Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 07.06.1979 - 9 C 14/78 = RdL 1979 S. 264
Aktenzeichen | 9 C 14/78 | Entscheidung | Urteil | Datum | 07.06.1979 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | = RdL 1979 S. 264 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Das Interesse der Beteiligten an der Einleitung der Flurbereinigung ist nicht mit dem öffentlichen Interesse, das sich auf Landschaftspflege oder Landschaftsgestaltung richten kann, gleichzusetzen. Es kann vielmehr nur aus den wirtschaftlichen Grundbedürfnissen der betroffenen Landeigentümer hergeleitet werden. |
2. | Der Zweck der Flurbereinigung wird in der Regel nur durch eine großräumige Gebietsabgrenzung verwirklicht. Die Beschränkung der Flurbereinigung auf Teile einer Gemarkung bildet die Ausnahme, die nur durch sachgerechte Erwägungen und sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile gerechtfertigt werden kann. Fehlt es an einer solchen Abwägung, so liegt keine vollständige und sachgerechte Ermessensausübung vor. |
Aus den Gründen
Der Hinweis des Beklagten auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG in NJW 1968, 1737 = MDR 1968, 787), daß das Interesse im Sinne des Gesetzes nicht mit der Zustimmung oder der subjektiven Meinung der Beteiligten gleichzusetzen sei, es vielmehr auf das wohlverstandene, auf sachlichen Erwägungen beruhende Interesse der Beteiligten ankomme, ist zwar zutreffend. Mit dieser allgemeinen negativen Feststellung ist allerdings noch nichts positiv über das Vorliegen eines solchen Interesses der Beteiligten im vorliegenden Falle ausgesagt, da sich dies nur nach den konkreten Verhältnissen des jeweiligen Verfahrensgebietes beurteilen läßt. Das wohlverstandene, auf sachlichen Erwägungen beruhende Interesse der Beteiligten liegt nicht schon immer dann ohne weiteres vor, wenn die Voraussetzungen nach § 1 FlurbG gegeben sind. Es ist auch nicht mit dem öffentlichen Interesse, das sich etwa auf Landschaftspflege oder Landschaftsgestaltung richten kann, gleichzusetzen. Vielmehr läßt es sich nur aus den wirtschaftlichen Grundbedürfnissen der betroffenen Landeigentümer herleiten.
Nach den § 4 und § 7 FlurbG hat die Obere Flurbereinigungsbehörde bei Vorliegen der zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob eine Flurbereinigung überhaupt und mit welcher Flächenausdehnung eingeleitet wird. Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 FlurbG kann das Flurbereinigungsgebiet eine oder mehrere Gemeinden oder Teile von Gemeinden umfassen. Damit ist es in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt, ob sie ganze Gemeindegebiete oder Teile davon für die Flurbereinigung vorsieht. Das ihr dadurch eingeräumte Ermessen muß sich jedoch an der in § 7 Absatz 1 Satz 2 FlurbG normierten Ermessensrichtlinie orientieren, wonach das Flurbereinigungsgebiet so zu begrenzen ist, daß der Zweck der Flurbereinigung möglichst vollkommen erreicht wird. Der Zweck der Flurbereinigung wird in der Regel nur durch eine großräumige Gebietsabgrenzung verwirklicht (so schon Hillebrandt-Engels-Geiht, Reichsumlegungsordnung, 1938, Anmerkung 2 zu § 7; Steuer, FlurbG, 2. Auflage, Anmerkung 3 und 4 zu § 7; Seehusen-Schwede-Nebe, FlurbG, 2. Auflage, Anmerkung 1 zu § 7). Dies ergibt sich bereits aus der allgemeinen Erfahrung, daß die Nutzflächen landwirtschaftlicher Betriebe im ganzen gesehen schwerpunktmäßig in der Gemarkung des Wohnsitzes bzw. der Hofstelle des Beteiligten gelegen sind, so daß nur die großräumige Flurbereinigung die gesamten Parzellen eines Besitzstandes (Betriebseinheit) erfassen und somit zu dem bestmöglichen Zusammenlegungserfolg führen kann. Hinzu kommt, daß nur die Bildung großer Verfahrensgebiete wirksame Flurbereinigungsplanungen und die Abstimmung von Flurbereinigungsmaßnahmen auf andere Fachplanungen ermöglicht (Grundsatz der Integralmelioration). Das Gebot der möglichst großflächigen Gebietsabgrenzung folgt aber auch aus dem Erfordernis, die bei der Bodenneuordnung notwendigen öffentlichen Mittel möglichst sinnvoll und zweckmäßig einzusetzen. Es läßt sich überdies aus der Systematik des Flurbereinigungsgesetzes selbst herleiten, insbesondere aus der gesetzlichen Regelung in § 86 Absatz 3 FlurbG entnehmen, wonach die - vereinfachte Flurbereinigung nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen in kleineren Gebieten für zulässig erklärt wird (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14. November 1961 - I C 73.60 - in RdL 1962, Seite 83). Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß der in § 7 Absatz 1 Satz 2 FlurbG normierten Ermessensrichtlinie in der Regel nur entsprochen wird, wenn sich das nach den § 1 ff. FlurbG eingeleitete Verfahren auf die gesamte Gemarkung erstreckt. Anders gewendet: Die Beschränkung der Flurbereinigung auf Teile einer Gemarkung bildet die Ausnahme, die nur durch sachgerechte Erwägungen gerechtfertigt werden kann. In solchen Fällen schließt die pflichtgemäße Ermessensausübung der Behörde notwendigerweise eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile in sich ein, die sich daraus ergeben, daß ausnahmsweise - abweichend von dem Regelsatz - einem Kleinverfahren der Vorzug gegeben wird. Unterläßt es die Behörde, eine solche Abwägung in ihrer Ermessensbetätigung mit einzubeziehen, so ist die Ermessensausübung nicht als vollständig und damit nicht als sachgerecht anzusehen, da die Entscheidung nicht alle wesentlichen entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles in Rechnung stellt (vgl. BVerwGE 9, 9 (14);10, 176 (180); Stern, Ermessen und unzulässige Ermessensausübung, Berlin 1964 Seite 34).
Im vorliegenden Falle lassen weder die Gründe des Flurbereinigungsbeschlusses selbst noch die von dem Beklagten vorgelegten Aktenvorgänge darauf schließen, daß die Nachteile einer kleinflächigen Flurbereinigung hinreichend in die behördliche Ermessensabwägung mit einbezogen worden sind. Die Obere Flurbereinigungsbehörde hat es trotz der Forderung der betroffenen Stadt K. und trotz der in ihrem Strukturgutachten vom 29. Dezember 1975 dargelegten Auffassung der Landwirtschaftskammer, ein möglichst großes Gebiet der Gemarkung G. in das Flurbereinigungsverfahren einzubeziehen, in der Begründung des Anordnungsbeschlusses lediglich bei dem Hinweis bewenden lassen, daß ein Flurbereinigungsverfahren in der ganzen Gemarkung G. nicht zügig durchgeführt werden könne, da die Bauleitplanung der Stadt K. noch nicht abgeschlossen sei und daß der Weinbergsteil ohne Nachteil für eine spätere umfassende Flurbereinigung vorweg bereinigt werden könne. Ein solcher Hinweis läßt die im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung erforderlichen Abwägungen mit dem Gebot einer möglichst großflächigen Verfahrensabgrenzung, insbesondere auch mit dem auf Integralmelioration gerichteten Flurbereinigungsziel, vermissen. Der Umstand, daß eine bereits angelegte Weinbergsfläche von lediglich 12 ha der Bereinigung bedarf, kann für sich genommen nicht der tragende Grund und Anlaß dafür sein, ein Kleinstverfahren einzuleiten, nur weil es zweckmäßig erscheint, die Einleitung eines Verfahrens in der Gemarkung G., die nach den Angaben des landwirtschaftlichen Strukturgutachtens rund 270 ha landwirtschaftliche Nutzfläche aufweist, im Hinblick auf die fehlende rechtskräftige Bauleitplanung zeitlich hinauszuschieben.
Eine Ermessensentscheidung ist zwar dann rechtmäßig, wenn die fehlenden Ermessensabwägungen, welche die den Verwaltungsakt erlassende Behörde hätte anstellen müssen, im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden sind (BVerwG in DÖV 1971, 746). Daran fehlt es jedoch nach Auffassung des Senats ebenfalls. In der Begründung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 25. Januar 1978 werden im wesentlichen nur die Hinweise wiederholt, die bereits in den Gründen des Flurbereinigungsbeschlusses vom 12. Mai 1977 enthalten sind. Die erstmaligen Ausführungen der Oberen Flurbereinigungsbehörde darin, daß das geplante Flurbereinigungsgebiet auch in einem umfassenden Flurbereinigungsverfahren als "Sondergebiet" hätte behandelt werden müssen, können zu keinem anderen Ergebnis führen. Das an der Gemarkungsgrenze W. gelegene Weinbaugebiet in Größe von 12 ha, das nach den Absichten der Flurbereinigungsbehörde auf mindestens 18 ha erweitert werden soll, mag zwar ein Sondergebiet im Sinne erhöhter Ausführungskosten sein mit der Folge, daß die Eigentümer dort im Gegensatz zu den sonstigen landwirtschaftlichen Nutzflächen zu höheren Flurbereinigungsbeiträgen herangezogen werden können (§ 19 Absatz 2 FlurbG). Daraus folgt jedoch noch nicht ohne weiteres, daß es schon im Hinblick auf seine geringe Flächengröße und gemessen an der oben dargelegten Ermessensrichtlinie für sich gesehen ein geeignetes Objekt für ein selbständiges, insgesamt 42 ha umfassendes Flurbereinigungsverfahren sein kann.