Flurbereinigungsgericht Koblenz, Beschluss vom 11.12.1975 - 3 D 6/75

Aktenzeichen 3 D 6/75 Entscheidung Beschluss Datum 11.12.1975
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Absicht, eine Straßenbaumaßnahme zügig durchzuführen, rechtfertigt allein nicht die sofortige Vollziehung.

Aus den Gründen

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 35, 263 (272 f.); 382 (401 f.)) und des Bundesverwaltungsgerichts (DVBl 1974, 566) ist davon auszugehen, daß die regelmäßig nach § 80 Abs. 1 VwGO eintretende aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses ist. Hieraus folgt, daß sich die gesetzlich zugelassene Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes als Ausnahmeregelung darstellt, die nur durch besondere konkrete Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu begründen ist. Der Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehung erfordert somit ein "besonderes" öffentliches Interesse, das über das Interesse hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO). Dieses besondere öffentliche Interesse ist in ausreichender, verständlicher Weise schriftlich zu begründen. Allgemeine Wendungen, Leerformeln oder etwa die Wiederholung des Gesetzeswortlautes reichen dafür nicht aus. Vielmehr müssen der Betroffene wie auch das Gericht anhand der konkreten behördlichen Begründung zur Prüfung der Entscheidung in der Lage sein (Redeker - von Oertzen, VwGO, 4. Aufl., Anm. 21 zu § 80 mit weiteren Nachweisen). Bei der knappen Anmerkung in der vorläufigen Anordnung, daß das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung "in dem zügigen Ausbau der Kreisstraße bestehe" kann von einer solchen Begründung im Sinne von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gesprochen werden. Daß Maßnahmen der Staats- oder Kommunalverwaltung "zügig" und nicht etwa langsam oder verzögerlich durchzuführen sind, entspricht ordnungsgemäßer Verwaltungspraxis. Aus dem allgemeinen kurzen Hinweis läßt sich nicht entnehmen, welche gewichtigen Gründe etwa vorliegen könnten, die für einen Straßenausbau schon vor der Aufstellung und Bekanntgabe des Flurbereinigungsplanes sprechen könnten. Da die Begründung ein notwendiger Bestandteil der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist, kann sie bei Fehlerhaftigkeit in dem gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht nachgeschoben werden.

Das Gericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im Hinblick auf die fehlerhafte Begründung der sofortigen Vollziehung nicht ausgesprochen, somit das behördliche Verfahren auch nicht an sich gezogen, da es sich bei dem Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO um einen Rechtsfehler handelt, der durch erneute Anordnung der sofortigen Vollziehung mit ausreichender Begründung durch die Verwaltungsbehörde geheilt werden kann (OVG Lüneburg in DVBl 1969, 630). Dem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ist mit der Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung Rechnung getragen, weil damit die erstrebte aufschiebende Wirkung der Beschwerde zunächst wieder eintritt.