Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 16.02.2005 - 23 F 404/05 = RdL 2005, 96 (Lieferung 2006)
Aktenzeichen | 23 F 404/05 | Entscheidung | Urteil | Datum | 16.02.2005 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = RdL 2005, 96 | Lieferung | 2006 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Es ist zulässig, bei der Begründung des Sofortvollzuges auf die Begründung der vorläufigen Anordnung Bezug zu nehmen, wenn aus dieser die besondere Dringlichkeit klar hervorgeht. |
2. | Der Besitzentzug zugunsten eines Zweckverbandes für die Errichtung von Wasserversorgungsanlagen oder Anlagen zum Hochwasserschutz gehören zu den im Rahmen des § 36 FlurbG zulässigen Regelungen. |
3. | Zur Bestimmtheit der vorläufigen Anordnung. |
Aus den Gründen
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG zulässige Antrag der als Erbengemeinschaft nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähigen Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die vorläufige Anordnung vom 13. Januar 2005 hat in der Sache keinen Erfolg. Die sofortige Vollziehung der vorläufigen Anordnung liegt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im besonderen öffentlichen Interesse und überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs und damit an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes ihres Flurstücks 1 in der Flur 3 bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Widerspruch. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand des derzeitigen Erkenntnisstandes ergibt sich, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die vorläufige Anordnung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung leidet nicht an einem Begründungsmangel. Sie entspricht gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch den Anforderungen der ausreichenden Begründung. Der Antragsgegner hat zur Begründung des Sofortvollzugs auf die Begründung der vorläufigen Anordnung Bezug genommen, wonach durch den Bau des Rückhaltebeckens die Hochwasserabflusssituation am Kleebach bei starken Niederschlägen erheblich verbessert werde. Insbesondere würden am Unterlauf des Kleebaches Schäden an Gebäuden und anderen baulichen Anlagen abgewendet. Im Sinne der Verbesserung des örtlichen Hochwasserschutzes und mittelfristig für das ganze Einzugsgebiet des Rheines und seiner Nebengewässer bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der Umsetzung der Hochwasserschutzmaßnahme. Sie sei Bestandteil des „Rahmenplanes über die Hochwasserschutzmaßnahmen im Einzugsbereich des Kleebaches" des Wasserverbandes Kleebach. Der Rahmenplan sei vom Wasserverband verabschiedet worden, um die in der Vergangenheit immer wieder aufgetretenen schweren Hochwasserschäden zukünftig zu verhindern. Damit hat der Antragsgegner den Sofortvollzugs unter Bezug auf die Dringlichkeit der vorläufigen Anordnung begründet. Das ist zulässig, denn die Dringlichkeit der vorläufigen Anordnung kann sich mit den Gründen des Sofortvollzugs decken, so dass es nicht erforderlich ist, die für die Dringlichkeit sprechenden Gründe in der Begründung des Sofortvollzugs zu wiederholen. In der Rechtsprechung des Senats ist daher anerkannt, dass es bei der Begründung des Sofortvollzugs zulässig ist, auf die Begründung der vorläufigen Anordnung Bezug zu nehmen, wenn aus dieser bereits die besondere Dringlichkeit klar hervorgeht (Beschluss des Senats vom 29.11.1993 - F 2556/93 - und vom 25.10.2001 - 23 F 2342/01 -).
Die angefochtene vorläufige Anordnung ist auch sachlich nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG sind gegeben. Danach kann die Flurbereinigungsbehörde eine vorläufige Anordnung erlassen und erlassene Anordnungen aufheben oder ändern, wenn es aus dringenden Gründen erforderlich wird, vor der Ausführung oder zur Vorbereitung und Durchführung von Änderungen des Flurbereinigungsplans den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken oder die Ausübung anderer Rechte zu regeln. Die Befugnisse der Flurbereinigungsbehörde nach § 36 FlurbG gelten grundsätzlich für alle Flurbereinigungsverfahren und damit auch für das hier angeordnete vereinfachte Flurbereinigungsverfahren nach § 86 FlurbG (vgl. Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, Kommentar, Stand: April 1989, § 36 RN 8). Die vorläufige Anordnung hält sich im Rahmen dessen, was mit ihr nach § 36 FlurbG geregelt werden darf. Sie ist auf Antrag des Wasserverbandes Kleebach von der unteren Flurbereinigungsbehörde erlassen worden, nachdem der Flurbereinigungsbeschluss vom 16. Januar 2003 bestandskräftig geworden ist. Das Mitglied zu 1. der Erbengemeinschaft, G S , hatte seine ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen den Flurbereinigungsbeschluss nicht weiter verfolgt (vgl. Vergleich vor dem Senat vorn 22.01.2004 - 23 F 2728/03 -). In einem weiteren diesbezüglichen Flurbereinigungsverfahren nahm Herr G S seine Klage zurück (vgl. Beschluss des Senats vom 23.11.2004 - 23 F 3000/04). Die Voraussetzung, dass die vorläufige Anordnung frühestens erlassen werden darf, sobald der Flurbereinigungsbeschluss unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist (vgl. Seehusen-Schwede, Flurbereinigungsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 1997, § 36 RN 17), ist hier gegeben.
Es werden Besitz und Nutzung der betroffenen Teilfläche des Grundstücks der Antragstellerin benötigt, weil es sich um eine Fläche handelt, die für die Verwirklichung des gegenüber der Antragstellerin unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums Gießen vom 7. Oktober 2003 heranzuziehen ist. Der Besitzentzug zugunsten eines Zweckverbandes für die Errichtung von Wasserversorgungsanlagen oder - wie hier - Anlagen zum Hochwasserschutz gehört zu den im Rahmen des § 36 FlurbG zulässigen Regelungen (vgl. Quadflieg, a. a. 0., RN 24).
Die vorläufige Anordnung ist auch bestimmt genug. Soweit dort von einer im Kartenausschnitt „rot gefärbten" Fläche gesprochen wird, während die der Antragstellerin zugegangene Übersichtskarte eine schwarz eingezeichnete Fläche von 4.800 qm enthält, liegt darin kein zur Unwirksamkeit des Verwaltungsakts oder zu einem Vollstreckungshindernis führender Mangel. Die der Antragstellerin zugegangene Übersichtskarte weist in der Legende bereits die beanspruchte Fläche ebenfalls mit einer Schwarzfärbung aus. Angesichts dieses Umstands schadet die falsche Bezeichnung rot im Text der Anordnung nicht. Der Antragstellerin war auch aufgrund weiterer Umstände bekannt, um welche in Anspruch genommene Teilfläche es sich handelt. So ist das Mitglied zu 5. der Erbengemeinschaft und dem von der Antragstellerin bevollmächtigten G S ausweislich der Niederschrift über den Verhandlungstermin vom 13. Dezember 2004 dort eine Karte mit der Verlustfläche übergeben worden. Die anwesenden Mitglieder der Erbengemeinschaft erklärten auf die Frage, ob weitere Erläuterungen notwendig seien, dass ihnen der Sachverhalt klar sei und keine Fragen mehr offen seien.
Es liegen auch dringende Gründe für die angeordnete Besitzentziehung vor. Wann die Voraussetzungen für das Vorliegen dringender Gründe im vorgenannten Sinne gegeben sind, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Hier ergibt sich die Dringlichkeit der vorläufigen Anordnung daraus, dass die Flurbereinigung letztlich dem Ziel dient, dem gegenüber der Antragstellerin unanfechtbaren wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Gießen zur Ausführung zu verhelfen und die vom Kleebach ausgehenden Hochwassergefahren bei Starkniederschlägen zu mindern. Damit sollen am Unterlauf des Kleebaches Schäden an Gebäuden und anderen baulichen Anlagen abgewendet werden, die in der Vergangenheit schon aufgetreten sind.
Die Eilbedürftigkeit und Vollziehbarkeit der vorläufigen Anordnung hängt in ihrer rechtlichen Wirksamkeit nicht zwingend von angemessenen Ersatzflächen oder Entschädigungen ab. Ohnehin enthält der Eilantrag der Antragstellerin dazu keine konkreten und ins Einzelne gehenden Darlegungen. Damit besteht kein hinreichender Anlass, hier auf diese Gesichtspunkte näher einzugehen.