Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.07.1965 - III ZR 2/64 = NJW 1965 S. 2101= DVBl. 1966 S. 306
Aktenzeichen | III ZR 2/64 | Entscheidung | Urteil | Datum | 14.07.1965 |
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Gericht | Bundesgerichtshof | Veröffentlichungen | = NJW 1965 S. 2101 = DVBl. 1966 S. 306 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die mit einem Umlegungsverfahren nach dem BBauG verbundenen Verfügungs- und Baubeschränkungen können zu einem enteignenden Eingriff werden, wenn sie den Eigentümer mehr und vor allem länger belasten, als es das Verfahren erfordert. |
Aus den Gründen
Die Anordnung des Umlegungsverfahrens hat nach § 23 Abs. 2 AufbauG NRW die kraft Gesetzes eintretende Wirkung, daß der Grundeigentümer nur mit Genehmigung des Umlegungsausschusses über das Grundstück verfügen, bauliche Anlagen auf dem Grundstück errichten oder verändern oder Vereinbarungen abschließen darf, durch die einem anderen ein Recht zur Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Grundstücksteils eingeräumt wird. Diese Umlegungssperre ist zeitlich begrenzt; sie tritt mit der Beendigung des Umlegungsverfahrens außer Kraft (§§ 28 Abs. 2; 29, 32 AufbauG NRW). Über eine zulässige Höchstdauer sagt das AufbauG NRW nichts. Anhaltspunkte hierfür lassen sich auch den Bestimmungen in § 51 BBauG, der an das Umlegungsverfahren nach den §§ 45 ff. BBauG ähnliche Einschränkungen der Verfügungsbefugnis des Eigentümers - wenn auch in teilweise anderer Ausgestaltung - knüpft, nicht entnehmen. Die Ansichten darüber, ob die Überschreitung einer gewissen zeitlichen Grenze für diese Umlegungsverfahren einen Entschädigungsanspruch begründen kann, sind geteilt. Brügelmann-Stahnke (BBauG zu § 51 Anm. IV 2) lehnen einen Entschädigungsanspruch ohne Rücksicht auf die Dauer des Verfahrens ab, weil eine zeitliche Begrenzung entsprechend den §§ 17, 18 BBauG nicht vorgesehen sei und die Umlegungsstelle keinen Einfluß auf das Rechtsmittelverfahren habe, in dem ein Beteiligter den Eintritt der Unanfechtbarkeit für das ganze Gebiet blockieren könne. Dagegen halten Schütz-Frohberg (BBauG, 2. Aufl. zu § 51 Anm. 1) die §§ 17, 18 BBauG im Falle einer Umlegungssperre für entsprechend anwendbar, mit der Folge, daß nach mehr als vierjähriger Dauer dadurch entstandene Vermögensnachteile in Geld zu entschädigen wären, es sei denn, daß von da ab grundsätzlich Genehmigungen erteilt würden. Die Frage kann, da das Gesetz schweigt, nur aus dem Begriff der Enteignung in Art. 14 GG beantwortet werden.
Da die Anordnung der Umlegung lediglich eine bestehende Sozialbindung sichtbar macht, kann die Frage nur dahin gestellt werden, ob die Umlegungs-Sperre durch Zeitablauf und gegebenenfalls nach welchem Zeitraum eine Enteignung werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kennzeichnet der Verstoß gegen den Gleichheitssatz die Enteignung. Jeder hoheitliche Eingriff, der einem Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt, ist inhaltlich eine Enteignung. Grundsätzlich unerheblich ist dabei, daß hier ein Eingriff nur im Rahmen eines gesetzlich zulässigen Umlegungsverfahrens in Betracht kommt. Denn der Begriff der Enteignung stellt nicht auf die äußere Form, sondern auf Wirkung und Inhalt des Eingriffs ab. Deshalb kann auch ein rechtmäßiges Umlegungsverfahren einen enteignenden Eingriff enthalten (BGHZ 32, 338, 346 = NJW 60, 1519), sofern es in einer Weise geführt wird, die den Beteiligten ein Sonderopfer auferlegt. Bei der Prüfung, ob dies zutrifft, ist es gerechtfertigt, an die Grundsätze anzuknüpfen, die der Senat hinsichtlich der Bausperren aus Planungsgründen entwickelt hat. Denn in ihrer Wirkung stehen beide Sperren - bei der in Enteignungssachen stets gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise - praktisch gleich und auch in ihrem Zweck, den § 17 AufbauG NRW für das Umlegungsverfahren mit den Worten umschreibt: "... zur Erschließung oder zweckmäßigen Neugestaltung von Gelände ..." treten, soweit es um den Wiederaufbau kriegszerstörter Städte geht, wesentliche Unterschiede nicht hervor.
Im sogenannten "Freiburger Bausperren-Urteil" (BGHZ 30, 338, 347 = NJW 59, 2156) hat der Senat ausgeführt:
"Insoweit die Bausperre zeitlich gerechtfertigt ist unter dem Gesichtspunkt der Aufschließung des Geländes, das örtlich zusammengefaßt werden muß, damit überhaupt seine Bebauung sinnvoll geplant werden kann, ist sie entschädigungslos hinzunehmen. Es ist also in einem solchen Falle zu fragen, ob und für welchen Zeitraum unter diesem Gesichtspunkt die Bausperre hätte verhängt werden können. Jenseits dieser zeitlichen Grenze fordert die Bausperre von dem Grundstückseigentümer ein Sonderopfer und nimmt den Charakter eines enteignenden Eingriffs an. Die ... als Eigentumsbeschränkung zu betrachtende Bausperre besteht als Konkretisierung der sich aus der Situationsgebundenheit ergebenden Pflichtigkeit aus dem Grundstück nur, soweit sie, was ihre Dauer anlangt, notwendig ist. Es ist deshalb in jedem Falle zu fragen, welche Zeit eine Verwaltung, die unter Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Kräfte sachgemäß, vorausschauend, planvoll und ohne Verzögerung zu Werke geht, benötigt, um die örtliche Planung zu Ende zu führen. Die allgemein für jede Verwaltung bestehende Pflicht, den Eingriff in die Freiheit und in das Eigentum des Bürgers möglichst gering zu halten, besteht in diesem Zusammenhang um so mehr, als in einer Zeit steigender Preise und Kosten am Baumarkt jede Bausperre zu fühlbaren und ernsten zusätzlichen Belastungen des Eigentümers führt. Jede nicht sachgerechte Verzögerung der Bauplanung und jede darauf beruhende Verlängerung der Bausperre, lassen auch die zunächst als Eigentumsbeschränkung zu beurteilende Bausperre zur Enteignung werden."
Aus diesen Grundsätzen hat der Senat - unter Würdigung der einschlägigen Landesgesetze (aaO S. 348) den Schluß gezogen, daß eine - aus Planungsgründen verhängte - Bausperre, die länger als drei Jahre aufrecht erhalten werde, stets einen entschädigungspflichtigen Eingriff in das Eigentum bedeute.
Das Berufungsgericht hat, da es sich um verwandte Sachverhalte handelt, die angeführten Grundsätze mit Recht im Umlegungsverfahren für anwendbar gehalten. Richtig hat jedoch das Berufungsgericht den Schluß, jede Bausperre werde nach drei Jahren zu einer enteignenden Maßnahme, für die Sperre des Umlegungsverfahrens nicht übernommen. Denn einerseits hängt die Dauer einer solchen Sperre nicht allein von dem Entschluß und der zügigen Arbeit der Verwaltung ab, andererseits fehlt es an gesetzlichen Regelungen der Dauer für das Umlegungsverfahren, an denen eine richterliche Entscheidung ausgerichtet werden könnte. Hier aber kommt es zunächst darauf an, ob die Sperre des Umlegungsverfahrens durch Zeitablauf überhaupt zu einem Sonderopfer für den Eigentümer, also zu einem enteignenden Eingriff werden kann. Das muß nach den angeführten Grundsätzen mit dem Berufungsgericht bejaht werden.
Das Berufungsgericht hat sich bemüht, für die Umlegungs-Sperre eine feste zeitliche Grenze zu finden, nach deren Ablauf die Sperre stets zu einem entschädigungspflichtigen enteignenden Eingriff werde. Ob seine Ansicht, eine solche Sperre werde nach fünf Jahren stets zur Enteignung, angesichts der Besonderheit des Umlegungsverfahrens und des Fehlens gesetzlicher Anhaltspunkte haltbar ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts für die vorliegende Streitsache zu entnehmen, daß die Sperre den Kläger über die notwendige Zeitdauer hinaus und damit in unangemessener Weise belastete, die für ihn ein Sonderopfer begründete. Denn das Berufungsgericht hat tatsächlich festgestellt, daß die beklagte Stadt die Durchführung des 1950 eingeleiteten Umlegungsverfahrens im fraglichen Bezirk von sich aus zurückgestellt und andere Gebiete, die ihr vom Standpunkt der Verkehrsplanung und des Wiederaufbaus des Stadtkerns vordringlicher erschienen, vorgezogen hat; es hat weiter festgestellt, daß das Umlegungsverfahren in diesem Bereich, nachdem der Umlegungsausschuß im Jahre 1959 die Bearbeitung ernsthaft aufgenommen hatte, in knapp drei Jahren abgeschlossen werden konnte. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend (§ 561 ZPO). Sie tragen den Schluß, daß das Umlegungsverfahren, wenn es zügig durchgeführt worden wäre, jedenfalls vor dem 1.1.1955 hätte beendet sein können. Ob die Beendigung schon zu einem früheren Zeitraum möglich gewesen wäre, bedarf der Erörterung nicht, weil nur der Zeitraum von Anfang 1955 bis Ende 1960 in Streit ist.
Die Ansicht der Revision, die Stadt habe die Umlegung im ordentlichen Geschäftsgang erledigen und sich dabei nach der größeren oder geringeren Dringlichkeit der mehreren im Stadtgebiet schwebenden Umlegungsverfahren richten dürfen, verkennt, daß die Last, die dem Eigentümer schon durch das Umlegungsverfahren - jedenfalls auch im öffentlichen Interesse - auferlegt wurde, im Rahmen der Sozialbindung (Situationsgebundenheit) des Eigentums nur solange blieb, als die Verwaltung sachgemäß, vorausschauend, planvoll und ohne Verzögerung zu Werke ging. Wenn sich ergab, daß der vorhandene Umlegungsausschuß binnen angemessener Zeit die mehreren Verfahren nicht werde erledigen können, hätte die beklagte Stadt - wie das Berufungsurteil zutreffend ausführt - einen zweiten Umlegungsausschuß einsetzen können. Die Möglichkeit hierzu zu bestreitet auch die Revision nicht. Ihre Auffassung, es habe hierfür jedoch die Veranlassung gefehlt, solange der Kläger nicht habe bauen können und wollen, läßt die weitere Feststellung des Berufungsgerichts außer acht, der Kläger sei hierzu willens und fähig gewesen.
Der Vortrag der Revision, die vom Berufungsgericht angenommene fünfjährige "Karenzzeit" habe erst mit dem 1.1.1955 beginnen können, weil der Kläger erst seit diesem Zeitpunkt zum Bauen imstande gewesen sei, und müsse überdies noch um die mutmaßliche Bauzeit von 1 1/2 Jahren verlängert werden, greift in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht durch. Die Revision geht dabei von der irrigen Vorstellung aus, der Kläger könne eine Entschädigung nur beanspruchen, wenn er das Grundstück vollständig wieder hätte aufbauen, wenn er dort einen "Großbau" hätte errichten können. Dessen bedarf es nicht. Denn wenn die Umlegungssperre seit spätestens Anfang 1955 durch die Sozialbindung des Eigentums nicht mehr gedeckt war, so bedeutete die in ihr liegende Einschränkung der Verfügungsmacht des Eigentümers eine entschädigungspflichtige Enteignung grundsätzlich schon, sofern sie sich auf die wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks nicht nur unerheblich auswirkte. Der Eingriff muß allerdings, um eine Entschädigungspflicht zu begründen, für den Betroffenen eine konkrete wirtschaftliche Beeinträchtigung mit sich bringen; es muß eine gewisse Opfergrenze überschritten sein, bevor eine wirtschaftlich vernünftige Betrachtungsweise die Beeinträchtigung als (Sonder-)Opfer bewertet (BGH, Urt. v. 30.5.1960, LM Nr. 17 zu Art. 14 (Cf) GrundG = MDR 60, 1000). Ein Bauverbot bzw. eine Bausperre bilden jedenfalls dann einen enteignenden Tatbestand, wenn sie solche Wirkungen haben, insbesondere ein Bauvorhaben irgendwie verhindern oder verzögern; es muß also - wie in den Urteilen des erkennenden Senats v. 25.6.1957 (III ZR 24/56) und 25.6.1962 (III ZR 72/62) ausgeführt ist - ein Grundstückseigentümer wirklich bauen wollen und in seinem Vorhaben durch ein Bauverbot oder eine Sperre gestört oder er muß in der sonstigen Verwertung seines Grundbesitzes in fühlbarer Weise beeinträchtigt werden.Anmerkung
Vgl. Herbert Kröner, Begriffe und Grundprobleme der Rechtsprechung des BGH zur Eigentumsgarantie, DVBl. 1969 S. 157, sowie BGH, Urteil vom 19.6.1972 - III ZR 106.70 = NJW 1972 S. 1946