Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 09.10.1974 - IX G 7/73
Aktenzeichen | IX G 7/73 | Entscheidung | Urteil | Datum | 09.10.1974 |
---|---|---|---|---|---|
Gericht | Flurbereinigungsgericht Münster | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | § 151 Satz 2 FlurbG ermächtigt die Flurbereinigungsbehörde zu originären Zuständigkeitsübertragungen auf die Gemeinde. Es handelt sich um eine Ermächtigungsnorm, die weder ausdrücklich noch ihrer Zweckbestimmung nach die Einschränkung enthält, daß die Übertragung nur mit Zustimmung der Gemeinde möglich ist. |
2. | Eine Gemeinde kann eine Funktionsübertragung im Sinne des § 151 FlurbG nur dann ablehnen, wenn die Übertragung einen schwerwiegenden Eingriff in die Autonomie der Gemeinde als Gebietskörperschaft darstellt. |
Aus den Gründen
Nach § 151 Satz 2 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde mit der Rechtskraft der Schlußfeststellung gemäß § 149 FlurbG die Vertretung der Teilnehmergemeinschaft und die Verwaltung ihrer Angelegenheiten auf die Gemeindebehörde übertragen. Diese Vorschrift ermächtigt nach Auffassung des Senats die Flurbereinigungsbehörde zu originären Zuständigkeitsübertragungen auf die Gemeindebehörde. Es handelt sich somit um eine Ermächtigungsnorm, nicht nur um eine Ermessensvorschrift. Sie enthält weder ausdrücklich noch ihrer Zweckbestimmung nach die Einschränkung, daß die Übertragung in allen Fällen nur mit Zustimmung der Gemeinde möglich ist (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 10.06.1968 - 3 C 108/67, Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland 10, 372 = Recht der Landwirtschaft (RdL) 1968, 275 = Rechtsprechung zur Flurbereinigung (RzF - 1 - zu § 151 FlurbG) 151, 1).
Der Gesetzgeber hat eine solche Einschränkung offensichtlich nicht gewollt, denn sonst hätte er dies - wie in § 42 Abs. 2 Satz 2 FlurbG - klar zum Ausdruck gebracht, wonach die gemeinschaftlichen Anlagen nur dann der Gemeinde zu Eigentum und Unterhaltung zugeteilt werden kann, wenn diese zustimmt.
Allerdings darf bei verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung mit der Funktionsübertragung auf die Gemeinde kein unzulässiger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verbunden sein. Vielmehr muß sich diese Übertragung auf typische Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gemeindeautonomie beziehen.
Das ist hier - auch nach der in der mündlichen Verhandlung von dem Vertreter des Regierungspräsidenten in A. als zuständiger Gemeindeaufsichtsbehörde i. S. d. § 151 Abs. 3 FlurbG näher erläuterten Auffassung - der Fall. Denn die einzige noch verbliebene Aufgabe der Teilnehmergemeinschaft besteht in der Verwaltung und Unterhaltung der ihr im Flurbereinigungsplan oder seinen Nachträgen unter Ordnungsnummer 528 zur Verwaltung und Unterhaltung zugeteilten Wirtschaftswege in Länge von zusammen rund 9,4 km. Verwaltung und Unterhaltung von öffentlichen Gemeindewegen i. S. d. § 3 Abs. 4c des Straßengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen - Landesstraßengesetz - vom 28.11.1961, GV NW 305/GV NW 91, (LStrG) wie der im Flurbereinigungsplan oder später mit Willen der Klägerin ihr unter Ordnungsnummer 11e zu Eigentum zugeteilten oder ihr sonst übertragenen (nicht öffentlichen) Wirtschaftswege im Flurbereinigungsgebiet in Länge von zusammen rund 40 km ist eine typische Selbstverwaltungsangelegenheit. Muß aber die Teilnehmergemeinschaft zur Wahrnehmung dieser über die Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens hinaus zu erfüllenden Aufgabe bestehen bleiben, so wäre es mit den Zielen einer ordnungsgemäßen Verwaltung nicht zu vereinbaren, wenn diese Wege im Gemeindegebiet von verschiedenen Funktionsträgern verwaltet und unterhalten werden müßten, sofern nicht im konkreten Einzelfalle ausnahmsweise die Funktionsübertragung auf die Gemeinde den berechtigten Interessen der Teilnehmergemeinschaft zuwiderlaufen würde.
Wie bereits in den Gründen der angefochtenen Schlußfeststellung von dem Beklagten hervorgehoben, trifft letzteres hier nicht zu. Demgemäß ist der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft in der Sitzung vom 17.03.1972 gemäß § 25 Abs. 2 FlurbG von der Flurbereinigungsbehörde gehört worden und hat ausweislich der darüber gefertigten Niederschrift der Übertragung ausdrücklich zugestimmt. Er beabsichtigt nach seinen eigenen Erklärungen nicht, die von der Teilnehmergemeinschaft im Flurbereinigungsgebiet hergestellten gemeinschaftlichen Anlagen selbst zu verwalten. Dann aber ist es nicht angebracht, daß der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft als Organ zur Vertretung ihrer Angelegenheiten durch Erlaß einer entsprechenden Satzung gemäß § 25 FlurbG bestehen und durch periodische Neuwahlen funktionsfähig bleibt. Die Teilnehmergemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 16 Satz 2 FlurbG) wird in ihren Angelegenheiten nämlich von dem von der Versammlung der Teilnehmergemeinschaft gewählten Vorstand vertreten. Nach Abschluß des Flurbereinigungsverfahrens ist dieser aber ohne die mannigfache Unterstützung seitens der Flurbereinigungsbehörde regelmäßig nicht gewillt und in der Lage, noch dazu ohne die erforderlichen Räumlichkeiten und Verwaltungsorganisation, eine eigene Geschäftstätigkeit zu entfalten. Mit Recht kann daher die Flurbereinigungsbehörde befürchten, daß nach der Schlußfeststellung niemand bereit wäre, eine Vorstandsfunktion zu übernehmen, und daß daher die gemäß § 18 und § 42 Abs. 2 FlurbG der Teilnehmergemeinschaft übertragenen Aufgaben nicht mehr im erforderlichen Umfang wahrgenommen würden.
Die Übertragung der Vertretung der Teilnehmergemeinschaft auf die Klägerin erscheint auch deshalb hier besonders angezeigt, weil damit die Koordinierung der verschiedenen Vorhaben öffentlicher Planungsträger sachgerecht aufeinander abgestimmt und damit unnötige Belastungen von der Teilnehmergemeinschaft ferngehalten werden können. Das gilt nicht nur in hohem Maße für eine sinnvolle gleichzeitige Vergabe von Unterhaltungsarbeiten am zusammenhängenden Wegenetz. Denn es wäre wesentlich kostspieliger und auch kaum praktikabel, wenn Unternehmer für Arbeiten an den zum Teil kurzen Wegeteilflächen, die die Stadtgemeinde nicht freiwillig übernommen hat, heranzuziehen. Das gilt aber nach der Darstellung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch für die inzwischen begonnenen Planungsvorhaben von Trägern öffentlicher Belange wie die Einleitung von Planfeststellungsverfahren für den Bau von Fernstraßen und von Industrieansiedlungs- und Wohnsiedlungsplanungen, die Eingriffe in das vorhandene Wegenetz zur Folge haben werden.
Dagegen sind die von der Klägerin bei Funktionsübernahme befürchteten Nachteile nicht zu erwarten oder jedenfalls nicht unzumutbar. Denn in dem angefochtenen Verwaltungsakt ist lediglich die Übertragung der Vertretung der Teilnehmergemeinschaft, die als solche mit allen Rechten und Pflichten, insbesondere als Eigentümerin der ihr zugeteilten Wirtschaftswege, bestehen bleibt, und die Verwaltung ihrer Angelegenheiten (einschließlich Kassenführung und Verwaltung des Kassenrestbestandes von 6 800,-- DM) übertragen, nicht aber die Übernahme der Aufgaben der Teilnehmergemeinschaft festgesetzt worden. Die Klägerin ist also berechtigt, von den Flurbereinigungsteilnehmern Beiträge gemäß § 19 Abs. 1 FlurbG unter Beachtung der Vorschrift des § 58 Abs. 4 FlurbG aufgrund des im Flurbereinigungsplan festgesetzten Beitragsmaßstabes in erforderlichem Umfange zu erheben. Belastungen der Haushaltsmittel der Klägerin müssen im Gefolge des angefochtenen Verwaltungsakts nicht verbunden sein, wenn sie es nicht vorzieht, wegen des inzwischen unbestritten eingetretenen faktischen öffentlichen Verkehrs - auch durch Nichtteilnehmer der Flurbereinigung - auf diesen Wegen zur Vermeidung der damit verbundenen Verwaltungsarbeit eigene Steuermittel einzusetzen. Dabei wäre zu berücksichtigen, daß die Flurbereinigung durch die getroffene Neuordnung im Flurbereinigungsgebiet, besonders durch Herstellung der gemeinschaftlichen Anlagen auf Flurbereinigungskosten und Wegfall von Prozeßrisiken infolge der Festsetzung neuer einwandfreier wegerechtlicher Verhältnisse und weiterer Bestimmungen mit Wirkung von Gemeindesatzungen, auch für die Klägerin mittelbar große Vorteile gebracht hat.
Der Meinung der Klägerin wäre nur dann zu folgen, wenn die Funktionsübertragung tatsächlich einen schwerwiegenden Eingriff in die Autonomie der Stadtgemeinde als Gebietskörperschaft bedeuten würde. Nur dann hätte die Gemeinde nämlich das Recht, eine solche Regelung abzulehnen. Erst wenn in einem solchen Fall unanfechtbar festgestellt worden wäre, daß die Gemeinde die Übertragung zu Recht abgelehnt hätte, müßte auch nach der Schlußfeststellung weiterhin ein Vorstand gebildet und die periodische Neuwahl durch eine Satzung gemäß § 22 Abs. 4 FlurbG sichergestellt werden.