Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.06.1963 - I B 80.63

Aktenzeichen I B 80.63 Entscheidung Beschluss Datum 07.06.1963
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zur Frage der vorläufigen Anordnung und vorläufigen Besitzeinweisung (§ 65 FlurbG) in Weinbergsbereinigungen, die in Teilabschnitten durchgeführt werden.

Aus den Gründen

Die Kläger sind Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens, das vornehmlich als Weinbergbereinigung in Teilgebieten durchgeführt wird. Für das Teilgebiet II erließ die Flurbereinigungsbehörde am 24. März 1960 eine vorläufige Anordnung nach § 36 FlurbG, durch die den Beteiligten dieses Abschnittes mit Wirkung vom 27. April 1960 "der Besitz und die Nutzung ihrer alten Grundstücke entzogen und zum Ausgleich als angemessene Entschädigung der Besitz und die Nutzung der in der neuen Feldeinteilung benannten Grundstücke zugewiesen" wurde. Das Flurbereinigungsgericht hat die von den Klägern hiergegen erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, die vorläufige Anordnung sei zur Durchführung einer abschnittsweisen Weinbergsflurbereinigung zulässig und die den Klägern als Ersatz für die entzogenen Grundstücke zugewiesenen Flächen eine angemessene Entschädigung im Sinne des § 36 FlurbG.

Die von den Klägern angegriffene "vorläufige Anordnung mit Überleitungsbestimmungen" vom 24. März 1960 ist von dem Kulturamt auf § 36 des Flurbereinigungsgesetzes vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591) - FlurbG - gestützt und vom Flurbereinigungsgericht auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt geprüft worden. Ihrem sachlichen Inhalt nach handelt es sich aber nicht um eine vorläufige Anordnung nach dieser Vorschrift, sondern um eine vorläufige Besitzeinweisung nach Maßgabe der § 65 ff. FlurbG. Nach der Begründung sollen die Beteiligten "alsbald in den vollen Genuß der Vorteile des Flurbereinigungsverfahrens in ihren Weinbergen gebracht werden, insbesondere soll ihnen das zeitgerechte Setzen der Pfropfreben auf den Neuzuteilungen ermöglicht werden". Das Ziel der Anordnung besteht darin, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, um den Beteiligten als Ersatz für den Entzug von Besitz und Nutzung ihrer alten Grundstücke den Besitz und die Nutzung an den in der "neuen Feldeinteilung benannten Grundstücke" zuzuweisen. Es soll somit der mit dem Flurbereinigungsverfahren erstrebte endgültige tatsächliche Zustand bereits vor Eintritt der rechtlichen Wirkungen der Flurbereinigung, die durch die Ausführungsanordnung eintreten, herbeigeführt werden (über das Verhältnis von rechtlicher und tatsächlicher Ausführung vgl. BVerwGE 12, 341 zu der im wesentlichen entsprechenden Rechtslage nach der Reichsumlegungsordnung). Die vorläufige Anordnung nach § 36 FlurbG dient im Gegensatz hierzu dem Zweck, den Übergang in den neuen Zustand vorzubereiten und zu sichern sowie die Aufstellung des Planes und die Durchführung des Verfahrens zu erleichtern und zu beschleunigen; vgl. Beschluß vom 6. März 1961 - BVerwG I B 141.60 -, RdL 1961 S. 136. Zu Unrecht beruft sich das Flurbereinigungsgericht auf diese Entscheidung des Senats. In der damals zur Beurteilung stehenden Streitsache hat es sich darum gehandelt, daß den Beteiligten der Besitz entzogen werden mußte, um die Flächen für einen Rebaufbau vorzubereiten.

Nach dem sachlichen Inhalt der Anordnung vom 24. März 1960 können die zugeteilten Flächen nicht als "angemessene Entschädigung" im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG für den entzogenen Besitz angesehen werden. Die den Teilnehmern durch die Anordnung zugewiesenen Flächen, an denen ihnen der Besitz und die Nutzung eingeräumt worden ist, sollen nach der rechtlichen Ausführung des Flurbereinigungsplanes endgültig an die Stelle der alten Grundstücke treten (Ziffer IV der Anordnung). Offenbar sind das Kulturamt und das Flurbereinigungsgericht davon ausgegangen, daß die vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG zuvor eine Besitzentziehung nach § 36 FlurbG erforderlich mache. Eine solche Auffassung entbehrt der gesetzlichen Grundlage. Im Rahmen einer Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG bedarf es keiner ausdrücklichen behördlichen Entscheidung, daß der Besitz und die Nutzung an den alten Grundstücken entzogen wird. Es liegt im Wesen der vorläufigen Besitzeinweisung, daß der bisherige Besitz entzogen und ein entsprechender Besitz durch den Rechtsakt der Anordnung übertragen wird. Die im Rahmen der vorläufigen Besitzeinweisung zugewiesenen Grundstücke bilden daher in der Regel die nach § 44 Abs. 1 FlurbG im Flurbereinigungsplan zu gewährende - aber vorweggenommene - Abfindung. Der Anspruch des Teilnehmers auf die Herstellung des neuen - dem Flurbereinigungsplan entsprechenden - tatsächlichen Zustandes, der durch die vorläufige Besitzeinweisung vorweggenommen wird, ist ein Bestandteil des Abfindungsanspruchs. Der auf eine angemessene Entschädigung gerichtete Ausgleichsanspruch des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG ist dagegen kein Bestandteil des Abfindungsanspruchs und auch nicht sein Surrogat. Die Entschädigungsregelung des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG ist, wie der Senat in dem bereits genannten Beschluß vom 6. März 1961 dargelegt hat, ein Sonderfall der Ausgleichsregelung des § 51 Abs. 1 FlurbG, die dem Beteiligten einen Rechtsanspruch auf Ausgleich für vorübergehende Nachteile gewährt, die durch die Flurbereinigung eintreten. Die Ausgleichsansprüche nach § 36 Abs. 1 Satz 2, § 51 Abs. 1 FlurbG bestehen neben dem Anspruch auf eine wertgleiche Abfindung (vgl. Beschluß vom 28. Oktober 1960 - BVerwG I B 99.60 -, Urteil vom 14. November 1961 - BVerwG I C 117.59 -, RdL 1962 S. 106).

Ob die im Rahmen der vorläufigen Besitzeinweisung zugeteilten Flächen den entzogenen Grundstücken wertmäßig entsprechen, ist bei der gerichtlichen Prüfung der Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung nicht zu untersuchen. Diese Entscheidung ist nach der gesetzlichen Regelung dem Verfahrensabschnitt, der die Bekanntgabe und die Anfechtung des Flurbereinigungsplanes betrifft, vorbehalten - § 59, § 60, § 141, § 146 FlurbG - (Beschlüsse vom 24. Januar 1959 - BVerwG I B 167.58 - und vom 4. März 1959 - BVerwG I CB 143.58 -). Die vorläufige Besitzeinweisung nimmt daher den Klägern nicht das Recht, gegen den Flurbereinigungsplan, der ihre Gesamtabfindung regelt, mit den vorgesehenen Rechtsmitteln vorzugehen und hierbei die in der Beschwerde geltend gemachte Rüge zu erheben (Beschluß vom 29. August 1957 - BVerwG I C 24.57 -).

Es kommt somit für die Entscheidung der vorliegenden Streitsache nicht darauf an, was unter einer angemessenen Entschädigung im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 2 FlurbG zu verstehen ist.