Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.02.1959 - I C 160.57 = Buchholz BVerwG 424.01 § 32, § 134 FlurbG Nr. 1; § 45 FlurbG Nr. 2= RdL 1959 S. 221

Aktenzeichen I C 160.57 Entscheidung Urteil Datum 24.02.1959
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Buchholz BVerwG 424.01 § 32, § 134 FlurbG Nr. 1; § 45 FlurbG Nr. 2 = RdL 1959 S. 221  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Es ist möglich, eine unanfechtbar gewordene Schätzung zu ändern.
2. Zur Zulassung einer verspäteten Beschwerde gegen die festgestellten Schätzungsergebnisse.

Aus den Gründen

Nach Durchführung der tatsächlichen Schätzung wird das Schätzungsergebnis durch die Flurbereinigungsbehörde festgestellt (§ 32 FlurbG). Mit der öffentlichen Bekanntmachung dieser Feststellung ist das Schätzungsverfahren abgeschlossen. Die Feststellung ist ein Verwaltungsakt, der mit der Beschwerde angefochten werden kann. Nach Ablauf der Beschwerdefrist wird die Schätzung unanfechtbar. Die Ergebnisse der Schätzung sind den Beteiligten in einem Anhörungstermin zu erläutern. Zur Vermeidung von Beschwerden räumt das Gesetz ihnen das Recht ein gegen die Ergebnisse der Schätzung bereits in der Zeit vom Anhörungstermin bis zur Bekanntmachung der Feststellung Einwendungen zu erheben (§ 32 Satz 3 FlurbG). Werden die Einwendungen für begründet erachtet, so sind sie in der Feststellung zu berücksichtigen. Bei diesen Einwendungen handelt es sich nicht um einen förmlichen Rechtsbehelf, sondern um eine Anregung des Beteiligten zur Änderung der Schätzung. Entsprechend diesem Rechtscharakter führt die Nichterhebung von Einwendungen nicht zu einem Rechtsverlust für die Beteiligten. Es ist daher verfehlt, wenn das Flurbereinigungsgericht rügt, die Kläger hätten im Termin zur Bekanntgabe der Schätzung nicht einmal versucht, Einwendungen gegen die offengelegte Schätzung zu erheben.

Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung vorgetragen, daß in der Ladung für den Termin zur Bekanntgabe der Schätzung der Hinweis enthalten gewesen sei, daß Einwendungen gegen die Schätzung zur Vermeidung des Ausschlusses nur im Anhörungstermin vorgebracht werden könnten. Dieses Verfahren war gesetzwidrig. § 32 FlurbG enthält keinen Verschweigungstatbestand, wie er in der entsprechenden Bestimmung des § 38 Abs. 2 RUO geregelt ist.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts haben die Kläger bei Vorlage des Plannachtrages I die Bodengüte - also wohl die Schätzung - des Flurstücks 6 Nr. 11 beanstandet. Ob die Feststellung der Schätzung in diesem Zeitpunkt bereits unanfechtbar war, kann der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden. Die Frage kann auch offenbleiben; denn die Tatsache, daß die Kläger die Schätzung erst zu dem genannten Zeitpunkt beanstandet haben, besagt nicht notwendig, daß sie damit schlechthin ausgeschlossen sind. Die Auffassung der Beklagten, daß "nach der herrschenden Meinung" der Feststellungsakt der Schätzung der materiellen Rechtskraft fähig sei und die Flurbereinigungsbehörde daher die unanfechtbar gewordene Schätzung nachträglich nicht ändern könne, ist rechtsirrig. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Verwaltungsrechts können Verwaltungsakte unanfechtbar werden. Sie erlangen in der Regel aber keine Rechtskraft, wie sie Urteile der Gerichte in gerichtlichen Verfahren in dem Sinn erlangen können, daß eine abweichende Entscheidung nicht mehr ergehen kann. Die Behörden sind vielmehr befugt, soweit nicht besondere Rechtsgründe entgegenstehen, ihre Verwaltungsakte nach erneuter Prüfung zu ändern. Insbesondere sind sie nicht gehindert, belastende Verwaltungsakte auf Gegenvorstellungen aufzuheben, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, daß sie nicht gerechtfertigt waren (vgl. BVerwGE 4, 233 und Urteil des erkennenden Senats vom 14. Oktober 1958 - BVerwG I CB 149.58 - (NJW 1959 S. 404 = DVBl. 1959 S. 284)). Diese Grundsätze gelten, von Einschränkungen abgesehen, auf die es hier nicht ankommt, auch im Flurbereinigungsverfahren. Für das Flurbereinigungsverfahren gilt darüber hinaus: Die Flurbereinigung wird in einem behördlich geleiteten Verfahren durchgeführt; die Flurbereinigungsbehörde leitet die Schätzung (§ 31 Abs. 1 Satz 2). Die Behörde hat daher von Amts wegen dafür zu sorgen, daß die Rechte aller Teilnehmer gewahrt werden und nicht die Rechte einzelner zum Nachteil anderer eine Besserung erfahren. Es ist zunächst ihre Sache und nicht die des Teilnehmers, zu beachten, daß bei der Schätzung die wahren Werte der Grundstücke festgestellt werden. Sie kann über Einwendungen eines Teilnehmers gegen die Schätzung nicht ohne weiteres hinweggehen, sie muß vielmehr prüfen, ob eine nachträgliche Berücksichtigung der Einwendungen gerechtfertigt ist. Die rechtliche Grundlage für die nachträgliche Berücksichtigung von Schätzungsbeschwerden gibt § 134 Abs. 3 mit Abs. 2 FlurbG. Danach ist zu unterscheiden, ob die verspäteten Einwendungen verschuldet sind oder nicht.

Der Beteiligte verliert sein Recht, Beschwerde gegen die Schätzung der Grundstücke zu erheben, grundsätzlich nur dann, wenn er die Frist zur Erhebung der Beschwerde schuldhaft nicht wahrnimmt. Im Falle einer unverschuldeten Versäumnis kann er seine Erklärungen nachholen. Er muß dies unverzüglich nach Behebung des Hindernisses tun. Liegen beide Voraussetzungen vor, so gilt die Erklärung als fristgerecht abgegeben. Die Behörde kann die Einwendungen nicht unberücksichtigt lassen. Sie hat insoweit zunächst zu prüfen, ob die Fristversäumnis entschuldbar und ob die Erklärung unverzüglich nachgeholt worden ist. Die nachträgliche Zulassung der Beschwerde hat insoweit keinen konstitutiven, sondern nur feststellenden Charakter. Dabei kann hier offenbleiben, ob es sich bei dieser Feststellung der Behörde um einen mit der Klage selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt oder um einen Verfahrensakt handelt, der nur zusammen mit der Schätzung angefochten werden kann.

Bei der Prüfung, ob die Fristversäumnis verschuldet ist, muß im Schätzungsverfahren berücksichtigt werden, daß die Feststellung des Schätzungsergebnisses nicht nur die Grundstücke des jeweiligen Teilnehmers, sondern alle Grundstücke des Flurbereinigungsgebietes betrifft. Es kann häufig von einem Beteiligten nicht erwartet werden, daß er die Schätzung aller Grundstücke nachprüft. Nur bei der Wertermittlung der eigenen Grundstücke kann und muß regelmäßig erwartet werden, daß der Teilnehmer innerhalb der Beschwerdefrist die festgestellten Ergebnisse prüft. Die gleiche Sorgfalt kann dagegen nicht auch bei fremden Grundstücken gefordert werden. Welche Sorgfalt von dem Beteiligten erwartet werden muß, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Dabei kann in Betracht gezogen werden, ob ein Teilnehmer bereits Kenntnis von der beabsichtigten Zuteilung gehabt hat oder nicht. Auch bei der Prüfung der Frage, ob der Teilnehmer die Erklärung unverzüglich nach Behebung des Hindernisses nachgeholt hat, kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalles an.

Sind die Voraussetzungen für die nachträgliche Zulassung der Schätzungsbeschwerde gegeben und ist dies begründet, so muß die Schätzung berichtigt und die dadurch eintretende Minderabfindung in Land entschädigt werden, es sei denn, es läge ein Fall des § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG vor.

Hat der Beteiligte die Frist zur Erhebung der Beschwerde schuldhaft versäumt, so kann die Behörde die Beschwerde gleichwohl berücksichtigen. Die Entscheidung, ob nachträglich erhobene Beanstandungen gegen die Schätzung berücksichtigt werden sollen, steht im Ermessen der Behörde. Dabei muß der Grundsatz der Vereinfachung und Beschleunigung beachtet werden, der das Flurbereinigungsverfahren beherrscht. Es darf durch die nachträgliche Zulassung auch keine schwerwiegende Benachteiligung der übrigen Teilnehmer eintreten. Andererseits kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Schätzung unter der Leitung der Flurbereinigungsbehörde vorgenommen wird und Fehler der Behörden nicht zu offenbaren Härten für den Beteiligten führen dürfen. Wird die Schätzungsbeschwerde nachträglich zugelassen und erweist sie sich als begründet, so muß die Schätzung berichtigt werden. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten ist unrichtig. Dagegen kann der Beteiligte in diesem Falle für die durch die Nachschätzung eintretende Minderabfindung nicht unter allen Umständen Landabfindung fordern. Er muß sich mit einer Geldentschädigung begnügen, wenn ihm dadurch nicht ein unzumutbarer Nachteil entsteht.