Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 04.07.1961 - I B 56.61
Aktenzeichen | I B 56.61 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 04.07.1961 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Bei der Anordnung der Flurbereinigung kommt es auf das wohlverstandene Interesse der Beteiligten, nicht auf ihre subjektive Meinung an. |
2. | Flurbereinigung ist keine Enteignung. |
3. | Ob und in welchem Umfange der einzelne Teilnehmer tatsächlich Vorteile erlangt, läßt sich bei Anordnung des Verfahrens regelmäßig nicht übersehen und ist für die Teilnahme nicht bedeutsam. |
Aus den Gründen
Der Kläger nimmt zu Unrecht an, der Begriff "Interesse der Beteiligten" im Sinne des § 4 FlurbG bedürfe der Klärung in einem Revisionsverfahren. Was hierunter zu verstehen ist, hat der Senat in mehreren Entscheidungen dargelegt (vgl. BVerwGE 8, 197; Beschlüsse vom 28.12.1960 - BVerwG I B 159.60 - (RdL 1961 S. 80) und vom 3.6.1961 - BVerwG I B 19.61 -). In ihnen ist ausgesprochen, daß es bei der Anordnung der Flurbereinigung auf das wohlverstandene Interesse der Beteiligten, nicht auf ihre subjektive Meinung, ankommt. Es muß das objektive Interesse an einer Verbesserung der Agrarstruktur und der Arbeitsgrundlage der Betriebe für die überwiegende Fläche des Gesamtgebietes vorliegen.
Die Behauptung des Klägers, etwa 90 % der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens seien zur Zeit gegen die Anordnung der Flurbereinigung, kann die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Der Kläger ist nicht berufen, für andere Beteiligte zu sprechen. Er ist auf den Vortrag beschränkt, s e i n Interesse an einer Flurbereinigung liege nicht vor. Nur insoweit kann er durch den Flurbereinigungsbeschluß beschwert sein. § 4 FlurbG eröffnet nicht den Weg der Popularklage. Dieses Vorbringen muß daher außer Betracht bleiben. Hieraus folgt zugleich, daß das Flurbereinigungsgericht nicht verpflichtet war, die vom Kläger für erforderlich gehaltene Beweiserhebung durchzuführen.
Auch die weitere Behauptung des Klägers, im Flurbereinigungsverfahren werde das verfassungsmäßig verankerte demokratische Prinzip nicht gewahrt, wirft keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Seine Auffassung: "Was bei Gesetzgebungsbeschlüssen, Rechtsverordnungen oder der Beratung rechtsgestaltender Urteile durch Kollegialgerichte gilt", könne "ohne gröbliche Verletzung des Art. 3 GG zu Ungunsten der landwirtschaftlichen, besitzenden Bevölkerungsgruppe nicht anders geregelt werden", ist, ohne daß das einer näheren Begründung bedarf, abwegig. Da alle Grundstückseigentümer die Möglichkeit haben, ihren Willen zum Ausdruck zu bringen und alle, mit Ausnahme der ursprünglichen Kläger, den Flurbereinigungsbeschluß nicht angefochten haben, kann der Kläger nicht dartun, daß die Flurbereinigung gegen den Willen der Mehrzahl der Teilnehmer durchgeführt werden solle. Daß das Flurbereinigungsgesetz keine Abstimmung der Beteiligten über die Anordnung des Verfahrens vorsieht, kann nicht als ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip angesehen werden. Der Kläger hat im Rahmen der Teilnehmergemeinschaft (§ 16 ff. FlurbG) die Möglichkeit, auf die Durchführung und die Gestaltung des Verfahrens persönlich Einfluß zu nehmen.
Auch die Rüge des Klägers ist unbegründet, das landwirtschaftliche Eigentum werde als ein Eigentum minderer Art behandelt und die Flurbereinigung stehe daher mit Art. 14 GG nicht in Einklang. Hierzu ist zu bemerken, daß nicht nur ländlicher, sondern auch städtischer Grundbesitz einer Umlegung unterworfen werden kann. Nach der einheitlichen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofes ist weder die Einbeziehung von Grundbesitz in ein Flurbereinigungsverfahren noch die mit dem Verfahren erstrebte Neuordnung der Besitzverhältnisse eine Enteignung. Es ist auch unrichtig, daß § 47 FlurbG gegen Art. 14 GG verstoße. Vorschriften, die Landabzüge für Erschließungszwecke im Rahmen der Umlegung zulassen, stellen keine Enteignung dar, wenn die gesetzlichen Maßnahmen sich im Rahmen der Zweckbestimmung der Umlegung halten und der Grundsatz der wertgleichen Abfindung gewahrt ist (vgl. BVerwGE 1, 225 (228); 2, 154; 4, 191 (195); 6, 79; 8, 95; 10, 3; eingehend zu dieser Frage: BVerwG I C 64.60 vom 6.10.1960 (MDR 1961 S. 493). Warum § 105 FlurbG der die durch die Ausführung der Flurbereinigung entstehenden Aufwendungen der Teilnehmergemeinschaft auferlegt, einen Verstoß gegen Art. 14 GG darstellen soll, ist schlechthin unerfindlich.
Daß das Kosteninteresse des einzelnen Beteiligten bei der Durchführung der Flurbereinigung zu berücksichtigen ist, hat der Senat wiederholt ausgesprochen. Es kann aber nicht den Ausschlag geben, ein sonst zulässiges Verfahren nicht durchzuführen. Gegenüber der unrichtigen Auffassung des Klägers ist festzustellen, daß die Flurbereinigung in erheblichem Umfang mit öffentlichen Mitteln durchgeführt wird; der dem einzelnen nach allgemeiner Erfahrung durch die Flurbereinigung zufließende Vorteil geht somit weitgehend zu Lasten der Allgemeinheit. Nach § 19 Abs. 3 FlurbG können einzelne Teilnehmer zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten von der Aufbringung der auf sie entfallenden Beiträge ganz oder teilweise befreit werden. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann sich hieraus unter Umständen ein Rechtsanspruch des betroffenen Teilnehmers auf Befreiung von den Kosten ergeben. Nach der Rechtsprechung des Senats ist auch der allgemeine Vorteil, der durch die Flurbereinigung für alle Beteiligten eintritt, bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, weil er als Gegenleistung für die Kosten und den Wegebeitrag anzusehen ist. Ob aber ein Beteiligter, der durch die Flurbereinigung keinerlei Vorteil erlangt, einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten hat, kann erst im Verlauf des Verfahrens entschieden werden. Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten einzelne Teilnehmer von der Aufbringung ihres Anteils an den gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen ganz oder teilweise befreit werden können.
Auch die Rüge, für eine Vielzahl von Beteiligten sei ein Vorteil durch die Flurbereinigung nicht zu erwarten, geht fehl. Ob und in welchem Umfang der einzelne tatsächlich Vorteile erlangt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab und läßt sich bei der Einleitung des Verfahrens regelmäßig nicht überschauen. Selbst wenn aber im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens bei dem einen oder anderen Grundstückseigentümer festgestellt werden konnte, daß bei ihnen ein betriebswirtschaftlicher Erfolg durch die Flurbereinigung nicht eintreten würde, gäbe ihnen das kein Recht, von dem Verfahren ausgeschlossen zu werden. Auch solchen Beteiligten muß, um den Gesamterfolg der Verbesserung der Agrarstruktur zu sichern und die Förderung der einzelnen Betriebe zu ermöglichen, die Beteiligung am Verfahren zugemutet werden.
Schließlich kann der Einwand, im Flurbereinigungsgebiet vollziehe sich zur Zeit eine grundlegende Änderung der Wirtschafts-, Sozial- und Siedlungsstruktur, kein Hinderungsgrund für die Anordnung der Flurbereinigung sein. Im Gegenteil, sie kann ein geeignetes Mittel für eine sachgerechte Planung und Ordnung des Raumes bieten (vgl. BVerwG I B 159.60 vom 28.12.1960).