Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.08.1995 - 11 C 21.94 = RdL 1995 S. 266

Aktenzeichen 11 C 21.94 Entscheidung Urteil Datum 16.08.1995
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1995 S. 266  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Gestaltungsgesichtspunkte, die erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vorläufigen Besitzeinweisung aufgetreten sind, können für die Feststellung der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden.
2. Dies gilt auch dann, wenn solche Gestaltungsgesichtspunkte erst dadurch auftreten, daß ein Einlagegrundstück nach Bekanntmachung des Zusammenlegungsplans und nach Wirksamwerden der vorläufigen Besitzeinweisung privatrechtlich durch einen zuvor nicht beteiligten Dritten erworben wird.
3. In diesem Fall kann kein neuer oder erweiterter Abfindungsanspruch des Erwerbers entstehen, sondern nur der bereits bestehende Abfindungsanspruch des Veräußerers auf den Erwerber übergehen.
4. Betrifft der Erwerb nur einen Teil der Einlagegrundstücke des Veräußerers, so steht dem Erwerber aus § 44 FlurbG ein Anspruch auf Ausweisung einer möglichst gleichwertigen Abfindung aus der Gesamtabfindung des Veräußerers im Wert der erworbenen Flächen zu, der entsprechend § 68 Abs. 2 FlurbG durch die Flurbereinigungsbehörde oder im Widerspruchsverfahren durch die Widerspruchsbehörde zu konkretisieren ist.

Aus den Gründen

Rechtsgrundlage für die Zuweisung des Abfindungsflurstücks Flur 4 Nr. 10/3 an die Klägerinnen durch die Entscheidung der Spruchstelle vom 13.04.1992 war die Regelung des § 60 i. V. m. § 100, § 141 FlurbG. Danach hatte die bei der oberen Flurbereinigungsbehörde des Beklagten gebildete Spruchstelle für Flurbereinigung dem von den Klägerinnen als Rechtsnachfolgern weiterverfolgten Widerspruch ihres Vaters gegen den Zusammenlegungsplan stattzugeben, soweit er begründet war. Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens war die Rechtsbehauptung der Klägerinnen, durch den Zusammenlegungsplan in ihrem Recht auf eine gleichwertige Landabfindung verletzt zu sein und deshalb einen Anspruch auf dessen Änderung zu haben. Dem hat die Entscheidung der Spruchstelle vom 13.04.1992, die in den Nachtrag III zum Zusammenlegungsplan von der Flurbereinigungsbehörde deklaratorisch übernommen wurde (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18.11.1969 - BVerwG 4 B 225.68 - <RdL 1970, S. 305>), in von den Klägerinnen rechtlich nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen. Mit der von der Spruchstelle ausgesprochenen Zuweisung des aus den Einlageflurstücken Flur 4 Nrn. 14 und 15 neugebildeten Flurstücks Nr. 10/3 an die Klägerinnen ohne Ausgleich des Wertunterschiedes zu ihrem Einlageflurstück Flur 6 Nr. 33 ist deren aus § 44 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 98 FlurbG folgender Anspruch auf eine gleichwertige Landabfindung erfüllt.

Maßgebend dafür, ob im Einzelfall diesem Anspruch genügt ist, ist zunächst die Bemessung der Abfindung, bei der gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 FlurbG die nach den § 27 bis § 33 FlurbG ermittelten Grundstückswerte zugrunde zu legen sind. Insoweit ist in Übereinstimmung mit dem Flurbereinigungsgericht auf der Grundlage der im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 138 Abs. 1 FlurbG gebunden ist, die Entscheidung der Spruchstelle nicht zu beanstanden. Das Flurbereinigungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, daß sich die Klägerinnen die gegenüber ihrem Rechtsvorgänger eingetretene Unanfechtbarkeit des Feststellungsbeschlusses nach § 32 FlurbG im Hinblick auf § 15 Satz 1 FlurbG entgegenhalten lassen müssen und daß Nachsichtgründe nach § 134 Abs. 2 FlurbG nicht vorliegen. Allerdings bilden die im Wertermittlungsverfahren gewonnenen Grundstückswerte nicht den ausschließlichen Maßstab für die Landabfindung. Für den im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG maßgeblichen Gesamttauschwert kommen vielmehr daneben nach Maßgabe des § 44 Abs. 2 bis 4 FlurbG noch weitere, den Wert der konkreten Gesamtabfindung mitbestimmende Faktoren in Betracht, die bei der Zuteilung in Ansatz gebracht werden müssen. Trotz richtiger Bewertung der einzelnen Flächen kann durch die Gestaltung der Abfindung die Wertgleichheit von Einlage und Abfindung in Frage gestellt sein (vgl. BVerwGE 57, 192 f.; 85, 129 <130 f.>; Urteile vom 26.03.1962 - BVerwG 1 C 24.61 - <RdL 1962, S. 217 f.>, vom 14.02.1963 - BVerwG 1 C 56.61 - <RdL 1963, S. 249 f.> und vom 16.12.1992 - BVerwG 11 C 3.92 - <RdL 1993, S. 98 f.>). Die allein unter diesem Blickwinkel vom Flurbereinigungsgericht erhobenen Beanstandungen der Landabfindung der Klägerinnen greifen jedoch nicht durch.

Für die Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 16.03.1976 (BGBl. l S. 533) hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, maßgebender Zeitpunkt für die gemäß § 44 FlurbG vorzunehmende Prüfung der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung sei der sich aus den § 61 bis § 64 FlurbG ergebende Eintritt des neuen Rechtszustandes (BVerwGE 42, 87 <91>; Urteil vom 15.10.1974 - BVerwG 5 C 56.73 - <Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 29> m. w. N.). Daraus ergab sich, daß jedenfalls ein erst nach diesem Zeitpunkt vereinbarter privatrechtlicher Erwerb ausgewiesener Flurstücke im Hinblick auf § 15 FlurbG Abfindungsansprüche weder erweitern noch neu begründen konnte, selbst dann nicht, wenn die Eigentumsänderung in den Plan aufgenommen worden sein sollte (vgl. BVerwG, Beschluß vom 07.04.1975 - BVerwG 5 B 98.73 <Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 13>).

Diese Rechtsprechung zum für die Feststellung der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung maßgeblichen Zeitpunkt wurde durch § 44 Abs. 1 Satz 3 FlurbG in der Fassung des Änderungsgesetzes von 1976 ausdrücklich in das Gesetz übernommen und durch § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG um eine Vorverlegung des Stichtages für Fälle der vorläufigen Besitzeinweisung ergänzt. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, daß der damit bestimmte Zeitpunkt nicht nur für die Ermittlung der Abfindungsansprüche der Teilnehmer, sondern auch für die Gestaltung ihrer Abfindungen im Flurbereinigungsplan maßgeblich sei (vgl. BTDrucks 7/3020, S. 26). Allein dies entspricht auch der bereits dargestellten Systematik des § 44 FlurbG, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstanden worden ist. Denn danach dienen die Abs. 2 bis 4 dieser Vorschrift, insbesondere der vom Flurbereinigungsgericht für verletzt gehaltene Abs. 2 Halbs. 2, nur der Erläuterung des allgemeinen Wertbegriffs des Abs. 1 Satz 1, geben aber nicht dem Teilnehmer "neben" dem Anspruch auf wertgleiche Abfindung nach Abs. 1 Satz 1 einen weiteren Anspruch auf Berücksichtigung der hier genannten Wertumstände (BVerwGE 57,192 <193>; 85, 129 <131>; Urteile vom 26.03.1962, a.a.O., und vom 14.02.1963, a.a.O.). Im Hinblick darauf hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelung des Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich für alle den Grundstückswert bestimmenden Merkmale einschließlich der konkret aktuellen Nutzungsmöglichkeiten durch den betroffenen Teilnehmer als maßgeblich angesehen (BVerwGE 85, 129 <134 f.>). Für die Regelung des Abs. 1 Satz 4 kann nichts anderes gelten.

Diese Rechtslage hat zur Folge, daß Gestaltungsgesichtspunkte, die erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vorläufigen Besitzeinweisung aufgetreten sind, für die Feststellung der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden können. Das gilt auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - solche Gestaltungsgesichtspunkte erst dadurch auftreten, daß ein Einlagegrundstück nach Bekanntmachung des Zusammenlegungsplans und nach Wirksamwerden der vorläufigen Besitzeinweisung privatrechtlich durch einen zuvor nicht beteiligten Dritten erworben wird. Dieser muß gemäß § 15 Satz 1 FlurbG das bis zu seiner Eintragung im Grundbuch durchgeführte Verfahren gegen sich gelten lassen. Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt hierin nicht. Denn die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums steht einer Regelung nicht entgegen, wonach der Erwerber des in einem Zusammenlegungsgebiet gelegenen Grundstücks die dafür im Zeitpunkt des Erwerbs infolge des Zusammenlegungsverfahrens bestehenden Vorbelastungen übernehmen muß.

Im vorliegenden Fall hat das Flurbereinigungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß die Abfindung des Vaters der Klägerinnen im maßgebenden Zeitraum des Wirksamwerdens der vorläufigen Besitzeinweisung nach den in diesem Zeitpunkt zu berücksichtigenden Umständen des nach der vorläufigen Besitzeinweisung noch Möglichen entsprochen [hat]. lm übrigen haben die Klägerinnen selbst nicht vorgetragen, welche andere Abfindung aus der Gesamtabfindung ihres Vaters zur Erfüllung ihres Anspruchs noch in Betracht gekommen wäre.