Oberlandesgericht Bamberg, Urteil vom 30.06.1965 - 1 N 40/65
Aktenzeichen | 1 N 40/65 | Entscheidung | Urteil | Datum | 30.06.1965 |
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Gericht | Oberlandesgericht Bamberg | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Verkehrssicherungspflicht der Teilnehmergemeinschaft an einer gemeinschaftlichen Anlage (Weg). |
Aus den Gründen
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und erweist sich als begründet.
Das Landgericht hat zwar zu Recht festgestellt, daß die verklagte Flurbereinigungsgenossenschaft für das im Rahmen der Flurbereinigung neu gebildete Grundstück Fl.Nr. 5826 verkehrssicherungspflichtig war. Dieses Grundstück war nicht nur als Anwendestreifen, sondern als Feldweg anzusehen. Das ergibt sich schon aus seiner Form und aus seinem Verlauf, wie er aus dem von der Beklagten selbst vorgelegten Planausschnitt im einzelnen zu ersehen ist. Im übrigen hat das Landgericht dies auch auf Grund seines Augenscheins bedenkenfrei festgestellt.
Nach Sachlage ist auch die Auffassung des Landgerichts nicht zu beanstanden, daß die Beklagte auf diesem Weg einen beschränkt öffentlichen Verkehr eröffnet hat. Der Weg war nicht nur den Anliegern, sondern zum mindesten allen Beteiligten am Flurbereinigungsverfahren zu landwirtschaftlichen Zwecken freigegeben. Diese Beschränkung war weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht so eng, daß der Verkehr auf dem Weg nicht mehr als öffentlich anzusehen gewesen wäre. Im übrigen hat auch hier das Landgericht auf Grund seines Augenscheins bedenkenfrei festgestellt, daß die Benutzung des Feldweges tatsächlich jedem offen stand, der sich zu dem Steinbruch begab und daß eine mit den rechtlichen Verhältnissen unbekannte Person auf Grund der natürlichen Verhältnisse nicht ersehen konnte, daß es sich bei dem zum Steinbruch führenden Weg nicht um einen öffentlichen Weg handelte.
Unter diesen Umständen war die Beklagte jedenfalls zur Zeit des Unfalls zur Sicherung des Verkehrs auf diesem Weg verpflichtet. Daß sie nicht dessen Eigentümerin war, ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich. Gerade in dem Verfahrensabschnitt zwischen der vorläufigen Besitzeinweisung und der endgültigen Ausführungsanordnung zum Flurbereinigungsplan (in dem zwar bereits die Besitzverhältnisse, aber noch nicht die Eigentumsverhältnisse geändert waren) konnte es nur darauf ankommen, wer den Verkehr auf dem fraglichen Weg tatsächlich eröffnet hatte. Das war - wie oben ausgeführt - die Beklagte. Neben ihr war allerdings auch der Besitzer des Steinbruchs verpflichtet, diesen so zu sichern, daß keine Gefahr für Benützer des oberhalb vorbeiführenden Weges entstehen konnte (vgl. § 367 Ziff. 12 StGB). Die Beklagte kann sich aber auf diese Verpflichtung eines Dritten nicht zu ihrer eigenen Entlastung berufen, weil ihre Verkehrssicherungspflicht unabhängig daneben bestand. Die Sicherung brauchte jedoch hier nicht in einer massiven Steinmauer oder einer ähnlichen massiven Begrenzung zwischen Weg und Steinbruch zu bestehen. Mit Rücksicht auf die geringe Verkehrsbedeutung dieses Weges, der voraussichtlich mit Fahrzeugen nur von den einheimischen, mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Landwirten benutzt wurde, genügte hier eine schwache Sicherung, die die Wegbenutzer lediglich vor dem angrenzenden Steinbruch warnte und verhindern konnte, daß sie versehentlich vom Weg abkamen. Die Beklagte wäre also ihrer Verkehrssicherungspflicht bereits dadurch ausreichend nachgekommen, daß sie einen leichten Stacheldrahtzaun oder eine niedrige Holzbarriere anbrachte. Von dieser Annahme geht ersichtlich (und zu Recht) auch das landgerichtliche Urteil aus.
Die Beklagte hat sich jedoch von ihrer Haftung wegen Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht durch den Beschluß ihres Vorstands vom 30.9.1958 weitgehend freigezeichnet. Durch diesen Beschluß hatte sie bestimmt, daß die Beteiligten die im Wege- und Gewässerplan vorgesehenen Wege schon vor deren Herstellung auf eigene Gefahr zu landwirtschaftlichen Zwecken benutzen konnten. Damit hatte sie ihre Haftung wirksam begrenzt. Im Flurbereinigungsverfahren werden häufig neue Wege hergestellt oder alte verändert, wobei die Durchführung im einzelnen längere Zeit in Anspruch nimmt. Im Interesse der landwirtschaftlichen Bestellung müssen diese Wege oft schon benützt werden, obwohl ihre Herstellung noch nicht abgeschlossen ist und sie noch nicht als völlig verkehrssicher angesehen werden können. Andererseits sind den am Flurbereinigungsverfahren Beteiligten diese Verhältnisse bekannt und es ist ihnen zuzumuten, sich in der Übergangszeit auf diesen Wegen mit besonderer Vorsicht zu bewegen. In der Freigabe der Wege zur Benutzung auf eigene Gefahr lag daher ein Haftungsausschluß, der nach Sachlage berechtigt und mindestens den Teilnehmern am Flurbereinigungsverfahren gegenüber wirksam war. Zu diesen Teilnehmern gehörte unstreitig auch der Sohn der Klägerin. Er ist auf dem fraglichen Weg demnach auf eigene Gefahr mit seiner Zugmaschine gefahren und die Beklagte hat für den dabei entstandenen Schaden bereits auf Grund dieses Haftungsausschlusses nicht einzutreten.
Darüber hinaus hat die Klägerin auch nicht bewiesen, daß eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte überhaupt für den Unfall ihres Sohnes ursächlich gewesen ist. Es ist völlig ungeklärt, wie sich der Vorfall abgespielt hat, bei dem F. B. tödlich verunglückte. Das Landgericht ist (ohne dies näher zu begründen) ersichtlich davon ausgegangen, daß er wegen der mangelnden Kennzeichnung der Begrenzung des Weges und aus eigener leichter Unachtsamkeit mit seiner Zugmaschine allmählich zu weit nach rechts gekommen und schließlich in den Steinbruch abgestürzt ist. Das ist aber nicht bewiesen und es kann auch nicht nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins als bewiesen angesehen werden. Diese Grundsätze könnten hier allenfalls dann angewendet werden, wenn F. B. die örtlichen Verhältnisse nicht gekannt hätte (etwa von der Existenz des Steinbruchs nicht gewußt hätte) oder wenn der Weg keinerlei Anhaltspunkte geboten hätte, nach denen sich ein Traktorfahrer richten könnte. Dann könnte der Unfall unter Umständen als typischer Unfall wegen mangelnder Kennzeichnung der Wegerrichtung und -begrenzung angesehen werden. Tatsächlich war aber F. B. mit den örtlichen Verhältnissen vertraut. Auch war der Weg mit Steinen abgemarkt und schloß nach links an Äcker an, so daß die Begrenzung gegenüber dem mit Gras bewachsenen Weg durch den Unterschied der Bestellung wohl erkennbar war. Unter diesen Umständen ist nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins als bewiesen anzusehen, daß die mangelnde Kennzeichnung des Weges und das Fehlen einer Warnung vor dem Steinbruch dazu geführt hat, daß die Zugmaschine vom Weg abkam. Vielmehr ist hier davon auszugehen, daß auch andere, nicht nur rein theoretische und nicht ganz fernliegende Möglichkeiten des Unfallhergangs bestehen. Der verunglückte F. B. kann z.B. auch wegen Übermüdung oder wegen eines plötzlichen Unwohlseins mit der Zugmaschine vom Weg abgekommen sein. Er war ja frühmorgens von zu Hause weggefahren und wurde erst abends aufgefunden, ohne daß festgestellt werden konnte, wann sich der Unfall ereignet hat. Es ist auch nicht auszuschließen, daß der Traktor vielleicht wegen eines technischen Versagens (etwa einer Unregelmäßigkeit der Lenkung) plötzlich nach rechts abgekommen ist. In all diesen Fällen hätte aber eine Sicherung des Weges gegen den Steinbruch hin, die nur als Warnung dienen sollte, den Unfall nicht verhindert. Die Zugmaschine hätte einen leichten Stacheldrahtzaun oder eine niedrige Holzbarriere ohne weiteres durchbrochen und wäre dann ebenso samt ihrem Lenker in den Steinbruch abgestürzt, wie dies tatsächlich geschehen ist.