Landgericht Trier, Urteil vom 07.07.1976 - 1 S 42/76
Aktenzeichen | 1 S 42/76 | Entscheidung | Urteil | Datum | 07.07.1976 |
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Gericht | Landgericht Trier | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Verkehrssicherungspflicht der Teilnehmergemeinschaft an im Flurbereinigungsverfahren ausgebauten Wirtschaftswegen. |
2. | Bei Verletzung von Verkehrssicherungspflichten haften mehrere Verantwortliche nebeneinander. |
3. | Die Flurbereinigungsbehörde (Kulturamt) ist beim Ausbau der Wege nicht Verrichtungsgehilfe der Teilnehmergemeinschaft. |
Aus den Gründen
Dem Kläger steht gegen die Beklagte (Teilnehmergemeinschaft) ein Schadensersatzanspruch aus dem Unfallgeschehen vom 28.12.1973 aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Eine auf Verschulden beruhende Verletzung der Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflichten der Beklagten ist nicht festzustellen.
In Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil ist davon auszugehen, daß eine durch Erdtransporte bedingte Verschmutzung der Fahrbahn des Wirtschaftsweges Ursache des Unfalles war, den der Kläger am 28.12.1973 bei der Talfahrt mit Traktor und beladenem Zweiachsanhänger erlitten hat. Dies ist aus den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der in erster Instanz vernommenen Zeugen zu entnehmen. Nach ihren Aussagen war der Wirtschaftsweg im Bereich der Unfallstelle mit einer Schmutzschicht überzogen, teilweise war fingerdicker Dreck, der aus Reifenprofilen abgefallen war, festzustellen.
Demnach kann der Beklagte eine schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht nicht zur Last gelegt werden. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, daß die Beklagte das ihr im Hinblick auf Art und Bedeutung des Weges sowie die örtlichen Verhältnisse zumutbare Maß der Sorgfalt verletzt hat. Zunächst ist davon auszugehen, daß der Beklagten als öffentlich-rechtliche Körperschaft im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens die Pflicht oblag, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Benutzer der im Flurbereinigungsbereich gelegenen Wege vor Schäden zu bewahren. Bei nachgewiesener Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht trifft sie die Haftung zum Ersatz des eingetretenen Schadens nach §§ 823, 89, 91 BGB. Nach §§ 18, 42 Flurbereinigungsgesetz hat die Teilnehmergemeinschaft die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Teilnehmer wahrzunehmen. Sie hat insbesondere die gemeinschaftlichen Anlagen herzustellen und zu unterhalten. Damit wird der Aufgabenkreis der Teilnehmergemeinschaft durch Gesetz festgelegt und nicht von der Flurbereinigungsbehörde bestimmt (vgl. Steuer, FlurbG, 2. Aufl., § 18 Anm. 1 u. § 42 Anm. 10). Daraus folgt, daß die Teilnehmergemeinschaft Bauherr aller zur Ausführung des Planes erforderlichen Arbeiten mit den sich daraus ergebenden Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflichten ist. Ausnahmen, in denen die Teilnehmergemeinschaft von dieser Verantwortung entbunden ist, sind nur dann gegeben, wenn dies im Flurbereinigungsplan bestimmt ist oder die Ausführung und Unterhaltung einzelnen Beteiligten oder einem Wasser- und Bodenverband überlassen werden (§ 18 Abs. 1 Satz 3 FlurbG). Für solche Ausnahmen im vorliegenden Fall ist von beiden Parteien nichts vorgetragen worden. An der grundsätzlichen Pflicht der Teilnehmergemeinschaft, die Anlagen zu unterhalten, wozu auch die Pflicht gehört, Vorkehrungen zur Abwehr durch eine Gefahrenquelle Dritten drohenden Gefahren zu treffen, ändert nichts, daß in der Praxis das Kulturamt als Flurbereinigungsbehörde die notwendigen Ausschreibungen veranlaßt und - wie hier - bei der Ausführung des Planes erfahrene Kräfte als Oberbauleiter oder örtliche Bauleitungen bereitstellt. Damit wird das Kulturamt nicht als Verrichtungsgehilfe der Beklagten i. S. des § 831 BGB tätig. Das folgt insbesondere daraus, daß die Teilnehmergemeinschaft unter der Aufsicht der Flurbereinigungsbehörde steht (§ 17 Abs. 1 Flurbereinigungsgesetz). Mit dieser Staatsaufsicht, die im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ein Eingreifen ermöglicht, soll sichergestellt werden, daß die der Teilnehmergemeinschaft übertragenen Aufgaben technisch einwandfrei, wirtschaftlich gut und schnell durchgeführt werden und die Unterhaltung der Anlagen gewährleistet ist (vgl. Steuer, § 17 Anm. 2 u. 3). Einer solchen Aufsichts- und Weisungsbefugnis des Kulturamtes stünde eine rechtliche Einordnung seiner Tätigkeit als Verrichtungsgehilfe im Verhältnis zur Beklagten entgegen. Ein Verrichtungsgehilfe ist von den Weisungen des Geschäftsherren mehr oder weniger abhängig (vgl. Palandt-Thomas, BGB, § 831 Anm. 3 a). In einem solchen Abhängigkeitsverhältnis steht das Kulturamt als Flurbereinigungsbehörde gegenüber der Beklagten als Teilnehmergemeinschaft gerade nicht. Die besondere Ausgestaltung des Flurbereinigungsverfahrens, die Verflechtung des Zusammenwirkens zwischen Teilnehmergemeinschaft und Flurbereinigungsbehörde, ist auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zur Abwehr aller aus der Ausführung des Planes drohenden Gefahren - hier speziell die Verkehrssicherungspflicht bezüglich der im Flurbereinigungsbereich gelegenen, dem öffentlichen Verkehr beschränkt gewidmeten Gemeindewege - dahin einzuordnen, daß das Kulturamt faktisch den Organen der Teilnehmergemeinschaft gleichgestellt ist. Die Teilnehmergemeinschaft haftet als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 16 FlurbG) für den Schaden, den der Vorstand oder die sonstigen verfassungsmäßigen Vertreter durch eine in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen begangenen, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügen (§§ 89, 91 BGB). Das Kulturamt ist nach dem Gesetz zwar kein Organ der Teilnehmergemeinschaft, ihm ist in der Praxis allerdings eine besondere Vertreterstellung eingeräumt, wenn es die der Teilnehmergemeinschaft als verantwortlichen Bauherrn obliegenden Arbeiten durch Gestellung von Oberbauleitung und örtlicher Bauaufsicht überwachen läßt. Das hat zur Folge, daß bei Verletzungen der Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens die Teilnehmergemeinschaft nach §§ 823, 89, 91 BGB dann haftet, wenn die Pflichtwidrigkeit auf Verschulden der ihr von der Flurbereinigungsbehörde zur Verfügung gestellten Oberbauleitung beruht. In diesem Fall kann sich die Teilnehmergemeinschaft unter Hinweis auf sorgfältige Auswahl erfahrener Kräfte nicht entlasten.
Die somit grundsätzlich der Beklagten obliegende Verpflichtung, die in dem Flurbereinigungsbereich gelegenen öffentlichen Wege und Straßen von durch Erdbewegungsarbeiten verursachter Verschmutzung freizuhalten, soweit dies notwendig und zumutbar ist, wird nicht dadurch beseitigt, daß auch der Gemeinde N.-D. als Eigentümerin des Wirtschaftsweges die Verkehrssicherungspflicht oblag und möglicherweise auch die mit dem Bodentransport beauftragte Firma und deren Fahrer in Anspruch genommen werden könnten. (§§ 839 BGB, Art. 34 GG bzw. 823, 831 BGB, 32 StVG). Bei Verletzung von Verkehrssicherungspflichten haften aus Gründen des Schutzes der Verkehrsteilnehmer mehrere Verantwortliche nebeneinander (vgl. Arndt, Straßenverkehrssicherungspflicht, 2. Aufl. Seite 57/58).
Obwohl somit der Beklagten die Verpflichtung oblag, den Wirtschaftsweg im Bereich der Flurbereinigung in möglichst verkehrssicherem Zustand zu erhalten, kann der Kläger von ihr nicht Ersatz des ihm entstandenen Schadens beanspruchen. Nach dem Ergebnis der in 1. Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ist die Beklagte vor Unterbrechung der Arbeiten am 22.12.1973 der ihr obliegenden Pflicht zur Beseitigung des auf dem Wirtschaftsweg befindlichen Schmutzes in dem Maße nachgekommen, in dem ihr dies im Hinblick auf Art und Bedeutung des Weges zumutbar war. Nach den Bekundungen der Zeugen war am Nachmittag des 22.12.1973 angeordnet worden, mit dem Schild einer Raupe den durch Erdtransport auf den Wirtschaftsweg gefallenen Schmutz zu beseitigen. Diese Anordnung ist ausgeführt und der Schmutz, soweit es möglich war, beseitigt worden. Dennoch blieb ein leichter Schmutzfilm zurück. Die Aussagen dieser Zeugen sind glaubhaft. Sie stimmen in den wesentlichen Punkten überein und sind frei von Widersprüchen. Anhaltspunkte für ein persönliches oder sachliches Interesse am Ausgang dieses Verfahrens durch die Möglichkeit eines Rückgriffs sind nur theoretischer Natur und deshalb nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu beeinträchtigen.
Mit der Ausführung der geschilderten Räumungsmaßnahmen hat die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht erfüllt. Zur völligen Beseitigung aller Schmutzreste oder zur Aufstellung von Verbots- oder Warnschildern war sie nicht verpflichtet. Bei öffentlichen Straßen ist der Umfang der Verkehrssicherungspflicht abhängig von der Art der Straße und ihrer Verkehrsbedeutung, also der Art und Häufigkeit ihrer Benutzung (vgl. Arndt, Seite 34). Ist die Straße nur in beschränktem Umfang für den öffentlichen Verkehr bestimmt und gewidmet, besteht also eingeschränkter Gemeingebrauch, hat dies entsprechende Auswirkungen auf den Umfang der Verkehrssicherungspflicht und das Maß der zu beachtenden Sorgfalt. Es sind jeweils nur diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Die Sicherungspflicht endet dort, wo die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können (vgl. Arndt, Seite 36 m. Hinw. auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte vor Unterbrechung der Arbeiten am 22.12.1973 das ihr Zumutbare zur Säuberung des Wirtschaftsweges veranlaßt. Dabei ist zunächst zu beachten, daß es sich nicht um klassifizierte, dem allgemeinen öffentlichen Verkehr gewidmete Straße, sondern nur um einen den Bürgern der Gemeinde dienenden Wirtschaftsweg handelt. Erfahrungsgemäß sind Wirtschaftswege vielfach verschmutzt, da sie fast ausschließlich von landwirtschaftlichen Fahrzeugen benutzt werden, aus deren Rädern Erdreich auf die Wege fällt. Eine Säuberung dieser Wege durch die Gemeinde erfolgt daher im Regelfalle nicht. Die Benutzer dieser Wege müssen damit rechnen, daß die Fahrbahndecke mit Schmutzresten bedeckt ist, die eine Rutschgefahr, zumal bei nassen Bodenverhältnissen, erhöhen. Für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bedeutet dies, daß sie nur verpflichtet war, die Wegeoberfläche vom gröbsten Schmutz zu befreien. Ein verbleibender dünner Schmutzfilm erhöhte die Rutschgefahr und beeinträchtigte die Verkehrssicherheit nicht mehr als auf normalen Wirtschaftswegen, über die keine Erdtransporte durchgeführt wurden. Würde man die Beklagte verpflichtet halten, jeweils den Wirtschaftsweg von jeglichem Schmutz zu säubern, wäre das zumutbare Maß der Aufgaben im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht überschritten. Eine solche Pflicht würde zu der Art und Bedeutung des Weges und der Häufigkeit seiner Benutzung in keinem Verhältnis stehen. Sie würde den Verkehrsteilnehmer einseitig entlasten, der bei Inanspruchnahme solcher Wege gewisse Gefahren hinnehmen und selbst in erhöhtem Maß vorsichtig fahren muß.
Allerdings haben die Zeugen bekundet, im Unfallzeitpunkt habe der Schmutz fingerdick auf dem Wirtschaftsweg gelegen; in dem Dreck seien Reifenprofile von Lastkraftwagen festzustellen gewesen. Die Kammer hält auch diese Bekundungen für glaubhaft. Allerdings kann mit ihnen der Nachweis nicht geführt werden, die Beklagte habe entgegen den Bekundungen der Zeugen am 22.12.1973 den Wirtschaftsweg überhaupt nicht gereinigt. Es ist nicht auszuschließen, daß die erneute Verschmutzung des Weges durch Dritte verursacht wurde. Nach den Bekundungen des Zeugen NN haben auch Privatleute Erde im Bereich des Wirtschaftsweges entnommen.
Zwar besteht die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten - wie dargelegt - grundsätzlich neben der Verpflichtung eines Dritten, den von ihm verursachten Schmutz zu beseitigen. Die Beklagte wäre hier zum Einschreiten aber nur dann verpflichtet gewesen, wenn sie mit der Verschmutzung durch Dritte während der Arbeitspause vor Jahreswechsel rechnen konnte. Hierfür sind Anhaltspunkte nicht vorgetragen. Es ist nichts dafür dargetan, daß Dritte nach dem 22.12.1973 Erde im Einverständnis der Beklagten im Distrikt Sch. entnommen haben oder ob die Beklagte hiervon vor dem Unfall Kenntnis erlangt hatte.
Da somit eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte nicht festzustellen ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung der Frage, inwieweit dem Umstand Rechnung zu tragen ist, daß der Kläger von der Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens im Gebiet der Unfallstelle Kenntnis hatte und den Wirtschaftsweg kannte. Ebenso kann dahinstehen, ob der Kläger die Verschmutzung des Weges erkennend noch anhalten oder umkehren konnte oder ob sein Fahrzeug für diese Wegeverhältnisse überladen war.