Flurbereinigungsgericht München, Beschluss vom 06.10.2004 - 13 AS 04.1993 (Lieferung 2006)

Aktenzeichen 13 AS 04.1993 Entscheidung Beschluss Datum 06.10.2004
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen Lieferung 2006

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Jeder Betroffene kann Widerspruch auch vor der Bekanntmachung (Zustellung) eines Verwaltungsakts an ihn einlegen, wenn dieser existiert, also mit Wissen und Wollen der Behörde anderweitig bekannt gegeben ist.
2. Aus der rechtsstaatlichen Pflicht der Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts folgt, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen muss, die im konkreten Fall zur Annahme eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geführt haben.

Aus den Gründen

Der Eilantrag <vorläufiger Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug des zur Anordnung des Verfahrens ergangenen Zusammenlegungsbeschlusses> ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 138 Abs. 1 Satz 2 und § 141 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO).

Der streitgegenständliche Zusammenlegungsbeschluss (§ 93 Abs. 2 Satz 1 FlurbG) ist noch nicht bestandskräftig (vgl. hierzu Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, RdNr. 848). Die Widersprüche wurden zwar schon am 29. Juni 2004, also vor der Bekanntgabe des Bescheids an die Antragsteller eingelegt, haben aber dennoch aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Da der Zusammenlegungsbeschluss mehreren Beteiligten bekannt zu geben war, konnte die Bekanntgabe durch öffentliche Bekanntgabe mittels Auslegung in der Gemeinde erfolgen (§ 111 Abs. 1 Satz 2 und § 110 FlurbG i.V.m. Art. 27 Abs. 2 GO). Nach § 115 Abs. 1 FlurbG beginnen die gesetzlichen Fristen bei öffentlicher Bekanntmachung mit dem ersten Tag der Bekanntmachung, hier also mit dem 8. Juli 2004. Wirksam wird ein Verwaltungsakt mit Bekanntgabe (Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG). Vor der Bekanntgabe liegt ein Verwaltungsakt im Rechtssinn noch nicht vor (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, RdNr. 4 zu § 43). Vor Ergehen des Verwaltungsakts kann deshalb kein Widerspruch eingelegt werden (BVerwG vom 6.2.1985 BayVBl 1985, 605). Jeder Betroffene kann Widerspruch aber auch schon vor der Bekanntgabe (Zustellung) an ihn einlegen, wenn der Verwaltungsakt existiert, also mit Wissen und Wollen der Behörde anderweitig bekannt gegeben worden ist (BVerwGE 25, 20; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 2 zu § 68 und RdNr. 6 zu § 70). Eine solche Fallkonstellation ist hier gegeben. Da die DLE *** den Zusammenlegungsbeschluss samt Gebietskarte mit Schreiben vom 24. Mai 2004 der Verwaltungsgemeinschaft K*** u.a. für die Gemeinde B*** als Mitgliedsgemeinde zum Zwecke der Bekanntmachung übersandt hatte, erlangte der Verwaltungsakt zunächst gegenüber der Gemeinde B*** als Teilnehmer im Flurbereinigungsverfahren (§ 10 Nr. 1 FlurbG) Außenwirkung im Sinn von Art. 35 BayVwVfG. Die Existenz des Verwaltungsakts geht außerdem aus der am 29. Mai 2004 erfolgten öffentlichen Ankündigung der bevorstehenden Auslegung hervor.

Dass die Antragsteller den Eilantrag schon einen Tag vor Erhebung des Widerspruchs eingereicht hatten, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu diesem Zeitpunkt begrifflich also noch nicht möglich war, führt nicht zur Unzulässigkeit des Eilantrags, weil jedenfalls zum Zeitpunkt des Eingangs beim Flurbereinigungsgericht die Widersprüche vorgelegen haben (Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 65 zu § 80).

Der demnach zulässige Eilantrag hat (nur) mit der Maßgabe Erfolg, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben wird (BayVGH vom 12.3.1996 BayVBl 1996, 633).

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat ein Widerspruch aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass der Verwaltungsakt nicht vollziehbar ist. Die Behörde kann jedoch - wie hier - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten anordnen. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist dann das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die rechtsstaatlich gebotene Begründungspflicht soll zum einen den Betroffenen in die Lage versetzen, durch Kenntnis der Gründe, die die Behörde zu der Anordnung des Sofortvollzugs bewogen haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzuschätzen. Zum anderen hat sie den Zweck, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bewusst zu machen und zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein vorrangiges Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung fordert. Schließlich hat sie auch die Funktion, den Gerichten die Prüfung der Argumente der Behörde zu ermöglichen. Hieraus ergibt sich, dass das Erfordernis einer schriftlichen Begründung nicht nur formeller Natur ist, dem bereits genügt ist, wenn überhaupt eine Begründung vorhanden ist. Aus dem Zweck der Begründungspflicht folgt vielmehr, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen muss, die im konkreten Fall zur Annahme eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geführt haben (BayVGH vom 24.3.1999 BayVBl 1999, 465; Jörg Schmidt a.a.O. RdNr. 42 zu § 80; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 84 zu § 80). Auch der Senat hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Vollziehungsanordnung mit einer auf den konkreten Fall abstellenden und nicht lediglich formelhaften Begründung versehen sein muss (vgl. z.B. Beschlüsse vom 17.8.1994 Az. 13 AS 94.2356 und vom 15.1.2004 Az. 13 AS 03.2997). Etwas anderes gilt auch nicht deswegen, weil das Flurbereinigungsverfahren generell unter dem Gebot größtmöglicher Beschleunigung steht (BVerwG vom 15.3.1997 BVerwGE 42, 92). Eine Sonderstellung hinsichtlich des sofortigen Vollzugs der von ihnen erlassenen Verwaltungsakte wird den Flurbereinigungsbehörden im Vergleich zu anderen Verwaltungsbehörden nicht eingeräumt (BayVGH vom 4.1.1982 RzF - 4 - zu § 61 FlurbG ).

Die von der Behörde gewählte Begründung entspricht diesen Anforderungen nicht. (Anm. d. Redaktion: Im entschiedenen Fall wurde die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit folgendem Text begründet: "Die Zusammenlegung ist eine wirksame Maßnahme, um die Agrarstruktur zu verbessern, die Arbeitsproduktivität der bäuerlichen Betriebe zu steigern und die allgemeinen Lebensbedingungen im ländlichen Raum zu verbessern. Es liegt daher im öffentlichen Interesse, die Zusammenlegung unverzüglich in Angriff zu nehmen. Die Direktion für Ländliche Entwicklung *** ordnete deshalb die sofortige Vollziehung des Zusammenlegungsbeschlusses an (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 19.03.1991 - BGBl I S. 686).") Der Senat verkennt nicht, dass angesichts vielfach gleichgelagerter Ziele der Neuordnungs- oder Zusammenlegungsverfahren, der großen Anzahl der Teilnehmer und insoweit gleichgelagerter Interessen üblicherweise auf pauschalisierte Gesichtspunkte und überwiegend gleiche Gründe abgestellt wird. Solange diese Gründe die Eilbedürftigkeit tragen können, hat dies seine Richtigkeit. Die die Behörde leitenden Überlegungen müssen aber erkennbar und nachvollziehbar sein. Es ist weder Sache des Betroffenen, die von der Flurbereinigungsbehörde angegebenen Gründe auf ihren Sachbezug und ihre Verständlichkeit zu hinterfragen noch etwa Aufgabe des Gerichts von den Voraussetzungen des § 146 Nr. 2 FlurbG abgesehen selbst Gründe zu ermitteln. Die Behörde hat von sich aus alle ihre Entscheidung tragenden Argumente darzulegen (Beschluss des Senats vom 2.5.1996 Az. 13 AS 96.708). Die im Zusammenlegungsbeschluss vom 17. Mai 2004 enthaltene Begründung des Sofortvollzugs formuliert allgemein Ziele der Flurbereinigung bzw. der Zusammenlegung (vgl. § 1, § 92, § 37 FlurbG), bringt aber nicht die Eilbedürftigkeit des angeordneten Zusammenlegungsverfahrens zum Ausdruck. Die Begründung des besonderen Interesses im Sinn von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist zwar dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich die besondere Dringlichkeit bereits aus der Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts selbst ergibt und hierauf Bezug genommen wird. Als Begründung im Sinn von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt gegebenenfalls auch ein Hinweis auf allgemein bekannte Umstände (Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 86 zu § 80). Eine solche Darlegung fehlt aber. Aus der Begründung des Zusammenlegungsbeschlusses lässt sich die besondere Dringlichkeit nicht entnehmen. Die dortigen Ausführungen lassen nicht erkennen, worin das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung liegt, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Zusammenlegungsbeschluss selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG NVwZ 1996, 58).

Die Anordnung des Sofortvollzugs ist somit formell rechtswidrig.