Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.12.2000 - 11 B 76.00 = RdL 2001, 109

Aktenzeichen 11 B 76.00 Entscheidung Beschluss Datum 12.12.2000
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 2001, 109  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich kein Gebot einer von vornherein bestimmten höchstzulässigen Verfahrensdauer ableiten.
2. Allein eine überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens rechtfertigt noch nicht eine der gesetzlichen Regel widersprechende Beweislastverteilung.
3. Nur eine schuldhafte Beweisvereitelung der beklagten Behörde kann zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägers führen. Sonst ist der Beweisnot des Klägers im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen.
4. Das Flurbereinigungsgericht ist an die im Gesetz (§ 44 Abs. 1 Satz 3 u. 4 FlurbG) für maßgeblich erklärte Stichtagsregelung (hier: vorläufige Beisitzeinweisung) gebunden. Die Gesetzesbindung der Gerichte ist ein ausdrücklich normiertes Verfassungsprinzip. Ausnahmen hiervon sind auch nicht durch eine überlange Verfahrensdauer zu rechtfertigen.
5. Für die Ermessensentscheidung des Gerichts, ob eine Gebühr festzusetzen ist, kann auch der Umfang des vom Kläger zur Entscheidung gestellten Prozessstoffs und der dadurch ausgelösten Ermittlungen des Gerichts herangezogen werden.

Aus den Gründen

Mit ihrer Rüge einer überlangen Verfahrensdauer bezieht die Beschwerde sich auf den Umstand, dass das Flurbereinigungsverfahren durch Beschluss vom 30. April 1969 eingeleitet und die Bewertung der Flächen in der Örtlichkeit bereits vom 2. August bis 7. Oktober 1971 durchgeführt worden ist. Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Wertgleichheit hat das Flurbereinigungsgericht allerdings die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung angesehen, die vom 16. August 1976 datiert. Die Berücksichtigung etwaiger werterhöhender späterer Entwicklungen hat das Flurbereinigungsgericht unter Hinweis auf § 44 Abs. 1 Sätze 3 und 4 FlurbG abgelehnt. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, ob das Flurbereinigungsgericht an die im Flurbereinigungsgesetz für maßgeblich erklärte Stichtagsregelung gebunden ist. Die Gesetzesbindung der Gerichte ist ein ausdrücklich normiertes Verfassungsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Ausnahmen hiervon sind auch nicht durch eine überlange Verfahrensdauer zu rechtfertigen.

Im vorliegenden Fall begnügt sich die Beschwerde mit der Behauptung, dass die überlange Verfahrensdauer nicht vom Kläger verschuldet sei, ohne sich insoweit auf nähere Tatsachenangaben zu stützen oder sich sonst mit den möglichen Gründen der Verfahrensverzögerung auseinander zu setzen. Dabei muss die Beschwerde sich entgegenhalten lassen, dass sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, auf den sie sich ebenso wie auf Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG beruft, kein Gebot einer von vornherein bestimmten höchstzulässigen Verfahrensdauer ableiten lässt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369). Ob das aus diesen Verfassungsvorschriften folgende Gebot, Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren, verletzt ist, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles.

In diesem Zusammenhang führt auch der Hinweis der Beschwerde auf "Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr" nicht weiter. Denn die Frage, wie einer Beweisnot Rechnung zu tragen ist, wenn es um die Beurteilung entscheidungserheblicher Sachverhalte geht, die Jahrzehnte zurück liegen, ist nicht klärungsbedürftig. Hierzu liegt eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, die besagt, dass allein eine überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens noch nicht eine der gesetzlichen Regelung widersprechende Beweislastverteilung rechtfertigt (vgl. BVerwGE 3 B 26.92 - Buchholz 427.207 § 1, 7. Feststellungs-DV Nr. 61). Vielmehr kann nur eine schuldhafte Beweisvereitelung seitens der beklagten Behörde zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers führen (vgl. BVerwGE 78, 367, 370; BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1992, a.a.O.). Sonst ist der Beweisnot des Klägers im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. April 1988 - BVerwG 3 C 37.87 - Buchholz 427.6 § 15 BFG Nr. 28). Es ist nicht dargelegt, dass das Flurbereinigungsgericht von diesen Grundsätzen abgewichen ist.

Nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig ist schließlich auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer und der sich daraus ergebenden Nachteile für den Kläger die vom Flurbereinigungsgericht vorgenommene Festsetzung der Gerichtsgebühr von der Regelung des § 147 FlurbG gedeckt ist.

Auch unter Berücksichtigung des - zutreffenden - Hinweises, dass eine "Bestrafungsgebühr" unzulässig ist, wird eine fallübergreifende Bedeutung dieser Fragestellung nicht deutlich. Die Festsetzung der Gebühr steht nach § 147 Abs. 1 Satz 2 FlurbG im Ermessen des Gerichts. Die Gründe für die Festsetzung der Gebühr dürfen sich jedoch nicht aus der Person des Klägers oder seinem Verhalten ergeben (vgl. BVerwGE 4, 202 f.). Das Flurbereinigungsgericht hat seine Ermessensentscheidung im vorliegenden Fall zwar nicht begründet. Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch liegen dennoch nicht vor. Denn angesichts des besonderen Umfangs des vom Kläger zur Entscheidung gestellten Prozessstoffs und der dadurch ausgelösten Ermittlungen des Gerichts erscheint eine Gebührenfestsetzung nahe liegend. Die Höhe der Gebühr resultiert letztlich aus dem Streitwert, den das Flurbereinigungsgericht aber ermittelt hat, ohne dass die Beschwerde insoweit Einwände erhebt.