Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.09.1975 - V C 32.75 = RdL 1976 S. 74

Aktenzeichen V C 32.75 Entscheidung Urteil Datum 16.09.1975
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1976 S. 74  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Baulandcharakter eines Grundstücks ist bereits im Bewertungsverfahren und nicht erst im Rahmen der gemäß § 44 Abs. 1 FlurbG für die Gestaltung der Abfindung maßgebenden Umstände zu berücksichtigen.
2. Ob ein Grundstück einen über den landwirtschaftlichen Nutzungswert hinausgehenden Verkehrswert als Bau- oder Bauerwartungsland hat, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Dabei spielt auch eine Rolle, ob baurechtliche Vorschriften einer faktisch in Betracht kommenden baulichen Nutzung des Grundstücks entgegenstehen.
3. Zur Veränderung von Hof- und Gebäudeflächen.

Aus den Gründen

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Flurbereinigungsgericht.

Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht und kann deshalb keinen Bestand haben. Die Gründe, mit denen das Flurbereinigungsgericht eine Baulandqualität der Altparzellen Nr. 131 ff. verneint hat, vermögen eine klageabweisende Entscheidung nicht zu tragen. Dabei kann offenbleiben, ob das Flurbereinigungsgericht überhaupt gehalten war, im Rahmen der vorliegenden, gegen den Nachtrag I zum Flurbereinigungsplan gerichteten Klage auf Einwendungen des Klägers einzugehen, die sich bei richtiger Betrachtung nicht gegen die Wertgleichheit der ihm ausgewiesenen Abfindung, sondern gegen die Bewertung seiner Einlageflurstücke richten: Bereits im Bewertungsverfahren und nicht erst im Rahmen der gemäß § 44 Abs. 1 FlurbG für die Gestaltung der Abfindung maßgebenden Umstände ist nämlich der Baulandcharakter eines Grundstücks zu berücksichtigen (BVerwGE 9, 93; 47, 87 (93); Seehusen - Schwede - Nebe, FlurbG 2. Aufl., Anm. 3 zu § 27). Es ist gerade Aufgabe des Bewertungsverfahrens nach § 27 ff. FlurbG alle wesentlichen Faktoren, die den Wert eines Grundstücks beeinflussen und die in einem förmlichen Schätzungsverfahren vermittelt werden können, möglichst im Rahmen der Schätzung zu erfassen (Urteil vom 23.6.1959 - BVerwG I C 78.58 - (Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 2). Daß auch die Bebaubarkeit eines Grundstücks ein werterhöhender Umstand ist, der zur Anerkennung eines über den landwirtschaftlichen Nutzungswert hinausgehenden Verkehrswertes führt, ist allgemein anerkannt (vgl. u. a. BVerwGE 8, 343; Steuer, Komm. z. FlurbG, 2. Aufl., Anm. 7 zu § 27; Seehusen - Schwede - Nebe, a.a.O.) und bedarf keiner näheren Erörterung. - Welche Gründe das Flurbereinigungsgericht veranlaßt haben, die Bewertung der Altflurstücke im Rahmen des vorliegenden Abfindungsstreits einer Überprüfung zu unterziehen, insbesondere, ob es solche Gründe waren, die der Kläger erst nach Abschluß des Bewertungsverfahrens geltend machen konnte, kann hier offenbleiben. Macht, wie hier, bereits die Flurbereinigungsbehörde von der ihr nach § 134 Abs. 2 FlurbG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch, spätere Erklärungen und Beschwerden zu berücksichtigen, so ist auch das Flurbereinigungsgericht grundsätzlich nicht gehindert, in der Sache zu entscheiden (Beschluß vom 19.8.1960 - BVerwG I CB 56.60 -; Beschluß vom 28.12.1959 - BVerwG I CB 170.59 - (RdL 1960, 166)).

Die Auffassung des Flurbereinigungsgerichts, die von dem Kläger eingebrachten Altparzellen Nr. 131 ff. seien nur als Bauerwartungsland und nicht als Bauland zu bewerten, hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Ob ein Grundstück einen über den landwirtschaftlichen Nutzungswert hinausgehenden Verkehrswert als Bau- oder Bauerwartungsland hat, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Baureifes Land ist dabei an seinen tatsächlich erkennbaren Merkmalen festzustellen, wie z. B. Erschließung für Wohn- oder Industriezwecke, Ausweisung in einen Bebauungsplan, Anlage von Straßen, Errichtung von Bauten auf nächstgelegenen Grundstücken und dergleichen mehr (BVerwGE 8, 343). Nicht entscheidend ist, in welcher konkreten Weise das Grundstück in dem für seine Bewertung maßgebenden Zeitpunkt gerade genutzt wird. Bei unbebauten Grundstücken sind alle damals vorhanden gewesenen Nutzungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, wobei jedoch eine Nutzungsmöglichkeit, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in greifbarer Nähe lag und die deshalb den Verkehrswert nicht beeinflussen konnte, ausscheiden muß (BGHZ 28, 160 (163); BGH in RdL 1960, 49 zur Bemessung der Enteignungsentschädigung). In diesem Zusammenhang wird auch eine Rolle spielen, ob baurechtliche Vorschriften einer faktisch in Betracht kommenden baulichen Nutzung des Grundstücks entgegenstehen. Denn für Grundstücke, die nach dem geltenden Bauplanungsrecht nicht bebaut werden dürfen, kann auch auf dem Grundstücksmarkt schwerlich ein Baulandpreis erzielt werden.

Ob ein solcher Fall hier gegeben ist, läßt sich den Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts nicht eindeutig entnehmen. Das angefochtene Urteil hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der auf dem Grundstück Parzellen Nr. 131 ff. errichtete Schuppen das letzte Gebäude an dem vorbeiführenden Weg ist, während die gegenüberliegende Wegeseite keine Bebauung aufweist und den Anfang der freien Feldmark bildet. Ob bei diesen tatsächlichen Gegebenheiten das Grundstück im Außenbereich (§ 35 BBauG) oder noch im nicht beplanten Innenbereich (§ 34 BBauG) liegt, hat das Flurbereinigungsgericht nicht geklärt. Hierauf kommt es aber an. Liegt nämlich ein Grundstück außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, so kann seine Baulandqualität nur ausnahmsweise, nämlich dann bejaht werden, wenn aus besonderen Gründen eine greifbare Aussicht auf Zulassung der Bebauung mit einem bestimmten Vorhaben bestand. Rein theoretische Möglichkeiten, für die reale Grundlagen fehlen, schlagen sich dagegen in dem Verkehrswert des Grundstücks nicht nieder (vgl. Beschluß vom 8.8.1968 - BVerwG IV B 174.67 - (Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 13)). Anders verhält es sich bei den innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile gelegenen Grundstücken. Sie werden, sofern nicht ihre bauliche Nutzung aus besonderen Gründen ausscheidet, im Grundstücksverkehr regelmäßig als Bauland angesehen und haben einen entsprechenden Verkehrswert. Unter Beachtung dieser Grundsätze wird das Flurbereinigungsgericht noch weitere tatsächliche Feststellungen treffen müssen, ob, wie der Kläger behauptet, den Parzellen 131 ff. ein Verkehrswert als Bauland zukommt.

Das Flurbereinigungsgericht meint im Gegensatz zu dem von ihm als Sachverständigen vernommenen Kreisplaner S., eine Bebauung dieses Grundstücks komme schon im Hinblick auf die nur 2,40 m betragende Breite des an ihnen vorbeiführenden Weges und wegen der Schwierigkeit, einen Anschluß an die bestehende Kanalisation herzustellen, nicht in Frage. Es hat dabei unerörtert gelassen, ob nicht der Kläger auch bisher schon mit seinen landwirtschaftlichen Fahrzeugen ohne Schwierigkeiten bis zu dem Schuppen auf Parzelle 131 gelangen konnte und aus diesem Grunde die bestehende Zufahrt für dieses Grundstück ausreicht. Hinzu tritt, daß für die Frage der Bewertung als Bauland nicht allein darauf abzustellen ist, ob die Fläche für sich genommen einen geeigneten Bauplatz abgibt. Zu berücksichtigen ist auch, ob ein Grundstück in Verbindung mit angrenzenden Flächen bebaubar ist, denn auch eine für sich allein genommen nicht bebaubare Fläche kann wegen ihrer engen Beziehungen zu einem benachbarten Baugrundstück im Grundstücksverkehr als Bauland angesehen werden (vgl. auch Urteil vom 3.12.1959 - BVerwG I C 95.58). Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Sachverhalt noch einer weiteren tatrichterlichen Aufklärung.

Eine Zurückverweisung der Sache an das Flurbereinigungsgericht ist abgesehen davon auch deswegen geboten, weil das angefochtene Urteil, was der Kläger zu Recht rügt, jedenfalls in seiner Begründung auf einer unrichtigen Anwendung des § 45 Abs. 2 FlurbG beruht. Hiernach können Hof- und Gebäudeflächen nur dann einem anderen gegeben werden, wenn der Zweck der Flurbereinigung in anderer Weise nicht erreicht werden kann. Das Flurbereinigungsgericht ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, das Grundstück Parzellen Nr. 131 ff. sei in seiner Gesamtheit eine Hof- oder Gebäudefläche und genieße deshalb den besonderen Schutz des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG. Als Hofflächen im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG sind aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur solche Grundstücke anzusehen, die in einem räumlichen Zusammenhang mit den Hof- und Wirtschaftsgebäuden liegen und dazu bestimmt sind, der Betriebsführung des Hofes zu dienen (Beschluß vom 19.4.1963 - BVerwG I B 151.61 (RdL 1963, 166) mit weiteren Nachweisen). Ob ein solcher räumlicher Zusammenhang des mit einem Schuppen bebauten nördlichen Teils der Parzellen Nr. 131 ff. mit den übrigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden des Klägers besteht, erscheint zweifelhaft, da die Parzellen durch einen auch bisher schon bestehenden Weg von dem Hofgrundstück getrennt sind. Es müssen deshalb schon besondere Umstände hinzutreten, um gleichwohl einen räumlichen Zusammenhang mit der übrigen Hoffläche annehmen zu können. Damit ist aber ebensowenig über die Qualität der Parzellen Nr. 132, 133 und 135 etwas ausgesagt, wie für den Fall, daß die Parzelle Nr. 131, auf der der Schuppen offenbar errichtet ist, als außerhalb eines Hofgrundstückes liegende Gebäudefläche anzusehen ist. Sie nehmen an dem besonderen Schutz des § 45 FlurbG nur teil, wenn sie dem gleichen Zweck wie die Parzelle Nr. 131 dienen. Wenn sie dagegen, was sich den getroffenen Feststellungen nicht hinreichend entnehmen läßt, als Garten oder Ackerland genutzt werden, so durfte die Flurbereinigungsbehörde diese Flächen dem Beigeladenen zuweisen, ohne an die Voraussetzungen des § 45 FlurbG gebunden zu sein.

Ergibt eine weitere Aufklärung des Sachverhalts, daß die Parzellen Nr. 131 ff. Hof- oder Gebäudeflächen sind, so durften sie nur dann einem anderen Teilnehmer gegeben werden, wenn der Zweck der Flurbereinigung diesen Eingriff unumgänglich notwendig machte. Dies setzt voraus, daß eine zweckmäßige Durchführung der Flurbereinigung auf andere Weise nicht erreicht werden kann (BVerwGE 15, 72; 44, 92). Ob ein solcher Sachverhalt hier gegeben ist, läßt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zur Genüge entnehmen. Danach ist ein Viertel des mit einem Schuppen bebauten Altflurstücks Nr. 131 ff. zur Verbreiterung des dort vorbeiführenden nunmehr als Gemeindeweg Flur 2 Nr. 17 ausgewiesenen Weges benutzt worden, während die östliche Restfläche für den Beigeladenen ausgewiesen wurde. Die Begradigung des bisher teilweise engen Weges mag zwar, wie in dem angefochtenen Urteil ausgeführt wird, modernen Erfordernissen und damit Zwecken der Flurbereinigung dienen. Das allein genügt indessen nicht. Unumgänglich notwendig wäre diese Maßnahme nur dann, wenn eine Verbreiterung des bisherigen Weges in Lage des Flurstücks Parzellen Nr. 131 ff. zur Gewährleistung einer ausreichenden Zufahrt zu den angrenzenden Grundstücken dringend geboten wäre und ohne Inanspruchnahme dieses Grundstücks nicht vorgenommen werden könnte. Ob dies der Fall ist, hat das Flurbereinigungsgericht nicht festgestellt. In anderem Zusammenhang hat es ausgeführt, die dem Grundstück gegenüberliegende Wegeseite sei unbebaut und stelle den Beginn der freien Feldmark dar. Unter diesen Umständen hätte dem Flurbereinigungsgericht die Prüfung nahegelegen, ob die für notwendig gehaltene Verbreiterung des Feldwegs, die im Einzelfall eine Veränderung von Hof- und Gebäudeflächen durchaus rechtfertigen kann (Beschluß vom 8.7.1968 - BVerwG IV B 134.67), nicht unter Inanspruchnahme von Ackerland hätte erfolgen können. Hierzu wird das Flurbereinigungsgericht vor seiner erneuten Entscheidung noch nähere tatsächliche Feststellungen treffen müssen.

Die Gründe, mit denen das Flurbereinigungsgericht eine Ausweisung der östlichen Restflächen des Grundstücks Nr. 131 ff. zugunsten des Beigeladenen für zweckmäßig gehalten hat, vermögen ebenfalls nicht eine Wegnahme dieser Flächen zu rechtfertigen. In dem angefochtenen Urteil wird hierzu ausgeführt, der Betrieb des Beigeladenen erhalte nunmehr eine in sich geschlossene und ausreichend große Hoflage, die auch im Gegensatz zu dem bisherigen Altbesitz bauliche Erweiterungen ermögliche. Damit wird allein auf die Zweckmäßigkeit einer Arrondierung des Besitzstandes des Beigeladenen abgestellt, die aber einen Eingriff in durch § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG geschützte Flächen nicht rechtfertigen kann. Es fehlt insoweit an einer Darlegung, daß die Arrondierung des Hofgrundstücks des Beigeladenen nicht nur zweckmäßig, sondern vom Ziel der Flurbereinigung her auch geboten ist und auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, daß die Beeinträchtigung von Hof- oder Gebäudeflächen eines Beteiligten lediglich zugunsten eines anderen Teilnehmers nicht gerechtfertigt ist, wenn die bei ihm zu begünstigenden Teilnehmer zweckmäßigen Änderungen durch eigene Maßnahmen, sei es durch betriebliche Veränderungen oder durch Übernahme besonderer Opfer, ausgeglichen werden können (Urteil vom 23.6.1959 - BVerwG I C 78.58 - (Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 2); BVerwGE 44, 92). Die hiernach notwendigen tatsächlichen Feststellungen wird das Flurbereinigungsgericht noch treffen müssen. Es wird dabei auch eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer zweckmäßigen Flurbereinigung gegenüber dem Interesse des Klägers an einer unveränderten Zuteilung der von ihm eingebrachten Hof- und Gebäudeflächen vornehmen müssen. Nur wenn es das Ziel der Flurbereinigung zwingend gebietet, das Hofgrundstück des Beigeladenen unter Inanspruchnahme der östlichen Restfläche der Parzellen Nr. 131 ff. zu vergrößern, kann diese Maßnahme gebilligt werden.