, Die EU-Agrarreform - Umsetzung in Deutschland, Ausgabe 2006, S. 11; Schwantag, in: Seehusen/Schwede, FlurbG, 8. Aufl. 2008, § 28 Rn. 50 f.; Schmitte, AUR 2005, S. 80 <82>).