Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.11.2006 - 10 B 19.06 = NuR 2007, 412 (Lieferung 2008)
Aktenzeichen | 10 B 19.06 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 03.11.2006 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = NuR 2007, 412 | Lieferung | 2008 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Wege- und Gewässerplans gemäß § 41 Abs. 1 FlurbG durch die Widerspruchsbehörde ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Daher hat die obere Flurbereinigungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung über den zulässigen Widerspruch eines anerkannten Naturschutzvereins zu berücksichtigen, dass ein im Plangebiet gelegenes Gewässersystem nach Feststellung bzw. Genehmigung des Plans in das Nachmeldeverfahren zur Umsetzung der sog. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) mit dem Ziel der Aufnahme in die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung (sog. FFH-Gebiete) einbezogen worden ist. |
Aus den Gründen
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob nach einem erlassenen Planfeststellungsbeschluss im Sinne von § 41 Abs. 3 des FlurbG eingetretene Veränderungen der Sach- und Rechtslage, die sich bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG verwirklichen, von der Widerspruchsbehörde auch in Drittanfechtungsfällen stets zu beachten sind.
2 Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie anhand des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet werden kann.
3 Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat die Widerspruchsbehörde die Ausgangsentscheidung in vollem Umfang, in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht, auf ihre Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass für die Widerspruchsbehörde grundsätzlich die Rechtslage bei Erlass ihrer Widerspruchsentscheidung maßgeblich ist; sie hat eine während des Vorverfahrens eintretende Änderung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sich aus dem materiellen Recht nicht Abweichendes ergibt (stRspr, vgl. etwa Urteile vom 6. April 1955 BVerwG 5 C 76.54 BVerwGE 2, 55 , vom 23. Mai 1975 BVerwG 4 C 73.73 BVerwGE 48, 247 und vom 26. Februar 1992 BVerwG 8 C 24.90 Buchholz 406.11 § 127 BBauG/BauGB Nr. 63 S. 70, Beschluss vom 30. April 1996 BVerwG 6 B 77.95 Buchholz 310 § 79 VwGO Nr. 32 S. 5). Grund dafür ist, dass das Ausgangsverfahren mit dem Widerspruchsverfahren eine verfahrensmäßige Einheit bildet und erst mit dem Widerspruchsbescheid abgeschlossen wird (vgl. Urteile vom 18. April 1986 BVerwG 8 C 81.83 Buchholz 316 § 3 VwVfG Nr. 2 S. 3 und vom 1. Dezember 1989 BVerwG 8 C 14.88 BVerwGE 84, 178 ). Erst der Widerspruchsbescheid gibt dem Ausgangsverwaltungsakt seine endgültige, für den Verwaltungsprozess maßgebliche Gestalt (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dies entspricht auch allgemeiner Ansicht im Schrifttum (vgl. Dolde/Porsch, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 13. Erg.-Lfg. April 2006, § 68 Rn. 45 f.; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 68 Rn. 196 ff.; Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 68 Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 68 Rn. 15; Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 73 Rn. 15; Funke-Kaiser, in: Bader, VwGO, 3. Aufl. 2005, § 68 Rn. 7). Einschränkungen dieses Grundsatzes können sich wie erwähnt allerdings aus dem materiellen Recht ergeben. So hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall des Drittwiderspruchs gegen eine Baugenehmigung entschieden, dass Rechtsänderungen, die während des Vorverfahrens zu Lasten des Bauherrn eintreten, mit Blick auf die ihm mit der Baugenehmigung eingeräumte Rechtsposition nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 19. September 1969 BVerwG 4 C 18.67 Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 25 S. 59 = NJW 1970, 263 f.; Beschluss vom 23. April 1998 BVerwG 4 B 40.98 Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87 S. 43 f. = NVwZ 1998, 1179); ähnlich hat es für ein vor Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes verliehenes, mit einem Drittwiderspruch angegriffenes Benutzungsrecht entschieden (vgl. Urteil vom 10. April 1968 BVerwG 4 C 35.67 Buchholz 445.4 § 15 WHG Nr. 1 S. 2 f. = DVBl 1968, 597). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Fall des Drittwiderspruchs gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung hat das Bundesverwaltungsgericht dagegen mit Blick auf die Regelung in § 17 und § 67 Abs. 4 BImSchG verneint (Urteil vom 18. Mai 1982 BVerwG 7 C 42.80 BVerwGE 65, 313 ).
4 Für den hier zu beurteilenden Fall eines Widerspruchs gegen den Wege- und Gewässerplan gemäß § 41 Abs. 1 FlurbG gilt nach dem Vorstehenden ebenfalls der Grundsatz, dass maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Widerspruchsbehörde der Zeitpunkt ihrer eigenen Entscheidung ist. Aus dem materiellen Recht, also aus dem Flurbereinigungsrecht, ergeben sich keine Besonderheiten, die eine Abweichung von diesem Grundsatz gebieten.
5 Soweit sich die Beschwerde auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beruft, wonach im Fachplanungsrecht regelmäßig die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses maßgeblich sei (vgl. etwa Urteile vom 23. April 1997 BVerwG 11 A 7.97 BVerwGE 104, 337 und vom 1. April 2004 BVerwG 4 C 2.03 BVerwGE 120, 276 ), verkennt sie, dass diese Rechtsprechung darauf beruht, dass im allgemeinen Planfeststellungsrecht der Rechtsbehelf des Widerspruchs im Regelfall ausgeschlossen ist (§ 74 Abs. 1, § 70 VwVfG). Demgegenüber eröffnet § 141 Abs. 1 FlurbG ausdrücklich die Möglichkeit des Widerspruchs gegen den Plan nach § 41 FlurbG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FlurbG hat die Flurbereinigungsbehörde begründeten Widersprüchen abzuhelfen; sie kann darüber hinaus auch andere Änderungen des Flurbereinigungsplans vornehmen, wenn sie sie für erforderlich hält (§ 60 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) und ihn auch noch nach der Ausführungsanordnung (§ 61, § 63 FlurbG) unter den weiteren Voraussetzungen des § 64 FlurbG ändern oder ergänzen. Deswegen vermag die Beschwerde nicht zu überzeugen, wenn sie unter Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung geltend macht, der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt müsse im Flurbereinigungsrecht derselbe sein wie im sonstigen Planfeststellungsrecht. Dem steht entgegen, dass nach dem obigen Grundsatz auf das jeweils Geltung beanspruchende materielle Recht abzustellen ist, hier also auf die besonderen Regelungen des Flurbereinigungsrechts. Dies schließt ein, dass selbst innerhalb dieses Rechtsgebiets, je nach dem materiellrechtlichen Gegenstand der Prüfung, ein unterschiedlicher Beurteilungszeitpunkt maßgeblich sein kann. Deshalb ist es kein Widerspruch zu dem oben wiedergegebenen Grundsatz, dass es für die Beurteilung der Wertgleichheit von Abfindung und Einlage, wenn der (vorzeitigen) Ausführungsanordnung eine vorläufige Besitzeinweisung vorangegangen ist, derjenige Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem der Rechtswechsel eingetreten ist (vgl. Urteil vom 30. April 1969 BVerwG 4 C 236.65 Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 17 S. 5 f.), während im Übrigen, wenn weder eine vorläufige Besitzeinweisung noch eine (vorzeitige) Ausführungsanordnung ergangen sind, in flurbereinigungsrechtlichen Abfindungsstreitigkeiten für die gerichtliche Prüfung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Flurbereinigungsgericht maßgebend ist (vgl. Beschluss vom 1. Juli 1991 BVerwG 5 B 59.91 Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 15 S. 5 f.; vgl. auch Schwantag, in: Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl. 1997, § 44 Rn. 20).
6 Ohne Erfolg verweist die Beschwerde auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Nachbarwidersprüchen gegen eine Baugenehmigung. Dass danach auf den Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung abzustellen ist, beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass die dem Bauherrn mit der Baugenehmigung zuerkannte Rechtsposition vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) umfasst werde und ihm grundsätzlich zu belassen sei oder allenfalls gegen Entschädigung entzogen werden dürfe (vgl. Urteil vom 19. September 1969 a.a.O. S. 59 f.). Mit dieser Konstellation ist der Drittwiderspruch gegen den Wege- und Gewässerplan nach § 41 Abs. 1 FlurbG schon deshalb nicht vergleichbar, weil es an einer ähnlich geschützten Rechtsposition eines Begünstigten fehlt. Der Teilnehmergemeinschaft, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 16 Satz 2 FlurbG) die Herstellung und Unterhaltung der gemeinschaftlichen Anlagen (§ 42 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) obliegt, mithin auch die des Wege- und Gewässerplans, kommt eine solche Rechtsposition nicht zu; sie ist lediglich Sachwalterin der keineswegs einheitlichen, nicht selten sogar gegenläufigen Interessen der einzelnen Teilnehmer. Die Teilnehmer der Flurbereinigung selber (§ 10 Nr. 1 FlurbG) sind nicht Adressaten des Planfeststellungsbeschlusses nach § 41 FlurbG. Durch die Feststellung bzw. Genehmigung des Wege- und Gewässerplans tritt eine unmittelbare gegenwärtige materielle Rechtsbetroffenheit des einzelnen Teilnehmers nicht ein; diese können ihn deshalb auch nicht unmittelbar anfechten (Urteil vom 6. Februar 1986 BVerwG 5 C 40.84 BVerwGE 74, 1 ). Von daher fehlt es an einer dem Inhaber einer Baugenehmigung vergleichbaren Rechtsposition, die davor zu schützen wäre, dass ihr Bestand durch eine nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses eintretende Änderung der Sach- oder Rechtslage in Frage gestellt würde.
7 Soweit sich die Beschwerde schließlich auf die Kommentierung von Steuer beruft (FlurbG, 2. Aufl. 1967, § 141 Rn. 14, S. 547), wonach die obere Flurbereinigungsbehörde die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich nach den rechtlichen Verhältnissen zur Zeit seines Erlasses zu beurteilen habe, ist diese Ansicht vereinzelt geblieben und ersichtlich überholt. Letzteres gilt auch für die dort angeführte Entscheidung aus der Anfangszeit des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 19. November 1953 BVerwG 1 B 95.53 BVerwGE 1, 35 ).