Flurbereinigungsgericht Greifswald, Urteil vom 15.12.2022 - 9 K 418/20 OVG (Lieferung 2023)

Aktenzeichen 9 K 418/20 OVG Entscheidung Urteil Datum 15.12.2022
Gericht Flurbereinigungsgericht Greifswald Veröffentlichungen Lieferung 2023

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Ein gegen den Bodenordnungsplan erhobener Widerspruch erledigt sich durch einen Nachtrag, wenn der Nachtrag I den Plan in dem mit dem Widerspruch angegriffenen Regelungsteil bestandskräftig ändert, wenn auch zu Ungunsten der den Widerspruch führenden Beigeladenen (red. LS).
2. Eine offensichtliche Härte liegt dann vor, wenn die Entscheidung im Flurneuordnungsverfahren entweder rechtlich offensichtlich unhaltbar ist oder unter Gewichtung und Bewertung der betroffenen Interessen die Nachsichtgewährung geboten ist (red. LS).
3. Der Wegfall der durch einen Weg hergestellten Zugänglichkeit des hinteren Teils eines Einlageflurstücks und des dortigen Abfindungsflurstücks mag dazu führen, dass die wirtschaftliche Verwertung dieses Abfindungsflurstücks als selbständiges Grundstück deutlich erschwert wird. Auch daraus ergibt sich aber keine derart schwerwiegende Beeinträchtigung der Beigeladenen, dass daraus eine Nachsichtgewährung zu erfolgen hat (red. LS).

Aus den Gründen

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Abfindungsentscheidung im Bodenordnungsplan F...ruhe.

Die Kläger (ON 242) und die Beigeladene (ON 405) sind Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens F...ruhe. Die Kläger legten das Flurstück 14 der Flur 2 der Gemarkung F...ruhe in das Verfahren ein. Die Beigeladene legte das Flurstück 11 der Flur 2 der Gemarkung F…felde in das Verfahren ein. Beide Flurstücke grenzen im Norden an eine öffentliche Straße („Am Bahnhof“) und sind mit Wohngebäuden bebaut, die jeweils im nördlichen Viertel der Flurstücke liegen. Das Flurstück 11 ist südlich des Wohngebäudes am östlichen Rand mit zwei Schuppen bebaut, die hintereinanderliegen. Zwischen diesen beiden Flurstücken lag das Flurstück 13, das sich in einer Breite von ca. 6 Metern als schmaler Streifen von der Bahnhofstraße im Norden bis zur Straße „Am Reithof“ im Süden erstreckte.

Nach Anordnung des Bodenordnungsverfahrens fand am 12.08.2009 mit der Beigeladenen eine Hofraumverhandlung statt. Ausweislich des von ihr unterschriebenen Protokolls erklärte sie: „Teilfläche A gemäß Anlage wird nicht als Grundstückszufahrt benötigt.“ In der Anlage trägt das Flurstück 12 handschriftlich ein „A“.

Die Gemeinde F...ruhe, in deren Eigentum das Flurstück 12 stand und die mit diesem Flurstück Teilnehmerin des Bodenordnungsverfahrens ist, beschloss am 01.12.2010 den Verkauf eines Teilstücks des Flurstücks 12 in einer Größe von ca. 550 m² an die Kläger und den Verkauf eines weiteren, südlich angrenzenden Teilstücks des Flurstücks 12 in einer Größe von ca. 658 m² an die Eheleute Stach. Zugunsten der Kläger verzichtete die Gemeinde mit Erklärung vom 16.04.2011 auf Landabfindung im Umfang einer Teilfläche von ca. 550 m² aus dem Flurstück 12 und stimmte der Abfindung in Geld zu. Entsprechend verzichtete sie zugunsten der Eheleute Stach auf Abfindung in Land im Umfang einer Teilfläche von ca. 658 m² und stimmte einer Abfindung in Geld zu. Beide Erklärungen wurden in einer Verhandlung vor dem StALU Westmecklenburg abgegeben und von diesem protokolliert. Ausweislich der den Erklärungen beigefügten Pläne wird durch diese Landverzichtserklärungen das gesamte Flurstück 12 erfasst. Zudem soll die Gemeinde einen Beschluss zur Aufhebung der öffentlichen Widmung des Weges Einlageflurstück 12 gefasst haben (Aktenvermerk Knoblich Bl. 52 BA B).

In einer Nachverhandlung vom 05.07.2011 zur Hofraumverhandlung vom 12.08.2009 erklärte sich die Beigeladene mit der Teilung ihres Einlageflurstücks wie in der Anlage zum Protokoll eingezeichnet einverstanden und erklärte weiter, sie benötige eine in der Anlage mit „E“ eingezeichnete Teilfläche des Flurstücks 12 als Zuwegung für die Entleerung der Klärgrube, Heizöllieferung und ggf. für die Erreichung des Teilflurstücks „B“. Gründe für den Erhalt des Weges seien u.a. dass der Weg von Dritten genutzt werde und Versorgungsleitungen im Weg lägen. Das Teilstück „E“ liegt in einer Breite von vier Metern östlich angrenzend an das Flurstück 11 und reicht von der Bahnhofstraße etwas mehr als die Hälfte an der östlichen Flurstücksgrenze entlang nach Süden.

Im Bodenordnungsplan vom 26.07.2017 wurde die Abfindung der Beigeladenen in der Weise geregelt, dass ihr die Abfindungsflurstücke 211 und 212 zugeteilt wurden und sie damit ganz überwiegend in alter Lage abgefunden wurde. Die Flurstücksgrenze zwischen den beiden Abfindungsflurstücken wurde etwa in der Mitte des Einlageflurstücks von West nach Ost gezogen. Den Klägern wurden die Abfindungsflurstücke 218 (ganz überwiegend das Einlageflurstück 14), 214 und 213 zugeteilt. Die Flurstücke 214 und 213 umfassen ganz überwiegend den Teil des Einlageflurstücks 12, auf den die Gemeinde zugunsten der Kläger auf Abfindung in Land verzichtet hatte. Das Abfindungsflurstück 213 umfasst ganz überwiegend die Fläche, die die Beigeladene in der Nachverhandlung als Fläche „E“ bezeichnet hat. Das Abfindungsflurstück 13 wurde zugunsten des Eigentümers des Abfindungsflurstücks 212 mit einem Geh- und Fahrrecht belastet.

Im Anhörungstermin am 10.05.2017 hat die Beigeladene Widerspruch eingelegt. Sie beantragte ein Wegerecht für die Abfindungsflurstücke 213 und 214 ohne Entschädigungs-zahlung. Ebenso legten die Kläger Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen die Belastung des Abfindungsflurstücks 213 mit einem Geh- und Fahrrecht wandten. Die Teilung des Einlageflurstücks der Beigeladenen führe zu einer Belastung der Kläger und sei deswegen rechtswidrig. Das Einlageflurstück der Beigeladenen sei über die Straße „Am Bahn-hof“ ausreichend erschlossen. Ein Anspruch auf Mehrfacherschließung bestehe nicht.

Mit Nachtrag I vom 20.09.2017 änderte das StALU Westmecklenburg den Bodenordnungsplan und hob das auf dem Abfindungsflurstück 213 lastende Geh- und Fahrrecht auf. Über einen von der Bevollmächtigten der Kläger im Schreiben vom 16.10.2017 an das StALU Westmecklenburg erwähnten Termin am 12.10.2017 findet sich in den vorgelegten Verwaltungsvorgängen nichts. Die Beigeladene erschien im Termin zur Entgegennahme von Widersprüchen gegen den Nachtrag I am 01.11.2017 nicht. In dem Protokoll dieses Termins heißt es: „Der Verhandlungsleiter … stellt fest: Jeder Beteiligte ist fristgerecht geladen. Jedem Beteiligten ist der Nachtrag I zum Bodenordnungsplan mit den ihn betreffenden Festsetzungen als Auszug bekannt gegeben worden. Die Beteiligten sind in der Ladung …darauf hingewiesen, dass Widersprüche gegen den Nachtrag I zum Boden-ordnungsplan zur Vermeidung des Ausschlusses im heutigen Termin vorgebracht werden müssen“. Nach den Feststellungen der Widerspruchsbehörde wurden der Klägerin mit dem sie betreffenden Nachtragsauszug der „Teilnehmernachweis – neue Grundstücke“ übersandt, ohne dass ein gesonderter Hinweis auf die Aufhebung des Wegerechts erging.

In der Folgezeit ergingen weitere Nachträge zum Bodenordnungsplan. Die für sofort vollziehbar erklärte vorzeitige Ausführungsanordnung vom 10.08.2018 wurde bestandskräftig. Die Beigeladene hat mit Schreiben vom 16.11.2028, eingegangen beim StALU Westmecklenburg am 20.11.2018, Widerspruch gegen die Aufhebung des Geh- und Fahr-rechts erhoben und begehrt weiterhin die Begründung eines Wegerechts auf den Abfindungsflurstücken 213 und 214. Sie habe von der Änderung des Bodenordnungsplanes erst durch die Sperrung des Weges durch die neuen Eigentümer und telefonische Rücksprache im Amt am 05.11.2018 erfahren. Für das Abfindungsflurstück 212 bestehe keine Zuwegung, was einen in Erwägung gezogenen Verkauf unmöglich mache.

Das StALU Westmecklenburg hat die Beigeladene auf die nach seiner Rechtsauffassung eingetretene Bestandskraft des Bodenordnungsplanes hingewiesen und eine Änderung abgelehnt. Nach Einschaltung des Bürgerbeauftragten hat der zuständige Minister das StALU Westmecklenburg angewiesen, die Verwaltungsvorgänge vorzulegen, um eine Nachsichtgewährung zu prüfen. Zusammen mit den Verwaltungsvorgängen hat das StALU Westmecklenburg einen Aktenvermerk vorgelegt, in dem es heißt: „am 05.07.2011 (fand) eine Nachverhandlung zur Hofraumverhandlung statt, in der mit ihr die Aufteilung des ursprünglich nur aus einem Flurstück bestehenden Grundstücks in zwei Flurstücke vereinbart wurde. In diesem Zusammenhang wurde ihr zugesichert, zur Erreichbarkeit des hinteren dieser beiden Flurstücke auf dem ehemaligen Weg ein Wegerecht von der Straße „Am Bahnhof“ zu begründen“. Weiter heißt es dort „Die Entscheidung, das vorbezeichnete Wegerecht aufzuheben, wurde der Petentin mit dem Nachtrag I schriftlich durch Zustellung eines Auszuges, mit den sie betreffenden Festlegungen über ihre Grundstücke, bekannt gegeben. ( ) Im Rahmen der Abhilfeverhandlung zum Widerspruch der Petentin gegen den Ausgangsplan am 01.06.2017 vor Ort wurde diese über das Vorliegen auch des Widerspruchs auch der Ord.-Nr. 242 hingewiesen“.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2020 hat der Beklagte festgestellt, dass der Flur-neuordnungsplan vom 22.07.2016 und die im Plannachtrag 1 vom 20.09.2017 aufgenommene echte Planänderung nicht unanfechtbar sind. Weiter hat der Beklagte Nachsicht mit dem Ergebnis der Zulassung des Widerspruchs vom 16.11.2018 gegen den Plannachtrag 1 vom 20.09.2017 gewährt. Der Plannachtrag 1 vom 20.09.2017 ist insoweit aufgehoben worden, als dort die Grunddienstbarkeit Geh- und Fahrrecht zu Gunsten des (herrschenden) Flurstücks Gemarkung F...ruhe Flur 4 Nr. 212 (Ord.-Nr. 405) und zu Lasten des (dienenden) Flurstücks Gemarkung F...ruhe Flur 4 Nr. 213 (Ord.-Nr. 242) nicht mehr ausgewiesen ist. Der dann insoweit wieder geltende ursprüngliche Flurneuordnungsplan ist dahin geändert worden, dass die Ord.-Nr. 242 den jeweiligen Eigentümern des Grundstückes Flurstück Nr. 211 (herrschendes Grundstück) das Recht einräumt, auf dem Grundstück Flurstück 213 (dienendes Grundstück) einen Weg anzulegen und ihn zu begehen und zu befahren. Zudem werden Folgeregelungen der Grunddienstbarkeit angeordnet. Weitere Folgeregelungen sind angeordnet worden. Im Übrigen ist der Widerspruch zurückgewiesen worden. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der im Anhörungstermin vom 10.05.2017 von der Beigeladenen eingelegte Widerspruch verblieben sei, weil er nicht der oberen Flurbereinigungsbehörde zur Entscheidung vorgelegt worden sei. Diesem Widerspruch stehe § 142 FlurbG nicht entgegen. Die Art und Weise der Bekanntgabe der beabsichtigen Planänderung sei nicht hinreichend bestimmt bekannt gegeben worden. Daher lägen besondere Gründe vor, die einer Zurechnung der Fristversäumung an die Beigeladene hindern. Nachsicht müsse nicht gewährt werden, werde aber in Ausübung des Ermessens nach § 134 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 FlurbG gewährt. Die offenbare Härte folge aus der gegenüber der Einlage geringeren Erschließung der Abfindung in fast vollständig alter Lage. Der straßenseitige Teil des Grundstücks sei schon immer baulich in beschränkender Art und Weise in Anspruch genommen worden. Der Widerspruch sei auch begründet. Ein Verweis auf eine innere Erschließung sei ein Weniger an Zugänglichkeit im Vergleich von Einlage und Abfindung für die Ord.Nr. 405. Ein Anspruch auf Zuteilung an einer Fläche ohne Grunddienstbarkeit für ein Geh- und Fahrrecht bestehe für die Ord.-Nr. 242 nicht. Der Landabfindungsanspruch, den die Ord.Nr. 242 erworben habe, scheitere an § 45 Abs. 1 Nr. 9 FlurbG. Das Einlageflurstück 12 sei als öffentlicher Weg einzustufen. Soweit infolge des Flurneuordnungsplanes der Charakter als öffentlicher Weg entfällt, liege die Entscheidung darüber in der Kompetenz der Gemeinde Friedrichs-ruhe. Aus § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG folge die Pflicht zur Schaffung eines Zugangs für den rückwärtigen Teil der an der Straße „Am Bahnhof“ liegenden Grundstücke. Insoweit sei der Widerspruch im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Widerspruchsführerin habe keinen Anspruch, die Grunddienstbarkeit auf das Flurstück Nr. 214 zu erstrecken. Es genüge für den Zugang die tenorierte Grunddienstbarkeit. Ein Ausgleich in Geld zugunsten der Ord.-Nr. 242 sei nicht geboten; dieser sei in den Einstandswert der Landverzichtserklärung eingepreist.

Die Kläger haben gegen den Ihnen am 08.04.2020 zugestellten Widerspruchsbescheid am 07.05.2020 Klage erhoben, die sie am 13.01.2021 begründet haben. Der Widerspruch der Beigeladenen gegen den Plannachtrag I sei verfristet und es sei keine Nachsicht zu gewähren. Eine offensichtliche und unbillige Härte liege nicht vor. Es bestehe kein Anspruch auf Mehrfacherschließung. Die Ausweisung des Einlagegrundstücks in zwei Flurstücken als Abfindungsgrundstück ändere daran nichts. Dies sei eine Angelegenheit der Binnenerschließung. Die Beigeladene verhalte sich auch widersprüchlich. Über den ersten Widerspruch gegen den Bodenordnungsplan sei durch den Plannachtrag I entschieden worden. Aus den mit der Ladung am 21.09.2017 übersandten Unterlagen ergebe sich im Vergleich mit den mit der Ladung am 08.03.2017 übersandten Unterlagen eindeutig der Wegfall des Wegerechts. Die Erläuterung der Änderungen im Plannachtrag erfolge im Anhörungstermin.

Die Kläger beantragen,

den Flurneuordnungsplan vom 22.07.2016 in Gestalt des Widerspruchbescheides des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 03.04.2020 mit der Ergänzung, dass auch der Widerspruch der Beigeladenen vom 16. 11.2018 abgewiesen wird, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist darauf hin, dass nach seiner Rechtauffassung das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt der richtige Beklagte sei und nicht das StALU Westmecklenburg. Die Frage nach der Nachsichtgewährung stelle sich nicht, weil der im Anhörungstermin vom 10.05.20217 eingelegte Widerspruch der Beigeladenen noch nicht beschieden war. Der ursprüngliche Flurneuordnungsplan sei noch nicht unanfechtbar gewesen. Die Erklärung der Beigeladenen am 12.08.2009 habe den Hintergrund, dass sie in der Annahme lebte, der Weg auf dem Einlageflurstück 12 sei eine öffentliche Straße. Auch die Flurbereinigungsbehörde Westmecklenburg scheine dieser Auffassung gewesen zu sein. Durch die im Flurneuordnungsplan verfügte Einziehung dieser öffentlichen Straße sei die Beigeladene benachteiligt worden.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage insoweit abzuweisen, als darin beantragt wird den Widerspruch der Beigeladenen vom 16.11.2018 abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid bei. Insbesondere hat sie in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Erschließung des Flurstücks 211 in Form der Versorgung mit Heizenergie und der Abfuhr des Inhaltes der Klärgrube aufgrund der vorhandenen Bebauung auf dem Flurstück ganz erheblich behindert sei.


Der Widerspruch der Beigeladenen gegen den ursprünglichen Bodenordnungsplan ist nicht von der zuständigen Behörde beschieden worden. Mangels besonderer Regelungen im FlurbG gilt § 73 VwGO entsprechend. Danach gilt, dass bei fehlender Abhilfe die Ausgangsbehörde den Widerspruch der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorlegen muss. Dies ist nicht erfolgt. Daraus folgt entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten bei der im konkreten Einzelfall zu entscheidenden Sach- und Rechtslage nicht, dass über diesen Widerspruch noch in der Sache zu entscheiden wäre. Vielmehr hat sich der Widerspruch durch den Nachtrag I erledigt, weil im Nachtrag I der Plan in dem mit dem Widerspruch angegriffenen Regelungsteil bestandskräftig geändert worden ist, wenn auch zu Ungunsten der den Widerspruch führenden Beigeladenen. Dies führt zur Erledigung des Widerspruchs der Beigeladenen gegen den ursprünglichen Flurneuordnungsplan. Eine Sachentscheidung über diesen Widerspruch ist dann ausgeschlossen; das entsprechende Widerspruchsverfahren ist einzustellen.

Der Widerspruch der Beigeladenen vom 20.11.2018 gegen den Nachtrag I ist unzulässig, weil verfristet. Die Beigeladene hat gegen den Nachtrag I, soweit er sie belastet, im Anhörungstermin keinen Widerspruch eingelegt, sondern erst am 20.11.2018. Die vom Beklagten gewährte Nachsicht ist rechtswidrig.

Der Beklagte hat der Beigeladenen im Wege einer Ermessenentscheidung Nachsicht gewährt, weil er zu der Überzeugung gekommen ist, die Zurückweisung des Widerspruchs als verfristet führe zu einer offenbaren Härte für die Beigeladene. Der Beklagte hat vorliegend eine offenbare Härte darin gesehen, dass gegenüber der Einlage eine geringere Erschließung der nahezu in vollständig alter Lage ausgewiesenen Abfindung vorliegt. Der rückwärtige Teil des über die Straße „Am Bahnhof“ erschlossenen Abfindungsflurstücks sei nicht mehr in gleicher Weise zugänglich wie das Einlageflurstück. Dies folge daraus, dass der straßenseitige Teil des Grundstücks schon immer baulich in beschränkender Art und Weise in Anspruch genommen worden sei.

Dieser Überlegung folgt der Senat nicht. Eine offensichtliche Härte liegt dann vor, wenn die Entscheidung im Flurneuordnungsverfahren entweder rechtlich offensichtlich unhaltbar ist oder unter Gewichtung und Bewertung der betroffenen Interessen die Nachsichtgewährung geboten ist (vgl. BVerwG Beschl. v. 18.02.2004 – 9 B 8/04 –, juris Rn. 8.) Die Entscheidung kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Die Rechtmäßigkeit der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung ist dabei nur sehr begrenzt zu prüfen.

Nach diesem Maßstab liegt eine unbillige Härte bei der Beigeladenen nicht vor. Die sie treffende Wirkung des angefochtenen Nachtrages I wiegt nicht so schwer, dass das Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit dahinter zurückstehen müssen. Das ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegungen.

Der östlich des Einlageflurstücks liegende Weg, über den die Beigeladene vor dem Abschluss des Flurneuordnungsverfahrens nach eigenen Angaben die Versorgung ihres Einlageflurstücks mit Energie und die Abfuhr der Klärgrube hat durchführen lassen, ist im Bodenordnungsverfahren nach dem Willen der Gemeinde und mit ihrer aktiven Mitwirkung eingezogen worden. Die Gemeinde hat das Wegeflurstück im Flurneuordnungsverfahren unter anderem an die Kläger veräußert und eine entsprechende Landverzichtserklärung abgegeben. Die von dem Beklagten angenommene Erschließungssituation des Einlageflurstücks der Beigeladenen durch diesen Weg war offensichtlich seit längerem nicht mehr gesichert. Dies war auch der Beigeladenen bekannt, die sich im Juli 2011 mit einer Unterschriftenliste gegen die Einziehung des Verbindungsweges an den Landkreis gewandt hatte. Trotzdem hat sie sich nicht darum bemüht, ihrerseits im Rahmen des Flurneuordnungsverfahrens den aus ihrer Sicht für die Nutzung ihres Einlageflurstücks erforderlichen Teil des Wegeflurstücks für sich zu sichern. Die vom StALU W. in einem Aktenvermerk vom 11.12.2018 aufgestellte Behauptung einer Zusicherung eines Wegerechts zugunsten der Beigeladenen auf dem ehemaligen Weg ist im Protokoll der Hofraumverhandlung vom 05.07.2011 nicht dokumentiert und auch sonst nicht in den vorgelegten Verwaltungsvorgängen enthalten. Auch die Beigeladene beruft sich in ihren Widerspruchsschreiben nicht auf eine solche Zusicherung.

Für den Senat ist auch nicht erkennbar, dass durch den Wegfall des Wegegrundstücks oder des im ursprünglichen Flurneuordnungsplan zu ihren Gunsten vorgesehenen Geh- und Fahrrechts die Nutzung des Abfindungsgrundstückes der Beigeladenen unmöglich oder jedenfalls so sehr erschwert wird, dass sie davon schwer und unerträglich belastet wird. Die Beigeladene hat dazu auch in der mündlichen Verhandlung nichts Konkretes vorgetragen. Dabei verkennt der Senat nicht die von der Beigeladenen dargestellte Lage der Klärgrube und des Heizöltanks im hinteren Bereich des Abfindungsflurstücks 211. Dem Vortrag der Beigeladenen hat der Senat nicht entnehmen können, dass dadurch die Nutzung des Abfindungsflurstücks entweder unmöglich oder unerträglich erschwert wird.

Der Senat hat bedacht, dass die ursprünglich durch den Weg hergestellte Zugänglichkeit des hinteren Teils des Einlageflurstücks und des jetzigen Abfindungsflurstücks 212 nicht mehr gegeben ist. Das mag dazu führen, dass die wirtschaftliche Verwertung dieses Abfindungsflurstücks als selbständiges Grundstück deutlich erschwert wird. Auch daraus ergibt sich für den Senat aber keine derart schwerwiegende Beeinträchtigung der Beigeladenen, dass daraus eine Nachsichtgewährung zu erfolgen hat.

Der Beklagte hat ausdrücklich eine Ermessensentscheidung getroffen; er ist nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen. Bei seiner Ermessensentscheidung hat er, wie sich aus dem Zitat des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 18.04.2001 – 9 K 4/00 –, juris, Rn 27 im Widerspruchsbescheid ergibt, alle Belange, die für die Ermessensentscheidung von Bedeutung sein können, berücksichtigt. Erkennbar hat der Beklagte keine anderen Belange als die von ihm angenommene offenbare Härte erkennen können, die die Nachsichtgewährung rechtfertigen. Weil diese offenbare Härte nicht vorliegt, sind die Ermessenentscheidung und die weiteren darauf beruhenden Entscheidungen unter Ziffer 1, 3 und 4 des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2020 aufzuheben. Die in Ziffer 6 aufschiebend bedingt getroffene Regelung wird infolgedessen mangels Bedingungseintritts gegenstandslos. Eine Zurückverweisung nach § 144 FlurbG scheidet unter diesen Umständen aus.

Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, soweit der angefochtene Widerspruchsbescheid den Widerspruch der Beigeladenen zurückweist. Insoweit fehlt es an dem für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen Rechtsschutzinteresse der Kläger.