Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 27.11.1963 - 3 C 52/63 = IK 1964 S. 142
Aktenzeichen | 3 C 52/63 | Entscheidung | Urteil | Datum | 27.11.1963 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | = IK 1964 S. 142 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Durch den Flurbereinigungsplan kann ein Grenzbebauungsrecht begründet werden. |
2. | Die allgemeinen Verwaltungsbehörden werden für die Dauer des Flurbereinigungsverfahrens aus ihrer Kompetenz soweit verdrängt, wie die Zuständigkeit der Flurbereinigungsbehörden reicht. |
3. | Soweit die Flurbereinigungsbehörde bei der Ordnung der rechtlichen Verhältnisse auf Rechtsgebieten tätig wird, die zur Zuständigkeit anderer Behörden gehören, muß sie sich materiellrechtlich im Rahmen der für diese geltenden Rechtsnormen halten. |
Aus den Gründen
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist durch den Plannachtrag II ein gültiges Grenzbebauungsrecht eingelegt worden.
Die rechtliche Grundlage für die Einräumung eines solchen Grenzbebauungsrechts bildet § 37 Abs. 2 erster Halbsatz des Flurbereinigungsgesetzes vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591) - FlurbG -, wonach die Flurbereinigungsbehörde die rechtlichen Verhältnisse zu ordnen hat. Wie das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 13. November 1958 (I C 132.57, NJW 1959, S. 643) entschieden hat, gibt diese Bestimmung der Flurbereinigungsbehörde nur insoweit eine Ermächtigung zur Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse im Flurbereinigungsgebiet, als es sich um Maßnahmen handelt, zu denen die Flurbereinigungsbehörde auf Grund anderer Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes befugt ist. Zu diesen Bestimmungen gehört neben sonstigen vor allem der § 37 Abs. 1 FlurbG, der die hauptsächlichsten Maßnahmen bezeichnet, die der Gesetzgeber zur Durchführung der in § 1 FlurbG festgelegten Aufgaben der Flurbereinigung für erforderlich und zulässig hält. Nach § 37 Abs. 1 FlurbG haben die Flurbereinigungsbehörden u.a. die Ortslagen aufzulockern und "alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, durch welche die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert werden, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert wird". Im vorliegenden Falle wurde durch den Flurbereinigungsplan der am Weg Nr. 149 liegende Teil des klägerischen Grundstücks (jetzt Plan Flur 6 Nr. 76) nach Südosten verschoben und dadurch die nordwestliche Grenze um rd. 3 m von dem an der gemeinsamen Grenze (jetzt Plan Flur 6 Nr. 75) stehenden Giebel des Hauses Nr. 84 der beigeladenen Nachbarn abgerückt, um diesen eine bisher nicht bestehende Zufahrt zum hinteren Teil ihres landwirtschaftlichen Anwesens zu verschaffen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß es sich dabei um eine nach § 37 Abs. 1 FlurbG gebotene und zulässige Maßnahme zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebes der Beigeladenen handelt. Die Verschiebung des klägerischen Plans hatte jedoch zur Folge, daß die Klägerinnen nicht mehr an den Giebel des Nachbarhauses Nr. 84 anbauen konnten, vielmehr 3 m von der neuen Grenze Abstand halten mußten, wodurch sich infolge Verkürzung der Baufront eines etwa später zu errichtenden Gebäudes die Ausnutzbarkeit des Grundstücks vermindert und zu einer erheblichen wirtschaftlichen Benachteiligung der Klägerinnen geführt hätte. Wenn die Flurbereinigungsbehörde im Plannachtrag II zur Behebung dieses auf der Grenzverschiebung beruhenden Nachteils zugunsten des klägerischen Plans Flur 6 Nr. 76 ein Recht zur Grenzbebauung mit einem fensterlosen, lichtundurchlässigen Giebel einlegte, so handelt es sich also um eine Ordnung der rechtlichen Verhältnisse, die mit der Schaffung der Zufahrt zum Grundstück der Beigeladenen in einem nach § 37 Abs. 2 erster Halbsatz FlurbG durch das Wort "dabei" gekennzeichneten Zusammenhang steht.
Der Zweck und der weitgefaßte Wortlaut des § 37 Abs. 2 erster Halbsatz FlurbG ergeben, daß die Ermächtigung der Flurbereinigungsbehörde zur Ordnung der rechtlichen Verhältnisse die Änderung bestehender und die Begründung neuer privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Rechte und Rechtsverhältnisse anstelle der sonst hierfür zuständigen Behörden beinhaltet (vgl. auch Seehusen, Komm. z. FlurbG, Anm. 5 zu § 37; Steuer, Komm. z. FlurbG, Anm. 12 zu § 37). Das kann im übrigen auch aus den zahlreichen sonstigen Ermächtigungen des Flurbereinigungsgesetzes für die Flurbereinigungsbehörde zur unmittelbaren Regelung privatrechtlicher und öffentlicher Rechte und Rechtsverhältnisse gefolgert werden, etwa in den §§ 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 48, 49, 54, 55, 58, 70, 72 u.a.. Vergleichsweise sei darauf hingewiesen, daß auch im Rahmen der sogenannten städtischen Umlegung nach § 61 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341) - BBauG - den Umlegungsstellen eine umfassende Ermächtigung zur Regelung der Rechtsverhältnisse an den im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücken eingeräumt worden ist (vgl. Schütz-Frohberg, Komm. z. BBauG, Anm. zu § 61). Daß die Flurbereinigungsbehörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und der damit verbundenen Ordnung der rechtlichen Verhältnisse zwangsläufig in den grundsätzlichen Zuständigkeitsbereich anderer Behörden eingreifen muß und kann, geht besonders deutlich aus dem sonstigen Wortlaut des § 37 Abs. 2 FlurbG hervor, in dem davon die Rede ist, daß die Flurbereinigungsbehörde den Erfordernissen der Landesgestaltung und Landesplanung, des Naturschutzes und der Landschaftspflege, der Wasserwirtschaft einschließlich Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, der Fischerei, der Energieversorgung, des öffentlichen Verkehrs, der Siedlung, der möglichen bergbaulichen Nutzung u.a. Rechnung zu tragen hat; also alles Gebiete, die grundsätzlich zur Zuständigkeit anderer Verwaltungen und Behörden gehören. Ein Tätigwerden der Flurbereinigungsbehörde im Zuständigkeitsbereich anderer Behörden kommt vor allem auf den Gebieten des Wegerechts und des Wasserrechts in Betracht (vgl. u.a. § 58 Abs. 1 FlurbG), ebenso aber auch auf den Gebieten des Bauplanungsrechts und des Bauaufsichtsrechts (Baupolizeirechts), vor allem, wenn die Ortslage zum Flurbereinigungsverfahren zugezogen worden ist. Mit anderen Worten: Die allgemeinen Verwaltungsbehörden werden für die Dauer des Flurbereinigungsverfahrens aus ihrer Kompetenz soweit verdrängt, wie die Zuständigkeit der Flurbereinigungsbehörden reicht (vgl. Czychowski, RdL 1963, S. 1, 3). Zum Teil erkennen die anderen Spezialgesetze noch ausdrücklich an, daß die Flurbereinigungsbehörden bei Erfüllung ihrer Aufgaben die Befugnisse der nach jenen Gesetzen zuständigen Behörden ausüben können (vgl. z.B. § 14 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27. Juli 1957, BGBl. I S. 1110; Witzel, WHG, Anm. 1 zu § 14; Urt. d. erk. Senats vom 28.5.1961, 3 C 59/61).
Die Auffassung der Klägerinnen, daß die Flurbereinigungsbehörde für die Einlegung des Grenzbebauungsrechts nicht zuständig sei, dieses vielmehr nur gemäß § 86 Abs. 2, 3 der Landesbauordnung für Rheinland-Pfalz vom 15. November 1961 (GVBl. 1961 S. 229) - LBO - durch Befreiung (Dispens) von der Vorschrift des § 7 LBO über Grenzabstände durch die untere Bauaufsichtsbehörde (Kreisbauamt) mit Zustimmung der oberen Bauaufsichtbehörde (Bezirksregierung) erfolgen könne, ist daher rechtsirrig. Die Flurbereinigungsbehörde tritt hier an die Stelle der unteren und der oberen Bauaufsichtsbehörde im Sinne von § 86 Abs. 3 LBO.
Soweit die Flurbereinigungsbehörde bei der Ordnung der rechtlichen Verhältnisse auf Rechtsgebieten tätig wird, die zur Zuständigkeit anderer Behörden gehören, muß sie sich jedoch materiellrechtlich im Rahmen der für diese geltenden Rechtsnormen halten (vgl. auch Steuer, aaO, Anm. 12 zu § 37). Sie kann nicht neue Rechtsinstitute schaffen, muß sich vielmehr derjenigen Rechtsinstitute bedienen, die das allgemeine materielle Recht zur Verfügung stellt (vgl. Czychowski, aaO; Caspari, RdL 1963 S. 289), wobei es grundsätzlich keinen Unterschied machen kann, ob es sich bei den anderen Rechtsnormen um solche des Bundesrechts oder des Landesrechts handelt. Die gegenteilige Auffassung müßte letztlich zu einer gänzlichen Desorganisation der gesamten Rechtsordnung und der öffentlichen Verwaltung, die dem Staatsbürger als eine Einheit gegenübertritt, führen, umsomehr, als die Zuständigkeit der Flurbereinigungsbehörde mit dem Abschluß des Flurbereinigungsverfahrens (§ 149 FlurbG) endet und die während des Verfahrens geschaffenen rechtlichen Ordnungen nunmehr in vollem Umfang der Kompetenz der für die Materie zuständigen Behörden unterfallen (vgl. Czychowski, aaO).