Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 22.01.1976 - 3 C 19/75

Aktenzeichen 3 C 19/75 Entscheidung Urteil Datum 22.01.1976
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine vorläufige Anordnung, welche die vorzeitige Besitz- und Nutzungsregelung zugunsten eines am Flurbereinigungsverfahrens beteiligten Straßenbaulastträgers zum Inhalt hat, ist nach dem Flurbereinigungsgesetz zulässig.
2. Der Entschädigungsanspruch im Rahmen einer vorläufigen Anordnung richtet sich auf den Ausgleich bereits entstandener, vorübergehender Nachteile, nicht dagegen auch auf den Ausgleich von zukünftigen Schäden, die durch eine wertgleiche Landabfindung in dem - später aufzustellenden - Flurbereinigungsplan vermieden werden können.

Aus den Gründen

Nach § 36 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde schon vor der Ausführung des Flurbereinigungsplans den Besitz und die Nutzung an Grundstücken regeln, wenn dies aus dringenden Gründen erforderlich ist. Als sachlicher Inhalt einer solchen Regelung kommt allerdings nur in Betracht, was auf einer ausreichenden rechtlichen Grundlage Gegenstand von Anordnungen und Festsetzungen im Flurbereinigungsplan sein kann (BVerwG, Urteil vom 6. März 1961 - I B 141.60 - in RdL 1961, 136; Seehusen-Schwede-Nebe, FlurbG, 2. Auflage, Anmerkung 1 zu § 36).

Nach der in der vorläufigen Anordnung der Flurbereinigungsbehörde enthaltenen Begründung sowie dem unstreitigen Vorbringen des beklagten Landes dient die getroffene Besitz- und Nutzungsregelung dazu, die im Verfahrensgebiet geplante Autobahnstrecke vorzeitig auszubauen und die gemeinschaftlichen Anlagen - Wirtschaftswege, Wasserführungen und Erdaufschüttungen - in unmittelbarer Nähe der Straßentrasse ebenfalls vorweg herzustellen. Der Grundbesitz des Klägers wird zwar von dem Autobahndamm nur in geringem Umfange betroffen. Etwa die Hälfte des an der Autobahntrasse gelegenen Altbesitzes des Klägers und seines Vaters wird aber vorzeitig für den Wirtschaftswegeausbau und für eine zur besseren Flächenbewirtschaftung vorgesehene Erdaufschüttung in Anspruch genommen. Die letztere Maßnahme dient sowohl dem gemeinschaftlichen Interesse der Teilnehmergemeinschaft wie auch gleichzeitig dem Ausbau der Autobahn insofern, als bei dem Straßenausbau anfallende Erdmassen für die Aufschüttung kostensparend verwendet werden, und dementsprechend auch die vorläufige Anordnung zugunsten der Straßenverwaltung erlassen worden ist. Auch bei Berücksichtigung dieses ihres doppelten Zweckes entbehrt die vorläufige Anordnung der notwendigen gesetzlichen Grundlage nicht.

Die geplanten gemeinschaftlichen Anlagen - Wirtschaftswege, Wasserführungen, Dammaufschüttung - finden ihre rechtliche Stütze in dem vorläufig festgestellten Wege- und Gewässerplan (§ 41 FlurbG), der gemäß § 58 Absatz 1 Satz 2 FlurbG in den späteren Flurbereinigungsplan aufzunehmen ist. Nach § 41 Absatz 3 Satz 3 FlurbG bezieht sich die vorläufige Feststellung des Wege- und Gewässerplanes zwar nicht auf das geplante Autobahnvorhaben, da dieses seine besondere Rechtsgrundlage in dem straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluß vom 29. Oktober 1971 hat. Die Verwirklichung einer nach dem Fernstraßengesetz festgestellten Straßenbaumaßnahme kann jedoch insoweit Gegenstand einer Regelung im Flurbereinigungsplan sein, als dem Straßenbaulastträger darin die für das Vorhaben erforderlichen Grundflächen zu Eigentum zugeteilt werden, und zwar entweder nach Maßgabe des § 40 FlurbG oder nach § 44 FlurbG bei Grundstückskäufen und daraus resultierenden Landabfindungsansprüchen der Straßenbehörde. Werden die Erfordernisse des öffentlichen Verkehrs in dieser Weise berücksichtigt (§ 37 Absatz 2 FlurbG), so sind die entsprechenden Rechtsänderungen im Flurbereinigungsplan nachzuweisen (§ 58 Absatz 1 Satz 2 FlurbG). Angesichts dieser möglichen Planregelung hält es der Senat mit der bisherigen Rechtsprechung anderer Flurbereinigungsgerichte für sachlich gerechtfertigt, vorweg auch solche Besitz- und Nutzungsübertragungen zuzulassen, welche die gesetzlich gebilligte Zweckverwirklichung - den Ausbau von öffentlichen Anlagen - vorbereiten und fördern (HessVGH, Urteil vom 13.11.1964 - F III 49/62 - in RdL 1965, 133; BayVGH, Urteile vom 10.5.1968 - Nr. 18 VII/68 - in Innere Kolonisation 1971, 57 - Leitsatz - sowie vom 15.6.1972 - Nr. 30 XII/71 - in AgrarR 1972, 503). Dem stehen weder der Sinn und Wortlaut noch auch die Rechtsfolgenregelung des § 36 FlurbG entgegen. Bereits unter der Geltung der Reichsumlegungsordnung (RUO) war der Erlaß einer vorläufigen Anordnung für den Bau von öffentlichen Anlagen gestattet, wie sich aus dem Wortlaut des § 41 RUO ergibt. Durch die verkürzte Fassung des § 36 FlurbG, die eine beispielhafte Hervorhebung der gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen nicht mehr enthält, sollte die bestehende Rechtslage in dieser Hinsicht erkennbar nicht geändert werden. Die Entschädigungsregelung nach § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG erfährt zwar seine inhaltliche Einschränkung dadurch, daß die Flurbereinigung als Betriebsförderungsmaßnahme auf dauernde wirtschaftliche Vorteile abzielt, die Verwirklichung dieses Zieles zugleich aber Nachteile vorübergehender Art mit sich bringt, die von dem Teilnehmer im Hinblick auf die dauernden Wirtschaftsverbesserungen hingenommen werden müssen. Dieser - einschränkende - Gesichtspunkt trifft auf Regelungen zum Vorwegausbau öffentlicher Anlagen nicht zu, da eine solche Maßnahme unzweifelhaft im öffentlichen und nicht im gemeinschaftlichen Interesse liegt. Nach Auffassung des Senats steht die Besonderheit dieser Entschädigungsregelung der Anwendung des § 36 FlurbG für öffentliche Anlagen aber nicht entgegen, da die gesetzliche Bestimmung einer dem Artikel 14 GG entsprechenden Auslegung und Rechtsanwendung zugänglich und fähig ist, und somit die Rechtsposition der betroffenen Teilnehmer in solchen Fällen hinreichend gewahrt werden kann.

Die von der Flurbereinigungsbehörde getroffene Besitz- und Nutzungsregelung zugunsten der Straßenverwaltung war auch aus dringenden Gründen erforderlich. Die im Flurbereinigungsverfahren L. verlaufende Autobahnstrecke ist ein Teil der linksrheinischen Autobahn. Diese bildet eine bedeutende überregionale Verkehrsachse, indem sie die Verbindung zwischen dem Niederrheingebiet und dem südwestdeutschen Raum herstellt und die rechtsrheinische Autobahnverbindung entlastet. Nach dem abgeschlossenen Ausbau größerer Strecken der linksrheinischen Autobahn lag es im dringenden Verkehrsinteresse, die Bauvorhaben der noch unfertigen Teilabschnitte möglichst bald abzuschließen, um die gesamte Autobahnverbindung der überregionalen Zweckbestimmung entsprechend den Verkehrsbedürfnissen rasch nutzbar zu machen. Im Hinblick auf die für 1975 geplante Freigabe des auch im Verfahrensgebiet verlaufenden Straßenabschnitts war daher eine den Straßenbau fördernde und unterstützende Besitzregelung nach § 36 FlurbG unbedenklich gerechtfertigt. Der Vorwegausbau der Autobahn lag aber auch im Interesse der Beteiligten. Die im Wege- und Gewässerplan vorgesehenen Anlagen und Maßnahmen sind nur sinnvoll und zweckmäßig auszuführen, wenn sie den - bereits vorhandenen - Bauwerken der Autobahn in der Örtlichkeit angepaßt werden können. Die dabei erforderlichen Erdbaumaßnahmen lassen sich daher insbesondere bei wechselnder Geländegestaltung nicht völlig voneinander getrennt durchführen. Abgesehen davon, daß der Ausbau auf diese Weise möglichst rationelle Lösungen in der Durchführung gewährleistet, werden die Teilnehmer damit in die Lage versetzt, den in diesem Jahre (1976) zugeteilten Neubesitz - bei bereits geschaffenen gemeinschaftlichen Anlagen - schon im Zeitpunkt des Empfanges der Abfindungen ungestört bewirtschaften zu können.

Ist die vorläufige Anordnung somit rechtmäßig ergangen, so beurteilt sich die von dem Kläger geltend gemachte Entschädigung nach § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG. Darüber hinaus entscheidet gemäß § 140 FlurbG das Flurbereinigungsgericht, so daß eine Verweisung der Sache - wegen der Entschädigungsansprüche - nach § 41 Absatz 3 VwGO an das zuständige ordentliche Gericht nicht in Betracht kommt.

Ebenso wie der Anfechtungsantrag muß auch der Verpflichtungsantrag auf Festsetzung einer Entschädigung in Höhe von 25.000,-- DM erfolglos bleiben. Der Kläger hat nicht dargetan, daß er infolge der vorläufigen Anordnung bereits jetzt schon einen Schaden erlitten hat. Nach § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde im Rahmen einer vorläufigen Anordnung zum Ausgleich von Härten eine angemessene Entschädigung festsetzen. Diese Entschädigungsregelung bildet einen Sonderfall des § 51 FlurbG, der den Beteiligten einen Rechtsanspruch auf Entschädigung für vorübergehende Nachteile gewährt. Die Bedeutung des § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG liegt darin, daß die Behörde die Entschädigung für vorübergehende Nachteile in Härtefällen bereits im Rahmen der vorläufigen Anordnung und nicht erst im Flurbereinigungsplan festzusetzen hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1961 - I B 141.60 -, a.a.O.). Der Anspruch nach § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG besteht neben dem Hauptanspruch auf wertgleiche Abfindung nach § 44 FlurbG (BVerwG, Urteil vom 28.10.1960 - I B 99.60 - in RdL 1961, 26). Aus dem Verhältnis der gesetzlichen Ansprüche zueinander folgt, daß über § 36 Absatz 1 Satz 2 FlurbG nicht etwas beansprucht werden kann, was nach § 44 FlurbG als wertgleiche Abfindung zu regeln ist. Bei dem geltend gemachten Wertunterschied zwischen Alt- und Neubesitz in Höhe von 6.000,-- DM läßt sich ein Schaden insoweit noch nicht feststellen, als der Neubesitz erst noch zugeteilt werden muß. Wenn nämlich die Abfindungsgrundstücke ihrer Beschaffenheit nach für Erdablagerungen geeignet sind, so wäre der Kläger nicht schlechter gestellt als im Falle der behaupteten Verwertbarkeit seines Altbesitzes. Nicht anders verhält es sich mit den weiteren Schadensbeträgen in Höhe von 15.000,-- DM und 7.500,-- DM, die der Kläger allgemein als Gewinnverlust wegen längerer Transportwege für Erdmassenbewegungen und damit verbundene höhere Aufwendungen dem Verpflichtungsantrag zugrunde legt. Ohne Darlegung eines bereits entstandenen konkreten Gewinnverlustes stützt der Kläger auch diese Schadensbeträge allein darauf, daß der Altbesitz an der Autobahntrasse nach Inanspruchnahme durch die Flurbereinigungsbehörde für Erdablagerungen nicht mehr zu verwenden und der - zu erwartende - Neubesitz für solche Zwecke nicht geeignet sei. Es kann daher auch bei diesen Beträgen noch nicht von einem bereits eingetretenen Schaden gesprochen werden. Denn erst nach Zuteilung der Landabfindung ist festzustellen, ob Wertunterschiede zwischen Alt- und Neubesitz bestehen, die in der mangelnden Ausnutzbarkeit der Zuteilung begründet sind.