Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 04.11.1976 - III F 72/76 = RdL 1977 S. 122

Aktenzeichen III F 72/76 Entscheidung Urteil Datum 04.11.1976
Gericht Flurbereinigungsgericht Kassel Veröffentlichungen RdL 1977 S. 122  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine vorläufige Anordnung nach § 36 FlurbG muß das Ausmaß und den räumlichen Wirkungsbereich der Verfügungsbeschränkung eindeutig bestimmen.

Aus den Gründen

Die erlassene vorläufige Anordnung ist nichtig. Nichtig sind u. a. Verwaltungsakte, die aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Dies ist schon im Rahmen der bisher von der Rechtsprechung und Literatur unter Herrschaft der Evidenztheorie entwickelten Grundsätze, welche u. a. die Bestimmtheit des Verwaltungsaktes nach Zweck und Ziel verlangen (vgl. statt vieler OVG Münster in OVGE 2, 115, Redeker - von Oertzen, VwGO, 5. Aufl. § 42 Anm. 116, Eyermann-Fröhler, VwGO, 6. Aufl. Anh. § 42 Anm. 10 a. E., Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht Bd. I, 9. Aufl. § 51 III b 4 Forsthoff, Allgemeines Verwaltungsrecht 10. Aufl., S. 237 und 249) anerkannt gewesen. Dieser Grundsatz findet sich nun auch im § 44 Abs. 2 Ziffer 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25.5.1976 - BGBl I S. 1253 -, welches am 1.1.1977 in Kraft getreten ist (§ 103 Abs. 1 VwVfG) und gesicherte Erkenntnisse der Rechtsprechung und Lehre auf dem Gebiete des Verwaltungsverfahrensrechtes kodifiziert hat. Es bestehen keine Bedenken, die in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze auch bereits heute in der Rechtsprechung unter Bezugnahme auf dieses Gesetz anzuwenden, da sich bei Anwendung anderer Belegquellen kein anderes rechtliches Ergebnis böte.
Die vorläufige Anordnung vom 1.3.1976, auch in der Fassung des sie bestätigenden Widerspruchsbescheides vom 22.7.1976, ist infolge einer Unausführbarkeit im obengenannten Sinne nichtig.

Die Unausführbarkeit ergibt sich im vorliegenden Falle aus der Unbestimmtheit des Verwaltungsakts nach dem von ihm verfolgten Zweck und Ziel. Diese Unbestimmtheit liegt hier deswegen vor, weil die vorläufige Anordnung einmal das Ausmaß der Verfügungsbeschränkung nicht eindeutig bestimmt, indem sie offenläßt, ob nun eine Besitzentziehung oder nur der Nutzungsentzug angeordnet wurde. "Besitz bzw. Nutzung" werden nach dem Wortlaut der Anordnung entzogen. Entscheidend aber ist die absolute Unklarkeit des Verwaltungsaktes bezüglich seines räumlichen Wirkungsbereiches. Er läßt nicht erkennen, welche Flächen des Grundstücks nun genau dem Entzug des Besitzes bzw. der Nutzung unterworfen sein sollen. Die Anordnung würde es möglich machen, jede beliebige Fläche, die nur annähernd die angegebene Größe hat - und das wären jedenfalls auch Flächen von 100 qm mehr oder weniger - aus dem Grundstück in Anspruch zu nehmen. Die textliche Darstellung der betreffenden Fläche läßt jede beliebige Begrenzung der zu entziehenden Fläche als denkbar erscheinen, sofern nur den Größenangaben entsprochen ist. Die vorläufige Anordnung vom 1.3.1976 nennt nicht einmal den für den Vorwegausbau vorgesehenen Wegezug, der die vorläufige Anordnung nach Auffassung der Behörde erforderlich macht, obwohl dies allein sicher nicht genügt. Um solche Unbestimmtheiten zu steuern, hat der zweite Senat des Hess. VGH (Urteil vom 10.4.1973 - II OE 33/72 -, nicht veröffentlicht) für das Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz entschieden, daß die Begrenzung der in Anspruch zu nehmenden Flächen zum Schutze der Betroffenen notfalls in einem Plan mit einem Maßstab 1:100 festgehalten werden müsse. Der vorläufigen Anordnung an den Kläger ist aber, obwohl sie textlich unzulängliche Angaben über die genaue Lage der beanspruchten Flächen gibt, überhaupt keine Karte beigegeben. Der erkennende Senat hat bereits in einem anderen Falle einer vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG (Beschluß vom 9.10.1972 - III F 56/72 -, nicht veröffentlicht) auf die Notwendigkeit der Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes in bezug auf die genaue Darstellung der betroffenen Flächen hingewiesen. Die hier streitige vorläufige Anordnung des HALK nimmt jedoch auf überhaupt keine Karte Bezug, die der Einsicht des Klägers offengestanden hätte oder die gar der Anordnung zwecks eindeutiger Bestimmung beigefügt worden wäre.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß inzwischen in der Örtlichkeit möglicherweise eine Wegeabsteckung stattgefunden hat. Die angefochtene vorläufige Anordnung bezieht sich nicht auf diese, und es kann auch fraglich sein, ob dies genügen würde. Dieser nach alledem in der vorläufigen Anordnung zu sehende nichtige Verwaltungsakt ist auch nicht mehr heilbar, nachdem ihm nicht spätestens im Widerspruchsverfahren die erforderliche Bestimmtheit gegeben wurde (vgl. Forsthoff und Eyermann-Fröhler a.a.O. , ferner auch Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht 9. Aufl. Band III, § 51 und die bei diesen Fundstellen zit. Rspr.). Insbesondere kann deshalb die Vorlage der Prozeßkarte im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren nicht mehr als eine solche Heilung angesehen werden.