Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 14.07.1978 - 14 U 48/76 = MDR 1979, 145

Aktenzeichen 14 U 48/76 Entscheidung Urteil Datum 14.07.1978
Gericht Oberlandesgericht Karlsruhe Veröffentlichungen MDR 1979, 145  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Teilnehmergemeinschaft als Begünstigte einer von ihr anläßlich der Erfüllung ihrer Aufgaben getroffenen Maßnahme ist passiv legitimiert für einen auf enteignungsgleichen Eingriff gestützten Klageanspruch.
2. Überschwemmungsschäden durch Wegebau- und Planierarbeiten anläßlich einer Rebflurbereinigung stellen einen enteignungsgleichen Eingriff dar, wenn hierbei der natürliche Abfluß wild abfließenden Wassers, wozu auch Niederschlagswasser zählt, entgegen § 81 Abs. 2 WaG von B.-W. zum Nachteil des Geschädigten verstärkt wird.
3. Die beim enteignungsgleichen Eingriff gebotene Unmittelbarkeit ist gegeben, wenn die Oberfläche eines abschüssigen Geländes dergestalt verändert wird, daß bei starkem Regen tiefer liegende Grundstücke gefährdet werden. Dieser Regen ist nicht als selbständiger weiterer Umstand anzusehen, sondern der dann eingetretene Schaden ist die natürliche Folge der geschaffenen Gefahrenlage.

Aus den Gründen

Die Beklagte, welche gem. § 10 Nr. 1, § 16 FlurbG vom 14.07.1953 in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.03.1976 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt, ist gegenüber dem Klageanspruch passiv-legitimiert. Nach feststehender Rechtsprechung (BGHZ 13/81; BGH LM Nr. 12 zu Art. 14 (Fb) GG; BGH NJW 76/1840, 1841) ist entschädigungspflichtig der durch die getroffene Maßnahme Begünstigte, also diejenige Gebietskörperschaft, welche die Maßnahme anläßlich der Erfüllung ihrer Aufgaben durchgeführt hat. Eine Ausnahme gilt für Vermögensträger, welche einen durch Spezialaufgaben beschränkten Aufgabenkreis haben. Soweit sie in Erfüllung ihrer speziellen Aufgabe die sich als Eingriff in das Eigentumsrecht des Betroffenen darstellende Maßnahme veranlaßt haben, sind sie als unmittelbar Begünstigte anzusehen (BGHZ 40/49, 53; vgl. auch BGH JZ 73/630). Bei Anwendung dieses Grundsatzes ist danach die Beklagte begünstigt, denn die Flurbereinigungsmaßnahme kam den Teilnehmern der Flurbereinigung zugute.

Ein Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs setzt voraus, daß durch eine konkrete hoheitliche Maßnahme in eine als Eigentum geschützte Rechtsposition eingegriffen wird (vgl. BGH NJW 71/607; Palandt-Bassenge 37. Auflage § 903 BGB Anmerkung 5 D). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Maßnahmen, welche letztlich den Schaden der Kläger bewirkt haben, sind im Rahmen eines gem. § 4 FlurbG von der obersten Flurbereinigungsbehörde angeordneten Flurbereinigungsverfahrens durchgeführt worden. Dabei wurden gem. § 37 FlurbG unter anderem Wege und andere gemeinschaftliche Anlagen geschaffen und sonstige Maßnahmen getroffen, durch welche die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe der beteiligten Eigentümer verbessert und deren Bewirtschaftung erleichtert wurden. Die Durchführung der hierzu erforderlichen Arbeiten oblag gem. § 18 Abs. 1, § 42 FlurbG der Beklagten.

Der enteignungsgleiche Eingriff liegt darin, daß die Beklagte in Ausführung der Wegearbeiten entgegen der Bestimmung des § 81 Abs. 2 des Baden-Württembergischen Wassergesetzes bewirkt hat, daß der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers, wozu auch das Niederschlagswasser zählt (vgl. Ziegler: Wassergesetz für Baden-Württemberg § 81 Anmerkung 1), zum Nachteil des tiefer liegenden Grundstücks der Erstklägerin verstärkt wurde. Dabei reicht es aus, wenn sich die Änderung des Wasserablaufs nur als mittelbare Folge der von der Beklagten getroffenen Maßnahme darstellt (vgl. BGH VersR 74/365, 367). Die den Schaden zur Folge habende Überschwemmung wurde durch diese Arbeit verursacht, denn es ist mangels gegenteiligen Vortrages davon auszugehen, daß früher, obwohl nach dem Gutachten des Wetteramts F. derartige Regenfälle etwa 3 mal in 10 Jahren auftreten, das Grundstück der Erstklägerin nicht in solchem Ausmaße wie am 18.8.1974 überschwemmt wurde.

Nun reicht allerdings eine adäquate Verursachung des Schadens allein nicht aus, um einen enteignungsgleichen Eingriff anzunehmen. Es ist vielmehr erforderlich, daß die hoheitliche Maßnahme unmittelbare Auswirkungen auf das Eigentum des Betroffenen hat (BGH NJW 64/104; 71/607; 72/243; VersR 73/417), wobei für den Begriff der Unmittelbarkeit auf eine natürliche Einheit von Folge und Maßnahme abzustellen ist (Bender: Staatshaftungsrecht, 2. Auflage 1974 Rdn. 101). Das Schaffen und Aufrechterhalten eines Zustandes, welcher zwar Gefahren in sich birgt, aber erst bei Hinzutreten weiterer Umstände zu einer Schädigung führen kann, genügt nicht (BGH NJW 71/607, 608).

Entgegen der Ansicht der Beklagten haben aber die von ihr im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens durchgeführten Arbeiten, insbesondere die Wegebauarbeiten, unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums der Kläger bewirkt. Es ist nicht so, daß sich, wie im Falle der Entscheidung des BGH in NJW 71/607, ganz außerhalb der von der Beklagten getroffenen hoheitlichen Maßnahmen die durch die Arbeiten geschaffene Gefahrenlage erst durch das Hinzutreten eines weiteren Umstandes, nämlich des heftigen Gewitterregens, zu einem Schaden der Kläger an ihrem Eigentum konkretisiert hätte. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, daß dann, wenn die Oberfläche eines abschüssigen Geländes dergestalt verändert wird, daß bei starkem Niederschlag tiefer liegende Grundstücke durch das Niederschlagswasser gefährdet werden, im Falle erheblichen Niederschlages dieser nicht als selbständiger weiterer Umstand im Gesamtschadensbild angesehen werden kann, sondern der dann eintretende Schaden eine natürliche Konsequenz der geschaffenen Gefahrenlage ist. Die von der Beklagten vorgenommene Maßnahme hat die sofortige Möglichkeit des verstärkten Wasserablaufs auf das Grundstück der Erstklägerin geschaffen und nicht lediglich eine latente Gefahrenlage, welche erst beim Hinzutreten eines weiteren Umstandes, nämlich des Gewitterregens, sich zu dem Schaden verdichtet hat (vgl. auch BGH Agrarrecht 76/227, 229).

Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht verneint, daß der Schaden der Kläger eine Folge höherer Gewalt sei, welche der Beklagten nicht angelastet werden könne. Das Gutachten des Wetteramtes F. vom 8.6.1978 hat ergeben, daß es sich nicht um ein außergewöhnliches Naturereignis gehandelt hat, mit welchem schlechterdings nicht zu rechnen war, sondern um einen, wenn auch sehr heftigen, Gewitterregen, welcher im Raume E. nach der Statistik eine Häufigkeit von 0,3 hat, was bedeutet, daß er in 10 Jahren 3 mal auftritt.

Ein Verschulden auf seiten der Beklagten ist im übrigen nicht Anspruchsvoraussetzung (vgl. BGHZ 7/296; 57/335, 336; Palandt-Bassenge a.a.O., Anmerkung D a zu § 903). Es kommt also nicht darauf an, ob bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt der Schadenseintritt hätte vorhergesehen werden können.

Den Klägern muß jedoch entgegen der Ansicht des Landgerichts in entsprechender Anwendung des § 254 BGB ein Mitverursachungsbeitrag an dem entstandenen Schaden angerechnet werden. Denn nach der Rechtsprechung des BGH ist in dem Fall, daß der Schädiger - wie hier - ohne Verschulden haftet, dem Geschädigten auch eine schuldlose Mitverursachung in dem in § 254 BGB aufgezeigten Rahmen anzulasten (Palandt-Heinrichs a.a.O. § 254 Anmerkung 1 b und der dort zitierten Rechtsprechung). Dieser Rechtsansicht schließt sich der Senat an; sie wird auch von den Parteien im Grundsatz nicht in Zweifel gezogen (II 31, 33, 65). Nur auf diese Weise kann ein gerechter Ausgleich der beiderseitigen Interessen erzielt werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob die Kläger durch ihr Verhalten eine adäquate Mitursache für den später eingetretenen Schaden gesetzt haben. Das ist zu bejahen.