Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.07.1998 - 1 BvR 851/87 = NVwZ 1999 S. 62= UPR 1998 S. 446= NuR 1999 S. 208

Aktenzeichen 1 BvR 851/87 Entscheidung Beschluss Datum 08.07.1998
Gericht Bundesverfassungsgericht Veröffentlichungen NVwZ 1999 S. 62 = UPR 1998 S. 446 = NuR 1999 S. 208  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, bei rein landwirtschaftlichen Flächen auf deren objektiven Bodennutzungswert und nicht auf einen eventuell höheren Verkehrswert abzustellen.
2. Die Entsprechungsgebote des § 44 Abs. 4 FlurbG sind gegenüber der Flächenzusammenlegung nachrangig, wenn diese in stärkerem Maße der Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft dient, denn dieses Hauptanliegen der Flurbereinigung (vgl. § 1 FlurbG) genießt Vorrang vor dem Erhalt des "status quo".

Aus den Gründen

Sieht man das Wesen der Flurbereinigung darin, daß sie eine primär im privaten Interesse der Beteiligten durchgeführte Umwandlung der Eigentumsverhältnisse darstellt, dann ist im Rahmen dieser Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums für eine Aufopferung privater Interessen zugunsten öffentlicher Zwecke kein Raum. Vielmehr folgt dann unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG, daß die eingebrachten Grundstücke mit den Abfindungsgrundstücken wertgleich sein müssen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat dies als obersten Grundsatz des Umlegungsverfahrens angesehen (BVerwGE 3, 246 <249>). Da die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen verbessert werden sollen, kann bei einer Umwandlung reinen Ackerlandes konsequenterweise nur der landwirtschaftliche Nutzwert maßgeblich sein. Nichts anderes gilt, wenn man die Flurbereinigung als Enteignungsmaßnahme ansieht, in der dem Beteiligten aufgrund des Allgemeininteresses an einer Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen und eines Ausbaus der allgemeinen Landeskultur und Landentwicklung (§ 1 FlurbG) Grund und Boden entzogen wird. Dann stellt die in den § 44 Abs. 1, § 28 Abs. 1 FlurbG vorgesehene, am landwirtschaftlichen Nutzwert orientierte wertgleiche Abfindung in Land die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG dar. Eine andere oder weitergehende Entschädigung kann von Verfassungs wegen nicht verlangt werden. Denn Art. 14 Abs. 3 GG verpflichtet den Gesetzgeber weder zu einer Entschädigung in Geld noch zu einer starren, allein am Marktwert orientierten Entschädigung in Land (vgl. BVerfGE 24, 367 <421>; 46, 268 <285>). Vielmehr kann er Land durch Land abfinden und bei rein landwirtschaftlichen Flächen auf deren objektiven Bodennutzungswert abstellen.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt. Denn die Verwaltungsgerichte haben bei der Auslegung der § 44, § 28 FlurbG das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Die Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften des einfachen Rechts ist grundsätzlich Aufgabe der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogen (BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie könnte nur festgestellt werden, wenn die Verwaltungsgerichte bei der Bemessung des Abfindungsumfangs nach § 44 Abs. 1, § 28 FlurbG oder bei der konkreten Ausgestaltung der Abfindung im Rahmen des § 44 Abs. 4 FlurbG Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie verkannt hätten.

Die Verwaltungsgerichte haben bei der Bemessung des Abfindungsumfangs im Rahmen des § 44 Abs. 1 FlurbG nicht die Bedeutung der Eigentumsgarantie verkannt. Sie haben sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise von den Gedanken leiten lassen, daß rein landwirtschaftliche Grundstücke gemäß den § 28, § 44 Abs. 1 FlurbG nach ihrem Bodennutzungswert wertgleich sein müssen. Auf einen eventuell höheren Verkehrswert mußten sie aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht abstellen. Die Fachgerichte haben ferner berücksichtigt, daß Entfernungsunterschiede bei landwirtschaftlichen Grundstücken den Grundsatz der Wertgleichheit in Frage stellen und daher auf ihre betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht werden müssen. Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, wenn die Verwaltungsgerichte bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gekommen sind, daß aufgrund der doppelten Erschließung der Ersatzgrundstücke über kurze Feldwege und längere ausgebaute Wege kein erheblicher Bewirtschaftungsnachteil eingetreten ist. Darin liegt auch keine gleichheitswidrige Verrechnung spezieller Lagenachteile mit allgemeinen Flurbereinigungsvorteilen, weil die Ersatzgrundstücke nach den Feststellungen der Verwaltungsgerichte eine überdurchschnittlich gute Erschließung und einen überdurchschnittlich hohen Zusammenlegungsgrad aufweisen.

Die Eigentumsgarantie zwingt die Flurbereinigungsgerichte auch nicht dazu, § 44 Abs. 4 FlurbG im Sinne eines strikten Regel-Ausnahme-Verhältnisses auszulegen und regelmäßig eine gleichbleibende durchschnittliche Entfernung zu fordern. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin dient die Soll-Vorschrift des § 44 Abs. 4 FlurbG nicht dazu, den Beteiligten den Verkehrswert ortsnaher Grundstücke zu erhalten. Vielmehr verfolgt sie den Zweck, eine Verschlechterung der Arbeits- und Produktionsbedingungen der beteiligten Landwirte zu verhindern. Dies geht schon daraus hervor, daß die Norm an erster Stelle auf die Entfernung zum Wirtschaftshof abstellt und daß sie ausdrücklich einer großzügigen Flächenzusammenlegung den Vorrang vor einer gleichbleibenden Entfernung einräumt. Die Norm ermöglicht es daher den Flurbereinigungsbehörden, ihr Planungsermessen in Richtung auf eine stärkere Flächenzusammenlegung zu betätigen. Verfassungsrechtlich kann es auch nicht zweifelhaft sein, daß eine Flächenzusammenlegung Vorrang vor den Entsprechungsgeboten genießt, wenn sie in stärkerem Maße der Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbebedingungen der Landwirtschaft dient. Denn dieses Hauptanliegen der Flurbereinigung (vgl. § 1 FlurbG) genießt Vorrang vor dem Erhalt des "status quo", gleich, ob man die Verbesserung der landwirtschaftlichen Arbeits- und Produktionsbedingungen verfassungsrechtlich als Umwandlungs- oder Enteignungszweck qualifiziert.