Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 08.05.1990 - 13 A 87.00198

Aktenzeichen 13 A 87.00198 Entscheidung Urteil Datum 08.05.1990
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Bei Ermittlung des Verkehrswertes für eine Fläche (§ 29 FlurbG), die von einem Planfeststellungsbeschluß berührt wird, ist nach dem Grundsatz der Vorwirkung der Enteignung auf den Zeitpunkt vor Erlaß jenes Beschlusses abzustellen. Dieser Zeitpunkt tritt insoweit an die Stelle des sonst im Flurbereinigungsverfahren geltenden maßgeblichen Zeitpunkts für die Wertgleichheit einer Landabfindung.

Aus den Gründen

Das Flurbereinigungsgesetz unterscheidet bei der Wertermittlung zwischen Flächen, die landwirtschaftlich genutzt und gemäß § 28 Abs. 1 FlurbG grundsätzlich nach dem Ertragswertverfahren beurteilt werden, und solchen, die bebaut sind oder zur Bebauung anstehen und ihre Bewertung auf der Grundlage des Verkehrswertes erfahren (§ 29 Abs. 1 FlurbG). Den hiernach von der Beklagten erkannten landwirtschaftlichen Nutzungswert stellen die Kläger an sich nicht in Frage. Ihr Verlangen geht aber dahin, den behaupteten Freizeitwert des Einlageflurstückes 555 darüber hinaus zuerkannt zu erhalten. Dieses Begehren findet jedoch im Gesetz keine Stütze.

Die Kläger verweisen zur Begründung ihrer Forderung auf § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG und darauf, daß zum Zeitpunkt der Besitzeinweisung ihre Einlage ein "Freizeitgrundstück" gewesen sei.

Zwar bemißt das Gesetz die Wertgleichheit einer Abfindung im Falle der vorläufigen Besitzeinweisung nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Besitzeinweisung, was beinhaltet, daß auch die Bewertung der im Verfahrensgebiet liegenden Flächen grundsätzlich auf diesen Tag maßgeblich abzustellen hat. Der vorliegende Streit weist aber insofern eine Besonderheit auf, als die fragliche Fläche zugleich vom Planfeststellungsbeschluß der Regierung von S. erfaßt wird, ohne daß auch dieser Beschluß der Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens zugrunde liegt. Unabhängig von der Frage, wie bei Einbeziehung des Beschlusses zu verfahren wäre, muß hier der Stichtag für die Bewertung des Flurstücks 555 nach den Grundsätzen der sogenannten Vorwirkung der Enteignung auf den Zeitpunkt vor Erlaß des genannten Planfeststellungsbeschlusses vorverlegt werden.

Die dieses Institut tragenden Überlegungen, die in § 95 Abs. 2 Nr. 2 Baugesetzbuch - BauGB - ihren Niederschlag gefunden haben und auch in das Enteignungsrecht eingegangen sind, besagen, daß dann, wenn ein Grundstück Gegenstand eines länger dauernden Enteignungsprozesses ist, für die Bestimmung seiner Qualität auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem das Grundstück endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde (Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Auflage - 1984 - RdNr. 296 mit weiteren Nachweisen). Dem liegt die Erfahrung zugrunde, daß während eines laufenden Planungsverfahrens Vorentscheidungen über den Zustand eines Grundstücks normative Aussagen treffen, die sich nach Marktgesichtspunkten als qualitätsrelevant erweisen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Anmerkung 78 zu § 93). Wird ein Grundstück für Zwecke der Daseinsvorsorge verplant, besteht kein wirkliches Angebot-/Nachfrageverhältnis mehr, denn die betroffene Fläche wird aus dem Grundstücksmarkt genommen. Der Eigentümer steht nur mehr einem potentiellen Käufer gegenüber, nämlich dem Unternehmensträger. Neben solchen ungünstigen, weil wertmindernden Folgen können Vorwirkungen von Enteignungen auch günstigen, d. h. werterhöhenden Charakter besitzen. § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB spricht allgemein von "Wertänderungen" und bezieht damit Wertminderungen wie Werterhöhungen ein. Letztlich dient die Berücksichtigung der Vorwirkung dazu, die in Anspruch genommenen Flächen zur Gewährleistung des Eigentums qualitätsmäßig richtig zu bestimmen. Dies geschieht durch Vorverlegung des maßgeblichen Stichtages auf den Zeitpunkt, ab dem die Planung eine Weiterentwicklung des Grundstücks ausschließt.

Die im Geltungsbereich des genannten Planfeststellungsbeschlusses liegende klägerische Einlage war mit dem Erlaß dieses Beschlusses der Zweckbestimmung der Planfeststellung unterworfen und schon wegen der aus § 19 Abs. 1 Fernstraßengesetz - FStrG - folgenden Zulässigkeit der Enteignung einer anderen Verwertung sinnvoll nicht mehr zugänglich. Ernst/Zinkahn/Bielenberg (BauGB, Anmerkung 93 zu § 93) messen von daher Planfeststellungsbeschlüssen die stärksten enteignungsrechtlichen Vorwirkungen zu. Die Planfeststellung gelte als das typische Instrument der Planung öffentlicher Infrastruktureinrichtungen, weshalb die Vorwirkung in diesem Umstand eine natürliche Erklärung finde. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die maßgeblich zur Entwicklung der Lehre von den Vorwirkungen der Enteignung beigetragen hat, schließt spätestens die Planfeststellung nach § 18 Abs. 5 FStrG als "Vorwirkung" der Eigentumsentziehung ein Grundstück, das für den Bau einer Bundesfernstraße benötigt wird, von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung aus (BGHZ 64, 382). Das hat zur Folge, daß nach der "Qualität" zu entschädigen, also die Wertigkeit zugrundezulegen ist, die das Grundstück zum Zeitpunkt der Planfeststellung hatte. Der Umstand, daß das Einlageflurstück 555 zeitlich vor der Planfeststellung von einem Flurbereinigungsverfahren erfaßt wurde, ändert hieran nichts. Das Vorziehen des Stichtages für die Bewertung stützt sich auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz und gewinnt deshalb auch für das vorliegende Verfahren Bedeutung.

Eine auf den Zeitpunkt der Planfeststellung abstellende Betrachtung führt zu keinem über den landwirtschaftlichen Nutzwert hinausgehenden Wert der klägerischen Einlage, und zwar weder nach § 29 FlurbG noch als Ausnahme von der Regel des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Bauleitpläne der ehemals selbständigen Gemeinde U. bestanden in Lage des klägerischen Grundstücks für den damaligen Zeitpunkt nicht. Auch läßt sich eine aus §§ 34, 35 BauGB hergeleitete Baulandqualität der Einlage ebensowenig erkennen, wie eine jenseits von Spekulationsgesichtspunkten begründete Bauerwartungslandeigenschaft, was wohl auch von den Klägern nicht behauptet wird. Die von der Flurbereinigungsdirektion eingeholte Stellungnahme des Landratsamtes vom 02.03.1987 besagt zu Recht nichts anderes, nämlich daß die Einlage im planungsrechtlichen Außenbereich liegt und einer Bebauung (mit einem Wochenendhaus) öffentliche Belange entgegenstehen. Ebenso findet eine von der Regelbewertung des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG abweichende Höherbewertung, die nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG vom 14.02.1963 RDL 63, 249; BVerwG vom 20.11.1989 Nr. 5 B 135.88) zulässigerweise dann geboten ist, wenn das zu bewertende Grundstück Eigenschaften besitzt, die im Nutzungswert nicht zum Ausdruck kommen, keine rechtliche Grundlage. Es muß sich dabei nämlich um solche Eigenschaften handeln, die werterhöhender Natur sind und nicht lediglich wertsteigernd wirken. Derartige Merkmale haben die Kläger für den maßgeblichen Stichtag weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.