Flurbereinigungsgericht München, Beschluss vom 01.04.2014 - 13 S 14.358, 13 S 14.558 = RdL 2014, 192-194 (Leitsatz und Gründe)= KommunalPraxis BY 2014, 225 (Leitsatz) (Lieferung 2015)

Aktenzeichen 13 S 14.358, 13 S 14.558 Entscheidung Beschluss Datum 01.04.2014
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen RdL 2014, 192-194 (Leitsatz und Gründe) = KommunalPraxis BY 2014, 225 (Leitsatz)  Lieferung 2015

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Im verwaltungsgerichtlichen selbständigen Beweisverfahren sind bei der Prüfung des rechtlichen Interesses an der Begutachtung durch einen Sachverständigen die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses zu berücksichtigen. Im Rahmen der flurbereinigungsrechtlichen Wertermittlung besteht im Regelfall kein Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren.

Aus den Gründen

20    Zusätzlich ist allerdings erforderlich, dass die Tatsachen, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens begründen sollen, glaubhaft gemacht werden (§ 485 Abs. 2, § 487 ZPO). Das ist hier nicht der Fall. Nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran haben, dass der Wert seiner Einlageflurstücke durch einen Sachverständigen begutachtet wird. Nach der überwiegenden Auffassung ist der Begriff des rechtlichen Interesses zwar grundsätzlich weit zu verstehen und liegt vor, wenn die begehrte Begutachtung Grundlage eines beliebigen sachlich-rechtlichen Anspruchs des Antragsteller sein kann (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand April 2013, § 98 Rn. 271; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 98 Rn. 26.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl. 2014, § 485 Rn. 8; Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 485 Rn. 7; Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl. 2013, § 385 Rn. 7 jeweils m.w.N; enger Geiger in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 98 Rn. 39; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 98 Rn. 293 ff.). Allerdings ist keine schematische Prüfung vorzunehmen, sondern maßgebend auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen und danach das rechtliche Interesse zu bemessen. Insbesondere können die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses eine andere Beurteilung gebieten (Lang in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 98 Rn. 293 ff.). Letzteres ist hier der Fall.


21    Der Antragsteller vermag nach seinem Vorbringen kein rechtliches Interesse daran geltend zu machen, dass der Wert seiner Einlageflurstücke durch einen Sachverständigen gesondert festgestellt wird. Er erachtet die Beweissicherung als geboten, weil die Beweise im Zusammenhang mit der vorläufigen Neuverteilung und Freigabe der landwirtschaftlichen Nutzung unwiederbringlich zerstört würden und die Gefahr einer nachträglichen Melioration bestehe. Zudem meldet er erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Bodenwertfeststellung an und beruft sich auf das Erfordernis einer qualifizierten Untersuchung, die bislang nicht erfolgt sei. Bei der Überprüfung durch einen von ihm beauftragten Bodensachverständigen hätten sich ganz erhebliche Abweichungen ergeben, insbesondere hinsichtlich der Staunässe sowie der pH-Verschiebungen in den sauren Bereich und des Lichteinfalls. Der Sachverständige habe bestätigt, dass es objektiver Messungen und ggf. Bodenanalysen zu unterschiedlichen Vegetationszeiten und Wetterlagen bedürfe.


22    Dieses Vorbringen begründet kein rechtliches Interesse an der Durchführung eines Beweisverfahrens. Der Antragsteller wendet sich damit in Wahrheit gegen die Richtigkeit einer bereits stattgefundenen Wertermittlung. Das ist nicht Sinn eines selbständigen Beweisverfahrens, das die rechtzeitige Klärung einer Tatsache zum Schutz vor dem drohenden Verlust oder der drohenden Erschwerung bezweckt, nicht aber schon eine (vorweggenommene) Beweiswürdigung (Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, a.a.O., Übers § 485 Rn. 2).


23    Hinzu kommt vorliegend, dass sich der Verwaltungsprozess durch den Amtsermittlungsgrundsatz vom Zivilprozess unterscheidet und dies bei der entsprechenden Anwendung zivilprozessualer Reglungen nicht unberücksichtigt bleiben kann (siehe OVG SH, B.v. 22.1.1998 – 2 M 36/97 – juris; zum Antrag der Behörde VGH BW, B.v. 3.5.2007 – 5 S 810/07 – NVwZ-RR 2007, 574; Lang in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 98 Rn. 293 ff.). Nachdem der Antragsteller gegen die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung Widerspruch eingelegt hat, ist der Sachverhalt im Widerspruchsverfahren (erneut) von Amts wegen zu erforschen und sind die TG und das ALE dementsprechend gehalten, (auch) den Punkten, die der Antragsteller im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens klären lassen möchte, nachzugehen, wenn und soweit diese für die zu treffende Widerspruchsentscheidung erheblich sind. Auch nach zivilrechtlicher Rechtsprechung ist es nicht Sinn des selbständigen Beweisverfahrens, die Erfolgsaussichten eines möglichen Rechtsstreits zwischen den Beteiligten zu begutachten Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 485 Rn. 14 m.w.N.). Ein rechtliches Interesse des Antragstellers an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist vor diesem Hintergrund nicht ohne weiteres anzuerkennen. Wie das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein im genannten Beschluss ausführt, wird das rechtliche Interesse an der Beweissicherung durch die Amtsermittlungspflicht verdrängt. Die TG und das ALE sind gehalten, von Amts wegen den Rügepunkten nachzugehen. Im Widerspruchsverfahren sind die tatsächlichen Grundlagen der Wertermittlungsergebnisse (nochmals) zu klären, insbesondere der Zustand und Wert der fraglichen Grundstücke. Die Wertermittlung ist rechtswidrig, wenn sich herausstellt, dass die tatsächliche Durchführung fehlerhaft erfolgt ist.


24    Eine andere Beurteilung kann zwar dann in Betracht kommen, wenn Beweismittel zu entscheidungserheblichen Fragen – wie der Antragsteller befürchtet – verloren gehen oder "verderben" könnten (so auch OVG SH a.a.O.). Das ist hier aber nicht der Fall. Der Antragsteller sieht die Gefahr in der vorläufigen Besitzeinweisung, die dem zukünftigen Eigentümer die Bewirtschaftung ermöglicht. Er trägt allerdings nicht vor, weshalb eine Bewirtschaftung, wie sie schon bislang erfolgt ist, den Wert des Bodens beeinflussen könnte.


25    Gemäß § 27 FlurbG hat die Wertermittlung in der Weise zu erfolgen, dass der Wert der Grundstücke eines Teilnehmers im Verhältnis zu dem Wert aller Grundstücke des Flurbereinigungsgebietes zu bestimmen ist. Für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke ist das Wertverhältnis in der Regel nach dem Nutzen zu ermitteln, den sie bei gemeinüblicher ordnungsmäßiger Bewirtschaftung jedem Besitzer ohne Rücksicht auf ihre Entfernung vom Wirtschaftshofe oder von der Ortslage nachhaltig gewähren können. Hierbei sind die Ergebnisse einer Bodenschätzung nach dem Bodenschätzungsgesetz vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3150, 3176) in der jeweils geltenden Fassung zugrunde zu legen (§ 28 Abs. 1 FlurbG). In Bayern ist die Durchführung der Wertermittlung nach § 33 FlurbG, Art. 10 AGFlurbG im Qualitätsmanagementsystem der Verwaltung für Ländliche Entwicklung (QM, siehe hierzu Mayr in Linke/Mayr, AGFlurbG, 2012, Art. 10 Rn. 3 f.) geregelt. Danach erfolgt die Ermittlung der Wertzahlen in der Örtlichkeit anhand von Bodenproben, die im Regelfall mit dem Bohrstock im Abstand von ca. 30 m gezogen werden (QM 5.2 Wertermittlung - Durchführung, dort Nr. 6). Der Bodenwert wird dem QM zufolge durch die natürliche und nachhaltige Ertragsfähigkeit des Kulturbodens bestimmt, die vor allem in der Bodenbeschaffenheit begründet ist. Er ist also abhängig von den chemisch-biologischen Eigenschaften und der physikalischen Beschaffenheit der Bodenbestandteile. Entscheidend für ihn sind Aufbau und Ausbildung des Bodenprofils, die Korngrößenzusammensetzung des Feinbodens und sein Verhältnis zum Bodenskelett, Aufbau und Zusammensetzung von Krume, Unterboden und Untergrund, Kalk- und Humusgehalt, Konkretionen und Ausscheidungen, die Durchlüftung und Bearbeitbarkeit des Bodens, sein Verhalten zum Wasser und schließlich seine Eignung zu bestimmten Sonderkulturen.


26    Nach diesen Grundsätzen wird die Ertragsfähigkeit festgestellt, indem die Ertragsunterschiede berücksichtigt werden, die auf natürliche Ertragsbedingungen wie Bodenbeschaffenheit, Geländegestaltung und klimatische Verhältnisse zurückzuführen sind. Daneben umfasst die Wertermittlung, soweit erforderlich, Besonderheiten wie Geländeformen, Hängigkeit, Wasserhaushalt, Kleinklima, Erosionsgefährdung etc. (Staatliche Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1988, Die Wertermittlung in der Flurbereinigung – Leitfaden für Vorstandsmitglieder, S. W/33). Hieraus ergibt sich zum einen, dass die Bestimmung des pH-Werts bei der Wertermittlung nicht erfolgt und zum anderen, dass es ohne Bedeutung ist, welche Person die Flächen konkret bewirtschaftet. Maßgebend ist vielmehr der objektive Wert, also der Wert, den ein Grundstück für jedermann hat, der es im Flurbereinigungsgebiet ortsüblich nutzt. Ermittelt wird gemäß § 27 FlurbG ein relativer (Tausch-)Wert und es kommt nicht auf die absoluten in Geld ausgedrückten Werte an (BVerwG, U.v. 14.2.1963 – I C 56.61 – = RzF - 4 - zu § 27 FlurbG; Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 27 Rn. 4).


27    Gemessen hieran ist vorliegend nicht zu erkennen, dass durch die vorläufige Besitzeinweisung und den Beginn der Bewirtschaftung durch die zukünftigen Eigentümer die Gefahr einer Veränderung bestünde. Die in Frage kommenden Flächen werden lediglich von neuen Bewirtschaftern bestellt, ohne dass dadurch die Bodenqualität unwiederbringlich verloren wäre. Der Antragsteller trägt auch keine Besonderheiten vor, die über eine gemeinübliche ordnungsgemäße Bewirtschaftung hinausgehen würden, insbesondere beruft er sich nicht auf den Abbau von Bodenschätzen oder einen Flächenanspruch für Unternehmen. Er schildert auch keine verlustig gehenden, werterhöhenden Bestandteile der Grundstücke. Zusammenfassend ist damit nicht ersichtlich, weshalb eine Veränderung drohen und eine Überprüfung im Rahmen der jeweiligen Rechtsmittel nicht (mehr) möglich sein sollte. Selbst wenn eine länger andauernde schlechte Bearbeitung unterstellt würde, mag dies zwar zu einem schlechten Zustand des Bodens führen, nicht aber zu Auswirkungen auf die Wertermittlungsergebnisse. Die bei der Wertermittlung maßgebliche Bodenbeschaffenheit mit ihren chemisch-biologischen Eigenschaften ist nicht veränderbar. Veränderungen kann lediglich der aktuelle Zustand des Bodens hinsichtlich seines Pflegezustands und des Nährstoffgehalts unterliegen (siehe hierzu VGH BW, U.v. 3.4.1968 – VII 501/67 – = RzF - 13 - zu § 28 Abs. 1 FlurbG). Das ist aber abhängig von der konkreten Pflege und ließe sich im Bedarfsfall durch entsprechende Maßnahmen verändern und verbessern. Ob die eigenen Messungen des Antragstellers Abweichungen hinsichtlich der Staunässe und des Lichteinfalls ergeben haben, ist damit ebenso ohne Bedeutung.


28    Hinzu kommt, dass die Kriterien zur Wertbestimmung im QM offenbar nicht denjenigen entsprechen, die der vom Antragsteller beauftragte Sachverständige zugrunde gelegt hat. Ob sich dessen Vorgehensweise mit den sich aus dem Flurbereinigungsgesetz an die Wertermittlung ergebenden Anforderungen deckt, bedarf keiner Klärung im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens. Auch zur Überprüfung der Frage, ob die Wertermittlung im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens ordnungsgemäß erfolgt ist, bedarf es keines gesonderten Beweisverfahrens; vielmehr sieht das Gesetz hierfür schon das Rechtsmittel des Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Klage vor. Für ein selbständiges Beweisverfahren ist kein Raum mehr. Bei dieser Ausgangslage bedurfte es auch nicht der Hinzuziehung weiterer Verfahrensakten.