RzF - 26 - zu § 19 Abs. 3 FlurbG

Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 01.02.2017 - 15 KF 20/15 (Lieferung 2018)

Aktenzeichen 15 KF 20/15 Entscheidung Urteil Datum 01.02.2017
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen Lieferung 2018

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Bei der Befreiung von Teilnehmerbeiträgen nach § 19 Abs. 3 FlurbG und vom Landabzug nach § 47 Abs. 3 FlurbG handelt es sich um jeweils selbstständige Ansprüche, die durch den Flurbereinigungsplan geregelt werden, und die eigenständige Streitgegenstände des Flurbereinigungsverfahrens sind. Eine Befreiung einzelner Teilnehmer von den Beiträgen oder vom Landabzug kommt gemäß §§ 19 Abs. 3, § 47 Abs. 3 FlurbG nur ausnahmsweise in Betracht. Wegen der mit § 19 Abs. 3 FlurbG vergleichbaren Sach- und Rechtslage gelten auch für § 47 Abs. 3 FlurbG dieselben Gesichtspunkte.

Aus den Gründen

Der Kläger wendet sich im Klageverfahren nicht gegen seine Landabfindung (die ihm ohne Flächenverlust alt wie neu gewährt wurde), sondern er begehrt über die ihm im Widerspruchsverfahren bereits eingeräumte Befreiung von 75 % hinaus eine vollständige Befreiung von Teilnehmerbeiträgen nach § 19 Abs. 3 FlurbG und vom Landabzug nach § 47 Abs. 3 FlurbG (also im Umfang von weiteren 25 %). Dabei handelt es sich um jeweils selbstständige Ansprüche, die durch den Flurbereinigungsplan geregelt werden, und die eigenständige Streitgegenstände des Flurbereinigungsverfahrens sind (hierzu Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 59, Rn. 10, 11 sowie § 47 Rn. 11 und § 19, Rn. 22).


Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Änderung seiner im Flurbereinigungsplan in der Fassung des Widerspruchsbescheides 25. August 2015 festgesetzten Abfindung unter vollständiger Befreiung vom Teilnehmerbeitrag und vom Landabzug über die bereits gewährten 75 % hinaus. ...
Eine Befreiung einzelner Teilnehmer von den Beiträgen oder vom Landabzug kommt gemäß §§ 19 Abs. 3, § 47 Abs. 3 FlurbG nur ausnahmsweise in Betracht:
Nach § 19 Abs. 3 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten einzelne Teilnehmer ausnahmsweise von der Aufbringung der Beiträge ganz oder teilweise zu Lasten der übrigen Teilnehmer befreien. Eine "Härte" im vorgenannten Sinn wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn ein Teilnehmer entweder überhaupt nicht oder nur in einem unverhältnismäßigen geringen Umfange an den Maßnahmen der Flurbereinigung und damit auch nicht an der allgemeinen Wertsteigerung der Besitzstände teilnimmt (so BVerwG, Urteil vom 25.11.1970 - 4 C 80.66 -, RdL 1971, 97 ff., juris, Rn. 20; ebenso Senatsurteil vom 6.3.2013 - 15 KF 14/11 -, juris, Rn. 17, jeweils m. w. Nw.). Vorteile sind dabei nicht nur solche, die auf Bodenbearbeitungs- und -verbesserungsmaßnahmen beruhen. Vielmehr kommen alle betriebswirtschaftlichen Vorteile in Betracht, die der jeweilige Besitzstand infolge der mit der Flurbereinigung allgemein verbundenen Wertsteigerung erlangt (BVerwG, Beschluss vom 22.7.1992 - 5 B 114.92 -, juris, Rn. 11). Darüber, ob eine offensichtliche und unbillige Härte vorliegt, steht der Flurbereinigungsbehörde kein Ermessen zu. Liegt überhaupt kein Vorteil und demnach eine unbillige Härte vor, so wird die vollständige Beitragsbefreiung ebenfalls zwingend sein. Im Übrigen, d. h. soweit ein Teilnehmer nur in einem unverhältnismäßig geringen Umfang profitiert, steht der Behörde bei der Bestimmung des Umfanges der Befreiung grundsätzlich ein Ermessen zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1970, a.a.O., Rn. 24; Wingerter/Mayr, a.a.O., § 19, Rn. 21). Diese Ermessensbetätigung bleibt allerdings auf Ausnahmefälle beschränkt, weil jede Befreiung zu Lasten der übrigen Teilnehmer geht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.11.1974 - 5 B 54.72 -, = RzF - 15 - zu § 19 Abs. 1 FlurbG). Ein Sonderfall i. S. d. § 146 Nr. 2 FlurbG, in dem das Gericht auch die Zweckmäßigkeit der Ermessensausübung zu überprüfen hat, ist nicht gegeben.


Ergänzend bestimmt § 47 Abs. 3 FlurbG, dass die Flurbereinigungsbehörde zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten einzelne Teilnehmer ausnahmsweise von der Aufbringung ihres Anteils u.a. an den gemeinschaftlichen Anlagen, d.h. vom Landabzug nach § 47 Abs. 1 FlurbG, ganz oder teilweise zu Lasten der übrigen Teilnehmer befreien kann. Wie § 19 Abs. 3 FlurbG sieht auch § 47 Abs. 3 FlurbG zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten eine teilweise oder gänzliche Befreiung von dem Landabzug für gemeinschaftliche Anlagen vor. Wegen der mit § 19 Abs. 3 FlurbG vergleichbaren Sach- und Rechtslage gelten auch für § 47 Abs. 3 FlurbG dieselben Gesichtspunkte (vgl. zum Folgenden, BVerwG, Urteil vom 25.11.1970, a.a.O., Rn. 29, m. w. Nw.). Denn auch die Landaufbringung nach § 47 FlurbG ist wie die Beitragspflicht nach § 19 FlurbG die Gegenleistung für den allgemeinen Vorteil, den der einzelne Teilnehmer aus der Flurbereinigung erzielt. Die Heranziehung eines Teilnehmers zum Landabzug zwecks Wegebau ohne Gewährung eines angemessenen Vorteils kann daher zu einer offensichtlichen und unbilligen Härte im Sinne von § 47 Abs. 3 FlurbG führen. Ein solcher Fall wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Abfindungsgrundstücke eines Teilnehmers in nur unverhältnismäßig geringem Umfang oder überhaupt nicht an im Rahmen der Flurbereinigung geschaffenen Erschließungsanlagen beteiligt sind oder wenn die Einlageflurstücke bereits so erschlossen waren, dass für die Abfindung im Vergleich zur Einlage überhaupt kein oder nur ein verhältnismäßig geringer Vorteil hinsichtlich der Erschließung eintreten konnte. Dabei ist auf den objektiv feststellbaren sachbezogenen betriebswirtschaftlichen Vorteil an den Abfindungsflächen abzustellen (vgl. hierzu das Senatsurteil vom 21.9.2010 - 15 KF 5/08 -, juris, Rn. 33, m. w. Nw.). Dass ein Teilnehmer eine geschaffene Anlage nicht nutzt, führt nicht zu seiner Befreiung vom Landabzug. Auch der Umstand, dass der Vorteil gering ist, vermag für sich eine Härte nicht zu begründen. Ebenso genügt für eine Befreiung vom Landabzug nicht, dass der Vorteil für ein einzelnes Flurstück oder eine Grundstücksart fehlt. Vielmehr muss der Vorteil für die gesamte Abfindung eines Teilnehmers fehlen oder verglichen mit anderen Teilnehmern unverhältnismäßig gering sein (vgl. auch Senatsurteil vom 25.2.2015 - 15 KF 5/11-, juris, Rn. 31).


Nach § 47 Abs. 1 FlurbG erfolgt der Landabzug u.a. für den Grund und Boden, der für gemeinschaftliche Anlagen erforderlich ist. Gemeinschaftliche Anlagen werden in § 39 Abs. 1 FlurbG als diejenigen definiert, die - wie u. a. Straßen oder Wege - zur gemeinschaftlichen Benutzung geschaffen werden oder einem gemeinschaftlichen Interesse dienen. Nach § 39 Abs. 2 FlurbG können vorhandene gemeinschaftliche Anlagen auch geändert, d.h. u. a. ausgebaut werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für eine Straße als "gemeinschaftliche" Anlage ist, dass ihre Schaffung bzw. Verbesserung im Interesse der allgemeinen Landeskultur und im wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen regelmäßig vor, wenn durch den öffentlichen Weg die Feldmark erschlossen oder eine Auflockerung der Ortslage erreicht wird. Der Wegebau muss letztlich ein Mittel zur Stärkung der wirtschaftlichen Grundlagen der am Verfahren teilnehmenden Betriebe sein und der Förderung der allgemeinen Landeskultur dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.1962 - 1 C 212.58 -BVerwGE 15, 72 ff.). Was mit dem Flurbereinigungsverfahren im konkreten Fall bezweckt werden soll, bestimmt dabei grundsätzlich der insoweit § 1 FlurbG einzelfallbezogen konkretisierende Flurbereinigungsbeschluss (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.2.2010 - OVG 70 A 3.09 -, juris, Rn. 27).


...


Nach diesen Maßgaben ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger wegen der bereits bei Einleitung der Flurbereinigung gewährleisteten Erschließung seiner Flächen in Richtung Norden zwar in geringerem Umfang von der Flurbereinigung profitiert als andere Teilnehmer, zumal er seine Flächen alt wie neu erhalten hat, ohne von einer Zusammenlegung zersplitterten Grundbesitzes zu profitieren. Auf eine vollständige Befreiung besteht aber kein Anspruch, weil keine offensichtliche und personenbezogene unbillige Härte erkennbar ist. Denn der Kläger erlangt durch die Flurbereinigung objektiv Vorteile, wenn auch in geringerem Maße als andere Teilnehmer. Diese objektiven Vorteile bestehen in einer insgesamt verbesserten Erschließungssituation der Grundstücke des Klägers.