Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.10.1962 - I C 212.58 = BVerwGE 15, 72= RdL 1963 S. 106
Aktenzeichen | I C 212.58 | Entscheidung | Urteil | Datum | 25.10.1962 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = BVerwGE 15, 72 = RdL 1963 S. 106 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Schaffung eines öffentlichen Weges hält sich im Rahmen der Ziele der Flurbereinigung und kann auch einen Eingriff in einen Hofraum rechtfertigen, wenn der Wegebau der Stärkung der wirtschaftlichen Grundlagen der am Verfahren teilnehmenden Betriebe und der Förderung der allgemeinen Landeskultur dient. |
2. | Dagegen ist die Schaffung eines öffentlichen Weges im Rahmen der Flurbereinigung dann nicht zulässig, wenn der Weg nur den Bedürfnissen der gemeindlichen Planung dient. |
Aus den Gründen
Sämtliche im Flurbereinigungsgebiet liegenden Grundstücke unterliegen der Eingriffs- und Gestaltungsbefugnis der Flurbereinigungsbehörde, soweit nicht die Ausnahmeregelung des § 45 FlurbG eingreift. Hofflächen dürfen nach dieser Vorschrift nur unter den dort genannten Voraussetzungen verändert, verlegt oder einem anderen Teilnehmer gegeben werden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so sind die Hofflächen in den alten Grenzen wieder zuzuteilen (Beschluß vom 17.3.1962, BVerwG I B 41.62).
Nach den tatsächlichen Feststellungen hat das Flurbereinigungsgericht in dem Eingriff in den Hofraum zutreffend eine Veränderung im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG gesehen. Die Berechtigung des Klagebegehrens hängt somit davon ab, ob "der Zweck der Flurbereinigung" die Veränderung des Hofraums "erfordert" (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG).
Mit der Flurbereinigung wird die Herstellung einer im FlurbG näher umschriebenen Ordnung in einem Flurbereinigungsgebiet mittels der im Gesetz festgelegten Maßnahmen bezweckt. Vom Zweck der Flurbereinigung "erfordert" wird die Veränderung einer Hoffläche i.S. des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG also dann, wenn gesetzlich zulässige Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um den im FlurbG festgelegten Auftrag sachgerecht zu erledigen. Es kommt also darauf an, ob die Ausweisung der Ortsstraße Nr. 751 zu den in einem Flurbereinigungsverfahren durchgeführten Aufgaben gehört.
Der Zweck der Flurbereinigung ist in § 1 FlurbG inhaltlich dahin umschrieben, daß die landw. Erzeugung und die allgemeine Landeskultur in solchen Gemeinden gefördert werden soll, in denen der ländliche Grundbesitz zersplittert oder unwirtschaftlich geformt ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Grundstücke zusammengelegt, wirtschaftlich gestaltet und durch andere landeskulturelle Maßnahmen verbessert werden. Die vom Gesetzgeber zur Erledigung dieses Auftrages für erforderlich und für zulässig gehaltenen Maßnahmen sind im wesentlichen in § 37 Abs. 1 FlurbG näher bezeichnet. Daneben stellt das Gesetz in § 37 Abs. 2 FlurbG eine Reihe von Grundsätzen auf, die bei der Durchführung des Verfahrens zu berücksichtigen sind.
Nach § 37 Abs. 1 FlurbG gehört es zu den Aufgaben der Flurbereinigung, das Gebiet durch Wege zu erschließen und die Ortslagen aufzulockern. Die Vorschrift wird ergänzt durch § 39 FlurbG. Hiernach sind Wege zu schaffen, soweit das Interesse der allgemeinen Landeskultur und das wirtschaftliche Bedürfnis der Teilnehmer es erfordern. Dabei ist der Begriff des "wirtschaftlichen Bedürfnisses" nicht auf rein landw. Zwecke beschränkt, besonders wenn die Ortslage zum Verfahren zugezogen worden ist; es muß sich aber um wirtschaftliche Bedürfnisse der Teilnehmer handeln; wirtschaftliche Bedürfnisse der Gemeindeangehörigen oder Aufgaben, die der Gemeinde als öffentlicher Körperschaft obliegen, scheiden für die Anwendung des § 39 FlurbG aus. Die nach § 39 FlurbG geschaffenen Wege werden als "gemeinschaftliche Anlagen" für eine gemeinschaftliche Benutzung von der Teilnehmergemeinschaft hergestellt (§ 39 Abs. 1 Satz 2, § 42 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Die Planfeststellung erfolgt durch die Flurbereinigungsbehörde (§ 41 FlurbG).
Neben der in § 37 Abs. 1, § 39 FlurbG geregelten Aufgabe, Wege als gemeinschaftliche Anlagen zu schaffen, stellt § 37 Abs. 2 FlurbG den Grundsatz auf, daß bei der im Flurbereinigungsgebiet herzustellenden Ordnung den "Erfordernissen des öffentlichen Verkehrs ... Rechnung zu tragen" ist. Diese Richtlinie für die behördliche Tätigkeit wird durch die Ermächtigung in § 40 FlurbG ergänzt. Die Behörde kann hiernach für die dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlagen Land in verhältnismäßig geringem Umfang "bereitstellen". Sie ist also befugt, das für öffentliche Verkehrsanlagen erforderliche Land aus der Gesamtmasse vorweg auszusondern und dem zuständigen Träger der Straßenbaulast zur Verfügung zu stellen, damit dieser die Anlage bei Gelegenheit der Flurbereinigung ausführen kann. Eine Herstellungspflicht der Teilnehmergemeinschaft besteht insoweit nicht. Auch die erforderliche Planfeststellung regelt sich nicht nach dem FlurbG, sondern nach den hierfür maßgeblichen Gesetzen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 FlurbG).
Hiernach gehört es zu den Aufgaben der Flurbereinigung und damit zu ihrem Zweck, Wege als gemeinschaftliche Anlagen im Sinne des § 39 FlurbG zu schaffen und für die Errichtung öffentlicher Verkehrsanlagen Land in verhältnismäßig geringem Umfang nach Maßgabe des § 40 FlurbG bereitzustellen. Es trifft also nicht zu, daß jegliche Maßnahme, "die wegen ihres öffentlichen Interesses dem Wohl der Allgemeinheit förderlich" ist und für deren Durchführung die Flurbereinigung eine "einmalige Gelegenheit bietet", zum Zweck der Flurbereinigung gehört. Der Senat hat im Urteil vom 13.11.1958, BVerwG I C 132.57, NJW 1959 S. 643) ausgeführt, daß die Flurbereinigungsbehörde nicht jedwede Anordnung oder Maßnahme treffen könne, die sie im Rahmen ihres weitgespannten Tätigkeitsbereichs für notwendig und zweckmäßig halte. Die Flurbereinigungsbehörde müsse sich in jedem Fall auf eine konkrete Vorschrift des FlurbG stützen können, die die einzelne Maßnahme zulasse. In BVerwGE 12, 341 (342) hat der Senat weiter darauf hingewiesen, daß ein dringendes öffentliches Bedürfnis allein nicht ausreicht, um eine behördliche Maßnahme im Rahmen eines Umlegungsverfahrens zu rechtfertigen. Nur im Rahmen der gesetzlich festgelegten Aufgaben ist die Behörde auch ermächtigt, in die Vermögensverhältnisse der einzelnen Teilnehmer einzugreifen. Die Befugnisse der Behörde können im Verhältnis zu den Teilnehmern nicht weiter gehen als die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben. Erfordert die Neugliederung des Flurbereinigungsgebietes die Herstellung eines Weges, so muß der betroffene Teilnehmer unter den Voraussetzungen des § 45 FlurbG auch eine Veränderung seines Hofraumes dulden; er ist weiter verpflichtet, nach Maßgabe des § 47 FlurbG einen Wegebeitrag zu leisten. Dagegen darf die Flurbereinigungsbehörde, wenn sie Land für eine Anlage nach § 40 FlurbG "bereitstellt", von dem einzelnen Teilnehmer nur den Wegebeitrag nach § 47 FlurbG fordern, der aber nicht auf eine reale Landfläche, sondern auf einen Wertanteil gerichtet ist, um den das Teilnehmerrecht gekürzt wird.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob es sich bei der Ortsstraße Nr. 751 um einen Weg handelt, der zu den für eine gemeinschaftliche Benutzung durch die Teilnehmer bestimmten Anlagen im Sinne des § 39 FlurbG gerechnet werden muß.
Dem steht zunächst nicht entgegen, daß es sich bei dem Weg Nr. 751 um eine öffentliche Ortsstraße handelt. Der beispielhafte Hinweis in § 40 FlurbG auf die "öffentlichen Wege" schließt nicht aus, daß öffentliche Wege als "gemeinschaftliche Anlagen" nach § 39 FlurbG ausgewiesen werden, § 39 Abs. 1 FlurbG legt lediglich fest, unter welchen Voraussetzungen die Teilnehmergemeinschaft Wege schaffen kann; die Vorschrift besagt aber nichts darüber, welche rechtliche Qualität einem unter diesen Voraussetzungen gebauten Weg zukommt. Die öffentlichen Wege gehören dann zu den gemeinschaftlichen Anlagen im Sinne des § 39 FlurbG, wenn die Schaffung im Interesse der allgemeinen Landeskultur und im wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen regelmäßig vor, wenn durch den öffentlichen Weg die Feldmark erschlossen oder eine Auflockerung der Ortslage erreicht wird. Der Wegebau muß also ein Mittel zur Stärkung der wirtschaftlichen Grundlagen der am Verfahren teilnehmenden Betriebe sein und der Förderung der allgemeinen Landeskultur dienen. Ist das der Fall, dann hält sich die Schaffung eines öffentlichen Weges im Rahmen der Ziele der Flurbereinigung und kann einen Eingriff in einen Hofraum nach § 45 Abs. 1 FlurbG rechtfertigen. Wird der öffentliche Weg dagegen nur gelegentlich, also mehr oder weniger zufällig im Zusammenhang mit der Flurbereinigung hergestellt, ohne daß die Voraussetzungen des § 39 FlurbG vorliegen, so wird die Maßnahme nicht erforderlich, um das Ziel des Flurbereinigungsverfahrens zu erfüllen; dann liegen auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG nicht vor.
Das Flurb.Gericht hat ausgeführt, es könne angenommen werden, daß die neue Ortsstraße Nr. 751 nicht unbedingt im landw. Interesse erforderlich sei. Es würden nur zwei Bauplätze unmittelbar aufgeschlossen. Die Straße trage aber zur Erschließung des gesamten ostwärts liegenden Geländes bei und komme als Weg zu einer Schule in Betracht. Sie sei damit im öffentlichen Interesse erforderlich. Diese Feststellungen reichen nicht aus, um die Maßnahmen nach § 39 FlurbG als gerechtfertigt anzusehen. Es ist zweifelhaft, ob der Weg den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Teilnehmer oder den Bedürfnissen der gemeindlichen Planung dient. Mit der Ausweisung des Weges hat die Flurbereinigungsbehörde möglicherweise eine Aufgabe der Gemeinde wahrgenommen, zu der dieser - damals - die Vorschriften des hess. Aufbaugesetzes zur Verfügung standen. Nach § 37 Abs. 1 Satz 3 FlurbG hindern Bauleitpläne zwar nicht die Beiziehung der Ortslage zu einem Flurbereinigungsverfahren; damit ist aber nicht gesagt, daß die Behörde diese Pläne auch in ihrem Verfahren vollziehen müßte. Jedenfalls ist das dann nicht unbedenklich, wenn der Vollzug Eingriffe notwendig macht, die durch das FlurbG nicht gedeckt sind. Unterstellt man mit dem Flurbereinigungsgericht, daß die Flurbereinigungsbehörde an den Generalbebauungsplan gebunden ist, so zwingt sein Vollzug möglicherweise zu einer Maßnahme - Eingriff in den Hofraum der Kläger -, die nicht erforderlich ist, um das Ziel der Flurbereinigung zu erreichen. In einem solchen Fall muß die Wegeausweisung entweder aus dem Flurbereinigungsplan ausgeklammert oder eine Lösung gesucht werden, die mit dem Gesetz in Einklang steht. Es muß der Gemeinde überlassen bleiben, wie sie ihren Plan vollzieht. Das kann allerdings dazu führen, daß die Kläger enteignet werden müssen, wenn sie sich nicht mit der bisherigen Lösung einverstanden erklären.