Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 19.09.1973 - 3 C 97/72
Aktenzeichen | 3 C 97/72 | Entscheidung | Urteil | Datum | 19.09.1973 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Jeder Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens ist verpflichtet, im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Flurbereinigungsplanes anhand der ihm zur Verfügung gestellten Abfindungsunterlagen und in Wahrnehmung des Auskunftstermins zu prüfen, ob die Regelungen des Planes für seinen Besitzstand vollständig sind und seinen Erwartungen entsprechen. Eine unter Mißachtung dieser Verpflichtung versäumte Beschwerde ist - nach der Lage des Einzelfalles - dann zuzulassen, wenn zur Zeit der Planbekanntgabe äußere Anzeichen dafür sprechen, daß eine erwartete Regelung noch aussteht. |
2. | Zur Übertragung der Althofstelle eines Aussiedlers auf die Gemeinde. |
3. | Zur Frage der Bindungswirkung von Zusagen. |
4. | Nur in das Flurbereinigungsverfahren eingebrachte Wohngebäude unterliegen der Schutzvorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 2 FlurbG, nicht aber erst im Flurbereinigungsplan gegebene Neuzuteilungen. |
Aus den Gründen
1. Dem Beklagten ist darin zuzustimmen, daß der Flurbereinigungsplan als komplexe Regelung und Zusammenfassung der gesamten Verfahrensergebnisse (vgl. § 58 FlurbG) nicht auch noch negative Abgrenzungen in der Weise enthalten kann, daß neben den positiven Regelungen auch beschrieben ist, was nicht durchgeführt, ausgebaut, festgesetzt oder zugeteilt werden soll. Wollte man eine solche Verpflichtung der Flurbereinigungsbehörde annehmen, dann würde die Planregelung ins uferlose ausgeweitet und im Wortsinne grenzenlos werden. Eine solche Negativbeschreibung ist zur lückenlosen Unterrichtung der Beteiligten aber auch nicht notwendig.
Die Klägerin konnte anhand ihrer Auszüge, die ihr unwidersprochen etwa 14 Tage vor dem Bekanntgabetermin ausgehändigt worden sind, mühelos feststellen, daß die Althofstelle ihr nicht zugeteilt wurde. Sie hatte darüber hinaus auch die Möglichkeit, durch Befragen zu erfahren, ob diese zunächst noch bei den Aussiedlereheleuten verblieben war oder bereits jemand anderem zugeteilt wurde. Die Klägerin wäre nach alledem in der Lage gewesen, rechtzeitig Beschwerde zu erheben. Dies hat sie versäumt. Die Versäumnis war auch verschuldet. Ein Verfahrensteilnehmer, der ohne Hindernis die ihm gewährten Möglichkeiten zur Information und zur Überlegung innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht nutzt, wahrt nicht die Sorgfalt, die von einem verantwortungsbewußten Teilnehmer bei der Durchsetzung seiner eigenen Belange erwartet werden muß; er handelt damit schuldhaft im Sinne von § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG (vgl. BVerwG, Beschluß vom 12.2.1963, BVerwGE 15, 271 = RdL 1963 S. 217). Dennoch war die Flurbereinigungsbehörde verpflichtet, die späteren Erklärungen zuzulassen.
So wie die Interessenabwägung bezüglich einzelbetrieblicher Belange zu dem Ergebnis führen kann, daß ausnahmsweise einmal die Interessen an der beschleunigten Durchführung des Verfahrens und der übrigen Teilnehmer an dem Bestand der Neueinteilung hinter den Interessen an einer sachlich gerechten Lösung zurückzustehen haben, so kann bei der Klage einer Gemeinde auch einmal die Durchsetzung notwendiger kommunaler Belange und die Verwirklichung optimaler Lösungen bei der Neugestaltung des Verfahrensgebietes Vorrang vor der beschleunigten Durchführung des Verfahrens und dem Interesse anderer Verfahrensteilnehmer haben.
Hinzu kommt hier noch als Besonderheit des Einzelfalles, daß die Beschwerde zwar schuldhaft verspätet erhoben wurde, die Klägerin jedoch zumindest zeitweilig mit einiger Berechtigung davon ausgehen konnte, daß ihre Belange durch die Flurbereinigungsbehörde quasi von Amts wegen gewahrt würden. Das Ausmaß ihres Verschuldens bei der Versäumnis der Beschwerdefrist ist daher nicht so hoch zu veranschlagen.
2. Die Klägerin hat zwar keinen Anspruch auf Zuteilung der Althofstelle nach den Abfindungsgrundsätzen des § 44 FlurbG, weil es insoweit für sie nicht um eine Abfindung für eingebrachten Altbesitz geht. Sie kann ihre Ansprüche auch nicht auf die Bestimmung des § 40 FlurbG stützen. Diese Vorschrift gibt der Flurbereinigungsbehörde lediglich die Möglichkeit, "Land" im Sinne einer generellen Kürzung des Wertanteils aller Verfahrensteilnehmer, also Verringerung des allgemeinen Abfindungsanspruchs, bereitzustellen, nicht jedoch in die nach § 45 FlurbG geschützten Anlagen einzugreifen, um gezielt bestimmte Stellen des Verfahrensgebietes für bestimmte Zwecke zur Verfügung zu stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.1962, RdL 1963 S. 106). Solch konkrete Eingriffe, die über die bloße Neueinteilung hinausgehen, sind nur dann berechtigt, wenn damit der in den § 1 und § 37 FlurbG normierte Zweck der Flurbereinigung dies erfordert. Nur in diesem Rahmen kann die Klägerin zur Wahrung kommunaler oder öffentlicher Interessen Forderungen an die Flurbereinigungsbehörde stellen. Im vorliegenden Falle sind diese Forderungen berechtigt, weil die von der Flurbereinigungsbehörde vorgenommene Übertragung der Althofstelle auf den Beigeladenen dem Sinn und Zweck des Flurbereinigungsverfahrens widerspricht.
Die Klägerin hat nunmehr im Termin zur mündlichen Verhandlung Erklärungen abgegeben, die den Senat in die Lage versetzten, die Entscheidung des Kulturamtes zu korrigieren und eine Änderung des Flurbereinigungsplanes anzuordnen, die sämtlichen Interessen besser gerecht wird.
Zu dieser Änderung des Flurbereinigungsplanes ist das Flurbereinigungsgericht berechtigt. Entsprechend der Vorschriften der § 144 und § 146 FlurbG ist das Gericht, wenn Gegenstand der Klage Beschwerden gegen den Flurbereinigungsplan bilden, nicht auf eine Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes beschränkt, sondern es ihm eine umfassende Rechtsgestaltungsbefugnis eingeräumt.
3. Dieser umfassenden Gestaltungsbefugnis des Gerichts steht auch nicht die Zusage des Kulturamtes entgegen, die in der Verhandlung vom 26.9.1969 mit den Aussiedlereheleuten zugunsten des Beigeladenen festgehalten worden ist. Diese Zusage ist zwar nicht deswegen unbeachtlich, weil sie innerhalb des Siedlungsverfahrens im Zuge der Vorbereitung der Aussiedlung gegeben wurde und nicht im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens. Die Frage, ob das Kulturamt als Siedlungsbehörde eine Bindung für die Flurbereinigungsbehörde herbeiführen kann, wäre zu formalistisch gestellt und würde dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Verwaltung widersprechen. Auf ihre Entscheidung kommt es aber auch nicht an. Nach ständiger flurbereinigungsgerichtlicher Rechtsprechung sind nämlich planerische Zusagen, selbst wenn sie von einer hierfür zuständigen Stelle abgegeben worden sind, für die endgültigen Planfestsetzungen dann nicht verbindlich, wenn sie gegen den Sinn und Zweck des Verfahrens oder berechtigte Interessen anderer Verfahrensteilnehmer verstoßen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 20.8.1960, RdL 1961 S. 81; VGH Kassel, Urteil vom 29.1.1969 - III F 6/67 -; BVerwG Beschluß vom 14.12.1970, IK 1971 S. 55; OVG Rh-Of, Urteil vom 14./15.8.1973 - 3 C 75/72 -). Solche Zusagen sind zwar im allgemeinen verwaltungsrechtlichen Sinne und im Hinblick auf etwaige Schadensersatzforderungen nicht ohne jede Bedeutung, sie können jedoch zu keiner Bindung für das Flurbereinigungsverfahren führen, weil auf diese Art und Weise der Verfahrenszweck in mehr oder weniger großem Umfange vereitelt werden könnte. Die Flurbereinigungsbehörde und die zur Änderung des Flurbereinigungsplanes befugten Rechtsmittelinstanzen müssen ungeschmälert die Möglichkeit haben, Änderungen des Flurbereinigungsplanes sobald und soweit anzuordnen, als dies zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrages notwendig ist (vgl. § 60, § 141 Abs. 2, § 144 und § 146 FlurbG). Wenn also im vorliegenden Falle bereits das Kulturamt an die einmal - aus welchen Gründen auch immer - gegebene Zusage nicht gebunden war, dann gilt dies umso mehr für das Flurbereinigungsgericht, welches die Befugnis haben muß, den Flurbereinigungsplan so zu ändern, daß alle berechtigten Forderungen erfüllt werden.
4. Der mit dieser Entscheidung angeordneten Änderung stehen auch nicht die Bestimmungen des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 FlurbG entgegen. § 45 Abs. 2 Satz 2 FlurbG, wonach bei einer Veränderung von Wohngebäuden die Zustimmung der Eigentümer erforderlich ist, kann nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nur so verstanden werden, daß denjenigen Verfahrensteilnehmern, die solche Gebäude in das Verfahren einbringen, diese nicht gegen ihren Willen entzogen werden können. Diese Vorschriften des § 45 FlurbG stellen eine Ergänzung des § 44 FlurbG dar, durch die das Ermessen der Flurbereinigungsbehörde bei der Gestaltung des Flurbereinigungsgebietes eingeschränkt wird (vgl. Seehusen - Schwede - Nebe, Komm. z. FlurbG, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 45). Durch sie werden jedoch nur eingebrachte Grundstücke, nicht aber erst im Flurbereinigungsplan gegebene Neuzuteilungen besonders geschützt. Der oberste Grundsatz bei der Neugestaltung des Verfahrensgebietes lautet, jeder Teilnehmer ist für die von ihm eingebrachten Grundstücke mit Land von gleichem Wert abzufinden (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Wohngebäude sind im allgemeinen mit so vielen individuellen Merkmalen versehen, und ihr tatsächlicher Gebrauchswert unterliegt derart vielen Beurteilungskriterien, daß der Anspruch auf Abfindung mit Land von gleichem Wert sich bei ihnen darauf konkretisiert, daß er nur durch Belassung bzw. erneute Zuteilung an den alten Eigentümer erfüllt werden kann. Abweichungen davon sind daher nur dann zulässig, wenn dieser zustimmt. Etwas anderes muß jedoch dann gelten, wenn solche Gebäude nicht in das Verfahren eingebracht wurden, sondern durch den Flurbereinigungsplan erstmals neu zugeteilt worden sind. Zwar tritt in einem solchen Falle nach Erlaß der Ausführungsanordnung der neue Rechtszustand an die Stelle des bisherigen (vgl. § 61 Satz 2 FlurbG), so daß der Planempfänger damit Eigentümer der ihm gegebenen Zuteilung wird. Im konkreten Falle ist der Beigeladene somit am 20.1.1972 (Zeitpunkt des Eintritts des neuen Rechtszustandes) Eigentümer der Althofstelle geworden.
Diese erstmals durch die vorzeitige Ausführung des Flurbereinigungsplanes erlangten Eigentumsrechte an der Althofstelle genießen nach dem vorher Gesagten jedoch nicht den Schutz des § 45 FlurbG, und sie schützen auch nicht vor einer erneuten Änderung, da auch der bereits vorzeitig ausgeführte Flurbereinigungsplan geändert werden kann, und diese Änderung in rechtlicher Hinsicht auf den in der Ausführungsanordnung festgesetzten Tag zurückwirkt (vgl. § 63 Abs. 2 FlurbG). Die einem Beteiligten gegebene Abfindung bleibt in ihrer endgültigen rechtlichen Wirksamkeit solange in der Schwebe, bis sämtliche Beschwerden gegen den Flurbereinigungsplan ihre Erledigung gefunden haben, und auch dann ist eine Änderung in dem allerdings enggezogenen Rahmen des § 64 FlurbG noch möglich. Die spätere Änderungsmöglichkeit ergibt sich bei der vorzeitigen Ausführung des Flurbereinigungsplanes nach § 63 FlurbG daraus, daß die rechtlichen Wirkungen sowohl für die nichtangegriffenen als auch für die angefochtenen Festsetzungen des Planes eintreten. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß die einzelnen Abfindungen auflösend bedingt sind und gegebenenfalls trotz Eintritts der rechtlichen Wirkungen noch geändert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.1.1962, RdL 1962 S. 107).Anmerkung
Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.11.1975 - V B 1.74 - zurückgewiesen.